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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 52/2024
1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sozialhilfe ( SGB XII ), zur Grundsicherung ( SGB II ) und zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )
1.1 BSG, Urt. v. 17.12.2024 - B 7 AS 9/23 R -
BSG: Einkommensteuernachzahlung nicht absetzbar vom Einkommen – kein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II
Steuernachzahlungen können vom ALG II - Empfängern nicht als Mehrbedarf geltend gemacht werden.
Sie ist auch nicht vom Einkommen abzusetzen.
Weil bei dieser Forderung handelt es sich insoweit nicht um eine auf das Einkommen zu entrichtende Steuer im Sinne des § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 SGB II.
Steuernachzahlungen sind auch nicht unter die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II zu fassen. Denn diese Vorschrift umfasst nur die von Nummer 1 nicht umfassten Steuern, wie die Umsatzsteuer.
Eine Jahressonderzahlung stellt anrechenbares Einkommen dar, welches als einmalige Einnahme auf 6 Monate zu verteilen war.
Hinweis BSG:
Kumulative Berücksichtigung von bei dem Zusammentreffen von laufendem und einmaligen Einkommen zulässig
Das Bundessozialgericht stellt klar, dass bei der Jahressonderzahlung ein Erwerbstätigenfreibetrag in Höhe von 200 Euro nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 6 in Verbindung mit Absatz 3 SGB II in Abzug zu bringen war.
Dass eine derartige kumulative Berücksichtigung bei dem Zusammentreffen von laufendem und einmaligen Einkommen zulässig ist, hat der Senat bereits bestätigt (BSG vom 18. Mai 2022 - B 7/14 AS 9/21 R - ).
Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2024/2024_12_17_B_07_AS_09_23_R.html
1.2 BSG, Urteil v. 17.12.2024 - B 7 AS 17/23 R -
BSG: Neuer Freibetrag für die Altersvorsorge im SGB XII gilt nicht beim Bürgergeld – Betriebsrenten sind Einkommen im SGB II – Pandemie Test können einen Härtefallmehrbedarf begründen
Eine Betriebsrente ist anrechenbares Einkommen im SGB II.
Von den Einnahmen sind vor deren Berücksichtigung bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II die in § 11b SGB II normierten Absetzungen vorzunehmen
Eine § 82 Absatz 4 SGB XII vergleichbare Regelung, wonach Beziehern von Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII der Abzug weiterer Beträge von ihrer Betriebsrente ermöglicht wird, sieht das SGB II nicht vor.
Eine entsprechende Anwendung des § 82 Absatz 4 SGB XII scheidet nach der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck der Privilegierung im SGB XII aus.
Weil der Gesetzgeber dabei typischerweise die Zeit nach der Beendigung des Erwerbslebens erfassen wollte, handelt es sich bei Menschen in dieser Lebensphase nicht um den nach dem SGB II leistungsberechtigten Personenkreis.
Weiterhin merkt das Bundessozialgericht an:
§ 21 Absatz 6 SGB II ist auch auf im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie stehende Bedarfe anwendbar.
Tests sind auch dem Grunde nach mehrbedarfsfähig, weil sie ihrer Höhe oder Art nach im Regelbedarf nicht enthalten sind. Dem steht die Regelung zur Einmalzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie nach § 70 SGB II in Höhe von 150 Euro nicht entgegen.
Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2024/2024_12_17_B_07_AS_17_23_R.html
1.3 BSG, Urt. v. 18.12.2024 - B 8 SO 8/23 R -
Können Beiträge zu einer Sterbegeldversicherung auch dann als angemessene Beiträge zu einer privaten Versicherung vom Einkommen abzusetzen sein, wenn die Versicherungsleistung eine Erbrechtsberatung enthält?
BSG: Sterbegeldversicherung, die eine Erbrechtsberatung beinhaltet auch absetzbar vom Renteneinkommen
Eine Sterbegeldversicherung, die zusätzlich eine Erbrechtsberatung beinhaltet, dient zwar nicht dem Gesetzeszweck, führt aber auch bei im Leistungsbezug abgeschlossenen Versicherungen nicht per se zu deren Unangemessenheit.
