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Jahresarchiv

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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 49/2020

1. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Grundsicherung 

1.1 BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2020 (1 BvR 1246/19):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel

Die Rechtsfrage, ob der Ausschluss eines in Deutschland lebenden, mittellosen griechischen Staatsangehörigen von Leistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII als verfassungskonform aufgefasst werden kann, stellt sich aktuell als schwierig und ungeklärt dar sowie ist höchstrichterlich bislang noch nicht geklärt.

Sowohl die Auffassung, ein solcher Leistungsausschluss für weder erwerbstätige noch ausreisepflichtige Unionsbürger wäre verfassungskonform, als auch die Gegenansicht, die die Unvereinbarkeit eines derartigen Leistungsausschlusses mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG) anführt, stützt sich jeweils auf sachliche Gründe.

Die Versagung von Prozesskostenhilfe für ein in dieser Sozialhilfesache geführtes sozialgerichtliches Eilverfahren hat deshalb als mit Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG unvereinbar und verfassungswidrig aufgefasst zu werden.





1.2 BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2020 (1 BvR 1094/20):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel

Ob § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG (analog) und Art. 18 Abs. 1 des „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)“, der jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet, dem sorgeberechtigten Elternteil eines wegen der Begleitung des anderen Elternteils nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Unionsbürgers ein eigenständiges Aufenthaltsrecht vermitteln kann, so dass die aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a) SGB II hervorgehende Ausschlussnorm nicht zur Anwendung gelangt, ist umstritten, schwierig und ungeklärt.

Der reine Verweis auf die Möglichkeit der Betreuung der gemeinsamen Kinder durch den aufenthaltsberechtigten Partner reicht für einen Leistungsausschluss gerade unter Berücksichtigung auch von Art. 6 GG in Verbindung mit Art. 8 EMRK nicht aus.





2. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem ( SGB II )

2.1 Bundessozialgericht, Urt. v. 17.09.2020 - B 4 AS 3/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung und -berechnung - Teilnahme eines behinderten Leistungsberechtigten an einem Projekt eines Trägers der freien Wohlfahrtspflege zur Verbesserung der sozialen Teilhabe unter regelmäßiger monatlicher Zahlung von Motivationszuwendungen

Leitsatz ( Redakteur )


Einkommen aus einem auf längere Dauer angelegten Zuverdienstprojekt führe auch im Rahmen des § 11a Abs. 4 SGSB II zur Behandlung der Einkünfte nach den für Erwerbseinkommen geltenden Grundsätzen. Erwerbstätigenpauschale und der Erwerbstätigenfreibetrag gelten auch für Motivationszuwendungen.

Orientierungshilfe ( Redakteur )

Für die vorliegende Fallgestaltung der Zuwendungen in Form von regelmäßigen monatlichen Geldleistungen aus einem Zuverdienstprojekt an einen erwerbsfähigen SGB II-Berechtigten, die über einen längeren Zeitraum erbracht werden, ist deren Berücksichtigung entsprechend der für das Einkommen aus Erwerbstätigkeit geltenden Regelungen gerechtfertigt, also die Erwerbstätigenpauschale und der Erwerbstätigenfreibetrag von der Anrechnung auszunehmen.

Diese Einkommensfreistellungen dienen ähnlichen Zwecken wie die vorliegenden Motivationszuwendungen. Die Erwerbszentriertheit des SGB II und dessen - im Unterschied zum SGB XII - pauschalierende Systematik haben zur Folge, dass erwerbsfähige Alg II-Berechtigte in Zuverdienstprojekten hinsichtlich der ihnen neben den SGB II-Leistungen verbleibenden Beträge nicht auf unbestimmte Dauer in wirtschaftlicher Hinsicht deutlich besser als der Personenkreis der Aufstocker gestellt werden.



Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=214607&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=





Hinweis: vgl. zum SGBX II: https://sozialberatung-kiel.de/2020/10/01/sozialhilfe-keine-anrechnung-von-freiwilligen-motivationszulagen/





Rechtstipp: S.a. dazu: Leitsatz Dr. Manfred Hammel


BSG, Urteil vom 17. September 2020 (B 4 AS 3/20.R):

Die von einem suchtkranken Bezieher von Arbeitslosengeld II (Grad der Behinderung: 20) von einem konfessionellen Träger der freien Wohlfahrtspflege im Rahmen eines Beschäftigungsprojekts je Anwesenheitsstunde gewährte „Motivationszuwendung“ in Höhe von EUR 5,- hat bei einer Einordnung als „Zuwendungen“ im Sinne des § 11a Abs. 4 SGB II unter Heranziehung der Erwerbstätigenpauschale des § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II in Höhe von monatlich EUR 100,- und des weiteren Erwerbstätigkeitfreibetrags nach § 11b Abs. 3 SGB II von der Berücksichtigung als ein Einkommen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II ausgenommen zu werden.

Die entsprechend § 11a Abs. 4 SGB II vom Jobcenter in Beachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes durchzuführende Gerechtfertigkeitsprüfung wirkt auch hier begrenzend. Vom Jobcenter können ebenfalls Art, Wert, Umfang und Häufigkeit dieser Zuwendungen berücksichtigt werden.

Hier besteht eine vergleichbare Lage wie bei „Erwerbsaufstockern“ im SGB II. Das Selbstverständnis der Erwerbstätigenpauschalen nach § 11b Abs. 2 Satz 1 / Abs. 3 SGB II besteht ebenfalls in der Stärkung des Arbeits- und Selbsthilfewillens.

Eine Berücksichtigung erhaltener Zuwendungen nach § 11a Abs. 4 SGB II in Beachtung des Erwerbstätigenfreibetrags gemäß § 11b Abs. 2 Satz 1 / Abs. 3 SGB II ist deshalb gerechtfertigt.





3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

3.1 Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 12.11.2020 - L 21 AS 753/20 B ER - rechtskräftig

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Bedarfsgemeinschaft - nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte - Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft - Trennungswille - nicht bei Verbleib in der ehelichen Wohnung

Leitsatz ( Redakteur )


Eheleute leben in der gemeinsamen Ehewohnung nur dann dauernd getrennt, wenn zur Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft der nach außen hin erkennbare Trennungswille wenigstens eines von ihnen hinzutritt.

Orientierungshilfe ( Redakteur )

1. Zur Beurteilung der Frage, ob Ehegatten nicht dauerhaft getrennt leben, sind die familienrechtlichen Grundsätze zum Gegenbegriff Getrenntleben heranzuziehen. Neben einer räumlichen Trennung setzt ein Getrenntleben einen Trennungswillen voraus. Erforderlich ist ein nach außen erkennbarer Wille zumindest eines Ehegatten, die Ehe - in der individuell gewählten Gestaltungsform - auf Dauer aufzulösen. Ein Getrenntleben kann grundsätzlich auch in der ehelichen Wohnung vollzogen werden (vgl. § 1567 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -). Leben die Ehegatten dort - wie der Antragsteller und die Zeugin C - weiterhin zusammen, bedarf es allerdings einer vertieften Prüfung, ob die Eheleute tatsächlich getrennt leben.

2. Erforderlich ist jedenfalls eine Trennung der wesentlichen ökonomischen Gemeinsamkeiten und der nach außen erkennbare Wille mindestens eines der Ehegatten, mit dem anderen Ehegatten nicht mehr zusammenleben zu wollen. Getrenntes Schlafen und getrenntes Essen reichen insoweit regelmäßig nicht aus, wenn die Ehegatten nach der behaupteten Trennung weiterhin in der Ehewohnung leben. Auch für die Anwendung von § 7 Abs. 3a) SGB II kommt es insoweit neben dem Fehlen oder der Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft darauf an, dass wenigstens ein Partner das Eheband lösen will.

3. Nicht das Getrenntleben, sondern der nach außen erkennbare Trennungswille fehlt, wenn die Ehegatten nach vollzogener Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft auf Dauer gemeinsam in der Ehewohnung verbleiben, ohne dass mindestens einer von ihnen erkennbar die Scheidung anstrebt (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21.02.2013 - L 15 AS 139/09 ).



Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=214633&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=





3.2 Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 06.10.2020 - L 31 AS 962/18

Vererbtes Grundstück - Erbschaft - erhaltene Kontogutschrift stellt auch nach der ab dem 1. August 2016 geltenden Fassung des § 11 SGB II eine Einnahme "in Geld" dar.


