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Verfassungsbeschwerde; Ergänzung vom 05.05.2000 / Helmut Kramer

Bundesverfassungsgericht
Postfach 17 71
76006 Karlsruhe 5.5.2000

Betr.: Verfassungsbeschwerde des Dr. Helmut Kramer
Vorläufiges Aktenzeichen des BVerfG: AR 2398/00

In Ergänzung der Begründung der Verfassungsbeschwerde vom 6.4.2000 wird ausgeführt:

Gegen die angefochtenen Entscheidungen gibt es weitere schwerwiegende Bedenken, die eine verfassungskonforme Auslegung des Rechtsberatungsgesetzes, wenn nicht die Annahme seiner teilweisen Nichtigkeit nahelegen.

Übersicht
I. Weitere verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Rechtsberatungsgesetz in der Anwendung durch die Gerichte
1. Zum Verbot auch der unentgeltlichen Rechtsberatung
2. Zum Ausschluß auch der Volljuristen von der Möglichkeit der unentgeltlichen, nicht-beruflichen Rechtsberatungstätigkeit
3. Zur Einzigartigkeit des Verbots altruistischer Hilfeleistungen
4. Niederlassung als Rechtsanwalt als Ausweichmöglichkeit?
5. Zur weitgehenden Streichung der Erlaubnisfähigkeit der Rechtsberatung
II. Zur Gefahr einer selektiven Anwendung des RberG
III. Ergänzende Ausführungen zu den einzelnen dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Fällen
IV. Ergänzungen zu den Grundrechten des Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit) und Art. 5 Abs. 1 (Grundrecht auf Meinungsfreiheit) - zur Unverzichtbarkeit des Rechtsberatungsaustauschs in Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen 22
1. Der Aspekt der Bürgerinitiativen und der Selbsthilfegruppen 22
2. Ergänzung zum Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1) 24
V. Zur Entstehungsgeschichte des Rechtsberatungsgesetzes und zur Geschichte seiner Anwendung in der Praxis 25
1. Zur Entstehungsgeschichte des RBerG (früher Rechtsberatungsmißbrauchgesetz) 26
2. Zur Geschichte der Auslegung des Art. 1 § 1 Satz 1 RberG 33
VI. Zur Regelung der Rechtsberatung außerhalb der Anwaltschaft im Ausland 35
I. Weitere verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Rechtsberatungsgesetz in der Anwendung durch die Gerichte

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1. Zum Verbot auch der unentgeltlichen Rechtsberatung
Das Verbot, anderen Bürgern unentgeltlich, altruistisch Hilfe in Rechtsdingen zu leisten, widerspricht so sehr fundierten Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft, daß der Grundrechtsverstoß evident ist (Schorn, Die Rechtsberatung, Darmstadt 1967, S. 111 erwägt sogar das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Menschenwürde).

Ein vernünftiger, verfassungsrechtlich einleuchtender Grund für das Verbot der unentgeltlichen Rechtsberatung läßt sich nicht finden.

Anders als möglicherweise die Erlaubnispflichtigkeit der berufsmäßig betriebenen Rechtsbesorgung, kann das Verbot der unentgeltlich ausgeübten Rechtsberatung mit keinem der von der Rechtsprechung angeführten Gemeinwohlzwecke ausreichend begründet werden.

Dies gilt insbesondere für den Zweck des Konkurrenzschutzes zugunsten der Anwaltschaft. Wer unentgeltliche Leistungen erbringt, nimmt am wirtschaftlichen Wettbewerb nicht teil. Aus dem Bereich der unentgeltlichen Rechtsberatung, mag sie auch noch so qualifiziert sein, kann den Rechtsanwälten somit keine Konkurrenz erwachsen.

Das Verbot einer gemeinnützigen oder sonst altruistischen Betätigung bedeutet einen so schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit, daß das Verbot selbst dann als unverhältnismäßig zu beanstanden wäre, wenn es konkret nachweisbar - und nicht in der Diffusität der behaupteten weiteren Schutzzwecke - auf den Schutz von Gemeinschaftsgütern gerichtet wäre. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG setzen Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit - ähnlich wie Eingriffe in die Berufsfreiheit - nicht nur voraus, daß sie zu diesem Schutz geeignet und erforderlich sein müssen. Vielmehr sind sie nur dann zulässig, wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist; je empfindlicher der einzelne in seiner Handlungsfreiheit beeinträchtigt wird, desto gewichtiger müssen die Interessen des Gemeinwohls sein, denen diese Regelung zu dienen bestimmt ist (BVerfGE 30, 292 [316 f]; 36, 47 [59]; 61, 291 [312]). Derart gewichtige Gemeinwohlinteressen sind hier nicht erkennbar.

Mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit auch der unentgeltlichen Rechtsberatung hat sich, soweit ersichtlich, bislang kein Gericht, auch nicht das BVerfG, befaßt. Gegenstand von mit Gründen versehenen Entscheidungen waren, soweit ersichtlich, ausschließlich Sachverhalte mit entgeltlicher Ausübung der Rechtsberatung.

Die Betätigung von Hilfsbereitschaft in der Form der Erteilung rechtlicher Informationen und sonstiger rechtlicher Hilfestellungen gehört zu jenem letzten unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist (BVerfGE 6, 32 [41]).

2. Zum Ausschluß auch der Volljuristen von der Möglichkeit der unentgeltlichen, nicht-beruflichen Rechtsberatungstätigkeit
Der dem Gesetzgeber und - mit der Pflicht zur verfassungskonformen Gesetzesauslegung - dem Richter verbleibende Spielraum bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zur Erreichung des erstrebten Zwecks und der dem Richter bei der Einschätzung der Gefahrenprognose zustehende Beurteilungsspielraum ist insoweit vollends insoweit überschritten, als Art. 1 §§ 1, 8 RBerG dem Verbot der unentgeltlichen Rechtsberatung auch Volljuristen unterworfen hat, und zwar selbst für die nicht-berufliche, aber bereits "geschäftsmäßige" Rechtsberatung. Auf die politischen Absichten, die die Nationalsozialisten mit der Einführung dieser rigorosen Regelung verfolgt haben, wird noch einzugehen sein.

Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG kann ein Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nur Bestand haben, wenn der Eingriff den Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter bezweckt, denen Vorrang vor der Freiheit des Einzelnen gebührt, von dem Recht auf Handlungsfreiheit Gebrauch zu machen.

Welche der angeblich oder wirklich von Art. 1 §§ 1, 8 RberG geschützten Belange durch gemeinnützig oder sonst altruistisch handelnde Juristen verletzt werden könnten, ist nicht ersichtlich. Weder der amtlichen Begründung des Gesetzes vom 13.12.1935 noch der Begründung des Änderungsgesetzes vom 13.12.1989 läßt sich genügend deutlich entnehmen, zum Schutz welcher Gemeinschaftsgüter das absolute Verbot der geschäftsmäßigen Rechtsberatung auf unentgeltlich handelnde Volljuristen erstreckt worden ist.

Der Schutz der rechtsuchenden Bevölkerung vor unsachgemäßer Rechtsberatung kann nicht ernsthaft gemeint sein. Ebenso scheidet der Schutzgedanke, die Arbeit der Gerichte nicht durch das Tätigwerden wenig qualifizierter Rechtsvertreter zu erschweren ("Sicherstellung der Reibungslosigkeit der Rechtspflege und Verwaltung") aus. Der Hinweis auf die mangelnde Standesaufsicht bei nicht als Anwalt zugelassenen Juristen vermag, soweit eine unentgeltliche, hinter einem berufsmäßigen Umfang weit zurückbleibende Tätigkeit in Frage steht, einen derartig einschneidenden Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit - hier: die Freiheit zu altruistischer Betätigung - gleichfalls nicht zu rechtfertigen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber das Auftreten nicht zur Anwaltschaft zugelassener Personen vor Gericht an enge Voraussetzungen, auch mit Ausschluß- und Zurückweisungsmöglichkeiten geknüpft hat (vgl. die Ausführungen in der Verfassungsbeschwerde vom 6.4.2000, S. 9). Dabei kann das der Zulassung nach § 138 Abs. 2 StPO vorausgeschaltete Prüfungsverfahren sogar zum Ausschluß von Volljuristen führen (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ 1987, 424). Diese weniger belastenden Vorkehrungen genügen, um die von der Rechtsprechung ins Feld geführten Schutzzwecke zu erreichen. Angesichts der genannten Vorkehrungen reichen die behaupteten Belange der Rechtspflege und der Rechtsanwaltschaft jedenfalls nicht aus, um sie vor dem schwerer wiegenden Interesse des Bürgers an der Betätigung fachlich fundierter Hilfsbereitschaft rangieren zu lassen.

Diese verfassungsrechtlichen Bedenken können nicht mit dem Hinweis auf den Zwang des Gesetzgebers zur Typisierung (vgl. dazu u.a. BVerfGE 20, 157) entkräftet werden. Die Herausnahme der sog. Volljuristen aus dem Verbot der unentgeltlichen Rechtsberatung ist mit dem Gebot zur Übersichtlichkeit und Klarheit des Gesetzes - hier: des an Übersichtlichkeit und Klarheit nicht gerade beispielhaften RBerG - durchaus vereinbar. Das Gegenteil versteht "sich nicht von selbst" (vgl. die dem angefochtenen Beschluß des OLG Braunschweig zugrundeliegende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig vom 19.1.2000, S. 2, wohl im Anschluß an OLG Dresden NJW 1998, S. 90, 91). Um zu beurteilen, ob eine Person Volljurist ist, ist auch keine "Einzelfall"-Prüfung der "individuellen Integrität" des einzelnen erforderlich, wie dies Busse (NJW 1999, S. 1084, r.Sp.) im Hinblick auf das Verfahren gegen den Beschwerdeführer, mit nicht klar nachvollziehbarem Hinweis auf BVerfGE 87, 287 behauptet. Vielmehr ist die Abgrenzung, die der Gesetzgeber des RBerG oder zumindest in verfassungskonformer Auslegung die Rechtsprechung hätten vornehmen müssen, in musterhafter Typisierung bereits gesetzlich vorgenommen, nämlich in § 5 DRiG (vgl. auch § 4 BRAO).

Es reicht nicht aus, daß ein Gesetz in seinem Wortlaut eine ungleiche Behandlung vermeidet, indem es - in einer abstrakt allgemeinen Umschreibung - der Notwendigkeit und Möglichkeit einer sich für besondere Fallgruppen aufdrängenden Differenzierung ausweicht. In einem solchen Fall muß der Gesetzgeber durch geeignete Regelungen sicherstellen, daß der Kreis derjenigen Personen, in deren Grundrechte aufgrund der gesetzlichen Regelung eingegriffen werden kann, im Gesetz sachgerecht ausgewählt und abgegrenzt wird (BVerfGE 49. 58; 87, 1 ff).

