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Jahresarchiv

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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 46/2024

1. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum SGB II

1.1 BVerfG, Beschluss vom19. Juli 2024 - 1 BvL 2/23 -

Bundesverfassungsgericht: Unzulässige Richtervorlage zur Verfassungsmäßigkeit der im Mai 2021 und Juli 2022 für Empfänger von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ausgezahlten Einmalleistungen zum Ausgleich von pandemiebedingten Mehraufwendungen

Quelle: www.bundesverfassungsgericht.de


Praxistipp:
SG Karlsruhe, Urteil vom 28.08.2024 - S 12 AS 2069/22 -

Zur Sperrwirkung der Einmalzahlungen aus §§ 70, 73 SGB II gegenüber dem Auffangtatbestand aus § 21 Abs. 6 SGB II und dessen verfassungskonformer Auslegung anlässlich der in 2021 und 2022 trabenden Inflation

Das Verfahren S 12 AS 2069/22 wird ausgesetzt, bis das Bundessverfassungsgericht im Normkontrollverfahren 1 BvL 2/23 entschieden hat (, ob §§ 70, 73 des SGB II mit dem Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und dem Allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar sind).

 

 

Achtung: Da die Entscheidung des BVerfG nun im Volltext vorliegt, muss das SG Karlsruhe neu entscheiden.

 

2. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sozialhilfe ( SGB XII )

2.1 BSG, Urt. v. 08.05.2024 - B 8 SO 4/23 R - Vorinstanz: LSG NRW, Urt. v. 16.02.2023 - L 9 SO 387/21 - in Tacheles Rechtsprechungsticker KW 37/2023

Sozialhilfe - häusliche Pflege - Pflegegeld - Pflegeperson - Bezug von Altersrente -Rentenversicherung - Beiträge - Pflichtversicherung

Zur Erstattung der Aufwendungen für die Beiträge einer Pflegeperson für eine angemessene Alterssicherung gemäß § 64f Absatz 1 SGB XII.

BSG: Bundessozialgericht gibt bekannt, wann Rentenbeiträge bei Angehörigenpflege zu übernehmen sind

 

Orientierungshilfe Detlef Brock

  1. Entscheidend ist bei der Hilfe zur Pflege als Leistung der Sozialhilfe, ob bei prognostischer Beurteilung der im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt bekannten Umstände zu erwarten ist, dass die Pflegeperson Grundsicherung im Alter nicht wird in Anspruch nehmen müssen.

  2. Lebt die Pflegeperson in einer Ehe oder eheähnlichen Partnerschaft ist dabei auch das vom Partner bereits erreichte Absicherungsniveau miteinzubeziehen.

  3. Normalerweise kommt die Pflegeversicherung für die Beiträge auf. Ist der Pflegebedürftige nicht in der Pflegeversicherung, kann der Sozialhilfeträger zur Übernahme der Rentenbeiträge verpflichtet sein. Dies ist insbesondere bei erwerbsunfähigen oder aus dem Ausland stammenden Pflegebedürftigen möglich.

Jetzt Volltext: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/176790

 

Rechtstipp: LSG Hessen, Urt. v. 05.07.2017 - L 4 SO 139/16 -

Nicht in der sozialen Pflegeversicherung versicherte Personen, die vom Sozialhilfeträger Pflegegeld beziehen, haben zusätzlich Anspruch auf Übernahme der Aufwendungen für die Beiträge ihrer Pflegeperson für deren angemessene Alterssicherung.

 

3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )

 

3.1 LSG Sachsen, Beschluss v. 28.10.2024 - L 4 AS 326/24 B ER

Leitsätze

1. Zur Auslegung eines (auch rückwirkenden) Ablehnungsbescheides des Jobcenters während des laufenden Bewilligungszeitraumes einer vorläufigen Bewilligung von Grundsicherungsleistungen und zum dagegen statthaften gerichtlichen Eilrechtsschutz

2. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Bescheid über die endgültige Festsetzung einer zuvor vorläufig bewilligten Leistung der Grundsicherung haben aufschiebende Wirkung.

 

 

4. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB 3 )

4.1 SG Heilbronn, Urt. v. 13.12.2023 - S 7 AL 497/22 SDE

Ermessenausübung bei Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

Bei der Geltendmachung eines Erstattungsanspruch (§ 4 S 1 SodEG) ist das notwendig auszuübende Entschließungsermessen zu beachten.

