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Tachelesrede zur Preisverleihung der Stiftung Solidarität

Tacheles Rede zur Verleihung des Regine - Hildebrand - Preises der Stiftung Solidarität in Bielefeld

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe anwesenden Gäste,

im Namen des Vereins Tacheles e.V. möchte ich mich ganz herzlich für die Verleihung des Regine - Hildebrand - Preises bedanken.

Zunächst möchte ich dazu ein bisschen aus der Geschichte des Vereins erzählen. Der Verein wurde kurz nach den rassistischen Brandanschlägen von Solingen und Mölln im Jahr 1992 gegründet. Unser Kernanliegen war damals – und ist es noch heute –, mit Hilfe eines emanzipatorischen Ansatzes, wie wir ihn von den sozialen Bewegungen her kennen, Ausgrenzung, Entwürdigung und zunehmender behördlicher Entrechtung zu begegnen, um damit Rassismus und andere Formen der Diskriminierung präventiv an den Wurzeln zu packen.

Ein weiteres Ziel war es, eine Interessensvertretung von Erwerbslosen und einkommensarmen Menschen zu etablieren, also eine Art »Gewerkschaft für Erwerbslose und Bezieher/innen von Sozialleistungen«.

Als drittes Ziel setzten wir uns, den praktischen Beweis anzutreten, dass man sich selbstorganisiert gegen die allmächtigen Behörden und Regierenden „da oben“ zur Wehr setzen kann und zur Wehr setzen muss, und zwar erfolgreich.

Wenn ich auf die letzten 18 Jahre intensive Arbeit zurückblicke, stelle ich fest, dass wir bei der Erreichung unserer Ziele in wichtigen Teiletappen Erfolge für uns verbuchen konnten. Ich stelle aber auch fest, dass im Laufe der Zeit immer neue Anforderungen und Herausforderungen auf uns zugekommen sind – doch dazu später.

Die Anerkennung, die der Verein Tacheles im Bereich der Erwerbslosenberatung und -interessenvertretung mit der Verleihung des Regine-Hildebrand-Preises erfährt, wird uns allerdings nicht von allen Seiten entgegengebracht. Vor allem Sozialverwaltung und Politik haben hier oft andere Positionen.

Das haben wir auf Landesebene deutlich vor Augen geführt bekommen, als die Regierung vom Nordrhein-Westfahlen im Herbst 2008 die Finanzierung von rund 150 Arbeitslosenberatungsstellen und -zentren gestrichen hat. Arbeitsminister Laumann begründete diesen Schritt damit, dass unnötige Parallelstrukturen zu den ARGEn abgeschafft werden sollten. Wäre er ehrlich gewesen, hätte er „aus dem Weg geschafft“ sagen müssen, denn vielerorts ist die Hilfe und Unterstützung, die Beratungsstellen leisten, den Arbeitslosengeld II-Behörden ein Dorn im Auge.

Auf kommunaler Ebene steht just im nächsten Monat der Vorschlag der Verwaltung auf Streichung der letzten öffentlichen Gelder an Tacheles - in Höhe von sage und schreibe 5.200 EUR jährlich - auf der Tagesordnung des Rates der Stadt Wuppertal.

Als Begründung werden Sparzwänge angeführt. Doch spart man, indem man Einrichtungen die finanzielle Grundlage entzieht, und damit ehrenamtliches Engagement verhindert und wertvolle soziale Infrastruktur zerschlägt? Viele Organisationen, die vergleichbare Aufgaben leisten, erhalten im Jahr Fördermittel in sechsstelliger Höhe.

Tacheles e.V. bietet seit über 18 Jahren eine niederschwellige und umfassende Sozialberatung für alle Ratsuchenden aus Wuppertal und dem Umland an. Woche für Woche werden ca. 50 Ratsuchende in persönlichen Gesprächen durch den Verein beraten und bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützt. In vielen Fällen handelt es sich um Existenz bedrohende Problemlagen im Zusammenhanghang mit dem Bezug von Sozialleistungen. Der Verein bietet zudem einmal pro Woche eine Telefonberatung an, die in den dreistündigen Telefonzeiten pausenlos belegt ist.