3. Zur Einzigartigkeit des Verbots altruistischer Hilfeleistungen
Die Willkür, mit der der Gesetzgeber das Privileg eines derart exzessiven Konkurrenzschutzes allein den Rechtsanwälten gewährt hat, wird erneut augenfällig im Vergleich zu der in allen anderen Bereichen der Betätigung menschlicher Hilfsbereitschaft geltenden Liberalität des demokratischen Rechtsstaats.

Das sogar auf Personen mit gesetzlich attestierter Qualifikation (§ 5 DRiG) erstreckte Verbot der unentgeltlichen Rechtsberatung steht in einem unerklärbaren Wertungswiderspruch zu der gesetzlichen Regelung für andere Tätigkeitsbereiche, in denen - mit zum Teil unvergleichbar größerem Gefährdungspotential - wesentliche Rechtsgüter und Gemeinwohlbelange auf dem Spiel stehen.

Ein Beispiel ist das Heilpraktikergesetz vom 17.2.1939. Obgleich die durch das Heilpraktikergesetz geschützten Rechtsgüter - Leben und Gesundheit - im allgemeinen höher zu bewerten sind als die im Normalfall bei fehlerhafter Rechtsbesorgung auf dem Spiel stehenden Werte, ist nach dem Heilpraktikergesetz lediglich die berufs- oder gewerbsmäßig durchgeführte Heilkunde verboten; die unentgeltliche Ausübung der Heilkunde ist dagegen ohne jegliche Beschränkung freigegeben, dies selbst für Nichtmediziner - ein offensichtlicher Wertungswiderspruch zu der rigorosen Ausgestaltung des RBerG und seiner Auslegung durch die Gerichte (vgl. König, a.a.O., S. 94 f).

Wie überzogen der Gesetzgeber und bei der Auslegung des RBerG die Gerichte die vagen Schutzzwecke des RBerG bewerten, erhellt auch der Vergleich mit der Regelung für gefährliche Handwerksarbeiten. Obgleich bei der schon Ende des 19. Jahrhunderts weit fortgeschrittenen Technifizierung des Handwerks zahlreiche Handwerksarbeiten bei Durchführung durch Personen ohne die entsprechende Ausbildung mit einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit und des Vermögens Dritter verbunden sind und gewichtige Belange des Gemeinwohls massiv berühren, gibt es für unentgeltlich erbrachte Handwerksarbeiten keinerlei gesetzliche Beschränkungen. Das gilt, um nur einige Beispiele zu nennen, auch für sämtliche Elektro- und Schweiß-Arbeiten und für die Reparatur elektrischer Geräte oder Kraftfahrzeuge, ferner für Dachdeckerarbeiten, überhaupt für sämtliche Bauarbeiten. Nur die entgeltlich ausgeübte Handwerksausübung, auch dies aber nur bei berufs- und gewerbsmäßigem Umfang, ist an die Eintragung in die Handwerksrolle gebunden.

Aus der Fülle der nicht als kriminell angesehenen menschlichen Handlungsmöglichkeiten hat der Gesetzgeber einzig und allein die Erteilung rechtlicher Hilfestellungen kriminalisiert bzw. nach Umwandlung in eine Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße bedroht. Soweit der Gesetzgeber derartiges sonst noch einmal versucht hat, hat das BVerfG einen solchen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit mit Recht mißbilligt (BVerfGE 17, 306 - Mitfahrerzentralen). Auch im innerdeutschen Rechtsraum ist das Verbot unentgeltlicher Hilfeleistungen, sei es zum Schutz Dritter, sei es aus Gründen des Konkurrenzschutzes, somit einzigartig.

4. Niederlassung als Rechtsanwalt als Ausweichmöglichkeit?
Bei der Einschränkung von Grundrechten sind dem Gesetzgeber um so engere Grenzen gesetzt, je weniger der einzelne nachhaltige Folgen durch eigenes Verhalten vermeiden kann (BVerfGE 88, 5).

Der Vertreter der Bundesrechtsanwaltskammer hat - in der Sendung "Mit mir nicht!" des ZDF am 18.12.1998 - den Beschwerdeführer auf die Möglichkeit der Zulassung zur Anwaltschaft verwiesen. Damit wird aber übersehen, daß der Beschwerdeführer die Befugnis zur rechtsberatenden Tätigkeit gerade nicht berufsmäßig oder gewerblich, also zur Erzielung von Einkünften, sondern unentgeltlich und altruistisch in Anspruch nehmen möchte, dies auch nur in einem verhältnismäßig geringen, von der Rechtsprechung aber bereits als "geschäftsmäßig" pönalisierten Umfang.

Die Alternative zwischen der Möglichkeit, sich als Rechtsanwalt niederzulassen oder die altruistische Rechtsberatung praktisch ganz zu unterlassen, ist für den Beschwerdeführer in mehrfacher Hinsicht unzumutbar. Als hauptberuflich oder nebenberuflich tätiger Anwalt müßte er die für ihn im Vordergrund stehenden Aktivitäten (u.a. umfangreiche wissenschaftliche Forschung und Veröffentlichungstätigkeit mit Schwerpunkt im Bereich der juristischen Zeitgeschichte; Leitung des Vereins Forum Juristische Zeitgeschichte; Gestaltung und Leitung von jährlich vier W13-Tagungen der Deutschen Richterakademie; Redaktion der Zeitschrift ÖTV in der Rechtspflege usw.) vernachlässigen. Abgesehen von den mit der Niederlassung als Rechtsanwalt verbundenen finanziellen und sonstigen Belastungen (Unterhaltung eines Büros; Beitrags- und Versicherungspflichten) wäre die Anwaltstätigkeit mit seinem altruistischen Anliegen nicht vereinbar. Aus standesrechtlichen Gründen dürfen Anwälte auf die Erhebung von Gebühren nicht verzichten.

5. Zur weitgehenden Streichung der Erlaubnisfähigkeit der Rechtsberatung
Auch die Möglichkeit der Erlangung einer Erlaubnis oder wenigstens einer Teilerlaubnis nach Art. 1 § 1 Satz RBerG gibt es nicht. Vielmehr ist der Grundrechtsschutz des Beschwerdeführers dadurch zusätzlich verkürzt worden, daß er nicht einmal mit Aussicht auf Erfolg die Erteilung einer Erlaubnis nach § 1 Abs. 2 RBerG beantragen könnte.

§ 1 RBerG i.d.F. vom 13.12.1935 gewährte dem Bürger einen Anspruch auf Erlaubniserteilung, "wenn der Antragsteller die für den Beruf erforderliche Zuverlässigkeit und persönliche Eignung sowie genügende Sachkunde besitzt und das Bedürfnis nicht bereits durch eine hinreichende Zahl von Rechtsberatern gedeckt ist.". Abgesehen von der durch Urteil des BVerwG (BVerwGE 2, 85 = NJW 1955, 1532) für verfassungswidrig erklärten Bedürfnisprüfung hätte der Antragsteller somit eine Erlaubnis erlangen können.

Die für grundsätzlich alle Bürger bestehende Möglichkeit einer Erlaubniserteilung hat der Bundesgesetzgeber indessen in Verschärfung des Gesetzes von 1935 durch das 5. Gesetz zur Änderung der BRAGebO vom 18.8.1980 (BGBl. 1980 I, S. 1503; vgl. dazu BVerfGE 75, 246) drastisch beschränkt, indem er die Erlaubniserteilung auf fünf enumerativ aufgeführte Berufs-Gruppen beschränkt hat; Volljuristen sind in dieser Aufzählung nicht erwähnt. Mit dieser Beschränkung der Erlaubnismöglichkeit auf nebenbei mit Rechtsbesorgung verbundene Berufe hat der Gesetzgeber Bürger, die Mitbürger lediglich uneigennützig, also nicht kommerziell, aber in einem als "geschäftsmäßig" umschriebenen Umfang rechtlich beraten möchten, aus dem Recht herausfallen lassen.

Über die mangelnde Erlaubnisfähigkeit der weder berufsmäßig noch nebenberuflich ausgeübten unentgeltlichen Rechtsberatung besteht in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit (vgl. Altenhoff/Busch/Chemnitz, RBerG, 10. Aufl. 1993, Art. 1, § 1, RN 111 f, 115; vgl. auch OLG Dresden NJW 1998, S. 90 [91]). Dabei wird die Ungereimtheit eingeräumt, daß der Verbotsbereich nunmehr weiter greift als die Erlaubnismöglichkeit (Altenhoff/Busch/Chemnitz, a.a.O., RN 115).

Von Verfassungs wegen kann dies nicht rechtens sein. Gemessen am Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit ist es bereits bedenklich, wenn der Gesetzgeber ein Verbot mit Erlaubsnisvorbehalt für ein Verhalten anordnet, das in der Regel kein Unrecht, sondern - wie die Betätigung zwischenmenschlicher Hilfsbereitschaft oder (so die Fallgestaltung im BVerfGE 20, 150) das Sammeln von Spenden für gemeinnützige Zwecke - förderungswürdig ist (zur Verfassungswidrigkeit eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt vgl. auch BVerfGE 17, 306 [314 ff] - Mitfahrerzentralen).

In jedem Fall muß bei Gesetzen mit Erlaubnisvorbehalt der Gesetzgeber dem Bürger dann aber einen Rechtsanspruch auf die Erteilung der Erlaubnis beim Vorliegen hinreichend klar normierter Voraussetzungen gewähren (BVerfGE 20, 150 [155 ff]). Einen solchen Anspruch hat der Gesetzgeber im Jahre 1980 abgeschafft. Das infrage stehende Handeln kann nicht einmal Gegenstand einer Erlaubnis sein, und zwar selbst dann nicht, wenn an der persönlichen Eignung und Zuverlässigkeit des betreffenden Bürgers sowie an der Gemeinnützigkeit der von ihm beabsichtigten Rechtsberatung kein Zweifel besteht und wenn - gemessen auch an dem geringen Umfang der von ihm beabsichtigten Tätigkeit - die mit dem RBerG verfolgten Zwecke nicht tangiert sind. Damit enthält die gesetzliche Regelung zumindest in der Auslegung durch die herrschende Rechtsprechung einen schwerwiegenden, weil absoluten Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit.

Zugleich ist es ein Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), daß nach der im Jahre 1980 eingeführten Rechtslage zwar eine kommerziell und ständig betriebene Rechtsberatungstätigkeit erlaubnisfähig ist, nicht aber eine über den Einzelfall hinausgehende altruistische Rechtsberatung. Zureichende sachliche Gründe für diese Schlechterstellung der uneigennützigen Rechtsberatung gegenüber der auf Erwerb gerichteten Rechtsberatung sind nicht ersichtlich.