Sondern ist - soweit sie nicht isoliert ausweisbar ist - hinzunehmen, solange die monatliche Beitragshöhe insgesamt im Vergleich zu anderen am Markt angebotenen Versicherungen nicht in einem auffälligen Missverhältnis steht. Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich.
Mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze lag allerdings ein ausreichender, in der Person des Leistungsempfängers liegender individueller Grund für den Abschluss der Versicherung vor. Die Höhe der Versicherungssumme mit 5 000 Euro war ebenso angemessen, wie die monatliche Beitragshöhe.
Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2024/2024_12_18_B_08_SO_08_23_R.html
1.4 BSG, Urt. v. 17.12.2024 - B 11 AL 10/23 R -
Arbeitslosenversicherung - Arbeitslosengeldanspruch - Anwartschaftszeit - Strafgefangener Versicherungspflichtverhältnis - arbeitsfreie Tage
BSG: Bundessozialgericht stärkt Arbeitslosengeld-Anspruch für Gefangene - Gefangenenarbeit auch an arbeitsfreien Tagen versichert
Arbeitslosengeld: Arbeitsfreie Tage in Haft zählen zur Anwartschaftszeit
Gefangene können während der Haft durch Tätigkeiten gegen Entgelt Anwartschaftszeiten für den Bezug von Arbeitslosengeld erwerben. Dabei sind auch arbeitsfreie Brückentage, Krankheitstage oder weitere Tage ohne Arbeitsentgelt einzubeziehen.
Quelle: https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/2024_36.html
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )
2.1 LSG NRW, Beschluss v. 05.12.2024 - L 12 AS 1047/24 B ER – www.justiz.nrw.de
Kein Bürgergeld für Alleingesellschafter und Geschäftsführer der GmbH bei zumutbarer Selbsthilfe
1. Der nicht ausgeschüttete Gewinn einer GmbH kann dem Alleingesellschafter und Geschäftsführer nicht gem § 11 SGB II als Einkommen zugerechnet werden, wenn das Stammkapital nicht gesichert ist ( so auch LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 23.05.2023 – L 2 AS 128/23 B ER -).
2. Ein Alleingesellschafter und Geschäftsführer ist aber nicht hilfebedürftig im Sinne des Bürgergeldes, wenn er die Möglichkeit hat, sich ein Geschäftsführergehalt auszuzahlen und damit seine Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II vermieden wird.
3. Hat der Geschäftsführer der GmbH mit der GmbH, deren alleiniger Gesellschafter er ist, einen Vertrag geschlossen, in welcher er auf die Auszahlung seines Geschäftsführergehalts verzichtet, und statt mit dem Gewinn seiner GmbH seinen Lebensunterhalt sicherzustellen, und nutzt er diesen, um das Vermögen eines Dritten (seiner GmbH) durch Einzahlung des Stammkapitals zu mehren, ist der Vertrag sittenwidrig und nichtig nach § 138 Abs. 1 BGB.
4. Die vom BSG entwickelten Grundsätze zu den - bereiten Mitteln - stehen dem nicht entgegen, denn der Antragsteller ist nur auf sich selbst – wenn auch im Gewandt seiner Alleingesellschafterstellung in der GmbH – angewiesen, um eine Gehaltszahlung zu veranlassen.
Damit besteht eine unmittelbare und direkte Möglichkeit, den Bedarf selbst zu decken (vgl. BSG Urteil vom 23.03.2021 – B 8 SO 2/20 R –; BSG Urteil vom 27.09.2011 – B 4 AS 202/10 R – ).
Das Subsidiaritätprinzip staatlicher Fürsorgeleistugen schließt einen Leistungsanspruch aus, wenn die Nutzung tatsächlich bestehender Möglichkeiten zur kurzfristigen Selbsthilfe unterbleiben.
2.2 Sächsisches LSG, Urt. v. 09.12.2024 - L 7 AS 150/20 – www.sozialgerichtsbarkeit.de
Leitsätze
Für einen Einpersonenhaushalt im Vergleichsraum Stadt Freital (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) liegt für den Zeitraum von Juli 2013 bis Oktober 2014 unter Berücksichtigung eines Weiterentwicklungsberichts ein schlüssiges Konzept ("Konzept von Januar 2013 in der Fassung der Überarbeitung von 2019") vor.
