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Zahnlücken, Alkohol- und Tabakmissbrauch - "Hartz IV hat Folgen für den Gesundheitsbereich"
aus: http://www.klinikum.uni-leipzig.de/patienten/expertentipp.html
Zahnlücken, Alkohol- und Tabakmissbrauch - "Hartz IV hat Folgen für den Gesundheitsbereich"
Interview mit Prof. Dr. rer. biol. hum. Elmar Brähler, Leiter der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie am Universitätsklinikum Leipzig
Die im kommenden Jahr anstehende Arbeitsmarktreform mit der Kurzbezeichnung Hartz IV ist heftig umstritten. Zehntausende Menschen vor allem in Ostdeutschland befürchten, durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden. Im Interview schätzt Prof. Dr. rer. biol. hum. Elmar Brähler vom Leipziger Universitätsklinikum mögliche Folgen für die Betroffenen und den Gesundheitsbereich ab.
Frage: Auch wenn noch keiner weiß, was die Arbeitsmarktreform Hartz IV im Detail und für ihn persönlich bringt: Es wachsen im Osten die Sorgen. Wirken sich solche Ängste und Ungewissheiten auf die Gesundheit aus?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Das können sie durchaus. Schon Arbeitslosigkeit und Gesundheit hängen eng zusammen. Gleiches gilt für Einkommen und Gesundheit. Da gibt es ganz elementare Zusammenhänge, die auf den Nenner zu bringen sind: Je mehr Geld man hat, desto gesünder ist man in der Regel. Wir wissen, wer arbeitslos ist in unserem Lande hat große gesundheitliche Einbußen. Und umgekehrt gilt: Menschen mit gesundheitlichen Problemen werden eher arbeitslos. Die Kausalität ist nicht geklärt, aber klar ist: Es entsteht ein Teufelskreislauf, bei dem die Gesundheit verliert.
Frage: Können große gesellschaftliche Umwälzungen den Gesundheitszustand beeinflussen?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Aber ja. Es gibt drastische Beispiele aus Russland. Dort ist nach 1990 die Lebenserwartung enorm gesunken. Die der Männer rutschte auf 57 Jahre ab, das lag sogar noch unter der von Indien. Heute erreicht sie im einstigen Kernland des Kommunismus immer noch nicht 60 Jahre. In Ländern, wie Schweden oder Großbritannien, die in den 80er Jahren Einschnitte ins soziale Netz vorgenommen haben, ergab sich: Die Variabilität des Gesundheitszustandes ist sehr viel größer geworden, es gibt je nach sozialer Schicht Höhen und Tiefen. Das heißt: Die Menschen mit höherem Einkommen haben von den Einschnitten profitiert, die mit geringerem Einkommen blieben auf der Strecke.
Frage: Mit Hartz IV werden Sozialhilfe-Empfänger besser gestellt, für Langzeitarbeitslose gibt es Kürzungen. Das trifft den Osten hart, weil es hier deutlich mehr Langzeitarbeitslose als Sozialhilfe-Empfänger gibt. Wie wird das aufgenommen werden?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Nach meinen Studien glaubt der Ostdeutsche noch immer an die gerechte Welt. Der Westdeutsche glaubt an die Chancengleichheit und den Spruch: Jeder ist seines Glückes Schmied. Das ist eine der größten Ost-West-Differenzen. Wenn das Empfinden von Ungerechtigkeit - auch die längere Arbeitszeit und die niedrigeren Löhne werden im Osten als Verletzung der Gerechtigkeit empfunden - mit hoher Arbeitslosigkeit zusammentrifft, kann das böse Folgen haben.
Frage: Welche?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Wir kennen doch schon die Reaktionen auf Arbeitslosigkeit: Es wird mehr getrunken und geraucht, es gibt weniger Kinder. Wobei Männer eher mit Alkoholismus reagieren, Frauen mit Depressivität. Bei jungen Männern ist zu vermuten, dass sie zu Aggressivität und zu Gewalt nach außen neigen, wenn sie chancenlos sind. Bei 50-Jährigen, die keinen Job mehr bekommen, sind hingegen Depressivität und Verbitterung zu erwarten. Insgesamt glaube ich, dass heftige Einschnitte ins Einkommensgefüge - ob nun mit Hartz IV oder dem Niedriglohnsektor - Folgelasten haben, die auch in den Gesundheitsbereich hineindrücken. Das ist unvermeidlich.
Frage: Müssen wir russische Verhältnisse erwarten?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Nein, unmittelbar sind wir nicht dabei, solche Umbrüche wie in Russland zu haben. Auch ob die Arbeitsmarktreform die sozialen Verhältnisse radikalisiert, ist noch unklar. Aber im statistischen Jahrbuch ist nachzulesen, dass schon heute die Zahl der Zahnlücken mit der sozialen Schicht und auch dem Einkommen korrespondiert. Nur ist das heute noch nicht so sichtbar. Aber das kann sich verschärfen. Und zwar ganz schnell.
Frage: Was raten Sie den von Hartz IV Betroffenen?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Sie sollten nicht alles apathisch über sich ergehen lassen und sich nicht zu Hause einmauern. Wichtig ist es, sich Informationen zu beschaffen. Man muss wissen, was auf einen zukommt. Dann ist es gut, sich mit anderen zusammenzutun, um gemeinsam Rechte einzufordern. Ich finde auch die Demonstrationen, die jetzt stattfinden, nicht schlimm. Zum einen: Sich Gehör zu verschaffen, das ist in einer demokratischen Gesellschaft legitim. Zum anderen: Es ist für die Psyche und das Wohlbefinden wichtig, dass man äußeren Einwirkungen nicht ohnmächtig gegenüber steht, sondern sich wenigstens artikulieren kann.