II. Zur Gefahr einer selektiven Anwendung des RberG
Das Gesetz vom 13.12.1935, das nach seinem ursprünglichen Titel Mißbräuchen im Bereich der Rechtsberatung vorbeugen sollte, steht selbst in Gefahr, zu rechtsfremden Zwecken mißbraucht zu werden.

Auch unabhängig von dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG wirft der von dem Gesetzgeber benutzte Begriff der "Geschäftsmäßigkeit" Probleme auf, die die in der Verfassungsbeschwerde bereits vorgetragenen Bedenken noch verstärken:

1. Das Tatbestandsmerkmal "geschäftsmäßig" hat eine Unschärfe, die auch im Lauf einer jahrzehntelangen Judikatur nicht durch eine hinreichende Präzisierung beseitigt worden ist. Für den Normadressaten läßt sich weniger denn je vorhersehen, wann er Bitten um eine Rechtsberatung nachkommen darf und wann er sie zurückweisen muß. Gerade weil nach gefestigter Rechtsprechung als Tatsachenkern eine einzige Rechtsberatung genügt und die weitere Beurteilung von der inneren Einstellung des Betroffenen abhängt, eröffnet die Vorschrift den Verfolgungsbehörden beträchtliche Spielräume.

Auf diese Weise ist es denkbar, daß Behörden und Gerichte die ohnehin nicht unbedenkliche Funktion des RBerG, die "reibungslose Abwicklung des Rechtsverkehrs" zu gewährleisten, leicht mit dem Wunsch nach einer möglichst bequemen, konfliktarmen Gestaltung behördlicher Verfahren - anders ausgedrückt: mit dem Interesse an einer Verhinderung der Störung staatlicher Tätigkeit - verwechseln (zum Begriff der "Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit" - in diesem Fall der Tätigkeit von DDR-Behörden - und zur Wertung z.B. einer Selbstanzeige-Aktion als eben solche Störung vgl. LG Gera, NJ 1997, 436). Mehr noch als bei anderen Entscheidungen der Verfolgunsbehörden entscheiden Verwaltungsbehörden und Gerichte bei der Entschließung, ob von der Verfolgung eines Verstoßes gegen das RBerG Gebrauch gemacht werden soll, häufig gewissermaßen in eigener Sache.

2. Die von dem Beschwerdeführer vorgenommene Rechtsprechungsauswertung und weitere Erhebungen haben ergeben, daß - statistisch gesehen - von der Möglichkeit der Ahndung unentgeltlich geleisteter "geschäftsmäßiger" Rechtsberatung nur äußerst selten Gebrauch gemacht wird. So bleibt die - übrigens oftmals durchaus begrüßenswerte - unentgeltliche Rechtsberatung durch Richter und Staatsanwälte, nicht selten auch durch Behördenvorstände, grundsätzlich unverfolgt (zu einer allerdings mit einer Verletzung von Strafvorschriften verbundenen Ausnahme vgl. Kramer in: ÖTV in der Rechtspflege, Nr. 47, S. 23 f).

Gleichwohl bedarf die von Schneider (MDR 1976, S. 5, r.Sp. ) vertretene Ansicht, um rechtsberatende Aktivitäten von Bürgern kümmere sich niemand, einer Ergänzung: solange sich Behörden oder Gerichte durch die in Frage stehende Rechtsberatung oder Rechtsvertretung nicht gestört fühlen, wird dagegen nichts unternommen. Eingeschritten wird von einigen Behörden indessen, wenn sie sich in ihrer eingefahrenen Routine gestört fühlen und wenn es aus ihrer Sicht gilt, eine - vielleicht gerade wegen der besonders sachkundig und nachhaltig durchgeführten Rechtsvertretung - als "lästig" empfundene Rechtsbesorgung abzuwehren und die Durchsetzung von nur ungern zugestandenen Rechten zu erschweren. Die Anwendungspraxis des RBerG zeigt, daß die durch die Vagheit des Begriffs der "Geschäftsmäßigkeit" eröffneten Spielräume den Verfolgungsbehörden die Möglichkeit geben, in einem selektiven Vorgehen bei der Entscheidung über die Einleitung eines Verfahrens je nach genehmer und nicht genehmer Rechtsvertretung zu sortieren. Dies wird an folgenden Beispielen deutlich:

1. Angesichts der Vielzahl der von den Staatsanwaltschaften von vornherein eingestellten Ordnungswidrigkeitenverfahren in Fällen von Rechtsberatung ist der Ausgangsfall des Verfahrens gegen den Beschwerdeführer - das Verfahren gegen Rainer Scheer und Detlev Beutner - ein Musterbeispiel für die Gefahr einer Instrumentalisierung des RBerG (vgl. auch Beutner, in: Till-Müller Heidelberg u.a. (Hg.), Grundrechte-Report 1999, S. 175 ff - siehe Anlage 20 -). Bezeichnend für die Abhängigkeit der richterlichen Entscheidungsfindung vom jeweiligen militärpolitischen Vorverständnis der Juristen ist auch die Zulassungspraxis nach § 138 Abs. 2 StPO in Totalverweigerungssachen (Beispiele in "Ohne uns", Heft 1/2000, S. 10 f, Anm. 4 - 8 = Anlage 21). Während in einer Reihe von Fällen die Durchführung der Verteidigung von Totalverweigerern durch andere Totalverweigerer nach § 138 Abs. 2 StPO trotz Kenntniserlangung die Staatsanwaltschaft keinen Anlaß zur Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens nach dem RBerG gesehen hat, auch nicht gegen den weiterhin eine derartige Rechtsvertretung ausübenden Detlef Beutner (vgl. "Ohne uns" Nr. 1/2000, S. 10 f), ist es in Braunschweig zu dem genannten Ausgangsverfahren gekommen.

2. Gegenstand von Ordnungswidrigkeitenverfahren und drohenden Hinweisen auf das RBerG ist immer wieder auch die rechtsberatende Tätigkeit von kirchlichen Stellen, von amnesty international, Pro Asyl, und anderen Bürgerinitiativen, die sich im Bereich der Flüchtlingshilfe engagieren, also Asylbewerbern und Abschiebehäftlingen menschlich und rechtlich zur Seite stehen. (vgl. u.a. Müller-Münch, Frankfurter Rundschau v. 12.6.1996, S. 3).

Bezeichnend ist der Fall des Sprechers des Neusser Flüchtlingsrates, des Studiendirektors Dr. Michael Stoffels. Nachdem Dr. Stoffels die örtliche Ausländerbehörde wegen der Abschiebung eines mehrfach behinderten Roma-Jungen scharf kritisiert hatte, leitete der Oberkreisdirektor von Neuss neben einer Anzeige wegen Beleidigung gegen Dr. Stoffels ein Verfahren wegen Verstoßes gegen Art. 1 § 1 RBerG ein. Einzelheiten ergeben sich aus der Anlage 22. Auch hier läßt sich der Verdacht einer Instrumentalisierung des RBerG zum Zweck, unbequeme Flüchtlingsarbeit zu pönalisieren, nicht von der Hand weisen. Zu dem Erlaß eines Bußgeldbescheides ist es nur deshalb nicht gekommen, weil - allerdings erst nachdem Dr. Stoffels mit der Verleihung eines angesehenen Preises für sein Engagement geehrt worden ist - der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen die Staatsanwaltschaft Düsseldorf angewiesen hatte, das Verfahren einzustellen. Auch daran, daß es bei der Praxis des RBerG besonders darauf ankommt, ob mit öffentlicher Gegenmacht zu rechnen ist oder nicht, erweist sich die Instrumentalisierbarkeit des RBerG.

Die Verfolgungsbehörden haben zwar bislang davon abgesehen, Bußgeldbescheide gegen die Mitarbeiter kirchlicher Stellen oder von amnesty international oder Pro Asyl usw. zu erlassen. Aber allein durch die oftmals förmlich ausgesprochene Androhung solcher Verfahren sehen sich diese Stellen und Bürger in ihrem ehrenamtlichen rechtsstaatlichen Engagement behindert. Aus Sorge, daß die Arbeit von a.i. und Pro Asyl noch stärker als bisher beeinträchtigt werden könnte, hat Pro Asyl unter dem 24. August 1994 Herrn Dr. Stoffels empfohlen, "den Fall klein zu halten, vielleicht durch eine Einstellung gegen eine geringe Geldbuße". Es sei zu befürchten, "daß eine negative Entscheidung, die nicht auszuschließen ist, einen weit größeren Schaden anrichtet, als wenn diese Frage wie bisher im Zwielicht der Rechtsunsicherheit bleibt." Erfahrungsgemäß ist der Rechtsschutz von Asylbewerbern bereits als Folge des Sachleistungsprinzips bei der Sozialhilfegewährung erheblich eingeschränkt. Die meisten Flüchtlinge können Anwaltsgebühren nicht bezahlen. Die Behauptung, bislang habe noch jeder Flüchtling einen Anwalt gefunden, widerspricht der Realität.

In Drohungen mit einem Verfahren nach Art. 1 §§ 1, 8 RBerG wird nicht nur die Beteiligung an gerichtlichen Verfahren, sondern auch die Vermittlung von Rechtsanwälten, das Versenden von Begleitschreiben an Behörden und sonstiger Bittbriefe an zuständige Stellen bemängelt.

3. Zu welchen Weiterungen die rigorose Anwendung des RBerG in der Praxis führt, zeigt auch das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Kempten gegenüber Frau Gisela von Maltitz. Frau von Maltitz ist Diplom-Sozialpädagogin im Zentrum zur Behandlung von Folteropfern e.V. in Lindau. Ein erstes Verfahren wurde zwar am 6.4.1999 gemäß § 47 Abs. 1 OWiG eingestellt, dies jedoch mit der Androhung eines neuen Verfahrens für den Wiederholungsfall. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Kempten, ohne Frau von Maltitz davon zu unterrichten, ein erneutes Verfahren dadurch eingeleitet, daß es mehrere Schützlinge, schwer traumatisierte Folteropfer, förmlich zur Vernehmung durch die Kriminalpolizei hat vorladen lassen. Gegenstand des Verfahrens sind drei von Frau von Maltitz aufgesetzte Schreiben an Behörden, in denen sie u.a. um die Erleichterung von Ratenzahlungen von gegen die betreffenden Flüchtlinge erlassenen Geldstrafen gebeten hat. Der politische Zusammenhang wird auch dadurch nahegelegt, daß die anzeigeerstattende Behörde, der Landkreis Lindau, unmittelbar nach Einstellung bereits des ersten Ordnungswidrigkeitenverfahrens die jahrelang geübte Zahlung eines Zuschusses an das Folterzentrum eingestellt hat.

