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Jahresarchiv

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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 49/2021

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem ( SGB II )

1.1 BSG, Urteil v. 21.07.2021 - B 14 AS 29/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung und -berechnung - Einnahmen aus selbständiger nebenberuflicher Tätigkeit als Übungsleiter - Absetzung des erhöhten Grundfreibetrages

Leitsatz
( www.evangelisch.de )

1. Arbeitslose Hartz-IV-Bezieher mit Nebeneinkünften aus einer gemeinnützigen Tätigkeit können vom Jobcenter einen Freibetrag von 250 Euro monatlich geltend machen. Dies kann selbst dann gelten, wenn der Arbeitslosengeld-II-Empfänger als Übungsleiter für einen Verein zusätzlich auch noch als Sportlehrer für ein Fitnessstudio tätig ist und daraus Einkünfte erzielt.

Volltext jetzt da: http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/portal/t/mj6/page/bsjrsprod.psml?doc.hl=1&doc.id=KSRE191390205&documentnumber=6&numberofresults=768&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=L&paramfromHL=true#focuspoint

 

 

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

2.1 LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.09.2021 - L 18 AS 884/21

Corona - Beihilfe - selbständige Tätigkeit - Einkommen - Anrechnung - Betriebsausgaben

1. Selbstständige tätige Hartz IV Empfängerin hat höheren Hartz IV Anspruch, denn die Corona Beihilfe ist nicht als Einnahme aus selbständiger Tätigkeit zu bewerten ( Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V. ).

2. Die Corona-Beihilfe ist keine Betriebseinnahme. Die Soforthilfe bezweckte die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz und die Überbrückung von Liquiditätsengpässen, nicht aber die Kosten des privaten Lebensunterhalts (vgl zum Ganzen auch Sächsisches LSG, Beschluss vom 26. Januar 2021- L 8 AS 748/20 B ER - Leitsatz Tacheles e. V. ).

Quelle: https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE210018732

 

Rechtstipp Redakteur von Tacheles e. V. : ebenso SG Hamburg, Beschluss v. 19.10.2020 - S 13 AS 2583/20 ER u. SG Leipzig, Beschluss vom 27.5.2020 - S 24 AS 817/20 ER

 

 

2.2 LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 22.11.2021 - L 29 AS 1199/21 B ER

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Folgenabwägung - einstweiliger Rechtsschutz - Leistungsausschluss - Aufenthaltsrecht - Arbeitnehmer - völlig untergeordnete oder unwesentliche Erwerbstätigkeit - sorgeberechtigter Elternteil - minderjähriger freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger

Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.


1. Es kann im Rahmen der Folgenabwägung nicht mit hinreichender Gewissheit festgestellt werden, dass die Antragstellerin von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist. Denn es steht insbesondere die schwierige und weiterhin – auch in Anbetracht des vom Sozialgerichts angeführten Urteils des 34. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Juni 2021 – L 34 AS 850/17 (juris) – umstrittene Frage im Raum, ob der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Wertungen des Art. 6 des Grundgesetzes und des Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention ein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 14 Satz 1 FreizüG/EU i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG) als Elternteil eines minderjährigen ledigen Kindes zur Ausübung der Personensorge zusteht, mit dem sie zusammenlebt und das sich zusammen mit dem Kindesvater und Lebensgefährten der Antragstellerin erlaubt in Deutschland aufhält (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2020 – 1 BvR 1094/20 – juris Rn. 15 zu einer vergleichbaren familiären Konstellation und dem Erfordernis, unter diesen Umständen im Rahmen einer Folgenabwägung zu entscheiden; entsprechend auch bereits Senatsbeschluss vom 7. Oktober 2020 – L 29 AS 1314/20 B ER – m.w.N. <nicht veröffentlicht>).

2. Auch ist in der Rechtsprechung noch nicht hinreichend geklärt, ob in einer vergleichbaren Konstellation das – erst zum 1. Januar 2021 eingeführte – Aufenthaltsrecht als nahestehende Person eines Unionsbürgers nach § 3a Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 4c FreizügG/EU tatsächlich, wie vom Sozialgericht angenommen, in Anbetracht der erwähnten verfassungsrechtlichen Wertungen unter dem Vorbehalt steht, dass der Lebensunterhalt gesichert ist (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG).

 

Quelle: https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE210019076

 

 

2.3 LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 21.10.2021 - L 19 AS 929/21 B ER

Leitsatz


1. § 7 Abs. 1 Sätz 4 und 5 SGB II setzten nicht voraus, dass der Betreffende fünf Jahre ununterbrochen nach dem BMG im Bundesgebiet gemeldet ist

2. Tatbestandlich erforderlich ist lediglich ein fünfjähriger gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet seit (erster) Anmeldung.

Hinweis Redakteur von Tacheles e. V. :


Soweit die Auffassung vertreten wird, es komme in § 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II auf eine durchgängige Meldung bei der Meldebehörde im 5-Jahres-Zeitraum an, vermag dies nicht zu überzeugen (wie hier etwa Landessozialgerichts [LSG] Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Mai 2020 – L 18 AS 1812/19 –; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 3. Juli 2020 – L 8 SO 73/20 B ER –; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. April 2018 – L 7 AS 2162/17 B ER –; Geiger, in: Münder/Geiger, SGB II, 7. Aufl. 2021, § 7 Rn. 42; a. A. etwa LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 31. Mai 2021 – L 5 AS 457/21 B ER – und vom 4. Mai 2020, L 31 AS 602/20 B ER).