 

 

5. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

5.1 LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 19.09.2024 - L 7 SO 1754/23 -

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

Der Begriff der Verhandlung, der bei einem sozialhilferechtlichen Kostenersatzanspruch gem. § 102 SGB XII i.V.m. § 103 Abs. 3 Satz 2 SGB XII zu einer Hemmung des Erlöschens führt, ist weit auszulegen. Es genügt bereits, wenn sich der Schuldner auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang einlässt.

Bei schwebenden Verhandlungen wirkt die Hemmung zurück auf den Zeitpunkt, in dem der Gläubiger seinen Anspruch geltend gemacht hat. Die bürgerlich-rechtlichen Verjährungsregeln sind auf das Erlöschen des Kostenersatzanspruchs sinngemäß anzuwenden. Sie müssen daher nach Sinn und Zweck des sozialhilferechtlichen Kostenersatzanspruchs inkorporiert werden.

 

5.2 LSG NRW, Urt. v. 23.05.2024 -  L 9 SO 49/23 - Revision anhängig beim BSG Az.: B 8 SO 8/24 R

Sozialhilfe: Der Wunsch von Eheleuten, nebeneinander bestattet zu werden, ist im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit von Bestattungskosten nach § 74 SGB XII zu berücksichtigen.

Denn die Kosten einer Grabstätte für Eheleute sind unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG vom Sozialhilfeträger als erforderliche Bestattungskosten zu übernehmen ( entgegen SG Heilbronn Urteil vom 09.07.2013 – S 11 SO 1712/12 und SG Duisburg Urteil vom 27.03.2014 – S 52 SO 64/13; zustimmend SG Karlsruhe, Urt. v. 29.03.2022 - S 2 SO 2888/20 - Anschluss an LSG München vom 25.10.2018 - L 8 SO 294/16) - Orientierungssatz Detlef Brock ).

Quelle: LSG NRW

 

 

6. Verschiedenes zum Bürgergeld, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Kinderzuschlag, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

6.1 LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 06.04.2024 - L 11 SB 274/23 -

Leitsätze www.berlin.de

1. Eine Rechtsbehelfsbelehrung muss richtig, vollständig und unmissverständlich sein, wenn sie auch Angaben, die gegebenenfalls nicht zwingend vorgeschrieben sind, enthält (Anschluss an BSG, Beschluss vom 9. März 2023 - B 4 AS 104/22 BH – juris).

2. Die Benennung nur eines einzigen sicheren Übermittlungsweges iSd § 65a Abs. 4 Satz 1 SGG – hier der absenderauthentifizierten De-Mail – in der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides erweckt den unzutreffenden Eindruck, es gebe insoweit nur diese Möglichkeit. Damit ist die Rechtsbehelfsbelehrung unvollständig und irreführend.

Praxistipp zum Bürgergeld:

SG Berlin, Beschluss vom 11.10.2024 - S 142 AS 2627/24 -

Bis 31.12.2023 galt, dass gemäß § 36a Abs. 2 S. 2 SGB I der elektronischen Form, die die Schriftform ersetzt, ein elektronisches Dokument genügt, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist.

Aufgrund der Neuregelung des § 36a Abs. 2a SGB I gilt ab 1.1.2024 nach dessen Nr. 2 lit a), dass die Schriftform auch ersetzt werden kann durch Übermittlung einer von dem Erklärenden elektronisch signierten Erklärung an die Behörde aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA).

Die Neuregelung hat mithin zur Folge, dass die Schriftform durch eine einfach signierte Erklärung aus dem beA ersetzt werden kann; mithin wird insoweit auf die qualifizierte elektronische Signatur verzichtet.

 

Hinweis Redakteur: Mein Dank gilt der Vorsitzenden Richterin des SG Frankfurt/Oder in einem Verfahren zum Bürgergeld und dem übermittelnden Rechtsanwalt.

 

 

6.2 Leistungsanträge: Doppelt hält besser - Beitrag von RA Helge Hildebrandt zu BSG, Urteil vom 11.09.2024, B 4 AS 6/23 R

Ist unklar, ob Leistungsberechtigten ein Anspruch auf eine bestimmte Sozialleistung zusteht, kommt aber für den Fall, dass ein Anspruch auf diese Sozialleistung nicht besteht, ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung in Betracht, sollte auch diese andere Sozialleistung stets vorsorglich beantragt werden.

weiter: https://sozialberatung-kiel.de/2024/11/03/leistungsantrage-doppelt-halt-besser/

 

 

7. Fragen und Antworten zum Bürgergeld, aufgearbeitet von Detlef Brock - Urheberrechtsschutz bitte beachten


7.1 Unterliegen Meldeaufforderungen mit nachfolgend wiederholter Sanktion bei geistiger Behinderung des Hilfebedürftigen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit?

