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Urteil des BVerwG: Kein BAföG für Ladendiebe

Wenn ein Ausländer eine Straftat begeht, wird er häufig doppelt bestraft: Der üblichen strafrechtlichen Ahndung folgt oft die ausländerrechtliche Bestrafung (indem eine Ausweisung verfügt oder eine Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt wird). Den Richtern des 5. Senats am Bundesverwaltungsgericht war dies jedoch nicht genug. Sie haben sich offensichtlich gedacht "dreifach hält besser" und sich eine dritte Bestrafung für Ausländer ausgedacht - die sozialrechtliche.

Im konkreten Fall entschieden Deutschlands höchste Verwaltungsrichter: Ein geduldeter Ausländer, der seit über zehn Jahren in Deutschland lebt, hat keinen Anspruch auf BAföG, wenn er zu einer Geldstrafe von mehr als 50 Tagessätzen oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.  Warum? Gute Frage! Im Gesetz findet sich nämlich eine entsprechende Regelung nicht. Vielmehr sagt § 8 Abs. 2a BAföG:

"Geduldeten Ausländern (...), die ihren ständigen Wohnsitz im Inland haben, wird Ausbildungsförderung geleistet, wenn sie sich seit mindestens vier Jahren ununterbrochen rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten."

Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch in diesem recht kurzen und ziemlich eindeutigen Satz so einiges vor, hinter und zwischen den Zeilen gefunden. Und dabei festgestellt, dass der Gesetzgeber keineswegs das gewollt haben kann, was er in diesem Satz formuliert hat. Vielmehr seien von dieser Vorschrift "nach ihrer grammatikalischen Fassung Sachverhalte erfasst, die sie nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht erfassen soll."  Der Gesetzgeber habe nämlich nur geduldeten Personen BAföG gewähren wollen, „die durch Integration im Inland mit der deutschen Kultur vertraut sind“.

Eine solche positive Integrationsprognose könne aber grundsätzlich nicht angenommen werde , wenn strafrechtiche Verurteilungen über den Grenzen des § 18a Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erfolgt seien. Und dies heiße: Wer zu mehr als 50 Tagessätzen verurteilt worden ist, kann als Geduldeter keine Ausbildungsförderung nach § 8 Abs. 2a BAföG bekommen. Der Gesetzgeber hat das zwar nicht so geschrieben. Aber dennoch habe er es eigentlich so geplant und bloß vergessen. Und: "Liegt eine solche Lücke vor, ist sie durch Hinzufügung einer dem gesetzgeberischen Plan entsprechenden Einschränkung zu schließen. So verhält es sich hier."

Dass somit mal eben - quasi nebenbei - erstmalig das polizeiliche Führungszeugnis als Kriterium für die Gewährung einer Sozialleistung eingeführt wird, scheint die Richter_innen nicht weiter zu irritieren. Und dass es für einen solchen Paradigmenwechsel im Sozialrecht noch nicht einmal eines ausdrücklichen und deutlich formulierten Auftrags des Gesetzgebers bedürfen soll, ist offensichtlich auch kein Problem für das Bundesverwaltungsgericht.

Um es noch mal deutlich zu sagen: Im konkreten Fall ging es zwar um eine geduldete Person, die wegen schweren Raubes, Körperverletzung und Diebstahls mit Waffen zu mehreren Freiheitsstrafen verurteilt worden war. Aber das zitierte Urteil ist ein Grundsatzurteil, das einen Ausschluss von einem BAföG-Anspruch nach § 8 Abs. 2a für alle geduldeten Personen ausnahmslos festschreibt, die zu mehr als 50 Tagessätzen Geldstrafe wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt worden sind. 50 Tagessätze können zum Beispiel das Urteil sein, wenn jemand im Supermarkt die Preisetiketten ablöst und zu seinem Vorteil auf andere Waren klebt (http://www.rp-online.de/leben/ratgeber/verbraucher/40-alltagssuenden-und-welche-strafen-drohen-bid-1.565941).

Fazit: Der Gesetzgeber sollte dringend klarstellen, dass er im BAföG-Gesetz das, was er geschrieben hat, auch so meint. Und wo er schon mal dabei ist, sollte er gleich zwei Dinge mitregeln, die erschreckenderweise noch immer geltendes Recht sind:

1. Die Ausbildungsförderung sollte dringend von den zahlreichen absurden ausländerrechtlichen Ausschlüssen und Einschränkungen entrümpelt werden. Auch Personen mit Gestattung, mit Duldung  und mit verschiedenen Aufenthaltserlaubnissen müssen von Beginn des Aufenthalts an einen Anspruch auf Ausbildungsförderung bekommen. Das gleiche gilt für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen in den ersten fünf Jahren. Es ist einigermaßen schizophren, einerseits über Fachkräftemangel zu jammern und andererseits bei jungen und motivierten Menschen die Ausbildung durch Leistungsausschlüsse zu verhindern, nur weil sie das falsche Papier in der Hand halten.

2. Der Gesetzgeber sollte die Verwaltungsgerichtsbarkeit von der Zuständigkeit für die dort noch verbliebenen Angelegenheiten des Sozialrechts entlasten. Auch BAföG, Wohngeld und Jugendhilfe sollten den Sozialgerichten zugeordnet werden. Das Bundesverwaltungsgericht ist in der Beantwortung sozialer Fragen offenkundig überfordert.

Bundesverwaltungsgericht; Urteil vom 25.03.2014 (5 C 13.1)



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