4. Ein weiterer Bereich, aus dem immer wieder von einer mißbräuchlichen Anwendung des RBerG berichtet wird, ist die Sozialarbeit. Wegen der hier aufgetretenen Probleme wird u.a. Bezug genommen auf Albrecht Brühl, Rechtsbesorgung in Sozialhilfesachen durch Vereine, in: info also 1998, S. 3 ff und Hubert Heinhold, Asylrechtskundige Beratung durch Sozialarbeiter und Ehrenamtliche - Ein Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz?, in: ZAR 1997, S 110 ff. Es geht hier u.a. um die Beratung wirtschaftlich und sonst sozial schlecht gestellter Bürger durch Sozialarbeiter, Bewährungshelfer sowie ehrenamtlich Tätige in Sozialhilfe- und anderen Angelegenheiten. Dies geschieht u.a. in Arbeitskreisen, in Stadtteil-Büros und sog. Mütter-Cafés als Treffpunkte u.a. für alleinerziehende Mütter, Bürgerprojekte für Obdachlose und dergleichen. Zu denken ist auch an Rechtsgespräche in von Sozialarbeitern betreuten Wärmestuben. In die Augen springt hier, daß das Rechtsberatungsgesetz bevorzugt in den Dienst gestellt wird, um die Durchsetzung auch von berechtigten Sozialhilfeansprüchen abzuwehren, insbesondere auch nachdem Sozialämter den Berechtigten eindeutig unrichtige Rechtsauskünfte erteilt haben. Naturgemäß muß es den Ämtern unerwünscht erscheinen, wenn Sozialhilfeberechtigte über ihre Rechte aufgeklärt werden. Sachgerechte anwaltliche Aufklärung ist für die Betreffenden erfahrungsgemäß nicht leicht zu erhalten.

Für alle Angehörigen wirtschaftlich schlecht gestellter und sonst sozial schwacher Gruppen verkehrt sich in der Rechtspraxis der vorgebliche Schutzzweck des Gesetzes - Rechtsunkundige vor unzulänglicher Rechtsberatung zu schützen - erkennbar in sein Gegenteil, nämlich in den Zweck, eine effektive Wahrnehmung von Rechtspositionen nach Möglichkeit geradezu zu verhindern oder zu erschweren.

5. Verurteilt wegen "geschäftsmäßiger Rechtsbesorgung" nach § 1 RBerG wurde auch ein Strafgefangener, der schreibungewandten Mithäftlingen bei der Abfassung von Eingaben an Justizbehörden geholfen hatte (Urteil des Amtsgerichts Arnsberg von 1982, zit. nach Frankfurter Rundschau vom 5.6.1982; vgl. auch OLG Hamm NStZ 1982, 438). Dabei kann dahinstehen, ob sich ein Verbot der Rechtsberatung unter Straf- oder Untersuchungsgefangenen unter dem Gesichtspunkt der Anstaltsordnung rechtfertigen läßt. Indessen darf das RBerG nicht zu solchen Zwecken verfremdet werden. Zu dem angeführten Urteil des Amtsgerichts Arnsberg hat die Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages, die heutige Bundesjustizministerin, dem verurteilten Strafgefangenen im Februar 1982 mitgeteilt, sie halte das RBerG hinsichtlich des Verbots der unentgeltlichen Rechtsberatung für überholungsbedürftig und werde sich für eine Änderung einsetzen, was aber bis zum Frühjahr 1983 dauern könne (vgl. Frankfurter Rundschau vom 5.6.1982, S. 7).

6. Opfer einer mißbräuchlichen Anwendung des Art. 1 § 1 RBerG geworden ist auch der Rentner Otto Block. Otto Block wurde durch Strafbefehl des Amtsgerichts Braunschweig vom 22.9.1967 - 4 Cs 458/67 - zu 200,-- DM Geldstrafe verurteilt, weil er der Mutter der vom Sondergericht Braunschweig wegen eines angeblichen Bagatelldiebstahls zum Tode verurteilten und am 23.11.1944 in Wolfenbüttel hingerichteten 19-jährigen Erna Wazinski wiederholt Beistand geleistete hatte, um eine posthume Rehabilitierung des Mädchens zu erreichen. Nach durchgeführter Hauptverhandlung wurden die Rechtsmittel des Otto Block durch das Landgericht Braunschweig und den Strafsenat des OLG Braunschweig verworfen. Nur beiläufig sei erwähnt, daß der angefochtene Bußgeldbescheid vom 8.2.1999 (Anlage 1) - mit der Einbeziehung des Falles Erna Wazinski - von demselben Staatsanwalt erlassen worden ist, dem der Beschwerdeführer am 18.5.1998 den Mißbrauch des Rechtsberatungsmißbrauchgesetzes im Fall Otto Block vorgehalten hat (vgl. Kramer, in: 4/3 - Fachzeitschrift zu Kriegsdienstverweigerung, Wehrdienst und Zivildienst, S. 55 = Anlage 6).

Zusammenfassend läßt sich feststellen:

Mit Ausnahme des Urteils des OLG Oldenburg (NJW 1992, 2438) - dort hatte in einem Zivilprozeß der gegnerische Anwalt das RBerG als Abwehrwaffe benutzt - haben alle bekanntgewordenen Fälle der Verfolgung unentgeltlicher Rechtsberatung Sachverhalte mit einem rechtspolitisch oder sonst politisch prekären Bezug zum Gegenstand. Der Verdacht, daß das RBerG im Bereich der unentgeltlichen Rechtsberatung zu politischen Zwecken instrumentalisiert wird, ist mithin nicht abwegig.

III. Ergänzende Ausführungen zu den einzelnen dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Fällen
Bei der Abwägung der Interessen des Gemeinwohls und der von dem Rechtsgüterschutz ausgehenden Beeinträchtigung der Grundrechte des Beschwerdeführers hat das Amtsgericht den nur abstrakt gesehenen Gemeinwohlbelang in Überbewertung über die - hier empfindlich beeinträchtigten - Grundrechte des Beschwerdeführers gestellt. Dabei hat es gegen das Übermaßverbot um so mehr verstoßen, als - bei Durchführung der Rechtsberatung durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt - der Schwere des Eingriffs eine ernstzunehmende Gefährdung der von der Rechtsprechung ins Feld geführten Schutzzwecke nicht gegenübersteht.

Auch in den konkreten Fällen, die das Amtsgericht als "geschäftsmäßige" Rechtsberatung mißbilligt hat, ist eine Gefährdung auch nur eines der genannten Schutzzwecke nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere auch für die Frage nach einer Gefährdung des Schutzes der Rechtsuchenden. Insoweit unterscheidet sich die Sachlage von der Fallgestaltung des Beschlusses des BVerfG vom 15.12.1999 - 1 BvR 2161/93 (ZIP 2000, 183). Bestand dort bei dem rechtsbesorgend tätig gewordenen Verein ein Interessenkonflikt, so war die Rechtsberatung für die Personen, die der Beschwerdeführer beraten bzw. sonst rechtlich betreut hat, auch bei konkreter Betrachtung der Einzelfälle völlig risikolos. Im übrigen lag dem Beschluß des BVerfG vom 15.12.1999 keine unentgeltliche Rechtsbesorgung zugrunde, denn ein Verein erbringt solche Serviceleistungen nicht völlig uneigennützig.

Zu berücksichtigen ist bei der angesichts des Ausnahmecharakters des RBerG notwendigen einschränkenden Auslegung (vgl. dazu Senge in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Vorbem. RBerG, RN 4), daß in allen dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Fällen ein besonderer Anlaß zum Tätigwerden vorlag und daß der Beschwerdeführer auch für die Zukunft lediglich auf dem Anspruch besteht, in vergleichbaren Fällen in Rechtsnot geratenen Bürgern, insbesondere auch Pazifisten, rechtsberatend und rechtsbesorgend zur Seite zu stehen. Keineswegs will er - was ihm aus den bereits dargelegten Gründen auch nicht möglich wäre - wahllos jeden Rechtsfall übernehmen. Altenhoff/Busch/Chemnitz, a.a.O., Art. 1 § 1 RN 104 b erfordern zur Bejahung "geschäftsmäßigen" Handelns ein Hinausgehen über den aus besonderen Gründen ausgeübten Gelegenheitsfall (vgl. auch die AV des RJM v. 13.7.1940, DJ 1940, S. 823, 825). Auch wenn eine derart verschwommene Reduktionsformel wenig zur Rechtssicherheit beiträgt - ähnlich wie auch die Verneinung einer Tatbestandsmäßigkeit bei Vorliegen einer "moralischen Verpflichtung" -, hätten die angefochtenen Entscheidungen dies doch zur Grundlage eines Freispruchs machen können.

In allen dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Fällen war jener "besondere Anlaß" bzw. ein besonderer Grund zum Tätigwerden gegeben.

Der Beschwerdeführer ist, was in der Braunschweiger Justiz, insbesondere am Amtsgericht Braunschweig und unter den ehemaligen Kollegen des Beschwerdeführers im Strafsenat des OLG Braunschweig allgemeinkundig und insbesondere auch dem Einzelrichter des OLG als Nachfolger des Beschwerdeführers bekannt ist, in seinen Veröffentlichungen u.a. schwerpunktmäßig mit den Bereichen NS-Justiz und Aufarbeitung, Problemen des Gebrauchs des juristischen Methodeninstrumentariums und mit Problemen der justizförmigen Auseinandersetzung mit dem Pazifismus tätig. Auf das Veröffentlichungsverzeichnis Anlage 19 wird Bezug genommen.