Weiterhin steht ein breites Informationsangebot für Ratsuchende und Rechtsanwender online zur Verfügung. Das gesamte Internetangebot von Tacheles wird von ca. 7 Mio. Besuchern im Monat besucht. Daneben führt der Verein eine wöchentliche Tafelausgabe mit etwa 120 regelmäßigen Besuchern durch. Der Verein Tacheles ist mit einer Vielzahl von Organisationen auf kommunaler, landes- und bundespolitischer Ebene vernetzt und steht in einem intensiven fachbezogenen Austausch und Wissenstransfer.

Dieses gesamte Aufgabenspektrum wird vom Verein seit Jahren überwiegend ehrenamtlich ausgeführt. Die Sozialberatung ist beispielsweise so organisiert, dass der Großteil der Berater/innen diese qualifizierte Tätigkeit ehrenamtlich neben Beruf und Broterwerb durchführt. Auf solche Arbeit, die überregional einen erheblichen Zuspruch und Akzeptanz erfährt, legt das "offizielle Wuppertal" – wie man an der Kürzung sieht – aber offensichtlich keinen großen Wert. Kritische Stimmen über den mangelhaften Zustand der Sozialverwaltung sowie Erwerbslose, die sich erfolgreich vor Gericht gegen die ARGE durchsetzen sind dort nicht besonders gefragt. Noch vorletzte Woche wurde eine Protestaktion von Tacheles und anderen Gruppen gegen die Arbeitsbedingungen bei Ein-Euro-Jobs vom Wuppertaler Oberbürgermeister öffentlich als eine Aktion von „Kleingeistern“ diffamiert.

Doch die Hoffnung, eines Teiles des "offiziellen Wuppertales“ uns mit Mittelstreichung mundtot machen zu können, ist unbegründet. Soviel kann ich schon verraten: Wir werden unsere Beratungstätigkeit, unsere konsequente Interessensvertretung weiter fortsetzen können und beabsichtigen auch in Zukunft kein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Nun noch ein paar Takte zur politischen Gegenwart:
Nach der Einführung der Hartz-Gesetze und deren ständiger „Fortentwicklung“ seit 2005 steht die Bundesrepublik erneut vor weiteren gravierenden Kürzungen im Sozialbereich. Die Bundesregierung bezeichnet diese als ausgewogen und führte sie mit den markigen Worten „Die Grundpfeiler unserer Zukunft stärken“ ein.

• Die Zukunft von über 5 Mio. erwerbsfähigen Hartz IV-Beziehern, für die künftig keine Rentenbeiträge mehr gezahlt werden sollen, kann sie damit nicht meinen. Sie verlieren neben Ansprüchen auf Altersrente auch die Absicherung im Falle der Erwerbsunfähigkeit oder Möglichkeiten einer medizinischen Rehabilitation.

• Die Bundesregierung will zum Zwecke des Kürzens alle Eingliederungsleistungen künftig unter den Vorbehalt des Ermessens der Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit stellen. Das würde bedeuten, sich bei Hartz IV endgültig vom „Fördern“ zu verabschieden und sich aufs „Fordern“ zu beschränken.

• Die beabsichtigte Streichung des Elterngeldes für frischgebackene Eltern im Hartz IV-Bezug ist reiner Klassenkampf von oben. Damit bringt die Regierungskoalition zum Ausdruck, dass sie keinen Wert auf „Hartz IV-Kinder“ legt. Die Einbußen für junge Familien betragen zusammengerechnet 3.600 EUR!