Orientierungshilfe ( Redakteur )

1. Gutschrift des Verkaufserlöses vom vererbten Grundstück auf dem Konto der Klägerin stellt entgegen ihrer Ansicht keine Einnahme "in Geldeswert" im Sinne des § 11 SGB II dar, sondern eine Einnahme in Geld i.H.v. 10.000 EUR.

2. Einnahmen "in Geldeswert" sind nur solche, die nicht unmittelbar in Bar- oder Buchgeld bestehen, aber einen in Geld zu bemessenden wirtschaftlichen Wert haben und sich daher in Geld tauschen lassen (Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB, 12/19, § 11 SGB II Rn. 160). Hierzu gehören vor allem zuwachsende Forderungen und Rechte sowie Sacheinnahmen (vgl. zu einer während des Leistungsbezugs vorgenomme-nen Zuwendung eines Kfz: Meißner in GK-SGB II, § 11 Rz 41.2, Stand V/2018; LSG Sachsen-Anhalt 26. 8. 2015 - L 4 AS 83/14 Rz 30 ff.) einschließlich Gutscheine, als "Währung" in Tauschringen verwendete Gutschriftsysteme, Dienst- oder Naturalleistungen, insbesondere freie Wohnung oder Verpflegung, Deputate und Mitarbeiterrabatte. Im Rahmen des § 11 Abs. 1 Satz 2 wird es i. d. R. um bereitgestellte Verpflegung und die Nutzungsmöglichkeit betrieblicher Einrichtungen gehen.



Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=214643&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=





3.3 Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urt. v. 23.10.2020 - L 3 AS 95/16

Leitsatz ( Redakteur )


Die Einbeziehung von WG-Zimmern in die Ermittlung der Unterkunftskosten für die Einpersonenhaushalte entspricht damit nicht den Anforderungen der Rechtsprechung an ein schlüssiges Konzept.

Orientierungshilfe ( Redakteur )

1. Der Senat teilt nicht die Auffassung, dass unter 25-Jährigen der konkrete Verweis eines WG-Zimmers generell zumutbar ist. Hierfür gibt es keine gesetzliche Grundlage (vgl. LSG Sachsen, Urteil vom 19. Dezember 2013, L 7 AS 637/12, bestätigt BSG, Urteil vom 18. November 2014, - B 4 AS 9/14 R).

2. Das JobCenter war nicht berechtigt, in dem von ihm zugrunde gelegten Konzept zur Bestimmung der angemessenen Mietobergrenze WG-Zimmer bei der Auswertung der erhobenen Mietangebote für einen 1-Personen-Haushalt mit zu berücksichtigen. Ein schlüssiges Konzept liegt damit nicht vor.



Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=214683&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=





Rechtstipp: ebenso Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urt. v. 23.10.2020 - L 3 AS 116/17







4. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

4.1 Sozialgericht Hamburg, Urt. v. 24.09.2020 - S 58 AS 369/17

Zur Berücksichtigung der Anforderungen an eine richtige und vollständige Rechtsfolgenbelehrung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 05.11.2019 - 1 BvL 7/16

Leitsatz ( Redakteur )

Bei einer Sanktion nach § 31 SGB II sind Härtefall und Wohlverhalten nach den Vorgaben des BVerfG im Urteil vom 05.11.2019, 1 BvL 7/16 - zu prüfen, wenn der Sanktionszeitraum vor dem 05.11.2019 abgelaufen ist ( a.Auffassung SG München, Urteil vom 31. Januar 2020 – S 46 AS 536/18 ).

Orientierungshilfe ( Redakteur )

Die sich aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine richtige und vollständige Rechtsfolgenbelehrung sind bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit von nicht bestandskräftigen Bescheiden über Leistungsminderungen nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II, die vor der Verkündung der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung vom 05.11.2019 festgestellt worden sind, zu berücksichtigen (Geckeler in: Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, 66. UPD August 2020, III. Fragen des Rechtsschutzes, Rn. 38; a.A. etwa SG München, Urteil vom 31. Januar 2020 – S 46 AS 536/18 –,), weil den Weitergeltungsanordnungen nach Nr. 2 des Tenors der Entscheidung keine rückwirkende Legalisierungswirkung zukommt. Ein solcher Bescheid erweist sich daher nur dann als rechtmäßig, wenn die vorherige Rechtsfolgenbelehrung gem. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II den Vorgaben von Nr. 2a und Nr. 2c des Tenors der Entscheidung entsprochen hat.