Zahnlücken, Alkohol- und Tabakmissbrauch - "Hartz IV hat Folgen für den Gesundheitsbereich"
Interview mit Prof. Dr. rer. biol. hum. Elmar Brähler, Leiter der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie am Universitätsklinikum Leipzig
Die im kommenden Jahr anstehende Arbeitsmarktreform mit der Kurzbezeichnung Hartz IV ist heftig umstritten. Zehntausende Menschen vor allem in Ostdeutschland befürchten, durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden. Im Interview schätzt Prof. Dr. rer. biol. hum. Elmar Brähler vom Leipziger Universitätsklinikum mögliche Folgen für die Betroffenen und den Gesundheitsbereich ab.
Frage: Auch wenn noch keiner weiß, was die Arbeitsmarktreform Hartz IV im Detail und für ihn persönlich bringt: Es wachsen im Osten die Sorgen. Wirken sich solche Ängste und Ungewissheiten auf die Gesundheit aus?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Das können sie durchaus. Schon Arbeitslosigkeit und Gesundheit hängen eng zusammen. Gleiches gilt für Einkommen und Gesundheit. Da gibt es ganz elementare Zusammenhänge, die auf den Nenner zu bringen sind: Je mehr Geld man hat, desto gesünder ist man in der Regel. Wir wissen, wer arbeitslos ist in unserem Lande hat große gesundheitliche Einbußen. Und umgekehrt gilt: Menschen mit gesundheitlichen Problemen werden eher arbeitslos. Die Kausalität ist nicht geklärt, aber klar ist: Es entsteht ein Teufelskreislauf, bei dem die Gesundheit verliert.
Frage: Können große gesellschaftliche Umwälzungen den Gesundheitszustand beeinflussen?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Aber ja. Es gibt drastische Beispiele aus Russland. Dort ist nach 1990 die Lebenserwartung enorm gesunken. Die der Männer rutschte auf 57 Jahre ab, das lag sogar noch unter der von Indien. Heute erreicht sie im einstigen Kernland des Kommunismus immer noch nicht 60 Jahre. In Ländern, wie Schweden oder Großbritannien, die in den 80er Jahren Einschnitte ins soziale Netz vorgenommen haben, ergab sich: Die Variabilität des Gesundheitszustandes ist sehr viel größer geworden, es gibt je nach sozialer Schicht Höhen und Tiefen. Das heißt: Die Menschen mit höherem Einkommen haben von den Einschnitten profitiert, die mit geringerem Einkommen blieben auf der Strecke.
Frage: Mit Hartz IV werden Sozialhilfe-Empfänger besser gestellt, für Langzeitarbeitslose gibt es Kürzungen. Das trifft den Osten hart, weil es hier deutlich mehr Langzeitarbeitslose als Sozialhilfe-Empfänger gibt. Wie wird das aufgenommen werden?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Nach meinen Studien glaubt der Ostdeutsche noch immer an die gerechte Welt. Der Westdeutsche glaubt an die Chancengleichheit und den Spruch: Jeder ist seines Glückes Schmied. Das ist eine der größten Ost-West-Differenzen. Wenn das Empfinden von Ungerechtigkeit - auch die längere Arbeitszeit und die niedrigeren Löhne werden im Osten als Verletzung der Gerechtigkeit empfunden - mit hoher Arbeitslosigkeit zusammentrifft, kann das böse Folgen haben.
Frage: Welche?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Wir kennen doch schon die Reaktionen auf Arbeitslosigkeit: Es wird mehr getrunken und geraucht, es gibt weniger Kinder. Wobei Männer eher mit Alkoholismus reagieren, Frauen mit Depressivität. Bei jungen Männern ist zu vermuten, dass sie zu Aggressivität und zu Gewalt nach außen neigen, wenn sie chancenlos sind. Bei 50-Jährigen, die keinen Job mehr bekommen, sind hingegen Depressivität und Verbitterung zu erwarten. Insgesamt glaube ich, dass heftige Einschnitte ins Einkommensgefüge - ob nun mit Hartz IV oder dem Niedriglohnsektor - Folgelasten haben, die auch in den Gesundheitsbereich hineindrücken. Das ist unvermeidlich.
Frage: Müssen wir russische Verhältnisse erwarten?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Nein, unmittelbar sind wir nicht dabei, solche Umbrüche wie in Russland zu haben. Auch ob die Arbeitsmarktreform die sozialen Verhältnisse radikalisiert, ist noch unklar. Aber im statistischen Jahrbuch ist nachzulesen, dass schon heute die Zahl der Zahnlücken mit der sozialen Schicht und auch dem Einkommen korrespondiert. Nur ist das heute noch nicht so sichtbar. Aber das kann sich verschärfen. Und zwar ganz schnell.
Frage: Was raten Sie den von Hartz IV Betroffenen?
Prof. Dr. Elmar Brähler: Sie sollten nicht alles apathisch über sich ergehen lassen und sich nicht zu Hause einmauern. Wichtig ist es, sich Informationen zu beschaffen. Man muss wissen, was auf einen zukommt. Dann ist es gut, sich mit anderen zusammenzutun, um gemeinsam Rechte einzufordern. Ich finde auch die Demonstrationen, die jetzt stattfinden, nicht schlimm. Zum einen: Sich Gehör zu verschaffen, das ist in einer demokratischen Gesellschaft legitim. Zum anderen: Es ist für die Psyche und das Wohlbefinden wichtig, dass man äußeren Einwirkungen nicht ohnmächtig gegenüber steht, sondern sich wenigstens artikulieren kann.