• Der beabsichtigte Wegfall des ALG II-Zuschlages, der den sarkastischen Beinamen „Armutsgewöhnungszuschlag“ trägt, wird den Druck auf Beschäftigte und Arbeitslosengeld I-Beziehende noch erhöhen. Denn wer nach einem Jahr in der Versicherungsleistung Arbeitslosengeld I ungebremst auf Hartz IV-Niveau absacken muss, wird vielmals bereitwillig Lohnkürzungen und schlechtere Arbeitsbedingungen hinnehmen, nur um den Sturz in die Armut zu verhindern. Dies ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich Hartz IV auch auf die Beschäftigten auswirkt.

• Auch die Streichung des Ende 2008 eingeführten Zuschusses für Heizkosten beim Wohngeld trifft Menschen, die mit ihrem Einkommen nur knapp über der Hartz IV Grenze liegen. Viele von bekommen nun Wohngeld gekürzt oder gestrichen und werden nun wieder Hartz IV – Leistungen beantragen müssen. Die hohen Kosten für Heizenergie – damals Begründung für den Zuschuss – sind geblieben, aber der Zuschuss entfällt.

Dieses so genannte „Sparpaket“ ausgewogen zu nennen, ist blanker Zynismus. Aber es ist wohl noch nicht das Ende der Fahnenstange. Die Bundesregierung plant alsbald die Bemessung der Unterkunftskosten für Hartz IV-Bezieher/innen pauschalieren zu wollen. Auch hinter dem Begriff „Pauschalierung“ steckt für Berlin enormes Potential zum Kürzen – dieses Mal bei Mieten und Heizkosten. Und wieder trifft es Erwerbslose, Alleinerziehende und Niedriglöhner die in diesem Land keine mächtige Lobby haben. Im Gegensatz zu Banken und Konzernen, Hoteliers und Besserverdienenden.

Die Alternative? – Belastung der Reichen! Aber der Spitzesteuersatz wird nicht angehoben. Genauso wenig werden die Banken als Mitverursacher der Krise zur Kasse gebeten. Die Folgen der Krise müssen diejenigen zahlen, die sie nicht verursacht haben oder sogar selbst Opfer der Wirtschafts- und Finanzkrise wurden.

Eine DIW-Studie von letzter Woche belegt, dass in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland sowohl Armut als auch Reichtum stark zugenommen haben. In keinem anderen Land Europas bewegt sich die Einkommens- und Vermögensschere so schnell auseinander wie in Deutschland. Bezieher mittlerer Einkommen dagegen nehmen nirgendwo so stark ab. Dieser Umverteilung muss entgegen gewirkt werden. Die Konsequenz, die wir daraus ziehen: Wer Armut bekämpfen will, muss vor allem hohe Einkommen und Vermögen stärker belasten!

Wenn aber dieser als „Sparpaket“ getarnte soziale Kahlschlag widerstandslos durchkommt, wird es für eine Regierung ein Leichtes sein, auch das nächste und übernächste „Sparpaket“ durchzuwinken.

Hier ist breiter gesellschaftlicher Widerstand gegen Sozialraub und gegen den neoliberalen Umbau dringend von Nöten!

Das Motto in diesem Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung darf nicht heißen „Mit Mut gegen Armut und soziale Ausgrenzung!", sondern „Mit WUT gegen Armut und soziale Ausgrenzung!“ Und zwar gemeinsam.

Aus dieser Notwendigkeit heraus sehe ich den Regine-Hildebrand-Preises als Anerkennung, Aufforderung und Ansporn zugleich, um gemeinsam mit meinen Kollegen/innen die Ziele des Vereins Tacheles weiter zu verfolgen. Wir werden das Preisgeld zur Stärkung der Rechtsposition von Sozialleistung beziehenden Menschen nutzen und zum Aufbau eines solidarischen und sozialen Widerstandes.

In diesem Sinne bedanke ich mich im Namen des Vereins Tacheles und meiner Kolleg/innen.

Harald Thomé / Vorsitzender Tacheles e.V.

am 18.06.2010

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