Leitsatz ( Juris )

1. Die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 05.11.2019 - 1 BvL 7/16 - ergebenden Anforderungen an eine richtige und vollständige Rechtsfolgenbelehrung sind bei der Prüfung der Rechtsmäßigkeit von nicht bestandtskräftigen Bescheiden Leistungsminderung nach § 31a Abs.1 Satz 1 SGB II, die vor dessen Verkündung festgestellt worden sind, zu berücksichtigen, weil den Weitergeltungsanordnungen nach Nr. 2 des Tenors der Entscheidung keine rückwirkende Legalisierungswirkung zukommt.

2. Ein solcher Bescheid erweist sich daher nur dann als rechtmäßig, wenn die vorherige Rechtsfolgenbelehrung gem. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II den Vorgaben von Nr. 2a und Nr. 2c des Tenors der Entscheidung entsprochen hat.





4.2 Sozialgericht Chemnitz, Beschluss v. 12.11.2020 - S 10 AS 983/20 ER

Ausrüstung mit einem Computer sowie mit einem Drucker -  Mehrbedarf - unabweisbarer laufender besonderer Bedarf - Kostenübernahme für Anschaffung eines Computers und Druckers  nach verbindlicher Vorgabe der Schule - verfassungskonforme Auslegung


Coronabedingter Hausunterricht: JobCenter muss Anschaffungskosten für Laptop und Drucker übernehmen

Leitsatz ( Redakteur )

1. Soweit die Anschaffung von für den Unterricht erforderlichen Lernmitteln aus privaten Mittel zu erfolgen hat, ist die Bedarfslage – in verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes – im Wege der Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II zu decken ( ebenso SG Halle, Urteil vom 25.08.2020, Az.: S 5 AS 2203/18 ).

2. Soweit sich die schulische Bildung mit einer im Einzelfall für die Schüler bzw deren Eltern verbindlichen bzw zwingenden - also auf Vorgabe der Gesamtkonferenz (§§ 27, 28 SchulG LSA - juris: SchulG ST 2018) - Nutzung von Notebooks technisch fortentwickelt, stellen sich diese Notebooks oder Tablets bei entsprechender technischer Ausstattung im Hinblick auf den verfolgten Bildungszweck letztlich als mit Schulbüchern vergleichbar und damit als erforderliches Lernmittel dar.



Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=214635&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=







4.3 SG Berlin, Urt. v. 20.11.2020 - S 37 AS 11335/19

Leitsatz ( Juris )

1. Im Rahmen der Prüfung einer Sanktion, die auf die Verletzung einer per Eingliederungs-VA auferlegten Pflicht zurückgeht, ist ungeachtet der Bestandskraft des Eingliederungs-VA´s zu beurteilen, ob der Betreffende wirksam und rechtmäßig den im Eingliederungs-VA festgelegten Pflichten unterworfen war.

2. Eine vor dem 5.11.2019 festgesetzte, nicht bestandskräftige Sanktion nach § 31 Abs. 1 SGB 2 i.V.m. § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB 2, die Zeiträume nach dem 5.11.2019 erfasst, verpflichtet nur dann zur (mündlichen) Anhörung und zum Hinweis auf eine Verkürzung bei Bekundung zukünftiger Pflichterfüllung, wenn eine reale Chance auf eine ernsthafte Erklärung zur Mitwirkungsbereitschaft besteht.

3. Minderungen über 30% durch Überschneidung von Sanktionszeiträumen sind nicht per se verfassungswidrig; ggfs. erfordert eine daraus resultierende Härte Korrekturen.



Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=214562





4.4 SG Hildesheim, Beschluss v. 02.12.2020 - S 58 AS 4177/20 ER

Leistungsempfänger aus Covid-19-Risikogruppe muss nicht zu persönlichen Terminen erscheinen


„Die vollständige Entziehung von Existenzsicherungsleistungen, um meinen Mandanten zum Erscheinen bei persönlichen Terminen zu zwingen, hat mit dem Handeln einer an Recht und Gesetz gebundenen Behörde nichts mehr zu tun“ ärgert sich Rechtsanwalt Sven Adam, der den Einbecker juristisch vertritt, über die Maßnahmen des Jobcenters. “Es ist erfreulich, dass das Gericht mit deutlichen und grundsätzlichen Worten gerade in der jetzigen und für alle belastenden Situation einem solchen Verhalten entgegentritt“ so Adam abschließend.



weiter dazu hier bei RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2020/12/03/jobcenter-landkreis-northeim-unterliegt-vor-sozialgericht-hildesheim-in-eilverfahren-leistungsempfaenger-aus-covid-19-risikogruppe-muss-nicht-zu-persoenlichen-terminen-erscheinen/





5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbL

5.1 Hessisches Landessozialgericht, Urt. v. 22.07.2020 - L 4 AY 8/17

Leitsatz ( Juris )

1. Auch bei der Konkretisierung der Rechtsmissbräuchlichkeit gemäß § 2 AsylbLG beanspruchen die Überlegungen des Bundessozialgerichts im Urteil vom 30. Oktober 2013 - B 7 AY 7/12 R - zur Abgabe einer sog. Freiwilligkeitserklärung Geltung, wonach wegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG die Abgabe einer solchen Erklärung von niemandem verlangt werden kann, der den entsprechenden Willen nicht besitzt; ansonsten wäre er zum Lügen gezwungen.

2. Legt ein Leistungsempfänger Widerspruch gegen eine nach seiner Auffassung zu niedrige Bewilligung von Leistungen nach dem AsylbLG für einen Monat ein, so werden nach § 86 SGG analog die Bescheide über monatsweise Bewilligungen für die Folgemonate Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens.



Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=214616&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=





5.2 LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 13. September 2020 (L 9 AY 9/20 B ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel

Durch die Inanspruchnahme von Kirchenasyl von gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 bzw. 6 AsylbLG leistungsberechtigten Personen wird die 18 Monate umfassende Wartezeit nach § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht unterbrochen.

Es handelt sich hier um keinen Ausdruck einer bewusst rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung des weiteren Aufenthalts dieser Personen im Bundesgebiet im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG.

Wenn sich diese Klientel in ein Kirchenasyl begibt, dann wird hiermit weder ein rechtliches noch ein tatsächliches Abschiebungshindernis geschaffen, gerade wenn die Ordnungsbehörde der Ort und die Dauer dieses („offenen“) Kirchenasyls bekannt ist, d. h. kein arglistiges „Untertauchen“ vorliegt.

Sieht die öffentliche Gewalt dennoch davon ab, diese Personen aufzugreifen und die Abschiebung aus dem Bundesgebiet durchzusetzen, dann kann dies nicht den diese Form des Kirchenasyls in Anspruch nehmenden nichtdeutschen Personen angelastet werden.



Rechtstipp: vergl. Beschluss des Hessischen LSG vom 4. Juni 2020 – L 4 AY 5/20 B ER; aA Bayerisches LSG, Urteil vom 28. Mai 2020 – L 19 AY 38/18





5.3 Sozialgericht Duisburg, Beschluss vom 02.11.2020 - S 48 AY 34/20 ER

Schlagworte: § 1 a AsylBLG , Analogleistungen
Normen: § 2 AsylbLG | § 1a AsylbLG

Orientierungshilfe RA Jan Sürig

1. Leistungsberechtigte nach § 2 Abs. 1 AsylbLG sind vom persönlichen Anwendungsbereich des § 1a AsylbLG ausgenommen.

2. Während der Corona-Pandemie ruhen Mitwirkungsobliegenheiten und die an die Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten geknüpften Leistungskürzungen entfallen.

3. Schilderung des Sozialamtes, wie leicht es sei, libanesische Identitätsapiere zu bekommen, stehen im Widerspruch zu den Informationen auf der Homepage der libanesischen Botschaft.