 

Quelle: https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE210019075

 

Rechtstipp Redakteur von Tacheles e. V. : vgl. ganz aktuell LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 13.09.2021 - L 2 AS 446/21 B ER: Ein fünfjähriger gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet iSv § 7 Abs 1 Satz 4 SGB II setzt nicht zwingend eine durchgehende Meldung bei einer Meldebehörde während des gesamten Zeitraums voraus. Die Anmeldung ist gemäß § 7 Abs 1 Satz 5 SGB II lediglich Voraussetzung des Fristbeginns.

 

 

2.4 LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.09.2021 - L 1 AS 702/19

Bedarf für Unterkunft und Heizung - Mietforderung - Gefälligkeitsmiete

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.


Das Jobcenter muss die Kosten für die Unterkunft und Heizung übernehmen, denn

Ein Mietverhältnis ist auch dann anzunehmen, wenn nur eine geringfügige Gefälligkeitsmiete vereinbart sei oder wenn der Mieter lediglich die Betriebskosten oder sonstige Lasten zu tragen habe. Die Umstände des behaupteten Mietverhältnisses seien dabei im Einzelnen zu ermitteln und zu würdigen. Bei dieser Gesamtwürdigung und bei der Auslegung der Vereinbarungen müsse die tatsächliche Übung der Parteien, der tatsächliche Vollzug des Vertragsinhalts, berücksichtigt werden (Bezugnahme auf LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 09.03.2017 - L 4 AS 818/13).

 

Quelle: https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE210018965

 

 

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

3.1 Sozialgericht Magdeburg vom 17.11.2021 - S 4 AS 2807/17

Leitsatz RA Michael Loewy


Einem Leistungsempfänger, dessen Eintritt in die Altersrente kurz bevorsteht, ist es nicht zumutbar seine Kosten seiner Unterkunft noch einige Monate zuvor durch einen Umzug zu senken.

 

Quelle: https://www.anwaltskanzlei-loewy.de/urteile/grundsicherung-f%C3%BCr-arbeitssuchende-sgb-ii/

 

 

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

4.1 LSG Saarland, Urt. v. 12.10.2021 -             L 11 SO 3/17

Sozialhilfe - Aufhebung der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie von Hilfe zur Pflege - Aktivlegitimation der Erben des verstorbenen Leistungsberechtigten - Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse - Erbschaft - Erbausschlagung  

Leitsatz

1. Rechtsnachfolger sind nicht aktivlegitimiert, um sich gegen einen Verwaltungsakt, mit dem gegenüber dem Verstorbenen Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsunfähigkeit nach dem SGB XII aufgehoben wurden, gerichtlich zur Wehr zu setzen. Dieser Leistungsanspruch ist höchstpersönlicher Natur und damit der Rechtsnachfolge nicht zugänglich.

2. Eine Erbauschlagung wirkt ex tunc (§ 1953 BGB) und hat zur Folge, dass das ausgeschlagene Erbe dem Leistungsempfänger nicht als sog. "bereite Mittel" zur Deckung seiner Bedarfe zur Verfügung steht. Leistungen nach dem SGB XII sind sodann nach dem sog. "Tatsächlichkeitsprinzip" (vgl. BSG, Urteil vom 06.12.2018 – B 8 SO 2/17 R) zu gewähren.

Quelle: https://recht.saarland.de/bssl/document/JURE210018444

 

 

4.2 LSG Hamburg, Urt. v. 08.11.2021 - L 4 SO 43/19

Sozialhilfe - Nothelferanspruch - Leistungserbringung im Eilfall

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.

1. Der Anspruch des Nothelfers besteht in Abgrenzung zum Anspruch des Hilfebedürftigen nur dann, wenn der Sozialhilfeträger keine Kenntnis vom Leistungsfall habe und ein Anspruch des Hilfebedürftigen gegen den Sozialhilfeträger (nur) deshalb nicht entstehe. Die Kenntnis des Sozialhilfeträgers (vgl. § 18 SGB XII) bilde insoweit die Zäsur für die sich gegenseitig ausschließenden Ansprüche des Nothelfers und des Hilfebedürftigen (unter Hinweis auf BSG, Beschluss vom 1.3.2018 – B 8 SO 63/17 B).

2. Es fehle deshalb schon am Tag der Aufnahme des Hilfebedürftigen in ein Krankenhaus am sozialhilferechtlichen Moment eines Eilfalls i.S.d. § 25 Satz 1 SGB XII, wenn Zeit zur Unterrichtung des zuständigen Sozialhilfeträgers verbleibe, um zunächst dessen Entschließung über eine Gewährung der erforderlichen Hilfe abzuwarten bzw. um die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe zu schaffen (unter Hinweis auf BSG, a.a.O., m.w.N.; vgl. auch LSG Hamburg, Urteil vom 30.8.2018 – L 4 SO 41/17).