Bemerkung
Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Einpersonenhaushalt im Vergleichsraum Stadt Freital (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) in Sachsen - Angemessenheitsprüfung - schlüssiges Konzept des Grundsicherungsträgers - Zeitraum von Juli 2013 bis Oktober 2014 - Datenerhebung und -auswertung - Vergleichsraumbildung - Repräsentativität und Validität – Heizkosten
2.3 Sächsisches LSG. Urt. v. 09.12.2024 - L 7 AS 358/24 – www.sozialgerichtsbarkeit.de
Leitsätze
Für einen Einpersonenhaushalt im Vergleichsraum Stadt Freital (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) liegt für den Zeitraum von Juli 2013 bis Oktober 2014 sowie für den Fortschreibungszeitraum von November 2014 bis Oktober 2016 unter Berücksichtigung eines Weiterentwicklungsberichts ein schlüssiges Konzept ("Konzept von Januar 2013 in der Fassung der Überarbeitung von 2019" sowie "Indexfortschreibung von Juni 2014 in der Fassung der Überarbeitung von 2019") vor.
Bemerkung
Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Einpersonenhaushalt im Vergleichsraum Stadt Freital (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) in Sachsen - Angemessenheitsprüfung - schlüssiges Konzept des Grundsicherungsträgers - Zeitraum von Juli 2013 bis Oktober 2014 sowie Fortschreibungszeitraum von November 2014 bis Oktober 2016 - Datenerhebung und -auswertung - Vergleichsraumbildung - Repräsentativität und Validität - Heizkosten
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld
3.1 SG Karlsruhe, Gerichtsbescheid v. - S 12 AS 442/24 – www.landesrecht-bw.de
Zur Klagefrist bei unterbliebener Zustellung des Widerspruchsbescheides
SGB II: Ein Bürgergeldempfänger hat gegen das JobCenter keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf für Ernährung, wenn die nicht fristgemäß erhobene Klage unzulässig ist und damit abzuweisen war
Denn der Rechtswirksamkeit der Bekanntgabe eines Widerspruchsbescheides steht nicht entgegen, dass das JobCenter gesetzliche Voraussetzungen nach dem Verwaltungszustellungsgesetz nicht erfüllt.
Es genügt, wenn die Bekanntgabe im Wege einer Eröffnung durch die Übermittlung in ein elektronisches Anwaltspostfach erfolgt.
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )
4.1 SG München, Gerichtsbescheid v. 20.11.2024 - S 46 SO 282/24 – www.sozialgerichtsbarkeit.de
Sozialhilfe: Erklärt die Antragstellerin schriftlich einen Verzicht auf Leistungen der Eingliederungshilfe, besteht kein Anlass Leistungen und Ansprüche der Eingliederungshilfe zu überprüfen.
Zur Aufhebung des Ablehnungsbescheids für ein Rollstuhlzuggerät und Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde, wenn vor und nach der Weiterleitung des Leistungsantrags nach § 14 SGB IX keine Mitwirkung der Antragstellerin und keine Sachverhaltsermittlungen von Seiten der Behörden erfolgen.
Leitsätze
Zur Aufhebung des Ablehnungsbescheids für ein Rollstuhlzuggerät und Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde, wenn vor und nach der Weiterleitung des Leistungsantrags nach § 14 SGB IX keine Mitwirkung der Antragstellerin und keine Sachverhaltsermittlungen von Seiten der Behörden erfolgen.
