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Verfassungsbeschwerde vom 06.04.2000 / Helmut Kramer

Bundesverfassungsgericht
Postfach 17 71
76006 Karlsruhe 6.4.2000

Verfassungsbeschwerde
des Richters am Oberlandesgericht a.D. Dr. Helmut Kramer, Herrenbreite 18 a, 38302 Wolfenbüttel,
- Beschwerdeführer -

wegen

1. Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 8.2.1999 - 409 Ea 47/98 -
- Anlage 1 -

2. Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 13.10.1999 - 2 OWi 701 Js 9841/99
- Anlage 2 -

3. Beschluß des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 1.3.2000 - 1 Ss(B)5/00
- Anlage 4 -

Namens und im Auftrage des Beschwerdeführers wiederhole ich wegen der oben genannten Entscheidungen die bereits unter dem 4.4.2000 unter Beifügung von Anlagen eingelegte

Verfassungsbeschwerde.

Ich beantrage,

1. den Beschluß des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 1.3.2000, das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 13.10.1999 und den Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 8.2.1999 aufzuheben,

2. die Sache an das Oberlandesgericht Braunschweig oder ein anderes Oberlandesgericht zurückzuverweisen.

Übersicht
I. Sachverhalt
II. Zur Begründung der Verfassungsbeschwerde
III. Zu den einzelnen dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Fällen:
1. Der Fall Erna Wazinski
2. Richterblockade
3. Fall Edda Frerker
4. Verteidigung des Herrn Rainer Scheer vor dem Amtsgericht Braunschweig
5. Übernahme der Verteidigung von Dr. Elke Steven
IV. Zu den einzelnen verletzten Grundrechten
1. Zu Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit)
2. Zu § 3 Abs. 1 GG (Verletzung des Willkürverbotes)
3. Zum Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) und zum Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG)
4. Zum Grundrecht aus Art. 8 Abs. 2 GG
5. Zu Art. 17 GG (Petitionsfreiheit)
6. Zur Rüge aus Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG
Begründung:

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I. Sachverhalt
1. Der Beschwerdeführer (Bf) ist durch Beschluß des Amtsgerichts Braunschweig vom 6.2.1996 - Anlage 5 - in dem Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen Detlev Beutner und Rainer Scheer wegen unerlaubter Rechtsberatung gemäß § 138 Abs. 2 StPO als Wahlverteidiger des Betroffenen Scheer zugelassen worden und hat in der Hauptverhandlung am 18.5.1998 auf Freispruch seines Mandanten plädiert (vgl. den Abdruck des Plädoyers in "4/3 - Fachzeitschrift zur Kriegsdienstverweigerung, Wehrdienst und Zivildienst Nr. 2/1998, S. 52 ff, - Anlage 6 -).

2. Auf die am Ende des Plädoyers eingereichte Selbstanzeige des Beschwerdeführers vom 18.5.1998 (Anlage 7) erließ die Staatsanwaltschaft gegen den Beschwerdeführer unter Festsetzung eines Bußgeldes von 600,-- DM den Bußgeldbescheid vom 8.2.1999.

- Anlage 1 -

3. Auf den Einspruch des Beschwerdeführers hin verurteilte das Amtsgericht Braunschweig den Beschwerdeführer am 13.10.1999 wegen unerlaubter geschäftsmäßiger Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten (Ordnungswidrigkeit gemäß Art. 1, § 1 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Nr. 1 RBerG) zu einer Geldbuße von 600,-- DM.

- Anlage 2 -

4. Die von dem Beschwerdeführer eingelegte Rechtsbeschwerde wurde durch Beschluß des Oberlandesgerichts Braunschweig, Senat für Bußgeldsachen (Einzelrichter) vom 1.3.2000 - Zustellung am 6.3.2000 - als offensichtlich unbegründet verworfen.

- Anlage 4 -

II. Zur Begründung der Verfassungsbeschwerde
Gerügt wird die Verletzung folgender Grundrechte: Art. 2 Abs. 1, Satz 1 GG; Art. 3 Abs. 1 GG; Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 GG; Art. 8 GG; Art. 103 Abs. 3 GG; Art. 17 GG, Art. 19, Abs. 4 GG.

In den vorliegenden Verfahren geht es um eine Frage des Rechts der freien Berufe.

Das Rechtsberatungsgesetz ist ein Gesetz zum Schutz der Interessen der Rechtsuchenden und zum Schutz eines freien Berufes, nämlich der Rechtsanwaltschaft. Soweit es dem Schutz der Rechtsanwaltschaft dient, geht es um die Abgrenzung von Berufsgruppen untereinander beziehungsweise einer Berufsgruppe (der Rechtsanwälte) gegenüber ehrenamtlich mit Funktionen dieses Berufes befaßten Personen. Insoweit richtet das RBerG sich gegen den der Anwaltschaft erwachsenden Wettbewerb durch sog. Winkeladvokaten und andere gegen Entgelt tätige Rechtsberater, aber auch gegen Bürger, die - wie der Beschwerdeführer - unentgeltlich, rein altruistisch im Rechtsbereich tätig werden.

1. Die Verurteilung des Beschwerdeführers ist neben der Verletzung der anderen gerügten Grundrechte ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit.

Die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten einschließlich der Rechtsberatung unterfällt dem Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit. Diese findet - abgesehen von der Verletzung anderer oder des Sittengesetzes - ihre Grenze nur in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung.

Zu dieser Ordnung gehören die vom Normengeber gesetzten verfassungsgemäßen Vorschriften und deren verfassungskonforme Auslegung (BVerfGE 74, 129 [152]).

Legt der Richter offene Rechtsbegriffe - z.B. den Begriff der Geschäftsmäßigkeit nach Art. 1 § 1 RberG - aus, stehen die sich daraus ergebenden Einschränkungen des Grundrechts aus Art. 2 Art. 1 GG nur dann mit der Verfassung im Einklang, wenn sie den Grundentscheidungen des Grundgesetzes entsprechen (BVerfGE 74, 129 [152]).

2. Nach herrschender Meinung unterliegt der Regelung des Art. 1 § 1, § 8 RBerG, und zwar auch die aus rein altruistischen Beweggründen geleistete unentgeltliche Rechtsberatung und Rechtsbesorgung (im folgenden wird wenn nichts anderes vermerkt, aus Abkürzungsgründen stets nur von "Rechtsberatung" oder "Rechtsbesorgung" gesprochen). Ohne daß es auf eine besondere Häufung von Fällen ankommt, wird als "geschäftsmäßig" bereits die Rechtsbesorgung in wenigen Fällen, ja sogar in einem einzigen Fall angenommen (vgl. Rennen-Caliebe, RBerG, 3. Auflage 1999, Art. 1 § 1, RN 39 ff; Hartmut König, Rechtsberatungsgesetz. Grundfragen und Reformbedürftigkeit, Bonn/Essen 1993, S. 61 ff), dies auch bei Beratung von Freunden und allernächsten Verwandten (vgl. OLG Oldenburg, NJW 1992, S. 2438) und unabhängig von Anlaß und Motivation der Hilfeleistung. Auch auf die tatsächliche Durchführbarkeit der Wiederholungsabsicht kommt es nicht an. Das Rechtsberatungsgesetz gilt auch für parlamentarische Abgeordnete (vgl. König, a.a.O., S. 77 ff).

3. Der Bürger muß sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des Zumutbaren sieht. Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit unterliegen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verlangt, daß das gesetzgeberische Ziel auf den Schutz eines Gemeinschaftsgutes gerichtet ist, das der eingeschränkten Freiheit mindestens gleichwertig ist, und daß der gesetzlich vorgesehene Eingriff in die Freiheit des Einzelnen zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels geeignet, erforderlich (also nicht unnötig) und verhältnismäßig in dem engeren Sinn sein muß, daß die Intensität der Freiheitseinschränkung nicht in einem unvernünftigen Verhältnis zur Förderung des damit verfolgten Gemeinwohlzwecks steht.

4. Als Gemeinwohlziel des RBerG wird in erster Linie der Schutz der rechtsuchenden Bevölkerung vor unzulänglicher Rechtsberatung angeführt. Dieser Zweck kann - auch in Verbindung mit den anderen zur Rechtfertigung des Eingriffs genannten Zielen - das Verbot auch der altruistischen, in jeder Beziehung unentgeltlichen Rechtsberatung in der von der Rechtsprechung, insbesondere auch von dem - von dem Strafsenat nicht gerügten - angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vorgenommenen nahezu uferlosen weiten Auslegung des Begriffs der Geschäftsmäßigkeit nicht zu rechtfertigen.