Unverhältnismäßig können bzw. sind Meldeaufforderungen des Jobcenters, wenn zur Eingliederung in Arbeit zunächst besondere Beratungs- und Betreuungsleistungen erforderlich waren, die ohne ersichtlichen Grund nicht gewährt wurden.

Hierbei ist anerkannt, dass in besonders gelagerten Einzelfällen die zeitlich vorangehende psychische, soziale und rechtliche Stabilisierung des/der Betroffenen unabdingbare Voraussetzung dafür ist, dass überhaupt an eine nachfolgende Eingliederung in das Erwerbsleben – selbst mit zielgerechten Maßnahmen, die hier ohnehin fehlen - gedacht werden kann (LSG NRW, U. v. 23.1.2010, L 1 AS 36/09 R -).

Das Jobcenter darf in Einzelfällen nicht auf die formale Durchsetzung von Meldepflichten ergänzt mit den Mitteln der Sanktion bestehen.

Es ist zwar im Ausgangspunkt zutreffend, dass eine beharrliche Verweigerungshaltung nicht per se dazu führen darf, von der Einforderung gebotener Mitwirkung im Verwaltungsverfahren ganz abzusehen und damit praktisch der bedingungslosen Grundsicherung das Wort zu reden. Das stünde nicht in Einklang mit den Leistungsgrundsätzen des Forderns und Förderns und ist abzulehnen.

Etwas anderes gilt aber, wenn im Einzelfall nicht von einer frei bestimmten und von in der Person der/des Betroffenen liegenden Defiziten unabhängigen Verweigerungshaltung ausgegangen werden muss, weil so erhebliche Einschränkungen im psychischen/gesundheitlichen Bereich und dementsprechende Vermittlungshemmnisse bestehen, das zunächst zusätzliche und einzelfallbezogene Instrumentarien der Betreuung und Unterstützung i. S. v. § 16a Nr. 3 SGB II, § 33 Abs. 6 SGB IX geboten sind.

Ein in vorbeschriebener Weise gekennzeichneter Ausnahmefall besteht immer dann , wenn das Jobcenter dem nicht ausreichend Rechnung getragen hat.

Meldeaufforderungen sind immer ein aus objektiver Sicht des Jobcenters ein untaugliches Mittel zur Integration der Hilfebedürftigen und damit ohne Weiteres nicht verhältnismäßig, wenn bereits beim Erlass der Meldeaufforderungen es ohne erkennbare Zweifel auf der Hand lag, dass der/die Hilfebedürftiger/ Hilfebedürftige ohne flankierende, nach Möglichkeit ihnen zeitlich vorgelagerte Betreuungs- und Unterstützungsleistungen zur psychischen, sozialen und rechtlichen Stabilisierung i. S. v. § 16a Nr. 3 SGB II den Meldeaufforderungen nicht Folge leisten würde und damit auf absehbare Zeit auch in das Erwerbsleben nicht würde integriert werden können.

Fazit:

Die wiederholte Verhängung von Sanktionen gegen eine/einen psychisch behinderten Leistungsempfänger ist unverhältnismäßig, wenn besondere Betreuungsleistungen erforderlich sind. Das Jobcenter kann in diesem Fall nicht auf die gewöhnlichen Mittel der Massenverwaltung zurückgreifen.

Ein JobCenter darf sich in so einem Fall nicht darauf zurückziehen, mit den Mitteln des Verwaltungszwangs formale Meldepflichten entsprechend § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III durchsetzen zu wollen, sondern hat vielmehr besondere, einzelfallbezogene Vorkehrungen zur Konfliktlösung einzuleiten.

Praxistipp: Informationen vom BMAS und der Agentur für Arbeit

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat aktuelle Informationen zu den Inhalten und zur Durchführung des § 16k SGB II (ganzheitliche Betreuung) herausgegeben. Dieses Finanzierungsinstrument ist mit der Umsetzung der zweiten Stufe des Bürgergeldes zum 1. Juli 2023 in Kraft getreten. Die Betreuung kann sowohl von Jobcentern als auch von ihnen beauftragte Dritte durchgeführt werden.

 

Quelle: https://www.arbeitsagentur.de/datei/fachliche-weisung-zu-p-16k-sgb-ii_ba044156.pdf

 

 

 

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Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock



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