In allen dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Fällen hat es einen besonderen Bezug zu den genannten Interessen und Aktivitätsschwerpunkten des Beschwerdeführers gegeben.

a) Im Fall der Richterblockade bestand der besondere Grund darin, daß der Beschwerdeführer wegen der Teilnahme an der Sitzdemonstration vom 12. Januar 1987 selbst vor dem Amtsgericht Schwäbisch Gmünd angeklagt war, ebenso wie die anderen Teilnehmer der Sitzdemonstration. Offensichtlich haben sich das Amtsgericht und das OLG der herrschenden Meinung angeschlossen, wonach "gleiche Rechtspositionen mehrerer Personen" deren Angelegenheiten nicht zu einer eigenen Rechtsangelegenheit jedes einzelnen machen (vgl. Rennen-Caliebe, RBerG, Art. 1§ 1 RN 23 m.w.Nachw.; anders Senge in: Erbs/Kohlhaas, RberG, Art. 1 § 1 Anm. 3).

b) Für den Fall Erna Wazinski gilt: Auch unabhängig von besonderen Kenntnissen zum Gegenstand NS-Justiz übersteigt das konkrete Interesse an der Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen bei weitem das abstrakte Interesse an der Vermeidung unzulänglicher Rechtsbesorgung. Den Braunschweiger Richtern kann auch nicht unterstellt werden, sie hätten die Besonderheit und den besonderen rechtsethischen Aspekt der Bemühungen des Beschwerdeführers nicht erkannt. Schließlich gilt das Todesurteil gegen Erna Wazinski in Braunschweig weit über Justizkreise hinaus und bei allen, denen das Versagen der Juristen im Dritten Reich eine Angelegenheit von mehr als nur "von bloß historischem Interesse" ist, als ein besonders anschauliches Beispiel der Justiz von 1933 bis 1945. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Presseartikeln erscheint der Fall Erna Wazinski in mehreren literarischen Romanen. Er ist auch Gegenstand des Theaterstückes "Die Braunschweigische Johanna", das wegen des außerordentlich großen Interesses der Braunschweiger Bevölkerung in 31 Vorstellungen in der Zeit vom 20. Februar bis 31. Oktober 1999, von mehreren Zeitungsberichten begleitet, aufgeführt worden ist, zeitgleich mit dem Verfahren gegen den Beschwerdeführer.

Verfassungsrechtlich erscheint noch von Bedeutung, daß der Beschwerdeführer im Fall Erna Wazinski weder rechtsberatend noch rechtsbesorgend tätig geworden ist. Er hat an die Staatsanwaltschaft Braunschweig nämlich lediglich eine Anregung gerichtet. Insoweit ist sein Schreiben vom 8. August 1990 zum einen als Petition im Sinne des Art. 17 GG anzusehen, zum anderen aber auch als Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 GG, durch deren Pönalisierung der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung verletzt ist.

c) In den Fällen Rainer Scheer und Dr. Elke Steven haben mehrere triftige Gründe den besonderen Anlaß zum Tätigwerden gegeben, nämlich zum einen das literarisch dokumentierte Interesse des Beschwerdeführers an Fragen des richterlichen Vorverständnisses insbesondere in Prozessen mit Politikbezug, zum anderen das gleichfalls in Veröffentlichungen belegte Interesse an der justizförmigen Bekämpfung des Pazifismus.

Im Fall Rainer Scheer kam noch hinzu, daß in diesem Ordnungswidrigkeitenverfahren nach Ansicht des Beschwerdeführers das Rechtsberatungsgesetz instrumentalisiert wurde, um sogar rechtliche Hilfestellungen zu unterbinden, mit denen Pazifisten sich gegen eben jene Instrumentalisierung rechtlich zur Wehr zu setzen versuchen.

Insbesondere durch die Heranziehung auch des Falles Scheer, um eine Verurteilung wegen Verstoßes gegen das RBerG zu begründen, sieht der Beschwerdeführer sich sowohl in seinem Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) als auch in seinem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) in besonderem Maße beeinträchtigt: In einem demokratisch strukturierten Rechtsstaat schließt die allgemeine Handlungsfreiheit auch das Recht aller Bürger ein, durch Äußerung von Rechtsmeinungen an der Rechtsfortbildung mitzuwirken (vgl. dazu auch Kramer, Plädoyer für ein Forum zur juristischen Zeitgeschichte. Bremen 1998, S. 9, 11). Dies kann beispielsweise durch Gespräche im Bekanntenkreis, durch wissenschaftliche Aufsätze oder Leserbriefe geschehen. Die Mitwirkung an der Rechtsfortbildung kann aber - im Rahmen der spezialgesetzlichen Befugnisse und Beschränkungen u.a. nach § 138 II StPO oder § 157 ZPO - auch dadurch erfolgen, daß ein nach § 138 Abs. 2 StPO zugelassener Verteidiger oder im Zivilprozeß ein Rechtsbeistand seine Rechtsansicht einem Gericht vorträgt. Mit dem Ziel, das Amtsgericht Braunschweig zur Aufgabe der herrschenden Meinung im Bereich des RBerG und einer verfassungskonformen Auslegung des Begriffs der "Geschäftsmäßigkeit" zu bringen, hat der Beschwerdeführer, zugleich mit dem Ziel eines Freispruchs seines Mandanten, in der Hauptverhandlung am 18. Mai 1998 auf die Fortentwicklung des Rechts Einfluß zu nehmen versucht. Das darf nicht pönalisiert werden. Wie wenig die Einbringung von Impulsen auch in aktuelle Rechtskonflikte jedenfalls unter den Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 StPO auf den etablierten Rechtsstab beschränkt werden darf, zeigt gerade der Verlauf der Strafverfahren vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten. Mit einer einzigen Ausnahme (Urteil vom 2. März 2000 - 239 Ds 446/99) haben sämtliche der zuständigen Berliner Amtsrichter zu erkennen gegeben, daß sie sich durch völkerrechtliche Fragen überfordert fühlen. Entsprechendes dürfte für die meisten Rechtsanwälte gelten. Dagegen hat sich der Beschwerdeführer, u.a. auch als Mitglied der Vereinigung IANALA, seit vielen Jahren mit dem Kriegsvölkerrecht und übrigen Völkerrecht wissenschaftlich befaßt.

Durch die angefochtenen Entscheidungen ist der Beschwerdeführer deshalb in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 GG verletzt (vgl. auch S. 3 f der Rechtsbeschwerdebegründung vom 6.1.2000).

Wie bereits in der Verfassungsbeschwerde vom 6.4.2000 (S. 24 f) ausgeführt, haben die angefochtenen Entscheidungen Handlungen des Beschwerdeführers herangezogen, die bis zu acht und elf Jahren zurücklagen. Dies und die jeweiligen zeitlichen Zwischenräume bedeuten eine Zäsur, die einer Zusammenfassung unter den Begriff "geschäftsmäßig" entgegensteht. Indessen haben die angefochtenen Entscheidungen sogar auf jene drei Fälle zurückgegriffen, die durch Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 17.12.1998 (Anlage 17) wegen Verjährung eingestellt worden sind. Den angefochtenen Entscheidungen läßt sich nicht entnehmen, ob dem Schuldspruch des Amtsgerichts nur die von dem Beschwerdeführer in dem Verfahren gegen Scheer entfaltete Tätigkeit zugrundegelegt und die weiteren "Taten" lediglich zur Begründung eines "geschäftsmäßigen" Handelns berücksichtigt worden sind oder ob die Verurteilung einschließlich der Bemessung der Höhe des Bußgeldes wegen sämtlicher "Taten" in Zusammenfassung zu einer Sammelstraftat erfolgt ist. Die Frage kann aber dahinstehen. Denn auch wenn die weiteren Taten nur als Indiz für die "Geschäftsmäßigkeit" gedient haben sollten, würde der Schuldspruch darauf beruhen. Auch insoweit war für jeden Einzelfall eine besondere Güterabwägung geboten (vgl. Seifert/Hömig, Komm. zum GG, Art. 5 RN 21). Es muß davon ausgegangen werden, daß die Richter der angefochtenen Entscheidungen bei Wegfall auch nur einer der herangezogenen Handlungen das Verhalten des Beschwerdeführers insgesamt nicht mehr als "geschäftsmäßig" im Sinne des Art. 1 § 1 RBerG gewertet hätten.

Wegen der politischen Implikationen des Verfahrens gegen den Beschwerdeführer wird auf die Begründung der Verfassungsbeschwerde Bezug genommen. Auffällig ist, daß sämtliche dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Rechtsberatungen und Rechtsbesorgungen Konfliktstoffe mit politischem Bezug zum Gegenstand hatten bezüglich derer der Beschwerdeführer in Veröffentlichungen die herrschende Meinung kritisiert hatte. Die einzige dem angefochtenen Urteil vom 13.10.1999 zugrundegelegte bereits durchgeführte, nicht verjährte Handlung - die Verteidigung des Rainer Scheer - hatte sogar zwei Fragen von herausgehobener rechtspolitischer Bedeutung zum Gegenstand, nämlich die Verfassungsmäßigkeit des RBerG und die Zulässigkeit von Rechtsberatung unter im Konflikt mit der deutschen Militärpolitik stehenden Totalverweigerern.

IV. Ergänzungen zu den Grundrechten des Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit) und Art. 5 Abs. 1 (Grundrecht auf Meinungsfreiheit)
- zur Unverzichtbarkeit des Rechtsberatungsaustauschs in Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen

1. Der Aspekt der Bürgerinitiativen und der Selbsthilfegruppen
Bürgerinitiativen, Selbsthilfegruppen, ohne die Gemeinsinn und die vielbeschworene Bürgergesellschaft (vgl. z.B. Heuser/von Randow, DIE ZEIT Nr. 15 vom 6.4.2000, S. 1, 22) nicht gedeihen können, sind in ihren Aktivitäten und der gruppeninternen Kommunikation stark behindert, wenn sie sich auf die Erörterung abstrakter Rechtsfragen beschränken müssen, dagegen nicht auf Rechtsfragen im konkreten Fall eingehen und nicht ihre rechtlichen Erfahrungen in konkreten Fällen in gegenseitiger Beratung austauschen dürfen.

Es geht hier - um nur einige Beispiele zu nennen - um organisierte Nachbarschaftshilfe; um Selbsthilfegruppen von Patienten; von Bürgern gegründete Krankenpflegevereine; Selbsthilfenetze von Senioren; Projekte, die sich mit der Diskriminierung von Frauen in Gesellschaft und - teilweise noch immer - in der Rechtspraxis befassen; Bürgerprojekte, die (großenteils auch rechtliche) Hilfen für Kinder und Jugendliche anbieten möchten; Zusammenschlüsse von Behinderten (auch Sprach- und Gehörbehinderten!); Projekte zugunsten vergewaltigter Frauen und mißbrauchter Kinder; Frauenhaus-Vereine; Bürgerprojekte für Obdachlose; Tauschringe; die bereits erwähnten Flüchtlingshilfe-Vereinigungen.