5. Fraglich ist bereits, ob das Verbot geeignet ist, den Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung zu dienen. Zwar möchte jeder Bürger vor unsachgemäßer Rechtsberatung und -entscheidung bewahrt bleiben - ein Wunsch, den bekanntlich nicht einmal alle Volljuristen zu erfüllen imstande sind. Zugleich ist das Interesse der Bürger aber auf eine auch quantitativ optimale Rechtsversorgung gerichtet, unter Rückgriff auch auf die im Verwandten- und Freundeskreis bestehenden Ressourcen und mit der Möglichkeit einer gerade wegen der persönlichen Beziehung besonders engagierten Interessenwahrnehmung (vgl. König, a.a.O., S. 41). Insbesondere wenn der Bürger sich Rechtsrat oder Rechtsbesorgung von einer Person seines besonderen Vertrauens erhofft, die sowohl über Rechtsberatungskompetenz im allgemeinen als auch über besondere Erfahrung in dem fraglichen Rechtsbereich verfügt, möchte er sich nicht von einem Gesetz oder einer Gesetzesanwendung bevormunden lassen, die die monopolartige Stellung des Anwaltsberufs auch vor aus reiner Nächstenliebe geleisteter "Konkurrenz" abzusichern sucht.

6. Dem Eingriff fehlt es auch an der Notwendigkeit.

a) Mit der Bitte um Rechtsrat wendet man sich nicht an beliebige Personen, sondern in aller Regel nur an Personen, bei denen eine hinreichende Kompetenz in Rechtsdingen vorliegt (vgl. König, a.a.O., S. 83). Das ist überhaupt der Grund, aus dem Bürger im Freundes- und Bekanntenkreis mit solchen Bitten angegangen werden.

Das - auch bei anwaltlicher Beratung nicht auszuschließende - verbleibende Risiko kann dem Rechtsuchenden unter den besonderen Umständen der Inanspruchnahme unentgeltlicher Hilfe zugemutet werden.

b) Schutz - in der Gestalt eines Verbots, Mitmenschen an Hilfsbereitschaft und persönlichen und beruflichen Fähigkeiten partizipieren zu lassen - benötigt nur derjenige, der das evtl. vorhandene Risiko nicht einkalkuliert, die von ihm erbetene Auskunft oder sonstige rechtliche Hilfe könne unzutreffend sein. Wer unentgeltliche Rechtsauskunft in Anspruch nimmt, weiß, daß von einem staatlich nicht zugelassenen Berater nicht eine fachliche Leistung und persönliche Zuverlässigkeit erwartet werden kann, die der Rechtsuchende von einem staatlich konzessionierten und überwachten, gegen erhebliche Gebühren tätigen Rechtsberater theoretisch erwarten darf. Es ist die Rechtsordnung selbst, die bei der zivilrechtlichen Haftungsregelung der meisten Gefälligkeitsgeschäfte ein solches Risikobewußtsein voraussetzt (vgl. §§ 521, 599, 600 BGB).

c) Ein dringendes, sich aus dem Grundrecht des Art. 2, Abs. 1 GG und den anderen verletzten Grundrechten überlagerndes Bedürfnis nach einem bußgeldbewehrten Verbot der unentgeltlichen geschäftsmäßigen Rechtsbesorgung in der dem angefochtenen Urteil zugrundeliegenden unbegrenzten Auslegung ist um so weniger ersichtlich, als der Gesetzgeber andere, weniger einschneidendere Vorkehrungen hätte treffen können und - bei verschiedenen Varianten legislativer Möglichkeiten - von einer solchen Möglichkeit auch Gebrauch gemacht hat, um Nachteile, die dem Rechtsuchenden und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege durch ungeeignete Rechtsbesorger entstehen könnten, zu minimieren. Dies gilt insbesondere für den Bereich, der sowohl für den Schutz der Rechtsuchenden als auch für den Schutz der Reibungslosigkeit der Rechtspflege vor allem von Belang ist und der - im Unterschied zu der praktisch ohnehin nicht kontrollierbaren außergerichtlichen unentgeltlichen Rechtsberatung - einer behördlichen Kontrolle zugänglich ist: das mündliche oder schriftliche Auftreten vor Gericht. Soweit hierfür nicht der Anwaltszwang eingeführt ist, gibt es zum Schutz gegenüber mißbräuchlich agitierenden Rechtsbesorgern das Zulassungserfordernis nach § 138 Abs. 2 StPO (mit der Prüfung der fachlichen und persönlichen Zuverlässigkeit des Antragstellers und der Möglichkeit der nachträglichen Rücknahme der Zulassung), die Möglichkeit des Ausschlusses geschäftsmäßiger Rechtsbesorger und die Ausschluß- und Zurückweisungsmöglichkeiten nach § 157 StPO und § 14 Abs. 5 und 6 VerwVG (vgl. auch § 69 JGG).

Ohnehin besteht bei unbefangener Betrachtungsweise zwischen den Vorschriften des § 138 Abs. 2 StPO und Art. 1, § 1 RBerG ein Regelungswiderspruch, der durch den Hinweis auf die unterschiedliche Rechtsnatur der Genehmigung nach § 138 Abs. 2 StPO und der Erlaubnis nach Art. 1 § 1 RBerG (vgl. dazu Rennen-Caliebe, RBerG, Art. 1 § 1 RN 122) allenfalls hochbegrifflich behoben wird. Prekär ist das nicht nur dem juristischen Laien schwer verständliche Nebeneinander der genannten Normen auch im Hinblick auf das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete verfassungsrechtliche Postulat der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung (vgl. dazu BVerfGE 90, 106, 118 f; Sodan, JZ 1999, S. 864). Die Vagheit des Begriffs der Geschäftsmäßigkeit insbesondere in seiner durch das von dem OLG Braunschweig gebilligten uferlosen Ausdehnung durch das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Braunschweig, wonach zur Tatbestandsverwirklichung unter Umständen bereits eine einmalige Handlung bei entsprechender übler Gesinnung genügt, bringt jedenfalls den auf die Genehmigung nach § 138 Abs. 2 StPO vertrauenden Normadressaten in die Gefahr einer schwer voraussehbaren nachträglichen Pönalisierung. Deshalb ist auch der aus dem Rechtsstaatsgebot und aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Bestimmtheitsgrundsatz verletzt. In seinem Bedürfnis nach Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sieht der Bürger sich vom Gesetzgeber oder jedenfalls von der Justizverwaltung um so mehr enttäuscht, als es ein - mit oder ohne Verbindung mit der Zulassung nach § 138 Abs. 2 StPO verbundenes - Prüfverfahren der Justizverwaltung nicht gibt, mit dem dem Bürger das mit der Unbestimmtheit des Begriffs der Geschäftsmäßigkeit einhergehende Pönalisierungsrisiko abgenommen würde. Es ist nämlich durchaus unklar, ob die Justizverwaltung für den außerhalb beziehungsweise unterhalb der in Art. 3 § 3 ff RBerG beschriebenen Fällen professioneller Rechtsberatung liegenden Bereich - also etwa für die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Rechtsbesorgungen - einen Erlaubnisantrag überhaupt verbindlich bescheiden würde. Auch verneint die Rechtsprechung noch immer einen Anspruch des Bürgers auf Erteilung eines Negativattestes (vgl. Rennen-Caliebe, RBerG Art. 1 § 1, RN 51, 74, 161 ff).

7. Als weitere Zielsetzung des Gesetzgebers genannt wird die allgemeine Ordnungsfunktion des RBerG. Das Verbot der geschäftsmäßigen Rechtsberatung soll die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege sicherstellen (vgl. BVerfGE 97, 12 [30 f]). Geschützt werden soll die Allgemeinheit, der nicht zugemutet werden soll, daß die reibungslose Abwicklung des Rechtsverkehrs durch ungeeignete Personen behindert wird.

a) Auch hier ist unter dem Gesichtspunkt der Geeignetheit des Mittels die Interessenlage keineswegs eindeutig. Zum einen kann etwa die unentgeltliche Beratungstätigkeit innerhalb von Selbsthilfegruppen und anderen Bürgerinitiativen eine wünschenswerte Filterfunktion übernehmen, durch die Bürger von der Aussichtslosigkeit mancher Rechtsmittel und anderer Eingaben an Gerichte und Behörden überzeugt werden. Oftmals geht es den Beratenden sogar hauptsächlich um die bei vielen Rechtsanwälten vergeblich erhoffte Möglichkeit, sich mit den mit der Rechtsfrage verbundenen Sorgen wenigstens einmal gegenüber einem verständnisvollen Gesprächspartner aussprechen zu dürfen. Beispielsweise aus den Bereichen der Strafgefangenenhilfe und Asylbewerbung wird von entsprechenden Erfahrungen berichtet. Zum anderen kann es für eine sich demokratisch verstehende Justiz durchaus ein Gewinn sein, wenn - nach gerichtlicher Vorprüfung gem. § 138 Abs. 2 StPO - gelegentlich, in erfahrungsgemäß seltenen Fällen, auch Wissenschaftler und andere Bürger als Verteidiger auftreten, die außerhalb der Gleise eingefahrener Routine dazu beitragen, daß sakrosankt gehaltene Rechtsmeinungen - etwa zur Praxis des Rechtsberatungsgesetzes - kritisch reflektiert werden. Nur eine autoritär ausgerichtete Justiz kann ein Interesse daran haben, solche kritischen Anstöße durch Androhung von Bußgeldern abzuwehren.

b) Unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit gilt das bereits bei der Erörterung des Schutzes der rechtsuchenden Bevölkerung Gesagte. Der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege ist bereits durch das Zulassungserfordernis des § 138 Abs. 2 StPO und die Ausschlußmöglichkeiten der anderen Verfahrensordnungen Rechnung getragen. Soweit es um Rechtsberatung und Rechtsbesorgung im außergerichtlichen Raum geht, kann eine solche Tätigkeit mangels unmittelbarer Einwirkung auf Gerichte und Behörden deren Tätigkeit ohnehin nicht tangieren. Soweit auch der Schutz Dritter vor der bloßen Geltendmachung unberechtigter Rechtspositionen durch fachlich ungeeignete Personen geschützt werden, also vor einer bloßen Belästigung bewahrt bleiben sollen, hält dieses öffentliche Interesse einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand.

c) Gerade bei der Heranziehung des Schutzzwecks "Funktionsfähigkeit der Justiz" ist ohnehin Zurückhaltung geboten. Hinter dem Selbstbild einer reibungslosen und auf keinerlei Kritik angewiesenen Rechtspflege kann sich allzu leicht Behördenegoismus verbergen, also das allzu menschliche Interesse an einer möglichst bequemen und konfliktfreien Erledigung, bis hin zu der Versuchung, sich unbequeme Mahner vom Hals zu halten (zu einer ähnlichen Konfliktlage bei der Auswahl von Pflichtverteidigern im Strafprozeß vgl. Margrit Spaniol, Das Recht auf Verteidigerbeistand im Grundgesetz und in der Europäischen Menschenrechtskonvention, Berlin 1993, S. 236 ff; zur Gefahr allergischer, mitunter geradezu cholerischer Reaktionen gegenüber einem Justizkritiker vgl. den bei Heinrich Hannover, Die Republik vor Gericht 1975 - 1995, S. 307 ff beschriebenen Fall; vgl. auch Bästlein, in: Betrifft Justiz Nr. 61, S. 226, r.Sp. und S. 227 unten). Die gerade im vorliegenden Fall nicht auszuschließende Gefahr der Instrumentalisierung des RBerG zu rechtsfremden Zwecken gebietet eine einschränkende Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Geschäftsmäßigkeit anstelle der in den angefochtenen Entscheidungen vorgenommenen weiten Ausdehnung des Verbotsbereichs des Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG.

8. Als weiterer Schutzzweck des Erlaubnisvorbehalts des Art. 1 § 1 RBerG ins Feld geführt wird der Schutz der Anwaltschaft vor außenstehenden standes- und gebührenrechtlich ungebundenen Mitbewerbern. Der ökonomische Schutz einer Berufsgruppe vor Wettbewerbern hält der verfassungsrechtlichen Prüfung indessen nicht stand, weil der Konkurrenzschutz als solcher kein Gemeinwohlbelang ist (BVerfGE 7, 377 [408]; 97, 12 [31]).

Soweit der Gesetzeszweck auf den Erhalt einer leistungsfähigen Anwaltschaft und darauf gerichtet ist, daß der Anwaltschaft nicht die wirtschaftliche Basis insgesamt entzogen werden darf, ist eine Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG nur insoweit unbedenklich, als es um die Abgrenzung von Berufsgruppen untereinander oder sonst darum geht, daß einer Berufsgruppe übermäßige Konkurrenz daraus entsteht, daß Personen gewerblich, also gegen Entgelt Dienste erbringen. Daß durch unentgeltlich - uneigennützig im weitesten Sinn - erbrachte Rechtsberatung, die nicht einmal nebenberuflich betrieben wird, das Gebühreninteresse der Anwaltschaft ernsthaft beeinträchtigt werden könnte, ist aber nicht zu befürchten (vgl. dazu König, a.a.O., S. 44 ff, 96, 108). Es fehlt hier an einem wirtschaftlichen Wettbewerbsverhältnis.

9. Selbst wenn die genannten Gesetzeszwecke - Schutz der Rechtsuchenden, Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und Erhalt einer leistungsfähigen Anwaltschaft - eine Einschränkung selbst der unentgeltlichen Rechtsberatung grundsätzlich sinnvoll erscheinen lassen könnten, würde der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einen solchen Eingriff doch verbieten.

Bei der erforderlichen Abwägung der entgegenstehenden öffentlichen und individuellen Interessen ist zu berücksichtigen, daß unter den vielfältigen Formen individueller Betätigung der Entschluß, uneigennützig anderen mit Tat und Rat zur Seite zu stehen, besonders herausragt. Man wird die - eng mit dem Menschenbild des Grundgesetzes verbundene - Befugnis, anderen zu helfen, als eines der vornehmsten bürgerlichen Freiheitsrechte bezeichnen dürfen. Anders wären alle Appelle an Gemeinsinn und alle Aufforderungen, Nächstenliebe und Solidarität zu betätigen, unglaubwürdig. Auch gehört das Recht, sich der Bitte um einen Rat nicht entziehen zu müssen, zur Pflege der mitmenschlichen Beziehungen.

Dies gilt auch und erst recht für die Befugnis des Beschwerdeführers, eines pensionierten Richters, seine beruflich erworbenen juristischen Kenntnisse und Erfahrungen selbstlos in den Dienst seiner Mitmenschen zu stellen. Das gilt nicht minder, wenn ein Bürger - der Beschwerdeführer - sich zum Fürsprecher einer Toten (Erna Wazinski) gemacht hat, mit dem Versuch, der Hingerichteten wenigstens posthum etwas Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Pönalisierung eines solchen Ausdrucks von Scham und Schuld widerspricht bereits dem Grundsatz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), der seine besondere Ausprägung in Art. 2 Abs. 1 GG gefunden hat.

10. Je mehr der Eingriff "elementare Äußerungsformen der menschlichen Handlungsfreiheit" berührt, um so sorgfältiger müssen die zur Rechtfertigung des Eingriffs vorgebrachten Gründe gegen den grundsätzlichen Freiheitsanspruch des Bürgers abgewogen werden (BVerfGE 17, 306, 314 - Mitfahrgelegenheit; BVerfGE 20, 150, 159). Daß das Amtsgericht und das Oberlandesgericht eine solche Abwägung wenigstens im Ansatz vorgenommen haben, ist aus den angefochtenen Urteilen nicht ersichtlich. Mit ihrer Verabsolutierung abstrakt gesehener Schutzzwecke haben die Richter vielmehr die zu beachtenden verfassungsrechtlichen Aspekte völlig aus dem Blick verloren.

Wie weit das Amtsgericht sich mit seiner übermäßigen Ausdehnung des Begriffs "geschäftsmäßig" von den verfassungsrechtlichen Vorgaben entfernt hat - ohne daß das Oberlandesgericht diesen Verfassungsverstoß behoben hat - wird bei der Betrachtung der einzelnen dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Fälle unter Würdigung der in Rechtsprechung und Kommentarliteratur angebotenen Lösungsmöglichkeiten noch deutlicher.

Geschäftsmäßigkeit der Rechtsbesorgung liegt danach nur dann vor, wenn fremde Rechtsangelegenheiten in einer sich wiederholenden und über den aus besonderen Gründen ausgeübten Gelegenheitsfall hinausgehenden Tätigkeit besorgt werden (vgl. Altenhoff/Busch/Kampmann, RBerG, 7. Aufl., Art. 1 § 1, RN 28 f, 36 m.w.N.). Angesichts der mangelnden Anpassung des Rechtsberatungsgesetzes an die Grundrechte ist bei der Auslegung zu beachten, daß die begrenzte Zielsetzung und der Ausnahmecharakter des RBerG eine einschränkende Auslegung nahelegen (Senge in: Erbs-Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Vorbem. Nr 4 zu R55 - RBerG).

Unter Anlegung dieser Kriterien hätten die angefochtenen Urteile unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Anforderungen zu einer Verneinung des Merkmals der Geschäftsmäßigkeit und damit zum Freispruch des Beschwerdeführers gelangen müssen. Denn in allen dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Fällen hatte der Beschwerdeführer besonderen Anlaß, sich dem von ihm besorgten Rechtsfall anzunehmen, dies zudem aufgrund persönlicher Betroffenheit.

III. Zu den einzelnen dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Fällen

1. Der Fall Erna Wazinski

a) Die Tathandlung des Beschwerdeführers im Fall Erna Wazinski besteht in seinem an die Staatsanwaltschaft Braunschweig gerichteten Schreiben vom 8. August 1990 (Anlage 12). In diesem Schreiben hat der Beschwerdeführer bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig angeregt, die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Erna Wazinski mit dem Ziel der Aufhebung des Urteils des Sondergerichts Braunschweig vom 21.10.1944 einzuleiten. Zu dieser Anregung ist es aufgrund eines über mehrere Rundfunkanstalten ausgestrahlten Radiofeatures und zahlreicher Pressemeldungen und Rundfunk- und Fernsehberichte, in deren Gefolge sich nach 45 Jahren ein wichtiger Zeuge gemeldet hatte, gekommen. Angesichts der aufgrund der Medienberichte allgemeinkundigen Tatsachen hatte der Beschwerdeführer gehofft, die Staatsanwaltschaft Braunschweig würde ein Wiederaufnahmeverfahren von Amts wegen einleiten. Erst als die Staatsanwaltschaft untätig blieb, hat der Beschwerdeführer sie in höflicher Form in dem Schreiben vom 8.8.1990 an ihre Amtspflicht erinnert. Die Staatsanwaltschaft hat auf die Anregung reagiert, indem sie unter dem 10. Oktober 1990 - sich eine eigene Begründung ersparend - in sinngemäßer Bezugnahme auf den Schriftsatz des Beschwerdeführers bei dem Landgericht Braunschweig einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt hat (Anlage 13). Durch Beschluß vom 19. März 1991 hat das Landgericht unter Aufhebung des Urteils des Sondergerichts Braunschweig vom 21. Oktober 1944 die Verurteilte Erna Wazinski freigesprochen (Anlage 14). Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Anlagen 8 und 9 sowie Anlage 6, S. 54 f sowie die Anlagen 12 - 14 Bezug genommen.

b) Die Heranziehung einer Handlung, mit der der Beschwerdeführer einen Beitrag zur Beseitigung (soweit noch möglich) von NS-Unrecht geleistet hat, zur Begründung der "Geschäftsmäßigkeit" im Sinne des Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG kann von Verfassungs wegen keinen Bestand haben.