5.4 SG Stade, Beschluss v. 20.11.2020 - S 33 AY 7/20 ER

Beweislast bei § 2 Abs. 1 AsylbLG

Orientierungshilfe RA Jan Sürig


1.Solange es nicht mehr als möglich erscheint, dass die Antragstellerin ihre Aufenthaltsdauer rechtsmißbräuchlich beeinflusst hat, ist der Leistungsträger für das tatsächliche Vorliegen eines Rechtsmißbrauchs iSd § 2 Abs. 1 AsylbLG beweisbelastet.

2.Rechtsmißbrauch iSd § 2 Abs. 1 AsylbLG setzt Vorsatz hinsichtlich des aufenthaltsverlängernd typisierten Charakters des Fahlverhaltens voraus.

3.Bei den in Bulgarien entstandenen Aliaspersonalien ist eine Vielzahl von Geschehensabläufen denkbar, wie diese entstanden sein können. Fehlverhalten der Antragstellerin ist nicht die einzige mögliche Ursache





6. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher



6.1 Übernahme von Bestattungskosten – Sozialamt muss sich beeilen, ein Beitrag von Rechtsanwalt Alexander Kumlehn zu Sozialgericht Hannover, Beschluss vom 11.11.2020, Aktenzeichen S 27 SO 372/20 ER

Wenn ein naher Angehöriger stirbt ist dies für jeden ohnehin schon eine belastende Situation. Wenn man dann auch noch nicht über die ausreichenden finanziellen Mittel verfügt, um eine Bestattung durchführen zu lassen, ist dies umso belastender. In diesen Fällen ist der zuständige Sozialleistungsträger gem. § 74 SGB XII verpflichtet, die Bestattungskosten zu tragen.

Leider lassen sich die Sozialämter mit der Bewilligung derartiger Leistungen in der Regel sehr viel Zeit, oft mehrere Monate. Dies macht die Situation für Angehörige natürlich noch einmal belastender, da der Leichnam oder die Asche so lange aufbewahrt werden muss. Ein Abschiednehmen und ein Abschließen mit dem Trauerfall ist in dieser Zeit nicht möglich, sondern die seelische Belastung nimmt sogar noch zu.

Daher gibt es in den Bestattungsgesetzen der Länder, in Niedersachsen beispielsweise in § 9 des Nds. BestattG, dazu eine Regelung: Leichen sollen innerhalb von 8 Tagen seit dem Eintritt des Todes bestattet oder eingeäschert werden. Urnen sollen innerhalb eines Monats nach der Einäscherung beigesetzt werden.

Diese Fristen werden regelmäßig nicht eingehalten, weil die Sozialleistungsträger nicht schnell genug arbeiten.

Dazu hat das Sozialgericht Hannover im Einklang mit anderen Sozialgerichten jüngst eine interessante Entscheidung getroffen, die eigentlich nur das Selbstverständliche wiederholt (Sozialgericht Hannover, Beschluss vom 11.11.2020, Aktenzeichen S 27 SO 372/20 ER): Der Sozialleistungsträger ist natürlich verpflichtet, die Übernahme der Bestattungskosten schnell zu bestätigen, damit die gesetzlichen Vorschriften zur Bestattung eingehalten werden können.



Weiter zur Quelle: https://www.anwalt.de/rechtstipps/uebernahme-von-bestattungskosten-sozialamt-muss-sich-beeilen_182630.html





6.2 BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 2020 (2 BvR 1786/20):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel

Einstweilige Aussetzung einer Zwangsräumung im Verfahren nach § 32 Abs. 1 BVerfGG für die Dauer von längstens sechs Monaten, wenn die Vollstreckung aus dem rechtskräftigen Räumungsurteil den Beschwerdeführer und Räumungsschuldner in seinem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) verletzen könnte, weil bei der Durchführung der Räumungsvollstreckung eine akute Suizidgefahr für diese Person nicht auszuschließen ist.





6.3 Freizügigkeitsrecht von selbständigen Unionsbürger*innen besteht trotz Verlusten weiter

weiter hier: https://www.ggua.de/aktuelles/einzelansicht/6b4989212e2672200d35e44e63b7f1e8/?tx_news_pi1%5Bnews%5D=1143&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail







Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

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