3. Ein Aufwendungsersatzanspruch lässt sich auch nicht aus dem Rechtsinstitut der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) herleiten, weil damit vom Nothelfer in ein öffentlich-rechtlich umfassend geregeltes Kompetenz- und Zuständigkeitsgefüge eingegriffen würde, das nur unter bestimmten Voraussetzungen Aufwendungsersatzansprüche Dritter gegen den Leistungsträger vorsieht (BSG, Urteil vom 30.10.2013 – B 7 AY 2/12 R). Der § 25 SGB XII regelt abschließend die Voraussetzungen eines Kostenersatzanspruches einer Person, die anstelle des Sozialhilfeträgers Hilfeleistungen ohne dessen Auftrag erbringt (BSG, Urteil vom 23.8.2013 – B 8 SO 19/12 R).

Quelle: https://www.landesrecht-hamburg.de/bsha/document/JURE210018814

 

 

 

5. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

5.1 Anmerkung zu: LSG Neustrelitz 14. Senat, Urteil vom 17.06.2021 - L 14 AS 255/17
Autor: Tammo Lange, RiSG

Berücksichtigung von rechtsgrundlosen Kindergeldzahlungen als Einkommen i.S.d. §§ 11 ff. SGB II?

Leitsatz


Eine Nachzahlung von Kindergeld für Zeiten mit Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II, die sich wegen Missachtung von § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 Abs. 1 SGB X (Erfüllungsfiktion) als rechtsgrundlos darstellt, ist von Anfang an mit einer vollumfänglichen Erstattungspflicht belastet, die für ihre Entstehung keines (konstitutiven) Erstattungs-Verwaltungsaktes der Familienkasse bedarf. Eine derartige Zahlung führt nicht zu bereiten Mitteln und ist daher im Rahmen von § 11 SGB II nicht als Einkommen anspruchsmindernd anzurechnen.

 

Auswirkungen für die Praxis

Das LSG Neustrelitz wendet die Maßstäbe der ständigen Rechtsprechung folgerichtig auf die Fallkonstellation einer rechtsgrundlosen Kindergeldzahlung an. Für rechtsgrundlos gezahlte Sozialleistungen gelten dagegen – wie ausgeführt – ggf. andere Maßstäbe, ebenso für Sozialleistungen, die aufgrund rechtswidriger, aber dennoch zunächst wirksamer Bewilligungsbescheide erbracht wurden.
Die Entscheidung wirft insoweit ein Schlaglicht auf eine spezielle Fallgestaltung unter vielen, in denen das Vorliegen eines „wertmäßigen Zuwachses“ fraglich ist. Sie illustriert damit zugleich, dass sich in diesem Zusammenhang pauschale Lösungen verbieten, sondern die einzelnen Fallgestaltungen jeweils für sich genommen daraufhin zu prüfen sind, inwiefern die Leistungsberechtigten ggf. Rückzahlungsverpflichtungen ausgesetzt sind, die die Annahme eines „wertmäßigen Zuwachses“ ausschließen können.

Quelle: https://www.juris.de/jportal/portal/t/tgp/page/homerl.psml?nid=jpr-NLSR000012121&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp

 

 

5.2 Zulässigkeit von (Asyl-)Zweitanträgen von in Griechenland anerkannten Schutzberechtigten

Das OVG Bremen hat entschieden, dass Asylanträge von Personen, denen bereits in Griechenland internationaler Schutz zuerkannt wurde, derzeit – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls – nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden dürfen.

Weiter auf Juris: https://www.juris.de/jportal/portal/t/fhp/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA211204143&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp

 

5.3 Arbeitshilfe "Grundlagen des Asylverfahrens" in 5. Auflage erschienen

Das Asylverfahren ist in seinen rechtlichen Grundlagen sowie der tatsächlichen Umsetzung enorm komplex und stellt selbst erfahrene Berater*innen und Anwält*innen immer wieder vor Fragen. Insbesondere das Zusammenspiel von deutschem und europäischem Asylrecht macht dieses Rechtsgebiet zu einem besonders anspruchsvollen.

Wir haben aus diesem Grund unsere Arbeitshilfe zu den Grundlagen des Asylverfahrens noch einmal vollumfänglich überarbeitet. Sie richtet sich insbesondere an neue Asylverfahrensberater*innen und sonstige Personen, die Asylsuchende im Rahmen des Asylverfahrens unterstützen und beraten möchten. Sie bietet einen komprimierten Überblick über den Ablauf des Asylverfahrens und die wesentlichen Rechtsgrundlagen hierfür.

Die Arbeitshilfe ist bewusst praxisorientiert gestaltet und stellt Basisinformationen zur Verfügung, die an zahlreichen Stellen weiterführende Hinweise zur Vertiefung beinhalten.

Sie können die Arbeitshilfe auf unserer Homepage herunterladen: https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/grundlagen-des-asylverfahrens-ueberarbeitete-5-auflage-2021/

 

 

Wir wünschen allen Lesern eine Frohe Adventszeit. Bleiben Sie gesund und munter.

 

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

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