Bei angemessener Würdigung von Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG und der übrigen gerügten Grundrechte hätten Amtsgericht und Oberlandesgericht in der naheliegenden einschränkenden Interpretation des Begriffs "Geschäftsmäßigkeit" auf den besonderen Anlaß abstellen müssen, aus dem der Angeklagte das rechtsbesorgende Engagement in der Sache Erna Wazinski entfaltet hat. Dabei war zu berücksichtigen, daß in Braunschweig weder die Beamten der Staatsanwaltschaft noch ein anderer Jurist bereit waren, die erforderliche Initiative zu ergreifen. Wie gering das Interesse der Justiz und der Anwaltschaft an der strafrechtlichen Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechts in der damaligen Zeit (1990) war, ergibt sich aus dem Umstand, daß sonst niemand die Notwendigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens in der Sache Erna Wazinski erkannt hat, obgleich in den Jahren 1989/1990 in den erwähnten regionalen und überregionalen Medienberichten auf diesen besonders krassen Fall nationalsozialistischen Justizunrechts und auf das Auftauchen eines neuen Zeugen aufmerksam gemacht worden war (vgl. dazu den Bericht in der Zeitschrift "Der Weg" 1/91, S. 7 ff = Anlage 8). Es bleibt vorbehalten, Kopien der zahlreichen anderen Medienberichte nachzureichen. Eine Ausnahme war die Ehefrau des Beschwerdeführers. Die Beiordnung dieser Rechtsanwältin als Pflichtverteidigerin der Hingerichteten wurde von dem Landgericht indessen mit der Begründung, sie sei "befangen", abgelehnt, obwohl sie sich unter Gebührenverzicht als Verteidigerin gemeldet hatte (vgl. Anlage 8, S. 9). Möglicherweise war mit den merkwürdigen Auseinandersetzungen unter anderem im Jahr 1990

- denen im Jahr 1980 die gemeinsam mit gewerkschaftlich organisierten Richterkollegen von dem Beschwerdeführer organisierte Vortragsreihe "Braunschweig unterm Hakenkreuz" (vgl. Kramer (Hg.), Braunschweig unterm Hakenkreuz, Braunschweig 1981), begleitet mit heftigen Abwehrreaktionen aus Kreisen der Braunschweiger Justiz, vorausgegangen war - die nun mit dem Beschluß der Kollegen des Strafsenats markierte Konfrontation vorgezeichnet.

Ohne die Initiative des Beschwerdeführers hätte das Todesurteil gegen Erna Wazinski noch heute Bestand. In Braunschweig und darüber hinaus ist allgemeinkundig, daß es ohne diese Initiative des Beschwerdeführers weder zu der Aufhebung des Todesurteils noch zu der Einrichtung der Gedenkstätte in Wolfenbüttel - in deren Mittelpunkt jetzt das Schicksal der Erna Wazinski steht - gekommen wäre. Mit Recht hat die damalige niedersächsische Justizministerin Alm-Merk in einem an den Beschwerdeführer gerichteten persönlichen Dankesschreiben vom 22. März 1991 (Anlage 15) ausgeführt, "ohne (den Beschwerdeführer) wäre die Angelegenheit nicht aufgerollt worden." U.a. wegen seines Engagements in der Sache Erna Wazinski ist der Beschwerdeführer mit dem Hans-Litten-Preis ausgezeichnet worden (vgl. "Ansprüche - Forum demokratischer Juristinnen und Juristen", 1994, S. 21 ff).

c) Neben der Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG und der anderen gerügten Grundrechte liegt auch ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Petitionsfreiheit (Art. 17 GG) vor.

Mit der an die Staatsanwaltschaft Braunschweig - eine Behörde im Sinne des Art. 17 GG - gerichteten Bitte, sich nochmals mit dem Fall Erna Wazinski zu befassen, wollte der Beschwerdeführer das Recht des Bürgers wahrnehmen, mittels einer an eine Behörde gerichteten Eingabe auf die Notwendigkeit einer Korrektur des nationalsozialistischen Unrechts aus dem Jahre 1944 aufmerksam zu machen.

Die Eingabe des Beschwerdeführers vom 8. August 1990 verliert ihren Petitionscharakter nicht dadurch, daß sie an eine Justizbehörde adressiert war. Zum einen sind Justizbehörden nicht von der Adressateneigenschaft im Sinne des Art. 17 GG ausgenommen. Zum anderen war die Eingabe zwar auf die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens gerichtet, dies jedoch - mangels irgendeiner Antragsbefugnis des Beschwerdeführers - ausdrücklich allein in Form einer "Anregung" (siehe auch S. 1 des Schreibens vom 8. August 1990, erster Satz der Begründung).

Die Petitionsbefugnis ist nicht auf Angelegenheiten beschränkt, die den Petenten unmittelbar betreffen. Vielmehr dürfen mit einer Petition auch Fremdinteressen und Gemeinwohlbelange geltend gemacht werden (vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 17 RN 34). Ohnehin kann eine Tote nicht selbst tätig werden, sei es durch eine Eingabe, sei es durch Beauftragung eines Rechtsanwaltes.

Das Grundrecht des Art. 17 erhält seine eigenständige Bedeutung gerade durch die Freistellung des Petenten von prozessualen Normen, Anwaltszwang und ähnlichen Behinderungen, sei es durch das Verbot, sich "geschäftsmäßig" für die Belange anderer einzusetzen. Art. 17 GG gewährt deshalb einen Anspruch auf staatliches Unterlassen von präventiven oder repressiven Eingriffen in das Petitionsrecht. Soweit die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG überhaupt auf das Petitionsrecht übertragbar sind, verbietet die Funktion des Art. 17 GG es einer Behörde, sich lästige Kritiker und Mahner, die an die Notwendigkeit einer Aufarbeitung der NS-Justiz erinnern möchten, durch die Androhung oder Verhängung von Bußgeldern vom Halse zu halten. Das gilt auch für Behörden, denen die Aufarbeitung der NS-Justiz lästig oder überflüssig erscheinen.

Art. 17 GG verdrängt insbesondere auch Art. 1 § 1 RBerG. Die angefochtenen Entscheidungen laufen auf eine von dem Verfassungsgeber gerade nicht gewollte Fassung des Art. 17 GG hinaus, mit etwa folgender Formulierung: "Jeder als Rechtsanwalt zugelassene Bürger und jeder Bürger, der lediglich in einem einzigen Fall - dagegen nicht im wiederholten Fall mit Wiederholungsabsicht - sich an Behörden wendet, hat das Recht, sich ... mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen ... zu wenden. In allen anderen Fällen muß der Bürger das Risiko in Kauf nehmen, wegen unerlaubter Rechtsberatung belangt zu werden."

2. Die Tathandlung bei der sog. Richterblockade hat darin bestanden, daß der Beschwerdeführer die Teilnehmer dieser Sitzdemonstration, an der er selbst teilgenommen hat, in den nachfolgenden Strafverfahren wegen Nötigung strafrechtlich beraten hat. Auch hat der Beschwerdeführer die Unterzeichner einer Solidaritätsanzeige in der Wochenzeitschrift Die ZEIT Nr. 8 v. 13.2.1987, S. 32 in den gegen einige der Unterzeichner eingeleiteten Disziplinarverfahren beraten.

Auch mit der Heranziehung dieses Falles haben die beiden angefochtenen Entscheidungen bei der Interpretation des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Geschäftsmäßigkeit" die Grenzen einer verfassungskonformen Grundrechtsauslegung weit überschritten. Es ist sowohl ein unzulässiger Eingriff in den Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit als auch eine Verkürzung der übrigen gerügten Grundrechte, wenn Mittäter einer wirklichen oder angeblichen Straftat sich in dem nachfolgenden Strafverfahren nicht untereinander rechtlich beraten dürfen. Nicht zuletzt ist auch das Recht des Beschuldigten auf Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte im Strafverfahren beeinträchtigt. Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob bei dieser Fallgestaltung überhaupt das Merkmal der "Fremdheit der Sache" (Art. 1 § 1 RBerG) gegeben ist. Jedenfalls hatte der Beschwerdeführer als Teilnehmer der Sitzdemonstration vom 12. Januar 1987 den besonderen Anlaß für die von ihm entfaltete rechtsbesorgende Tätigkeit, der es ausschließt, diese Tätigkeit als "geschäftsmäßige Rechtsbesorgung" zu werten.

Entsprechendes gilt für die Beratung, die der Beschwerdeführer einigen der 554 Unterzeichnern der Solidaritätsanzeige in der ZEIT vom 13.2.1987 gewährt hat. Auch hier ist durchaus fraglich, ob es sich um eine fremde Rechtssache handelt, wenn ein in einem politischen Strafverfahren Beschuldigter diejenigen berät, die sich in einer Zeitungsanzeige mit ihm solidarisieren und die nun ihrerseits disziplinarisch belangt werden. Für eine solche rechtliche Beratung hat er auch einen besonderen Anlaß. Denn man kann ihm die moralische Verpflichtung nicht abstreiten, diejenigen, die sich öffentlich unter Inkaufnahme disziplinarrechtlicher Risiken für ihn und gegen den Versuch, ihn zu kriminalisieren, eingesetzt haben.

3. Im Fall Edda Frerker ging es um folgendes: Die Richterin am Amtsgericht Syke war von der Staatsanwaltschaft Verden mit dem Vorwurf der Rechtsbeugung angeklagt worden. Wegen der Einzelheiten dieses Strafverfahrens wird auf den Artikel "Nachschulung für den Staatsanwalt" in dem an sämtliche Richter und Staatsanwälte in Niedersachsen verteilten Mitteilungsblatt ÖTV in der Rechtspflege Nr. 61 - September 1986 - (Anlage 10) Bezug genommen. Ferner wird auf das in dem Strafverfahren gegen Frau Frerker ergangene freisprechende Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19.12.1996 - 5 StR 472/96 - (Bl. 43 ff in den Akten 701 Js 9841/99) verwiesen.

Die Tathandlung hat darin bestanden, daß der Beschwerdeführer schriftlich und in Telefongesprächen die Sach- und Rechtslage mit Frau Frerker erörtert und sie u.a. auf die Urteile des BGH (BGHSt 1988, 218 und BGHSt 41, 247, 251) aufmerksam gemacht hat, die sowohl der Staatsanwaltschaft als auch Frau Frerker bislang entgangen waren.

In Verkennung seiner Pflicht zu einer verfassungskonformen und - angesichts des Ausnahmecharakters des RBerG - bestehenden Notwendigkeit zu einer restriktiven Auslegung des Begriffs der Geschäftsmäßigkeit haben das Amtsgericht und das Oberlandesgericht es übersehen, daß der Betroffene im vorliegenden Fall einen besonderen Anlaß zu der Rechtsberatung hatte und eine Tätigkeit entfaltet hatte, die sich als Rechtsberatung aus besonderen Gründen und lediglich in einem Gelegenheitsfall darstellt. Unberücksichtigt geblieben ist in dem angefochtenen Urteil insbesondere die Nähe, die für den Beschwerdeführer hier sowohl in der Sache als auch in der Person der Beratenen bestand. Als Richter ist der Beschwerdeführer naturgemäß ganz besonders nicht nur an Strafrechtsproblemen im allgemeinen, sondern besonders auch an dem Gegenstand Rechtsbeugung interessiert. Im Falle des Beschwerdeführers hat der gegenüber Frau Frerker erhobene Vorwurf der Rechtsbeugung ihn besonders deshalb interessiert, weil er sich - wie zumindest für die Braunschweiger Justiz allgemeinkundig ist - seit vielen Jahren in Wort (u.a. Tagungsleitungen und Vorträge in der Deutschen Richterakademie) und Schrift (zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze) mit Fragen im Spannungsfeld zwischen richterlichem Vorverständnis und bewußtem Rechtsbruch befaßt.

4. Zu der Übernahme der Verteidigung des Herrn Rainer Scheer ist es wie folgt gekommen: Der Bildhauer Rainer Scheer und der Diplom-Mathematiker Detlef Beutner, die zu früherer Zeit ein Verfahren als Totalverweigerer hatten, waren von den Amtsgerichten Münster und Husum gem. § 138 Abs. 2 StPO als Verteidiger von Totalverweigerern zugelassen worden. Die aus Münster und Husum ordnungsgemäß nach Braunschweig übersandten Strafakten wurden von der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Braunschweig rechtswidrig den beiden Verteidigern vorenthalten. Auf ihre Beschwerde reagierte die Justiz damit, daß die Staatsanwaltschaft mit einem amtsrichterlichen Durchsuchungsbeschluß mit sechs Kriminalbeamten eine Hausdurchsuchung bei Beutner und Scheer durchführen ließ. In dem anschließenden gegen Scheer und Beutner vor dem Amtsgericht Braunschweig durchgeführten Verfahren wegen Verstosses gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 RberG hat der Beschwerdeführer sich gem. § 138 Abs. 2 StPO als Verteidiger zulassen lassen und hat in der Hauptverhandlung am 18. Mai 1998 auf Freispruch plädiert (sh. Anlage 6).

Auch in diesem Fall hatte der Beschwerdeführer einen besonderen Anlaß zur Übernahme der Rechtsbesorgung: Das Vorgehen der Braunschweiger Justizbehörden war in mehrfacher Beziehung ungewöhnlich. Bereits mit der Hausdurchsuchung hat man gewissermaßen "mit Kanonen auf Spatzen" geschossen. Merkwürdig berührt auch die Einleitung eines Verfahrens nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz, obgleich die Betroffenen Scheer und Beutner zuvor gem. § 138 Abs. 2 StPO von den Amtsgerichten Münster und Husum als Verteidiger zugelassen waren. Auch verteidigt die Ehefrau des Beschwerdeführers, wie in Braunschweig gerichtsbekannt ist, schwerpunktmäßig Totalverweigerer. Im Hinblick auf § 146 StPO konnte sie nur einen von den Betroffenen Scheer und Beutner verteidigen. Es lag daher nahe, daß der Beschwerdeführer die Verteidigung des Betroffenen Scheer übernahm. Ein zusätzlicher Anlaß für die Übernahme der Verteidigung durch den Beschwerdeführer bestand darin, daß er sich zwar nicht als grundsätzlicher Pazifist betrachtet, deren Anliegen aber respektiert und angesichts der vielfältigen Diskriminierung von Pazifisten in unserer Gesellschaft triftige Gründe dafür sieht, Pazifisten vor dieser Diskriminierung zu schützen.

5. Im Fall Dr. Elke Steven geht es um folgendes: Frau Dr. Steven hatte den Beschwerdeführer in einem Brief um die Beratung einiger rechtlicher, insbesondere völkerrechtlicher Fragen gebeten, die das gegen sie anhängige Strafverfahren wegen öffentlicher Aufforderung zur Gehorsamsverweigerung im sog. Kosovo-Krieg aufgeworfen hat. Dieser Bitte ist der Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 15.9.1999 (Blatt 101 in den Akten 701 Js 9841/99) nachgekommen und hat Frau Dr. Steven angeboten, sich ihr als Verteidiger zur Verfügung zu stellen.

Auch im Fall Dr. Elke Steven haben die Richter der angefochtenen Urteile es unterlassen, bei der Subsumierung unter den Begriff "geschäftsmäßig" differenzierend nach der Art und dem Inhalt der Rechtsangelegenheit und dem Anlaß zu der konkreten Rechtsbesorgung zu fragen. Im Unterschied zu Angelegenheiten, die zur Routine von Juristen gehören, ist die Verteidigung gegenüber der Kriminalisierung eines von Pazifisten veröffentlichten Aufrufs zum Ungehorsam von vornherein ungeeignet, dem Begriff "geschäftsmäßig" untergeordnet zu werden. Auch hat der Beschwerdeführer seine Verteidigung insoweit nicht routinemäßig angeboten, als er es - angesichts der weitgehenden Ausklammerung des Aspektes des Rechts in der Diskussion um den Krieg gegen Jugoslawien (vgl. Kramer in: "OSSIETZKY" 1999, S. 622 f [Nr. 18 v. 11.9.1999] = Anlage 18; Kramer in: "Betrifft Justiz" 2000, S. 200 = Anlage 11) es dringend für erforderlich gehalten hat, die prekäre Frage der völkerrechtlichen Zulässigkeit dieses Krieges zur gerichtlichen Prüfung zu stellen, nachdem die Staatsanwaltschaft es ihrerseits für nötig gehalten hat, die Aufrufer mit zahlreichen Anklagen zu überziehen. Als grundsätzlicher Gegner der mit verschwommener, extrem naturrechtlich-moralischer Begründung vorgenommenen Ersetzung des anerkannten Völkerrechts durch die Nato-Staaten sieht der Beschwerdeführer es als eine besonders wichtige Aufgabe an, sich als Bürger, dazu als ein mit dem Völkerrecht und Strafrecht nicht unvertrauter Bürger "einzumischen". Alles andere als routinehaft und aufgrund irgendeiner Beliebigkeit, hat der Beschwerdeführer sich aufgerufen gefühlt, an der Beantwortung der vor dem Amtsgericht Tiergarten aufgeworfenen Frage nach der Völkerrechtswidrigkeit und der in diesen Prozessen gleichfalls aufgeworfenen Frage nach den Grenzen der Meinungsfreiheit mitzuwirken und unter Herausarbeitung gerade der verfassungsrechtlichen Fragen der Angeklagten Steven zum Freispruch zu verhelfen. Man muß die Ansicht des Beschwerdeführers von der Völkerrechtswidrigkeit und Verfassungswidrigkeit dieses Krieges nicht teilen, um ihm doch das Recht zuzubilligen, demonstrativ und durch (vom Gericht zugelassene) Verteidigertätigkeit seine Solidarität mit denen zu bekunden, die sich nicht passiv mit den Bombardements auf Jugoslawien abfinden wollten. Jedenfalls haben die Richter der angefochtenen Urteile auch in diesem Fall die Wertungsspielräume bei der Unterordnung der Rechtsbesorgung unter den Begriff der Geschäftsmäßigkeit verlassen. Es erscheint nicht mehr vertretbar, in einem solchen Fall den "besonderen Anlaß" zu verneinen, bei dessen Vorhandensein eine Rechtsbesorgung nicht mehr als geschäftsmäßig angesehen werden kann.

IV. Zu den einzelnen verletzten Grundrechten

1. Zu Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit)

Insoweit wird auf die im Text dieser Verfassungsbeschwerde durchgehenden Ausführungen zu der Verletzung des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit Bezug genommen.

2. Zu § 3 Abs. 1 GG (Verletzung des Willkürverbotes)

Bereits nach den oben unter Ziff. II gemachten Ausführungen ist evident, daß die angefochtenen Entscheidungen die verfassungsrechtlichen Anforderungen in schwerwiegender Weise mißachtet haben, so daß die angefochtenen Urteile schon deshalb keinen Bestand haben können.

Indessen kommen erschwerende Umstände hinzu, aus denen sich ergibt, daß auch das verfassungsrechtliche Willkürverbot nach Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist.

Bei der "Willkürkontrolle" in Bezug auf die Auslegung und Anwendung von Gesetzen bejaht das BVerfG seine Eingriffsbefugnis dann, wenn das Fachgericht den Anwendungsbereich von Vorschriften "evident fehlbestimmt" hat. Die gewählte Auslegung des Fachgerichts darf nicht "evident unrichtig", "nicht willkürlich", sondern muß als "zumindest vertretbar anzusehen" sein. Die von den angefochtenen Urteilen vorgenommene exzessive Interpretation des Begriffs der Geschäftsmäßigkeit erscheint in diesem Sinne nicht mehr vertretbar.

a) Im Fall Erna Wazinski hat der Beschwerdeführer nichts anderes getan, als daß er sich zum Fürsprecher einer Toten gemacht hat, um deren Rehabilitierung sich sonst niemand gekümmert hat. Seine Absicht war, der Hingerichteten wenigstens posthum etwas Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Weil die Staatsanwaltschaft trotz Kenntnis der ein Wiederaufnahmeverfahren nahelegenden Umstände völlig untätig geblieben ist, hat der Beschwerdeführer gewissermaßen in Ersatzvornahme gehandelt. Es darf dem Bürger nicht verwehrt sein, gegen die Aufrechterhaltung schlimmster Menschensrechtsverletzungen mit einer bescheidenen Bitte die Initiative zu ergreifen, solange die Behörden selbst nichts unternehmen. Der Versuch, einem Opfer der nationalsozialistischen Justiz wenigstens posthum zur Rehabilitierung zu verhelfen, zu pönalisieren, kann unmöglich noch als vertretbar im Sinne des Willkürverbots erscheinen. Besonders gravierend erscheint, daß es dieselbe Staatsanwaltschaft ist, die darauf, daß sie - durchaus mit Recht und auch erfolgreich - in dem Schreiben des Beschwerdeführers vom 8. August 1990 an ihre Amtspflicht erinnert worden ist, eben diese Erinnerung als ordnungswidrig angesehen und mit einem Bußgeldbescheid reagiert hat. Den Beschwerdeführer, der sich seit Jahren führend mit dem Gegenstand der NS-Justiz befaßt, sowohl wissenschaftlich als auch im Bereich der Richter- und übrigen Fortbildung (u.a. Deutsche Richterakademie) bedrückt - diese Bemerkung sei nebenbei erlaubt - die Frage, was er und die wenigen mit der juristischen Zeitgeschichte befaßten Juristen falsch gemacht haben, wenn kein einziger der mit dem vorliegenden Ordnungswidrigkeitenverfahren befaßten Juristen, von der Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft bis zum Amtsgericht und Oberlandesgericht, über die nötige Sensibilität verfügt hat, um das Unerhörte des Vorganges zu erkennen.

b) Die Grenze zum Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG überschritten ist auch dadurch, daß das Amtsgericht - wiederum vom Strafsenat ungerügt - zur Ausfüllung des Merkmals der Geschäftsmäßigkeit rechtsbesorgende Tätigkeiten des Beschwerdeführers herangezogen hat, die zur Zeit der "Haupttat" (Verteidigung in der Strafsache gegen Rainer Scheer) sämtlich lange Zeit - bis zu acht und elf Jahren - zurücklagen und zwischen die im Verhältnis zueinander sich gleichfalls lange zeitliche, eine Zusammenfassung unter dem Begriff der "Geschäftsmäßigkeit" nicht mehr zulassende Zwischenräume geschoben haben.

Als einzige nicht verjährte, realiter bereits begangene "Taten" hat das Amtsgericht der Verurteilung zugrundegelegt die mit gerichtlicher Zulassung (§ 138 Abs. 2 StPO) erfolgte Verteidigung in dem Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen Rainer Scheer am 18. Mai 1998 und das Schreiben des Beschwerdeführers vom 25.9.1999 (Bl. 101 in 701 Js 9841/99 a = Anlage 16), mit dem der Beschwerdeführer der Bitte von Frau Dr. Steven um Beantwortung völkerrechtlicher Fragen zum sog. Kosovo-Krieg nachgekommen ist und angeboten hat, ihr als Verteidiger in dem Prozeß vor dem Amtsgericht Tiergarten beizustehen. Auch zwischen diesen Handlungen ist geraume Zeit vergangen, nämlich ein Jahr und vier Monate.

Die übrigen rechtsbesorgenden Tätigkeiten haben zu folgenden Zeitpunkten stattgefunden:

Beratung der Kolleginnen und Kollegen der Richterblockade: am 12. Januar 1987 und weiter bis Herbst 1987

die Anregung zum Wiederaufnahmeverfahren in Sachen Erna Wazinski: im August 1990

Beratung der Richterin Edda Frerker: ungefähr Herbst 1994.

Wie man derart weit zurückliegende und auch unter sich zeitlich überaus auseinandergezogene Handlungen als routinemäßig begangen und dem Begriff der "Geschäftsmäßigkeit" unterordnen kann, ist nicht nachvollziehbar.

c) Damit nicht genug, haben die Staatsanwaltschaft (in dem Bußgeldbescheid vom 8.2.1999) und das Amtsgericht - auch dies mit Billigung des Strafsenats - die genannten Handlungen zum Nachteil des Beschwerdeführers berücksichtigt, obgleich diese Taten sämtlich längst verjährt waren und obgleich die Staatsanwaltschaft zuvor, nämlich mit Verfügung vom 17.12.1998 (Anlage 17), insoweit das Verfahren eingestellt hatte.

Denkgesetzlich schließt Verjährung es zwar nicht aus, verjährte Taten eines Beschuldigten oder Betroffenen als Indiz für Motive und Gesinnungen heranzuziehen. Unabhängig von der Länge des zwischen den genannten Rechtsbesorgungen liegenden zeitlichen Zwischenraums legt die Notwendigkeit, einer ausufernden Anwendung des Rechtsberatungsgesetzes vorzubeugen, es aber nahe, mit der Verjährung früherer Fälle eine Zäsur anzunehmen, die der Unterordnung solcher Fälle unter den Begriff "geschäftsmäßig" und ihre Berücksichtigung zum Nachteil eines Betroffenen ausschließt. Die Annahme einer solchen Zäsur drängt sich sogar zwingend auf. Wenn eine solche Kritik gegenüber einem Amtsgericht und Strafsenat überhaupt erlaubt wäre, könnte man sagen: Hier sind Tatsachen und Argumente gewissermaßen "an den Haaren herbeigezogen" worden. Ein solches juristisches Vorgehen ist nicht mehr vertretbar. Es ist evident unrichtig, ohne daß es auf die hinter der mit den angefochtenen Entscheidungen stehenden Motive ankommt. Auch die Rüge einer Verletzung des Willkürverbots nach Art. 3 Abs. 1 GG ist somit begründet.

d) Schließlich hat das Amtsgericht das Vorliegen einer geschäftsmäßigen Begehungsweise bejaht, ohne den geringsten Versuch einer Differenzierung zu unternehmen und alle Umstände des Einzelfalles zu würdigen. Daß das Amtsgericht und der Strafsenat den jeweils besonderen Anlaß zu den dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Rechtsbesorgungen übersehen haben, ist bereits erwähnt worden. Für die Bejahung oder Verneinung einer Geschäftsmäßigkeit ist aber trotz der Einbeziehung auch "unentgeltlicher Tätigkeiten" in die Verbotsvorschrift des Art. 1 § 1 RBerG nicht völlig belanglos, ob die rechtsbesorgenden Hilfestellungen entgeltlich oder unentgeltlich erbracht worden sind. Wenn der Gesetzgeber keinen "Unterschied zwischen entgeltlicher und unentgeltlicher Tätigkeit" gemacht sehen will, dann besagt dies lediglich, daß auch unentgeltliche Rechtsbesorgungen unter Art. 1 § 1 RBerG fallen können. Indessen kann bei einer den Anforderungen des Grundgesetzes entsprechenden Auslegung des Art. 1 § 1 RBerG die Frage nach der Geschäftsmäßigkeit nicht völlig unabhängig davon beantwortet werden, ob die Rechtsbesorgung entgeltlich (dann meist gewerblich) oder unentgeltlich erbracht worden ist. Bei gegen Entgelt vorgenommenen Rechtsbesorgungen liegt die Annahme eines geschäftsmäßigen Vorgehens bei nur wenigen Fällen näher als bei der gleichen Anzahl unentgeltlich erbrachter Rechtsbesorgungen. Bei unentgeltlich geleisteten Rechtsbesorgungen muß demgegenüber dem in der mangelnden Entgeltlichkeit liegenden "weniger" im Regelfall ein "mehr" an sonstigen, die Annahme einer Geschäftsmäßigkeit nahelegenden Umständen entsprechen, bevor in einem schematisierenden Vorgehen eine geschäftsmäßige Handlungsweise angenommen werden kann. Der Beschwerdeführer hält die Pönalisierung der unentgeltlich geleisteten Rechtsberatung für schlechthin verfassungswidrig. Aber auch ein Gericht, das diese Ansicht nicht teilt, kann bei verfassungskonformer Auslegung unentgeltliche Rechtsbesorgung nur bei einer besonderen Häufung solcher Fälle annehmen.

e) Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt schließlich darin, daß der Strafsenat trotz einer den Umständen nach sich aufdrängenden Begründungspflicht (BVerfGE 71, 122 [135]; BVerfGE 49, 66 f) unter Absehen von jeglicher Begründung der Entscheidung sich auf die Vereinfachungsvorschrift des § 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG zurückgezogen hat. Zur weiteren Begründung dieser Rüge wird auf die untenstehenden Ausführungen zur Verletzung des Rechtsstaatsgebots (Art. 103 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 GG) Bezug genommen.

3. Zum Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) sowie zum Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG)

Die angefochtenen Urteile verstoßen auch gegen die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 GG.

Die von dem Beschwerdeführer entfalteten rechtsbesorgenden Tätigkeiten sind in einem engen Zusammenhang mit seiner wissenschaftlichen und rechtspolitischen Tätigkeit zu sehen. Dies ist schon daraus zu ersehen, daß sämtliche der genannten Tätigkeiten von wissenschaftlichen Veröffentlichungen des Beschwerdeführers begleitet worden sind.

Hinsichtlich der im Fall Erna Wazinski entfalteten Tätigkeit wird auf das anliegende Veröffentlichungsverzeichnis des Beschwerdeführers (Teil nationalsozialistische Justiz = Anlage 18) Bezug genommen.

Die Beteiligung an der Richterblockade und an den sich daran anschließenden Rechtsgesprächen hat dem Betroffenen wichtige Impulse für seine wissenschaftliche Beschäftigung mit Fragen der Rechtsmethodologie gegeben. Unter anderem kann hier verwiesen werden auf die Veröffentlichungen des Beschwerdeführers in Kritische Justiz 1988, 201; "40 Jahre Bundesrepublik Deutschland ...", hrsg. vom ÖTV-Bezirk Weser-Ems, Bremen 1990, S. 38 ff und antimilitarismus information 1990 (Heft 11), S. 21 ff; ferner auf die Veröffentlichung in: Justizministerium des Landes NRW (Hg.), Perspektiven und Projekte (Band 2 der Reihe Juristische Zeitgeschichte, Düsseldorf 1994), S. 65 ff.

In einem engen Zusammenhang mit journalistischer und forensischer Tätigkeit steht auch die Beratung der Richterin am Amtsgericht Edda Frerker. Ebenso hat die Beschäftigung mit den Problemen des Rechtsbeugungsprozesses gegen Frau Frerker dem Beschwerdeführer wertvolle Einsichten zum Thema des richterlichen Vorverständnisses vermittelt.

Ähnliches gilt für die Übernahme der Verteidigung von Frau Dr. Elke Steven. Auch hier besteht eine Wechselbezüglichkeit zwischen der Rechtsbesorgungstätigkeit und der wissenschaftlichen Betätigung des Beschwerdeführers sowie - wie auch in allen anderen Fällen - zu dem rechtspolitischen Engagement des Beschwerdeführers.

Aus dem rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Engagement des Beschwerdeführers ist auch die Übernahme der Verteidigung des Herrn Rainer Scheer zu erklären. Hier hat hat unter anderem die Unhaltbarkeit des Rechtsberatungsgesetzes von 1935 in der von der herrschenden Meinung praktizierten Anwendung den wesentlichen Anstoß zu der Übernahme der Verteidigung gegeben.

Eine solche Einwirkung - auch durch das Vortragen von Rechtsmeinungen vor Gericht - darf dem Bürger jedenfalls dann nicht verwehrt werden, wenn er bereits gemäß § 138 StPO als Verteidiger zugelassen worden ist. Dem Vortragen einer rechtlichen und rechtswissenschaftlichen Meinung vor Gericht kann die Eigenschaft einer nach Art. 5 Abs. 1 und 3 GG statthaften Meinungsäußerung um so weniger abgesprochen werden, als im deutschen Rechtsraum die Rechtsfortbildung durch die Gerichte einerseits und durch die Rechtswissenschaft andererseits in einem engen Wechselverhältnis zueinander stehen.

In der Herbeiführung eines solchen fruchtbaren Austausches zwischen Wissenschaft und Rechtsprechung liegt auch der Grundgedanke der grundsätzlichen Berechtigung von Hochschullehrern zum Auftreten vor Gericht auch ohne Spezialerlaubnis nach Art. 1 § 1 Abs. 2 RBerG (vgl. u.a. § 138 Abs. 2 StPO, § 67 Abs. 1 VwGO, § 22 Abs. 2 BVerfGG), wonach wissenschaftliche und forensische Tätigkeit in einem engen Zusammenhang untereinander stehen. Einen ähnlichen Zweck verfolgt die Möglichkeit, daß Hochschullehrer im Nebenamt als Richter tätig sind. Im Sinne der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG muß ein Austausch zwischen Wissenschaft und forensischer Tätigkeit - wohlverstanden in den engen Grenzen des § 138 Abs. 2 StPO - dem Beschwerdeführer zugestanden werden, auch im Hinblick auf seine mehrjährige Tätigkeit als hauptamtlicher Vertretungsprofessor im juristischen Fachbereich der Universität Bremen und im Hinblick darauf, daß er durch zahlreiche rechtswissenschaftliche Veröffentlichungen ausgewiesen ist.

Wenn es darum geht, dem mitunter erstarrten und wenig praxisnahen juristischen Wissenschaftsbetrieb, auch mit seinen Einflüssen auf die Judikatur und dem weitgehend von einer breiten öffentlichen Diskussion abgekoppelten juristischen Fachzeitschriftenwesen und einer wenig pluralen Kommentarliteratur etwas entgegenzusetzen, muß dies auch vor Gericht möglich sein, ohne daß der vor Gericht ausgetragene Meinungskampf auf die Diskussion zwischen Volljuristen beschränkt werden darf und solche Bürger davon ausgeschlossen werden, die gem. § 138 Abs. 2 StPO bereits als Verteidiger zugelassen und damit prozessual Rechtsanwälten gleichgestellt sind. Die im demokratischen Rechtsstaat nötige ständige geistige Auseinandersetzung der Rechtsideen und Rechtsinteressen darf sich nicht beschränken auf einen geschlossenen Kreis von Rechtsexperten und durch zwei juristische Staatsprüfungen und die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft herausgehobene Juristen. In diesem Sinn kam es dem Beschwerdeführer in beiden Fällen seines Auftritts vor Gericht im Einklang mit den Interessen seiner Mandanten darauf an, durch den Vortrag seiner Rechtsmeinung auf eine Änderung einer verfassungsrechtlich bedenklichen Grundsatzrechtsprechung zum RBerG einzuwirken.

Im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 GG gilt weiter, daß der Beschwerdeführer in den genannten Verfahren sowohl in rechtswissenschaftlicher Funktion als auch mit rechtspolitischen Intentionen aufgetreten ist.

So hat er in dem an die Staatsanwaltschaft gerichteten Schreiben vom 8.8.1999 als Bürger eine Meinung geäußert, nämlich die Meinung, das Todesurteil vom 21.10.1944 sei nichtig. Mit seiner Aktion wollte der Beschwerdeführer außer der Rehabilitierung von Erna Wazinski ferner Einfluß auf die politische Willensbildung der niedersächsischen Landesregierung nehmen und auf das Defizit bei der geistigen Aufarbeitung der NS-Justiz aufmerksam machen. Mit auf das Engagement des Beschwerdeführers ist es zurückzuführen, daß die Koalitionsvereinbarung der niedersächsischen Regierungskoalition vom Juni 1990 unter Nr. 6 zum Justizressort vorgesehen hat, die NS-Justiz in Niedersachsen zu erforschen und die Öffentlichkeit über die Ergebnisse aufzuklären. Mit dieser Aufgabe wurde sodann der Beschwerdeführer unter Abordnung in das niedersächsische Justizministerium beauftragt. Auch hieraus ergibt sich der enge Zusammenhang zwischen dem rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Engagement des Beschwerdeführers und seiner Eingabe vom 8. August 1990 an die Staatsanwaltschaft Braunschweig.

Die vorstehenden Ausführungen treffen entsprechend auch auf die anderen dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Rechtsbesorgungen zu.

Dies gilt insbesondere auch für die von ihm in dem Verfahren gegen Rainer Scheer und Detlef Beutner vorgetragenen Meinungsäußerungen. Auch die am Ende seines Plädoyers am 18. Mai 1998 eingebrachte Selbstanzeige war als Mittel der Meinungsbildung gedacht, und zwar als Mittel der Verteidigung, um das Amtsgericht von der Absurdität der Anklage zu überzeugen und einen Freispruch der beiden Angeklagten zu erzielen, sowie zu dem Zweck, das Interesse der Öffentlichkeit auf die verfassungswidrige Rechtsprechungspraxis zum Rechtsberatungsgesetz in einer Aufmerksamkeit hervorrufenden Aktion zu lenken. Anlaß zu der Selbstanzeige mit der Einbeziehung des Falles Erna Wazinski gab dem Beschwerdeführer nicht zuletzt der Umstand, daß die Braunschweiger Justiz sich nicht gescheut hat, im Jahre 1968 den Lebensgefährten der Mutter der Erna Wazinski wegen Verstoßes gegen Art. 1 § 1 RBerG zu verurteilen, weil er Eingaben an die Braunschweiger Justizbehörden mit dem Ziel gerichtet hatte, eine Rehabilitierung des Mädchens zu erreichen (vgl. Anlage 6, S. 55).

Ähnlich sind die Meinungsäußerungen zu beurteilen, die der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung gegen Dr. Elke Steven vor dem Amtsgericht Tiergarten am 13.1.2000 gemacht hat. Einer der Schwerpunkte seines Plädoyers bestand in der Herausarbeitung, daß die Angeklagte mit der Unterzeichnung des inkriminierten Aufrufs lediglich das Grundrecht auf Meinungsfreiheit wahrgenommen hatte. Mit diesem Plädoyer hat der Beschwerdeführer seinerseits gleichfalls von dem Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 und 3 GG Gebrauch gemacht. Als grundsätzlichen Gegner der Bombardements in Jugoslawien kann man den Beschwerdeführer angesichts gewisser Erstarrungsprozesse im Prozeß der Demokratie und einer auf Meinungspluralität angewiesenen Rechtsfindung durch die Gerichte nicht darauf verweisen, daß er seine demokratischen Mitwirkungsrechte, insbesondere das Grundrecht der Meinungsfreiheit bereits durch die Einsendung von Leserbriefen oder fachwissenschaftlichen Aufsätzen artikulieren könne, im übrigen aber passiv den Dingen ihren Lauf lassen müsse.

Auch die oben genannten Gemeinwohlzwecke - insbesondere auch der Gemeinwohlzweck "Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege" - gebieten es nicht, die Meinungsbildung und die Wissenschaftsfreiheit im Bereich der Rechtsfortbildung derart zu kanalisieren, daß das Vortragen einer Meinungsäußerung vor Gericht pönalisiert wird, nur weil der mit Erlaubnis nach § 138 Abs. 2 StPO auftretende Verteidiger es versäumt hat, die vorgeblich erforderliche zusätzliche Erlaubnis nach Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG einzuholen.

4. Zum Grundrecht aus Art. 8 Abs. 2 GG

Diese Grundrechtsrüge beschränkt sich auf den Fall "Richterblockade".

Das Demonstrationsrecht nach Art. 8 Abs. 1 GG schließt für die Teilnehmer einer vom Grundrecht des Art. 8 Abs. 1 gedeckten Demonstration das Recht ein, von strafrechtlichen und ähnlichen Pressionen frei zu bleiben, wenn sie sich durch gegenseitige rechtliche Beratung vor einer strafrechtlichen Verfolgung schützen wollen. Es ist deshalb eine Verkürzung des Demonstrationsrechts, wenn den Teilnehmern der sog. Richterblockade im Wege eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens das Recht abgesprochen wird, sich untereinander über die Rechtslage aufzuklären und gegenüber einer verfassungsrechtlichen Nötigungsrechtsprechung an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn sie zu Recht oder - wie sich 8 Jahre später herausgestellt hat (BVerfGE 73, 206) - zu Unrecht mit einem Strafverfahren wegen Nötigung überzogen werden.

5. Zu Art. 17 GG (Petitionsrecht)

Insoweit wird auf die Ausführungen im Zusammenhang mit dem Fall Erna Wazinski verwiesen (oben unter Ziff. III 1. c).

6. Zur Rüge aus Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG

Der Beschluß des OLG Braunschweig ist ohne jegliche Begründung ergangen.

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verlangt, daß Gerichtsentscheidungen, die wesentliche Rechtspositionen eines Rechtsuchenden tangieren, begründet werden.

Zwar ermöglicht die Ausnahmevorschrift des § 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG die Verwerfung eines Rechtsmittels ohne jegliche Begründung.

Auch von prozessualen Kann-Bestimmungen darf der Richter indessen nur aufgrund pflichtgemäßen Ermessens Gebrauch machen. § 349 Abs. 2 StPO enthebt ein Gericht insbesondere nicht von der sich aus dem Rechtsstaatsgebot und Willkürverbot ergebenden Pflicht, eine Entscheidung insoweit zu begründen, als eine Begründung sich aufdrängt.

Entscheidungsbegründungen dienen der Selbstkontrolle des Richters, aber auch der Kontrolle des Rechtsuchenden dahin, ob der Richter sein Vorbringen zur Kenntnis genommen und erwogen hat. Es ist ein rechtsstaatlicher Grundsatz, daß ein Staatsbürger, in dessen Rechte eingegriffen wird, Anspruch darauf hat, die Gründe dafür zu erfahren (BVerfGE 6, 32 [44 f], BVerfGE, 49, 66 f; BVerfG NJW 1980, 278; Jörg Lücke, Begründungszwang und Verfassung, Tübingen 1987, S. 72 ff, 77 ff). Außerdem dient die Begründungspflicht der demokratischen Legitimation der Justiz. Schließlich ermöglicht eine Entscheidungsbegründung dem Rechtsmittelgericht oder - wie im vorliegenden Fall - dem Bundesverfassungsgericht die für den Vorderrichter maßgeblichen Erwägungen nachzuvollziehen.

Im vorliegenden Fall war der Strafsenat durch das Rechtsstaatsgebot verpflichtet, das Vorbringen in der Begründung der Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers in Erwägung zu ziehen, d.h. sich mit ihm in einer inhaltlichen Begründung auseinander zu setzen, soweit es für die Entscheidung wesentlich ist. An einer solchen Auseinandersetzung hat der Strafsenat es völlig fehlen lassen. Die Notwendigkeit dazu hätte sich dem Einzelrichter des Oberlandesgerichts um so mehr aufdrängen müssen, als schon das Amtsgericht über sämtliche ihm vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken wortlos hinweggegangen war und nachdem auch die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme sich hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit auf formelhafte Erwägungen zurückgezogen hatte.

Die verfassungsrechtliche Begründungspflicht für solche Gerichtsentscheidungen, die mit ordentlichen Rechtsbehelfen nicht mehr angreifbar sind, entfällt nicht unter allen Umständen (vgl. BVerfGE 50, 287 [289 f]). Denn hieraus folgt keine Lockerung des materiell-verfassungsrechtlichen Maßstabes des Rechtsstaatsgebots und des Willkürverbots, an dem sich auch jede Gerichtsentscheidung messen lassen muß (BVerfGE 71, 122 [135]). Im vorliegenden Fall hätte der Beschwerdeführer eine Auseinandersetzung wenigstens mit seinen spezifisch verfassungsrechtlichen Bedenken erwarten können. Ohne Kenntnis der Erwägungen, aus denen verfassungsrechtliche Bedenken von Erheblichkeit unberücksichtigt geblieben worden sind, ist dem Rechtsuchenden der Rechtsschutz wesentlich erschwert. Dies gilt insbesondere für die Notwendigkeit, die Aussichten einer Verfassungsbeschwerde abschätzen zu können.

In Ermangelung irgendeiner Begründung ist die Entscheidung des Strafsenats nicht nachvollziehbar und damit objektiv willkürlich (Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG). Außerdem ist der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

Ergänzende Ausführungen werde ich bis zum 14.4.2000 nachreichen.

Barbara Kramer

Rechtsanwältin

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