5. Verschiedenes zum Bürgergeld, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Kinderzuschlag, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern
5.1 Newsletter von RA Volker Gerloff - 13- 2024
weiter: https://www.ra-gerloff.de/newsletter/Newsletter-13-2024.pdf
5.2 Pressemitteilung des Sächsischen LSG vom 17.12.2024 zu LSG Sachsen, Beschluss v. 13.11.2024 - L 7 AS 379/24 B ER -
Kein Härtefall / keine besondere Härte i.S.d. § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 letzter Teilsatz, Nr. 7 SGB II bei alleiniger geringfügiger Überschreitung der nunmehr gesetzlich geregelten Wohnflächengrenze
Wegen 7 Quadratmeter zu großem Haus kein Bürgergeldanspruch ( Verein Tacheles e. V. )
Der 7. Senat des Sächsischen Landessozialgerichts hat im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes (L 7 AS 379/24 B ER) mit Beschluss vom 13. November 2024 entschieden, dass ein selbstgenutztes Hausgrundstück nicht bereits deshalb nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB II von der Berücksichtigung als verwertbares Vermögen ausgenommen ist, weil es die maßgebliche Wohnfläche von bis zu 140 m² nur geringfügig überschreitet.
Hinweis: Erstveröffentlichung Tacheles Rechtsprechungsticker KW 49/2024
Bürgergeld: Alleinbewohner eines 147qm großen Hauses hat keinen Anspruch auf zuschussweises Bürgergeld oder Mit zu großem Haus kein Bürgergeld-Anspruch
Quelle: https://www.gegen-hartz.de/urteile/mit-zu-grossem-haus-kein-buergergeld-anspruch
1. Denn eine allgemeine Erhöhung der Wohnfläche, bis zu der ein selbst genutztes Hausgrundstück nicht als Vermögen zu berücksichtigen ist, um 10 v.H. scheidet nach der gesetzlichen Normierung der Grenzwerte und einer Härtefallregelung zur Anerkennung einer höheren Wohnfläche aus.
2. Keine besondere Härte bei Verwertung des Hausgrundstücks bedeutet allein die geringfügige Überschreitung der Wohnflächengrenze, auch wenn es nur 7 Quadratmeter sind.
3. Die Bewilligung von PKH war abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot (zum verfassungsrechtlich gebotenen Maßstab für die Beurteilung der Erfolgsaussicht vgl. z.B. BVerfG v. 30.05.2022 - 1 BvR 1012/20 -.
6. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
6.1 SG Stuttgart – Beschluss vom 21.10.2024 – Az.: S 9 AY 3626/24 ER
Normen: § 3 AsylbLG, § 3a AsylbLG, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, – Schlagworte: Regelbedarfsstufe 1, Regelbedarfsstufe 2, Leistung nach §3 AsylbLG, Leistung nach §3a AsylbLG
Gewährung von Grundleistungen gemäß §§ 3 und 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 ( Orientierungshilfe Detlef Brock )
weiter bei RA sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2024/12/16/sozialgericht-stuttgart-beschluss-vom-21-10-2024-az-s-9-ay-3626-24-er/
6.2 SG Hildesheim, Urteil vom 01.10.2024 – S 27 AY 48/22 -
Sozialhilfe: Leistungsempfängern von Transferleistungen ist ein Umzug wegen 11,20 € unzumutbar
Pakistanische Familie muss wegen 11,20 € nicht umziehen, denn unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit des Umzuges, ist ein solcher der Familie nicht zumutbar gewesen
Die monatliche Differenz zu den grundsätzlich angemessenen Kosten hat 11,20 € betragen.
Nicht - Leistungsbezieher von Bürgergeld/ Sozialhilfe verzichten bei so einem Betrag auf den Umzug
Personen, die gerade so nicht leistungsberechtigt nach dem SGB XII oder SGB II wären, würden zur Senkung eines solchen Betrages nach allgemeiner Lebenserfahrung auf einen Umzug verzichten, weil die bei einem Umzug zu erwartenden Mehrkosten diesen Betrag um ein Vielfaches übersteigen und damit einen Umzug nicht lohnenswert machen.
Dies ist auch bei Leistungsempfängern von Transferleistungen zu berücksichtigen, zumal die Mehrkosten ebenfalls vom Steuerzahler zu tragen wären.