In einer Zeit mit zunehmender Verrechtlichung aller Lebensbereiche schließt eine effektive Verwirklichung der Ziele solcher Projektgruppen notwendig die Beratung auch hinsichtlich der in dem betreffenden Bereich anfallenden Rechtsfragen ein. Dies gilt in erhöhtem Maße für karitativ tätige Initiativen (die im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung keineswegs immer als eingetragener Verein organisiert sein müssen). Humanitäre Hilfen und Hilfen durch Erteilung von Informationen, auch in der Form rechtlicher Informationen, sind mit Ausnahme etwa von Hobby-Vereinen (aber auch dort sind Rechtsfragen nicht irrelevant) eng miteinander verknüpft. Wollte man karitative Hilfen auf das Tragen von Einkaufstüten, kleinere handwerkliche Verrichtungen und dergleichen beschränken, würde die Untersagung unentgeltlicher Rechtsberatung auf ein Teilverbot sozialen Engagements hinauslaufen.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß es sich hier vielfach um Bereiche mit rechtlicher Unterversorgung handelt. Damit wendet das RBerG sich - entgegen dem angeblichen Schutzzweck - gegen Bürger, die es ohnehin schwer haben, rechtliche Fürsprache zu finden.

Nur reiner Standesegoismus wird bestreiten, daß es solche Bereiche gibt. Die Defizite liegen teils in finanziellen Zugangsbarrieren aufgrund von nicht immer unberechtigten ökonomischen Erwägungen der Anwälte - manche Streitwerte z.B. "rechnen sich nicht". Teils sind sie hinter dem Mangel einer über die reine Rechtstechnik hinausgehenden Kompetenz begründet, also z.B. hinsichtlich defizitären Einfühlungsvermögens in ungewohnte fremde Lebensbereiche und Konfliktlagen. Die schon erwähnten Fälle traumatisierter Folteropfer, aber etwa auch vergewaltigter Frauen und mißhandelter Kinder oder Suchtkranker mit Rechtskonflikten sind nur wenige Beispiele unter vielen. Hier sind für die - auch die Rechtsberatung einschließende - Arbeit noch andere Qualifikationen und Formen notwendig, deren die anwaltliche Arbeit noch immer zum großen Teil entbehrt (vgl. u.a. Reifner, JZ 1976, 510 r.Sp. - Bedauerlicherweise ist in den Diskussionen um eine Reform der Juristenausbildung von der Notwendigkeit solcher Qualifikationen nicht mehr die Rede).

In einer Zeit, in der in Politikerreden und auch in Juristenkreisen das Abnehmen von Mitmenschlichkeit und mangelnde Gemeinwohlorientierung in der Konkurrenz- und Konsumgesellschaft beklagt wird, würde das Verbot, die Mitmenschen an den eigenen persönlichen und beruflichen Fähigkeiten partizipieren zu lassen, jenen Entsolidarisierungstendenzen Vorschub leisten.

Es geht nicht an, auf der einen Seite die von der Anwaltschaft ins Feld geführten diffusen Schutzzwecke des RBerG - hinsichtlich derer die Behauptung von nachteiligen Auswirkungen der Freigabe der entgeltlichen, erst recht der unentgeltlichen Rechtsberatung im Dunklen verschwimmt - ohne weitere Hinterfragung zu verabsolutieren, andererseits aber die soeben genannten wichtigen anderen, durch das RBerG mit verfassungsrechtlicher Relevanz tangierten Gemeinwohlinteressen zu ignorieren.

2. Ergänzung zum Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1)
Auch in anderer Hinsicht erschöpfen sich die zu berücksichtigenden Gemeinwohlbelange nicht in der verkürzten Sicht der Befürworter des RBerG. Bei der formelhaften Definition der herkömmlichen Schutzzwecke des RBerG blendet die herrschende Meinung wichtige Funktionszusammenhänge aus.

Für eine "funktionsfähige Rechtspflege" und Verwaltung kommt es zwar zuvörderst auf die Richter, Staatsanwälte und Anwälte an. Ihnen kann im demokratischen Rechtsstaat die Fortentwicklung des Rechts aber nicht allein überlassen bleiben. Die Funktion des Rechts erschöpft sich nicht in der Gewährung des Rechts durch den Richter im Einzelfall. Vielmehr macht das Demokratieprinzip einen möglichst viele Bürger einbeziehenden Meinungsaustausch auch im Bereich des Rechts unabdingbar. Auch die Justiz ist auf derartige Anstöße angewiesen.

Was das BVerfG in dem Urteil vom 22.11.1951 (BVerfGE 7, 198 [208]) allgemein zu der für die demokratische Grundordnung schlechthin konstituierenden Funktion des Grundrechts auf Meinungsfreiheit gesagt hat - das den geistigen Kampf, die freie Auseinandersetzung der Ideen und Interessen gewährleistet - gilt insbesondere auch für die Auseinandersetzung um das Recht. Auch für das Funktionieren einer demokratischen Justiz und Verwaltung ist diese Auseinandersetzung lebensnotwendig (vgl. u.a. Kramer, Plädoyer für ein Forum zur juristischen Zeitgeschichte, Bremen 1998, S. 9, 10). Nur einer in unreflektierter Selbstzufriedenheit zurückgezogenen Justiz kann darin gelegen sein, sich gegenüber diesem alle Bürger einbeziehenden Rechtsfortbildungsprozeß abzuschotten und - auch am Beispiel der Behandlung konkreter Rechtsfälle - die Diskussion grundsätzlicher Rechtsfragen, auch über das Verfassungs- und Völkerrecht hinaus, auf die Mitglieder eines etablierten Rechtsstabes zu beschränken. Die Erörterung grundsätzlicher Rechtsfragen am Beispiel einzelner konkreter Rechtsfälle darf auch nicht den mehr oder weniger etablierten Medien, etwa den Ratgeber-Sendungen der Fernsehanstalten (vgl. das Privatgutachten von Ricker, NJW 1999, S. 449) vorbehalten bleiben. Das genannte Erich-Lüth-Urteil wie auch der Richard-Schmid-Beschluß (BVerfGE 12, 113) sind mit vielen anderen Urteilen des BVerfG selbst anschauliche Beispiele für eine Rechtsfortentwicklung, die ohne Anstöße durch aktives Bürgerengagement nicht zustande gekommen wären.

V. Zur Entstehungsgeschichte des Rechtsberatungsgesetzes und zur Geschichte seiner Anwendung in der Praxis
Der Zeitpunkt, zu dem das RBerG wegen seiner nationalsozialistischen Zielsetzung hätte für nichtig erklärt werden müssen, ist möglicherweise verpaßt. Jedenfalls wäre die Erwartung, ein Gericht würde das Gesetz 55 Jahre nach dem 8. Mai 1945 insgesamt für verfassungswidrig erklären, politisch wenig realistisch (allgemein zur Entnazifizierung des gesetzgeberischen Normenbestandes der Jahre 1933 bis 1945 vgl. Ingo Müller, Rechtsstaat und Strafverfahren, Frankfurt a.M. 1980, S. 91 ff; Ingo Müller, Furchtbare Juristen, München 1987, S. 228 ff; eine positivistische Wiedergabe der für die Überprüfung der Gesetze aus der NS-Zeit maßgeblichen Normen findet sich bei Matthias Etzel, Die Aufhebung von NS-Gesetzen durch den Alliierten Kontrollrat. Tübingen 1992. - Insbesondere zum RBerG vgl. Schneider, MDR 1976, S. 3; Reifner, JZ 1976, S. 510. Zweifel an der Anpassung des RBerG an die Grundrechte mit der Forderung nach einer Neuberatung des Gesetzes äußert auch Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze unter R 55, Vorbem. Nr. 4).

Andererseits machen es sich aber auch diejenigen zu leicht, die die politische Natur der am 13.12.1935 verabschiedeten Regelungen auf den völligen Ausschluß der Juden aus der Rechtsberatung beschränkt sehen möchten. Vielmehr sollte bei der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des RBerG die Entstehungsgeschichte nicht unberücksichtigt bleiben.

1. Zur Entstehungsgeschichte des RBerG (früher Rechtsberatungsmißbrauchgesetz)
a) Bis zur Verkündung des RBerG vom 13.12.1935 genügte dem Gesetzgeber die Vorschrift des § 35 Gewerbeordnung i.d.F. vom 1.7.1883, wonach die gewerbliche Beratung und Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten lediglich beim Nachweis von Tatsachen untersagt werden konnte, die die Unzuverlässigkeit des Handelnden belegten; erforderlich dazu waren nach der 1. AVO GewO z.B. gegen das Vermögen Dritter gerichtete Straftaten. Forderungen nach einer Änderung der Vorschrift lassen sich in der Literatur bis 1933 nicht nachweisen.

b) Diese liberale Regelung mit der Möglichkeit einer nachträglichen Untersagung beim Vorliegen konkreter Untersagungsvoraussetzungen wurde im Jahre 1935 durch ein abstraktes Verbot mit einem auf wenige Fallgestaltungen begrenzten Erlaubnisvorbehalt abgelöst. Das pauschale Rechtsberatungsverbot war als eines der maßgeblichen Ziele des NS-Gesetzgebers im Zuge der beabsichtigten "Gleichschaltung" aller juristischen Berufe auf alle aus rassischen oder politischen Gründen entlassenen Richter und Rechtsanwälte gerichtet. Das ergibt sich aus folgendem:

Nach der amtlichen Begründung sollte die Regelung die Volksgenossen vor den Gefahren schützen, die aus der Inanspruchnahme nicht sachkundiger oder unzuverlässiger Personen erwachsen. Außerdem sollte der Berufstand der Anwälte gegen den Wettbewerb anderer geschützt werden (vgl. u.a. Martin Jonas, Das Gesetz zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung, S. 4). Nach der von den Nationalsozialisten in allen Bereichen des politischen und gesellschaftlichen Lebens verfolgten Strategie - nämlich ihre Macht mit allen Mitteln durchzusetzen und zu stabilisieren - kann es indessen als ausgeschlossen gelten, daß die NS-Machthaber mit dem Gesetz nur "Mißbräuchen" durch die Betätigung fachlich unqualifizierter Rechtsberater begegnen wollten. Vorgebeugt werden sollte vielmehr auch jeder Rechtsberatung und -besorgung durch politisch unerwünschte Personen. Das Bestreben war überhaupt, eine freie, nicht in das Regime eingebundene unabhängige Verteidigung zu unterbinden.

Unerwünscht in diesem Sinne mußten dem Machthaber vor allem gerade neben ihrer fachlichen Eignung auch persönlich und moralisch besonders qualifizierte Bürger erscheinen, also neben den aus rassischen Gründen aus ihrem Beruf verdrängten Juristen diejenigen Juristen, die nicht nur durch die Ablegung der beiden Staatsexamina, sondern auch wegen ihrer mangelnden Anpassung an das Unrechtsregime zusätzlich durch rechtsstaatliche Standfestigkeit als zur Rechtsberatung und -besorgung besonders geeignete Juristen ausgewiesen waren.

Erste Maßnahmen zur Entfernung dieser demokratischen Juristen hatte die Reichsregierung bereits im April 1933 getroffen. Durch § 3 des Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7.4.1933 (RGBl. 1933 I, S. 188) und § 2 der Durchführungsverordnung (RGBl. 1933 I, S. 528) galt die Verteidigung oder Vertretung von Kommunisten immer "dann als Betätigung im kommunistischen Sinne (...), wenn dies nach den besonderen Verhältnissen, insbesondere der Häufigkeit derartiger Verteidigungen oder Vertretungen, der Art ihrer Führung oder den Umständen, unter denen die Verteidigung oder Vertretung übernommen wurde, gerechtfertigt ist." Überhaupt setzte sich ein Anwalt, der seine Aufgabe etwa als Verteidiger in politischen Prozessen ernst nahm, der Gefahr aus, selbst als Staatsfeind behandelt zu werden. Loyalität wurde zunächst gegenüber dem NS-Staat und erst in zweiter Linie gegenüber den Mandanten erwartet. So hieß es in den "Richtlinien für die Ausübung des Anwaltsberufs" der Reichsrechtsanwaltskammer (RRAK) vom 2.7.1934: "Der Anwalt des Rechts darf keine volks- und staatsfeindlichen Bestrebungen mittelbar oder unmittelbar fördern. Wird ein Anwalt in die Notwendigkeit versetzt, einen Schädling am Volk oder Staat zu vertreten, so muß er dabei jederzeit die Belange des deutschen Volkes beachten". Diesem Ziel, die Anwaltschaft auch auf die völkische NS-Gemeinschaftsideologie auszurichten und den anwaltlichen Einsatz zugunsten von "Staatsfeinden" einzugrenzen, entsprach auch die Praxis der anwaltlichen Ehrengerichtsbarkeit (vgl. Stefan König, Vom Dienst am Recht, Berlin 1987, u.a. S. 46 ff, 52 f, 55 ff, 60 ff).

Auf die aus ihren Berufen vertriebenen jüdischen und sonst politisch mißliebigen Juristen zielt auch das Buch des Präsidenten des II. Senats des Ehrengerichtshofs der Reichsanwaltskammer Professor Dr. Erwin Noack, übrigens in scharfer Polemik gegen die Auffassung des Referentenkommentars von Jonas, "Geschäftsmäßigkeit" erfordere eine gewisse Häufung von Fällen. In einer Besprechung des Buches von Noack heißt es dementsprechend: "Es sind übrigens nicht die ehrlichen Rechtsbeistände, die durch das (RBerG) betroffen werden, denn diese haben ja in der Rechtsfront ihren Platz gefunden, es sind vielmehr Volksschädlinge, die gerade eben diese ehrliche und korrekte Rechtsbeistandschaft aus seinen Reihen ausschaltet und verwirft, und diesen Leuten muß natürlich in weitestem Umfang das Handwerk gelegt werden" (Hercher, JW 1936, S. 500).

Für einen Gesetzgeber, der rechtliche Hilfestellungen für "Staatsfeinde", überhaupt jegliche politisch unerwünschte Rechtsbesorgung unterbinden wollte, reichte die entsprechende Disziplinierung bzw. Säuberung der Justiz und Anwaltschaft indessen nicht aus. Denn die aus ihren Berufen vertriebenen Juristen konnten sich ja - wenn auch mit gemindertem Status - noch gemäß § 35 Gewerbeordnung betätigen. Es war deshalb nur folgerichtig, daß die Machthaber das Betätigungsverbot des Art. 1 § 1 RBerG auf die staatlich nicht konzessionierten Volljuristen erstreckten und dies Verbot sogar auf die unentgeltliche Rechtsberatung ausdehnten. Insoweit bildete das RBerG vom 13.12.1935 den gesetzgeberischen Schlußstein der gegen die politisch mißliebigen Juristen bereits im Jahre 1933 eingeleiteten Maßnahmen.

Noch vor Erlaß des RBerG stellte Reichsamtsleiter Dr. Raeke, der Stellvertreter des "Reichsjuristenführers" Hans Frank, diese Stoßrichtung unmißverständlich heraus: Nach der Reinigung der Anwaltschaft von allen "echten Juden", aber auch von allen anderen "unwürdigen Elementen", könne die Novelle der Rechtsanwaltsordnung vom 20.12.1934 "nur als eine Abschlagszahlung gewertet werden". Dementsprechend seien weitere Gesetzesinitiativen zum Schutz des Volkes "gegen unzuverlässige Rechtsberatung" in Vorbereitung (JW 1935, S. 3449; vgl. auch hinsichtlich der jüdischen Anwälte Noack, JW 1938, S. 2797).

Dem Ausschluß aller nicht systemkonformen Volljuristen aus der, sei es auch lediglich unentgeltlichen, gefälligkeitshalber betriebenen Rechtsberatung, entsprach auf der anderen Seite, daß die Rechtsberatung und Rechtsbetreuung durch die NSDAP und ihre Untergliederungen und Verbände von jeglichen Beschränkungen des RBerG freigestellt wurden ( Art. 1 § 3 Ziff. 1 RBerG v. 13.12.1935).

Mit seinem rigorosen, in der Auslegung durch die Rechtsprechung noch verschärften Verbot nahezu jeglicher Rechtsberatung selbst durch qualifizierte Juristen - mit Ausnahme der konzessionierten Rechtsberatung -, ähnelt das RBerG dem Sammlungsgesetz vom 5.11.1934 (RGBl. 1934 I, S. 1086). In gleicher Systematik - nämlich mit der Ablösung der bislang geltenden Eingriffsmöglichkeit bei unredlichen Sammlungsaktionen durch eine Genehmigungspflicht - wollte der totalitäre Staat auch diesen Teil altruistischer Betätigung auf die NS-Gemeinschaftsideologie ausrichten und insbesondere Sammlungen für politisch unerwünschte Bestrebungen unter Strafe stellen. Mit Recht hat das BVerfG ein derartiges Gesetz für nichtig erklärt (BVerfGE 20, 150 [155 ff]).

c) An einer wenigstens ansatzweisen Auseinandersetzung mit dieser Vorgeschichte lassen es jene Entscheidungen fehlen, die in der Frühzeit der Bundesrepublik dem RBerG zur Weitergeltung mit der Erwägung verholfen haben, mit der Streichung der antisemitischen Ausführungsverordnung seien alle nationalsozialistischen Tendenzen des Gesetzes eliminiert worden. (u.a. OLG Hamm JMBl NW 1951, 116). Tatsächlich war mit der Beseitigung des die Juden besonders diskriminierenden § 5 der 1. AVO RBerG v. 13.12.1935 das Gesetz bzw. das Gesetzpaket vom 13.12.1935 mit der 1. AVO lediglich vom gröbsten nationalsozialistischen Gedankengut gereinigt worden.

Nach den Stimmen der vom OLG Hamm und den anderen Nachkriegsentscheidungen unter Hinweis auf den Kommentar von Martin Jonas immer wieder beschworenen "vielen Sachkundigen", bei denen die Unzulänglichkeit der durch das RBerG abgelösten gewerberechtlichen Regelung "seit langem außer Streit" gestanden haben soll, sucht man sowohl bei Jonas als auch in der Literatur zur Zeit der 65jährigen Geltung des § 35 GewO vergeblich. Hier haben Nachkriegsgerichte in wenig wissenschaftlicher Weise unreflektiert nationalsozialistische Zweckpropaganda übernommen.

Das Bundesverwaltungsgericht läßt es mit dem nicht näher belegten Hinweis auf die "in die Zeit vor der Machtübernahme" zurückreichenden "Vorarbeiten" bewenden (BVerwG 19, 339 [340]). Einen Bruch mit der liberalen Tradition im Bereich der Rechtsberatung verneint es mit der Erwägung, schon nach dem Gesetz betr. Abänderung der Gewerbeordnung vom 1. Juli 1883 (RGBl. S 159) habe die Möglichkeit bestanden, "unzuverlässigen 'Rechtskonsulenten' die Ausübung des Gewerbebetriebes zu untersagen"; die Nationalsozialisten hätten lediglich anstelle dieser früheren Regelung den Grundsatz des Verbots mit Erlaubsnisvorbehalt eingeführt. Mit diesem Argument hat das BVerwG den sechs Monate zuvor vom BVerfG herausgearbeiteten - über bloße Gesetzestechnik weit hinausgehenden - Unterschied zwischen einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und einer bloßen Versagungsmöglichkeit bei erwiesener Unzuverlässigkeit verkannt (vgl. BVerfGE 17, 306 [316]).

Die Entscheidung des BVerwG vom 29.10.1964 ist also als Unbedenklichkeitszeugnis für das RBerG wenig geeignet. Eher ist sie ein Beispiel für das mangelnde rechtsgeschichtliche Bewußtsein der Richtergeneration jener Jahre.

Unter diesen Umständen erübrigt sich fast, im Hinblick auf die Autorität solcher Entscheidungen danach zu fragen, welche Richter damals dem RBerG eine rechtsstaatliche Unbedenklichkeit attestiert haben. Mitgewirkt an dem Urteil des BVerwGE 19, 339 [340] haben ebenso wie an dem Lenhart-Urteil des BVerwG vom 6.2.1975 (BVerfGE 47, 330) die Richter Rudolf Weber-Lortsch und Dr. Edmund de Chapeaurouge (zur Vorgeschichte dieser Richter vgl. Kramer, in: FS Richard Schmid, Baden-Baden 1985, S. 113).

d) Auch den den Erlaß des RBerG begleitenden Erklärungen der NS-Machthaber läßt sich nichts entnehmen, was der Feststellung eines typisch nationalsozialistischen Gesetzes widerspricht. Soweit in der amtlichen Begründung harmlos erscheinende Schutzzwecke genannt werden, wissen wir nicht erst aus der wissenschaftlichen Forschung, daß die damaligen Machthaber ihre wirklichen Absichten in der Regel hinter einer unverfänglichen Rhetorik verborgen haben. Im übrigen gibt es genügend unmaskierte Verlautbarungen, in denen die NS-Funktionäre die Frage, ob der Erlaß eines derartigen Gesetzes in einem demokratischen Rechtsstaat denkbar sei, mit bemerkenswerter Klarheit beantwortet haben: "Die Regelung (des § 35 Gewerbeordnung) entsprach aber in ihrem Aufbau dem liberalen Grundsatz der Gewerbefreiheit, und damit war praktisch jeder Versuch der Änderung im parlamentarischen Zeitalter ein vergebliches Unterfangen. Erst der Umbruch hat hier ... den Weg zu einer neuen gesunden Entwicklung freigemacht" (Martin Jonas, Das Gesetz zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiet der Rechtsberatung. Berlin 1936, S. 4; ebenso Jonas, JW 1935, S 1817). Nicht minder aufschlußreich lobte Reichsamtsleiter Dr. Raeke das Gesetz als ein "Gesetzgebungswerk, das im marxistisch-liberalistischen Parteienstaat (gemeint war die Weimarer Republik - d.U.) eine völlige Unmöglichkeit gewesen wäre, das nur auf dem festen Boden nationalsozialistischer und berufständischer Weltanschauung entstehen konnte und in jahrelanger Arbeit vorbereitet wurde von dem Bund National-Sozialistischer Deutscher Juristen." (Raeke, JW 1936, S. 1 f).

An diesen Entstehungsbedingungen des Gesetzes vom 13.12.1935 geht die Rechtsprechung mit der simplen Feststellung vorbei, nach der Streichung der antisemitischen Vorschriften sei ein nationalsozialistischer Gehalt des Gesetzes nicht mehr vorhanden. Anscheinend völlig übersehen und deshalb unerörtert gelassen wurde dabei der Umstand, daß das Verbot sich auch gegen Volljuristen richtete und sogar unentgeltliche Rechtsberatung durch Volljuristen dem Verbot unterwarf.

e) Die Auffassung, daß in der parlamentarischen Demokratie die Verabschiedung eines derartigen Gesetzes unmöglich gewesen wäre, deckt sich damit, daß es in der Weimarer Republik zwar Forderungen aus nationalsozialistischen und rechtskonservativen Kreisen und aus der Anwaltschaft gegeben haben mag, es aber zu keinerlei aussichtsreichen parlamentarischen Initiativen gekommen ist. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 19, 339 [340]) suggeriert - ohne jeglichen Beleg -, die gesetzgeberischen "Vorarbeiten" reichten bis in die Zeit vor 1933 zurück. Das OLG Hamm verweist insoweit auf Jonas, Rechtsberatungsgesetz, S. 6. Tatsächlich sagt Jonas aber das Gegenteil. Auch so kann man den Kampf um die herrschende Meinung führen.

Der genannten politischen Zielsetzung des NS-Gesetzgebers widerspricht auch nicht, daß das Gesetz zugleich die überlaufene Anwaltschaft vor unerwünschter Konkurrenz schützen sollte. Zum einen bedurfte es zu einem solchen Schutz nicht des Verbots auch der unentgeltlichen Rechtsberatung, da von dieser ja keine ernsthafte Konkurrenz ausgehen kann. Zum anderen war der Ausbau des Anwaltsmonopols eng verknüpft mit dem Bestreben der Machthaber, durch Verbesserung des Stellenmarkts den Juristennachwuchs stärker in das Regime einzubinden, um auf diese Weise ihre Macht weiter zu stabilisieren. Bezeichnend für die Verknüpfung arbeitsmarktpolitischer und allgemeinpolitischer Erwägungen war, daß die zwischenzeitlichen Pläne einer Zwangspensionierung aller über 65 Jahre alten Anwälte bald zugunsten einer "stärkeren Ausschaltung der jüdischen Elemente aus der Anwaltschaft" aufgegeben wurden, als "einer wesentlich größeren Entlastung für die gesamte Anwaltschaft" (Raeke, JW 1935, S. 3449).

2. Zur Geschichte der Auslegung des Art. 1 § 1 Satz 1 RberG
Auch die vom Wortlaut her nicht gebotene weite Auslegung des Begriffs der Geschäftsmäßigkeit ist unter dem Nationalsozialismus begründet worden. Die rigorose Anwendung des RBerG hat sich nämlich erst während der Jahre 1936 bis 1939 herausgebildet.

Noch der Referentenkommentar des Ministerialrats im Reichsjustizministerium Martin Jonas forderte eine "gewisse tatsächliche Häufung der Betätigung" (Martin Jonas, Das Gesetz zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung. Berlin 1936, Nr. 3 zu Art. 1 § 1). Davon, daß bereits eine einzelne mit Wiederholungsabsicht begangene Handlung genüge, war noch nicht die Rede. Es war dem Kammergericht und dem Reichsgericht vorbehalten, diese Konkretisierung des Begriffs der Geschäftsmäßigkeit und das vorrangige Erfordernis objektiver Merkmale im Anschluß an radikale Forderungen von NS-Funktionären (vgl. Hercher, JW 1936, S. 500 mit Hinweis auf Noack) durch eine weitgehende Subjektivierung abzulösen und damit die bis heute herrschende exzessive Auslegung zu begründen: Die Geschäftsmäßigkeit sei "ihrem Wesen nach ein Merkmal des inneren Tatbestandes"; für den äußeren Tatbestand genüge eine einzige Handlung (RGSt 72, 313 [315] = JW 1938, 3226). Ohne eine inhaltliche Begründung für diese Ausweitung - das RG begnügt sich mit dem Hinweis auf eine frühere Entscheidung- zu geben, stellt das RG wie bereits das KG (JW 1938, 1920; ferner KG DJ 1939, 1669) sich ausdrücklich gegen die von Jonas geforderte tatsächliche Eingrenzung.

Auch hinsichtlich eines weiteren, in Art. 1 § 1 RBerG explizit genannten Tatbestandsmerkmals geht das RG über Jonas - den als zuständigen Referenten im RJM besten Gewährsmann - hinaus. Jonas hatte noch angenommen, die Rechtsbesorgungstätigkeit müsse mindestens nebenberuflich ausgeübt sein; die Betätigung müsse einen Umfang haben, der die Bezeichnung "nebenberuflich" rechtfertige. Seltene Betätigungen als Bevollmächtigter, Ratgeber usw. seien nicht verboten, selbst wenn dafür im Einzelfall ein Entgelt gewährt worden sein sollte. Es komme auf rein tatsächliche Häufungen an (Jonas, a.a.O., Nr. 3 zu Art. 1 § 1). Das RG ließ mit einer, später mit Recht als "abwegig" bezeichneten Begründung auch dieses Merkmal fallen (vgl. dazu König, Rechtsberatungsgesetz, Bonn 1993, S. 93 f).

Die unkritische Unbefangenheit, mit der die Nachkriegsrechtsprechung an die vom Wortlaut des NS-Gesetzes hier nicht gebotene exzessive Auslegung des nationalsozialistischen Reichsgerichts angeknüpft hat, läßt sich wohl nur aus dem eingeschränkten rechtsgeschichtlichen Horizont der Nachkriegsjustiz erklären.

Völlig unverändert ist die Praxis des RG nicht von allen bundesdeutschen Gerichten übernommen worden. Einige Gerichte haben die vom RG vorgenommene erweiternde Auslegung noch verschärft. Hatte das RG nämlich u.a. noch gefordert, der Handelnde müsse die Tätigkeit "zu einem dauernden oder wenigstens zu einem wiederkehrenden Bestandteile seiner Beschäftigung ... machen" (RGSt 72, 313 [315]), so ist von solchen Einschränkungen in den Nachkriegsentscheidungen (z.B. OLG Oldenburg, NJW 1992, S. 2438; anders allerdings etwa Schorn, Die Rechtsberatung, Darmstadt 1967, S. 108, 111) und in den gegen den Beschwerdeführer ergangenen Entscheidungen nicht mehr die Rede.

Indem die Rechtsprechung den gesetzlichen Tatbestand weitgehend auf die bloße innere Einstellung schrumpfen läßt und damit die Gesetzesübertretung einem Gesinnungsdelikt annähert, setzt sie sich sogar über die eine gewisse Zurückhaltung nahelegende AV des RJM vom 13.7.1940 (DJ 1940, 823, 825) hinweg, wonach der Begriff der Geschäftsmäßigkeit eine "über einen aus besonderem Grunde ausgeübten Gelegenheitsfall hinausgehende" Tätigkeit erfordere. Das unzweifelhafte Vorliegen solcher besonderer Gründe ist sowohl in dem Urteil etwa des OLG Oldenburg (NJW 1992, 2438) als auch in dem Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 13.10.1999 unbeachtet geblieben.

VI. Zur Regelung der Rechtsberatung außerhalb der Anwaltschaft im Ausland
Die Frage, ob das Verbot sogar der unentgeltlichen Rechtsberatung in die unter der Herrschaft des Grundgesetzes stehende rechtsstaatliche Rechtsordnung paßt und ob ohne ein solches Verbot die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege in einer Weise gefährdet ist, die schwerwiegende Grundrechtseingriffe rechtfertigt, läßt sich auch mit einem Ausblick auf das Ausland beantworten: eine vergleichbare Einschränkung der freien Rechtsbesorgung findet sich in keinem einzigen Land der Europäischen Union, auch nicht in der Schweiz und in den USA. In dem Gutachten für den 58. Deutschen Juristentag (Ulrich Everling, Welche gesetzlichen Regelungen empfehlen sich für das Recht der rechtsberatenden Berufe, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung in der Europäischen Gemeinschaft? Gutachten C zum 58. Deutschen Juristentag, München 1990, S. C68 ff). Everling (a.a.O., S. C 91) stellt Ulrich Everling fest, daß keiner der von ihm untersuchten Mitgliedsstaaten der EU die Rechtsberatung den Anwälten vorbehält. Nicht einmal die entgeltliche, kommerzielle Rechtsbesorgung ist in anderen Staaten vergleichbaren Beschränkungen wie in der Bundesrepublik unterworfen. In einigen Staaten gibt es überhaupt keine Zulassungsvoraussetzungen für die berufliche Rechtsberatung. Lediglich die Führung der Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" ist an die üblichen Voraussetzungen gebunden. In all diesen Staaten steht es also jedermann frei, auch ohne entsprechende berufliche Vorbildung und Examina juristisch zu beraten. Die Forderung nach einer Beschränkung oder gar einem Verbot der altruistischen Rechtsberatung wird in diesen Ländern nicht einmal diskutiert und würde wohl selbst in der (außerdeutschen) Anwaltschaft auf größtes Befremden stoßen.

Die in der Kommentarliteratur aufgestellten gegenteiligen Behauptungen treffen nicht zu. Insbesondere der Kommentar von Altenhoff/Busch/Chemnitz, RBerG (10. Aufl. 1993, Vorbem. RN 4) gibt über den Gesetzgebungsstand im Ausland eine verzerrte Darstellung. Für Österreich ist übersehen, daß das RBerG dort bereits am 1.5.1945 aufgehoben worden ist.

Auch die Große Anfrage der FDP (Bundestagsdrucksache 14/2564) geht, wenn auch in merkwürdiger Verklausulierung (die Große Anfrage spricht von einem "einzigartigen Verbraucherschutz") davon aus, daß das deutsche Anwaltsmonopol in der EU einzigartig und deshalb seitens der Mitgliedsstaaten der EU angreifbar ist.

Rechtsanwältin

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