Praxistipp: LSG Niedersachsen- Bremen, Urt. v. 27. November 2014 - L 8 SO 112/11 -
Es bedarf stets der Prüfung aller Umstände des Einzelfalles, ob auch bei einem Überschreiten der Angemessenheitsgrenze die Übernahme der tatsächlichen Kosten im Ausnahmefall gerechtfertigt ist (etwa wegen subjektiver Unzumutbarkeit des Wohnungswechsels aufgrund gesundheitlicher Gründe oder wegen offensichtlicher Unwirtschaftlichkeit).
Quelle: RA Sven Adam, Göttingen: https://anwaltskanzlei-adam.de/category/news-und-gerichtsentscheidungen/
6.3 LSG NRW, Beschluss v. 08.11.2024 - L 20 AY 16/24 B ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de
228 € könnten unmöglich die essenziellsten Bedarfe decken – so die Antragstellerin
LSG NRW: Weniger Geld für Asylbewerber bei mangelnder Mitwirkung
Die finanzielle Unterstützung für Asylbewerber kann eingeschränkt werden, wenn die Leistungsempfänger bei der Beschaffung von Reisedokumenten nicht ausreichend mitwirken.
Die Frau ist „vollziehbar ausreisepflichtig“, kann aber nicht abgeschoben werden, weil sie nicht im Besitz von Reisedokumenten ist. Die Asylbewerberin verfügt über eine Duldung und bezieht Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Aufgrund mangelhafter Mitwirkung bei der Passbeschaffung beschränkte die zuständige Behörde die finanzielle Unterstützung für die Frau, die in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt, auf Leistungen für Ernährung, Unterkunft und Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege. 228 Euro pro Monat standen der Frau damit zur Verfügung.
Das Landessozialgericht gab der erstinstanzlichen Entscheidung grundsätzlich recht und wies die Beschwerde zurück.
Die Essener Richter verpflichteten die Behörde jedoch dazu, der Frau über die bewilligten 228 Euro hinaus weitere 15 Euro zu zahlen.
Denn laut dem Landsozialgericht dürfen Leistungsberechtigte nur noch eingeschränkte Leistungen erhalten, wenn sie aufgrund „von ihnen selbst zu vertretenden Gründen“ eine Abschiebung verhinderten - etwa, indem sie nicht bei der Beschaffung von Reisedokumenten mitwirkten, mit denen eine Abschiebung umgesetzt werden könnte.
Anmerkung Gericht:
228 € könnten unmöglich die essenziellsten Bedarfe decken
Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hält es der Senat stattdessen für angebracht, sich an Bedarfseinzelbeträgen zu orientieren, die von Schwabe in der Zeitschrift für das Fürsorgewesen (ZfF 2024, 29 ff.) im Detail dargelegt sind.
Denn die Berechnungen Schwabes, die dieser seit dem Jahre 2007 (nach Einführung der Grundsicherungsleistungen im SGB II und SGB XII im Jahre 2005) zu den grundsicherungsrechtlichen Leistungsregimen (seit 2013 einschließlich des AsylbLG) regelmäßig in der genannten Zeitschrift zur Verfügung stellt, werden in der Verwaltungspraxis und Rechtsprechung breit herangezogen und sind – soweit ersichtlich – weitgehend unangefochten.
Danach ergeben sich für nach § 1a AsylbLG eingeschränkte Leistungen für das Jahr 2024 folgende zu berücksichtigende Bedarfsbeträge:
196,10 € für Ernährung (Abt. 1 zu § 5 Abs. 1 RBEG), 34,20 € für Körperpflege (aus Abt. 12), 13,01 € für Gesundheitspflege (Abt. 6), in der Summe also 243,31 €. In Anwendung von § 3a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG ergibt dies einen gerundeten, zu berücksichtigen Bedarf von monatlich 243 €. Dies führt zu einem einstweiligen monatlichen Mehrleistungsanspruch der Antragstellerin seit September 2024 in Höhe von (243 ./. 228 =) 15 €.
Hiermit bedanke ich mich bei allen Lesern für Ihre Treue und Aufmerksamkeit. 2024 war ein schwieriges Jahr und 2025 wird nicht besser.
Ich wünsche auch im Namen von Tacheles e. V. allen Menschen ein schönes und besinnliches Weihnachtsfest!
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock