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Jahresarchiv
Tacheles Rechtsprechungsticker KW 41/2020
1. Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum SGB II
1.1 EuGH vom 06.10.2020 - Az.: C-181/19
Kein SGB II-Leistungsausschluss für "EU-Ausländer" bei Aufenthaltsrecht als sorgerechtsausübender Elternteil von Kindern
Der EuGH hat entschieden, dass ein früherer Wanderarbeitnehmer und seine Kinder, denen ein Aufenthaltsrecht aufgrund des Schulbesuchs der Kinder zusteht, nicht mit der Begründung, dass dieser Arbeitnehmer arbeitslos geworden ist, automatisch von nach dem nationalen Recht vorgesehenen Leistungen der sozialen Grundsicherung ausgeschlossen werden können.
Weiter auf Juris: https://www.juris.de/jportal/portal/t/nh3/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA201003481&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp
Hier zum Volltext: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=232081&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=5937523
2. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem ( SGB II ) und zur Sozialhilfe ( SGB XII )
2.1 BSG, Urteil v. 24.06.2020 - B 4 AS 12/20 R
Orientierungshilfe ( Redakteur )
1. Aufforderung zur vorzeitigen Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters war nicht rechtswidrig, denn die Ausnahmetatbestände, bei denen Leistungsberechtigte zur Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente nicht verpflichtet sind, liegen nicht vor.
2. Auch der erneuten Aufnahme eines Kindes in Vollzeitpflege liegt weder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, für die von vornherein keine Anhaltspunkte bestehen, noch eine sonstige Erwerbstätigkeit iS des § 4 UnbilligkeitsV zugrunde, aus der ein entsprechend hohes Einkommen erzielt wurde.
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Das dem SGB II-Träger auf der Grundlage des § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II hinsichtlich des „Ob“ einer Aufforderung zur Rentenantragstellung eingeräumte Ermessen hat seinen Ausgangspunkt in der gesetzlichen Verpflichtung eines Alg II-Empfängers zur Realisierung vorrangiger Sozialleistungen entsprechend § 3 Abs. 3, 1. Halbsatz SGB II in Verbindung mit § 12a Satz 1 SGB II.
Der Aufforderung nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II hat beim Jobcenter die tatbestandliche Prüfung vorauszugehen, dass für den Leistungsempfänger die Beantragung einer vorzeitigen Altersrente nicht unbillig im Sinne des § 1 UnbilligkeitsVO ist.
Hier können nur besondere Härten, die die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente als unzumutbar erscheinen lassen, im Einzelfall in Betracht kommen.
Beim Verlust einer mit der Pflege von Angehörigen einhergehenden rentenrechtlichen Absicherung handelt es sich um keine im Rahmen dieser Ermessensentscheidung allein zu berücksichtigende Härte im Einzelfall.
Die Anerkennung des hohen Einsatzes der Pflegeperson und die Schließung der bedingt durch die Ausübung der Pflege in der Erwerbsbiographie eintretenden Lücken in der gesetzlichen Rentenversicherung hat nicht zur Folge, dass dies zwingend auch im steuerfinanzierten Existenzsicherungssystem nach dem SGB II mit seinem strengen Nachranggrundsatz zu berücksichtigen ist.
Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=213763&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
2.2 BSG, Urteil vom 3. Juli 2020 (B 8 SO 15/19 R):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Von einem Sozialhilfeträger nach § 44 SGB I zu gewährende Zinsen sind als unselbständige Nebenleistung akzessorisch zur vom Sozialamt zu gewährenden Hauptleistung.
Von maßgebender Bedeutung für die Fälligkeit von Sozialhilfeansprüchen im Sinne des § 41 SGB I in Verbindung mit § 44 Abs. 1 SGB I ist stets der Zeitpunkt, wann die im Gesetz bestimmten, materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.
Lehnt ein Sozialhilfeträger die Gewährung einer Leistung zu Unrecht ab, kann antragstellerseitig zwar der geltend gemachte Sozialhilfeanspruch, solange die Bestandskraft des Ablehnungsbescheids fortwirkt, gegenüber dem Sozialamt nicht durchgesetzt werden; dieser Anspruch ist aber dennoch entstanden im Sinne des § 40 Abs. 1 SGB I in Verbindung mit § 41 SGB I.
Ein Leistungsantrag hat dann als vollständig im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB I aufgefasst zu werden, wenn dort der anspruchsbegründende Sachverhalt in der Weise dargestellt wird, so dass vom Sozialleistungsträger die gesetzlich bestimmten Voraussetzungen für einen Sozialleistungsanspruch eingehend überprüft und sein Entstehen festgestellt werden kann.
Der Zeitpunkt der Zahlung im Sinne des § 44 Abs. 1 SGB I stellt der Tag der Gutschrift der bewilligten Geldleistung auf dem Konto der anspruchsberechtigten Person dar.
2.3 BSG, Urteil vom 3. Juli 2020 (B 8 SO 27/18 R):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Das von einer teilstationär betriebenen „Integrierten Angebotswerkstatt (IAW)“ einem psychisch behinderten Erwerbsgeminderten, der Leistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII bezieht, zur Förderung seiner Anwesenheit aus Eigen- und Spendenmitteln gewährte „Motivationsgeld“ (EUR 1,60 pro Stunde) stellt ein Einkommen im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII dar.
Für die Frage, ob ein Einkommen vorliegt, spielt es (zunächst) keine Rolle, welcher Art die Einkünfte sind, aus welcher Quelle sie stammen, aus welchem Grunde und in welchem zeitlichen Rhythmus sie geleistet wurden. Von maßgebender Bedeutung ist hier stets der tatsächliche Zufluss an Geldmitteln.
Bei den von der IAW ihrer Klientel gegenüber auf der Grundlage der nach den §§ 75 ff. SGB XII abgeschlossenen Vereinbarungen gewährten Eingliederungsleistungen handelt es sich um keinen Ausdruck der Tätigkeit der „freien Wohlfahrtspflege“ im Sinne des § 84 Abs. 1 SGB XII. Das dieser Klientel ausgezahlte „Motivationsgeld“ stellt eine freiwillige Zuwendung Dritter im Sinne des § 84 Abs. 2 SGB XII dar, die nicht von den Regelungen der Leistungs- und Prüfungsvereinbarung (§ 76 SGB XII) mit umfasst ist, sondern in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Eingliederungsleistung dieser teilstationären Einrichtung steht.
Die IAW unterliegt weder einer rechtlichen noch einer sittlichen Pflicht zur Zahlung dieses Motivationsgeldes im Verhältnis zu den einzelnen behinderten Maßnahmenteilnehmern.
Das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne des § 84 Abs. 2 SGB XII hängt maßgeblich davon ab, ob die Nichtanrechnung einer freiwilligen Zuwendung neben dem Sozialhilfebezug ungerechtfertigt ist.
Dies kann nicht vertreten werden, wenn über die Gewährung dieses Motivationsgeldes der Maßnahmenträger einen Anreiz setzt, damit bei seiner Klientel durch eine regelmäßige Teilnahme die bei diesen Personen bestehenden behinderungsbedingten Einschränkungen in Bezug auf die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gemindert oder überwunden werden.
Die Höhe des Motivationsgeldes von EUR 1,60 pro Stunde dokumentiert, dass hier kein Zusammenhang mit einem bei der im Rahmen der Eingliederungsmaßnahme verrichteten Tätigkeit erzielten Erfolg besteht.
Bei der Anwendung des § 84 Abs. 2 SGB XII verbietet sich eine pauschalierend getätigte Orientierung anhand von Einkommensgrenzen. Mit dem Begriff der „besonderen Härte“ im Einzelfall lässt sich eine feste Obergrenze, bis zu der eine freiwillige Zuwendung als berücksichtigungsfrei einzuschätzen wäre, nicht vereinbaren.
3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II
3.1 Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 02.09.2020 - L 29 AS 998/20 B ER - rechtskräftig
Grundsicherung für Arbeitsuchende - vorläufige Leistungsbewilligung - Erstattung erbrachter Leistungen nach abschließender Entscheidung - keine vierjährige Verjährung - 30-jährige Verjährungsfrist
Orientierungshilfe ( Redakteur )
Die 4-jährige Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 SGB X findet auf einen mit bestandskräftigem Erstattungsbescheid gemäß § 328 Abs. 3 SGB III festgesetzten Erstattungsanspruch keine Anwendung. dieser verjährt gemäß § 52 SGB X in 30 Jahren.
Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=213658&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
Rechtstipp: ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Juli 2020 – L 14 AS 553/20 B ER
3.2 Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.08.2020 - L 29 AS 3028/16
litauische Staatsangehörige; Krankenpflegerin; Integrationskurs; Deutschkurs; Anerkennung der Ausbildung; Aufenthaltsrecht; Arbeitssuche; Ausschluss von Leistungen nach dem SGB 2; Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 12 im Ermessen; Ermessensreduktion auf Null; Aufenthaltsverfestigung; Kenntnis des beigeladenen Sozialhilfeträger mit Eingang des Antrags beim SGB 2 Träger; Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft
Orientierungshilfe ( Redakteur )
1. Bei der Frage, ob nach einem sechsmonatigen gefestigten Aufenthalt eine Ermessensreduktion auf Null vorliegen kann, hält der Senat an seiner früheren insoweit ablehnenden Rechtsauffassung nicht mehr fest.
Die typisierende Annahme einer Aufenthaltsverfestigung von EU-Ausländern nach Ablauf von sechs Monaten tatsächlichem Aufenthalt in Deutschland, der von der Ausländerbehörde faktisch geduldet wird, hat als normative Anknüpfungspunkte § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB XII a.F. und § 2 Abs. 2 Nr. 1 a FreizügG/EU, die sich auf die Arbeitsuche und die hieraus folgende Freizügigkeitsberechtigung für sechs Monate beziehen (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R, Urteil vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 35/15 R ).
2. Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung, ein Antrag nach dem SGB II beim hierfür zuständigen Jobcenter umfasse nicht zugleich einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII, nicht mehr fest.
Hinsichtlich der nach § 18 Abs. 1 SGB XII erforderlichen Kenntnis des beigeladenen Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R ), die hier nicht bei Abgabe des Formantrages beim Beklagten, sondern bereits mit Eingang des formlosen Antrages der Klägerin beim Beklagten anzunehmen ist.
Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=213554&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
3.3 LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31. August 2020 (L 2 AS 1111/20 B ER):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Eine unter Bezug auf § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II vom Jobcenter geäußerte Aufforderung zur Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente stellt eine Entscheidung dar, der keine pflichtgemäße Ausübung von Ermessen zugrunde liegt, wenn nicht vor dem Erlass eines entsprechenden Verwaltungsakts eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts im für eine rechtmäßige Ermessenausübung notwendigen Umfang erfolgte, z. B. wenn die wichtige Klärung der von einer 63jährigen Alg II-Empfängerin konkret zu erwartenden Rentenhöhe vor dem Erlass der von ihr angefochtenen Aufforderung zur Rentenantragstellung unterblieb. Hier bedarf es zunächst der Beibringung einer möglichst aktuellen und damit exakten Rentenauskunft.
3.4 LSG München, Beschluss v. 08.09.2020 – L 15 AS 142/20 B PKH
Anspruch auf PKH trotz Verbandsmitgliedschaft und Rechtsschutzversicherung
Leitsätze:
1. Trotz Verbandsmitgliedschaft ist PKH zu bewilligen, wenn es dem Beteiligten aus triftigen Gründen unzumutbar ist, den ihm zustehenden Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wenn ein Anspruch aus einer Rechtsschutzversicherung im laufenden Verfahren nicht zeitgerecht realisiert werden kann, ist PKH zu bewilligen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei Ablehnung der Deckungszusage durch die Rechtsschutzversicherung ist im Einzelfall zu prüfen, ob sich der Versicherungsnehmer um den Rechtsschutz durch seine Versicherung ernsthaft bemüht hat. (Rn. 29 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
Quelle: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2020-N-23907?hl=true
4. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )
4.1 Sozialgericht Halle (Saale), Urt. v. 25.08.2020 - S 5 AS 2203/18 – rechtskräftig
Angelegenheiten nach dem SGB II (AS), Mehrbedarf bei unabweisbarem laufenden besonderen Bedarf, Kostenübernahme für Anschaffung eines Computers nach verbindlicher Vorgabe der Schule
Kostenübernahme für ein im Schulunterricht zu verwendendes Tablet in Höhe von 210 EUR des Klägers im Rahmen von Leistungen nach dem SGB II
Leitsatz ( Redakteur )
1. Der Bedarf des Schülers ist nach § 21 Abs. 6 SGB II zu befriedigen, denn
Soweit sich die schulische Bildung mit einer im Einzelfall für die Schüler bzw. deren Eltern verbindlichen bzw. zwingenden - also auf Vorgabe der Gesamtkonferenz (§§ 27, 28 SchulG LSA) - Nutzung von Notebooks technisch fortentwickelt, stellen sich diese Notebooks oder Tablets bei entsprechender technischer Ausstattung im Hinblick auf den verfolgten Bildungszweck letztlich als mit Schulbüchern vergleichbar und damit als erforderliches Lernmittel dar. Dies bestätigt sich auch durch die vermehrte Verknüp-fung schulischer Aufgaben mit entsprechenden Lernplattformen (z.B. moodle, sofatutor, simpleclub), deren Nutzung durch entsprechende internetfähige Notebooks ermöglicht wird und die zunehmend ein nicht nur nebensächlicher Bestandteil schulischer Wissensvermittlung sein werden.
2. Soweit zur Deckung dieses Bedarfs nicht auf den Regelbedarf und die damit verbundene Ansparkonzeption verwiesen werden kann, werden solche Sondersituation zur Bedarfsdeckung bei verfassungskonformer Auslegung dem Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zugeordnet (so für "klassische" Schulbücher BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 - B 14 AS 13/18 R ).
Leitsatz ( Juris )
Soweit sich die schulische Bildung mit einer im Einzelfall für die Schüler bzw. deren Eltern verbindlichen bzw. zwingenden - also auf Vorgabe der Gesamtkonferenz (§§ 27, 28 SchulG LSA) - Nutzung von Notebooks technisch fortentwickelt, stellen sich diese Notebooks oder Tablets bei entsprechender technischer Ausstattung im Hinblick auf den verfolgten Bildungszweck letztlich als mit Schulbüchern vergleichbar und damit als erforderliches Lernmittel dar. Wenn zur Deckung dieses Bedarfs nicht auf den Regelbedarf und die damit verbundene Ansparkonzeption verwiesen werden kann, werden solche Sondersituation zur Bedarfsdeckung bei verfassungskonformer Auslegung dem Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zugeordnet.
Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=213780&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
4.2 Sozialgericht Reutlingen, Urt. v. 02.09.2020 - S 4 AS 1417/19
Orientierungshilfe ( Redakteur )
Festsetzung von Mahngebühren - keine Verjährung - vierjährige Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X gilt nicht, sondern die 30-jährige Verjährungsfrist des § 52 Abs. 2 SGB X ( aA.: Landessozialgerichten Rheinland-Pfalz (Urteil vom 27.09.2018, L 1 AL 88/17), Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 14.12.2018, L 34 AS 2224/18 B) und Baden-Württemberg (Urteil vom 26.06.2020, L 8 AL 3185/19 ).
Leitsatz ( Juris )
Spätestens ab dem Zeitpunkt der Neufassung des § 52 SGB 10 im Januar 2002 spricht alles dafür, dass Erstattungsbescheide nach § 50 Abs. 3 SGB 10 gleichzeitig Bescheide im Sinne des § 52 Abs. 1 S. 1 SGB 10 sind und damit § 50 Abs. 4 S. 1 SGB 10 in der Tat keinen Anwendungsbereich mehr hat und aufgehoben werden könnte.
Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=213781&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
Anmerkung von RA Kay Füßlein, Berlin:
Nicht zu vergessen die Rechtsprechungsvermeidung der BA vor dem BSG (Revisionsücknahme )
„Schadenmanagement“ durch Rechtsprechungsvermeidung?“ (Verdamp lang her II)
„Schadenmanagement“ durch Rechtsprechungsvermeidung?“ heißt ein Aufsatz von Piontek (r+s 2016, 335) der sich damit befasst, inwiefern Versicherungsunternehmen durch Rücknahme von Rechtsmitteln oder der Abgabe von Anerkenntnissen Urteile des Bundesgerichtshofs zu bestimmten Rechtsfragen vermeiden.
Denn wo bekanntlich
Wo kein Kläger /Beklagter auch kein Richter.
Gebannt wartet man daher, ob die vierjährige Verjährungsfrist für Erstattungsforderungen nun auch für Rückforderungen der JobCenter/ Bundesagentur für Arbeit (meist aus Recklinghausen) gilt. Dies hatte das SG Speyer, das LSG Rheinland-Pfalz und nachfolgend auch andere Gerichte so gesehen (siehe auch Verdamp lang her)
Nach Mittelung des BSG (Terminvorschau – Sitzung 11. Senat am 10.12.2019 ) hat dann aber die Agentur für Arbeit ihr Rechtsmittel gegen das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 27. September 2018 – L 1 AL 88/17 zurückgenommen, so dass es auf absehbarere Zeit keine Rechtsprechung des BSG zu dem Verhältnis von § 50 SGB X zu § 52 SGB X geben wird, also die Frage gelöst wird, wann eine vierjährige und wann eine 30 jährige Verjährung gilt.
Zumindest hat das SG Berlin nun abermals die Ansicht vertreten, dass eine vierjährige Verjährungsfrist gilt (Beschluss des SG Berlin vom 29.11.2019 – S 140 AS 8530/19 ER)
http://www.ra-fuesslein.de/wordpress/?p=983
5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )
5.1 Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 25.09.2020 - L 15 SO 124/20 B ER - rechtskräftig
Existenzsicherung; Überbrückungsleistungen; Unionsbürger ohne Aufenthaltsrecht; abschließende Prüfung der Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes; Folgenabwägung
Leitsatz ( Juris )
1. Zur abschließenden Prüfung der materiellen Rechtslage in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn der zuständige Spruchkörper in einem Hauptsacheverfahren, zu dem eine Revision anhängig ist, eine bestimmte Rechtsauffassung bereits vertreten hat.
2. Zur Folgenabwägung bei rechtlich streitigen existenzsichernden Leistungen.
3. Kann es für den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf eine ungeklärte, schwierige Rechtsfrage ankommen, ist Prozesskostenhilfe auch dann zu bewilligen, wenn das Gericht aufgrund seiner Rechtsauffassung den Erlass der einstweiligen Anordnung ablehnt (s. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2020 – 1 BvR 1246/19 -).
Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=213776&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
6. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher
6.1 Zum Termin beim Jobcenter mit dem Fahrrad
Grundsätzlich steht auch Fahrradfahrern eine Fahrtkostenerstattung für die Wahrnehmung von Meldeterminen beim Jobcenter zu. Bezüglich der Höhe der Erstattung besteht ein Ermessensspielraum.
weiter: https://www.rechtslupe.de/sozialrecht/zum-termin-beim-jobcenter-mit-dem-fahrrad-3219055
6.2 Hartz-IV: Jobcenter muss für Auszubildenden Kosten der Berufskleidung tragen
weiter: https://www.lifepr.de/inaktiv/deutscher-anwaltverein-dav-ev/Hartz-IV-Jobcenter-muss-fuer-Auszubildenden-Kosten-der-Berufskleidung-tragen/boxid/818236
6.3 Tabellarische Übersicht: Anspruch auf Familienleistungen für drittstaatsangehörige ausländische Staatsangehörige
weiter: http://ggua.de/fileadmin/downloads/tabellen_und_uebersichten/Tabelle_Familienleistungen_2020.pdf
6.4 Verwaltungsgericht Stuttgart, Beschluss vom 31. August 2020 (5 K 4391/20 – nicht rechtskräftig):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Verweisung eines obdachlosen Menschen auf das Mittel der Selbsthilfe in Form einer Rückreisemöglichkeit in sein Herkunftsland und Verneinung einer unfreiwilligen Obdachlosigkeit, die allein eine Polizei-/Ordnungsbehörde zu einer obdachlosenrechtlichen Intervention verpflichtet, nachdem kein Arbeitnehmerstatus (§ 2 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alt. FreizügG/EU) mehr besteht, und die angebotene Rückkehrbeihilfe abgelehnt wurde, ohne dass gegen eine Rückkehr in den Heimatstaat sprechende Gründe erkennbar vorliegen.
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
1.1 EuGH vom 06.10.2020 - Az.: C-181/19
Kein SGB II-Leistungsausschluss für "EU-Ausländer" bei Aufenthaltsrecht als sorgerechtsausübender Elternteil von Kindern
Der EuGH hat entschieden, dass ein früherer Wanderarbeitnehmer und seine Kinder, denen ein Aufenthaltsrecht aufgrund des Schulbesuchs der Kinder zusteht, nicht mit der Begründung, dass dieser Arbeitnehmer arbeitslos geworden ist, automatisch von nach dem nationalen Recht vorgesehenen Leistungen der sozialen Grundsicherung ausgeschlossen werden können.
Weiter auf Juris: https://www.juris.de/jportal/portal/t/nh3/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA201003481&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp
Hier zum Volltext: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=232081&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=5937523
2. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem ( SGB II ) und zur Sozialhilfe ( SGB XII )
2.1 BSG, Urteil v. 24.06.2020 - B 4 AS 12/20 R
Orientierungshilfe ( Redakteur )
1. Aufforderung zur vorzeitigen Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters war nicht rechtswidrig, denn die Ausnahmetatbestände, bei denen Leistungsberechtigte zur Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente nicht verpflichtet sind, liegen nicht vor.
2. Auch der erneuten Aufnahme eines Kindes in Vollzeitpflege liegt weder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, für die von vornherein keine Anhaltspunkte bestehen, noch eine sonstige Erwerbstätigkeit iS des § 4 UnbilligkeitsV zugrunde, aus der ein entsprechend hohes Einkommen erzielt wurde.
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Das dem SGB II-Träger auf der Grundlage des § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II hinsichtlich des „Ob“ einer Aufforderung zur Rentenantragstellung eingeräumte Ermessen hat seinen Ausgangspunkt in der gesetzlichen Verpflichtung eines Alg II-Empfängers zur Realisierung vorrangiger Sozialleistungen entsprechend § 3 Abs. 3, 1. Halbsatz SGB II in Verbindung mit § 12a Satz 1 SGB II.
Der Aufforderung nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II hat beim Jobcenter die tatbestandliche Prüfung vorauszugehen, dass für den Leistungsempfänger die Beantragung einer vorzeitigen Altersrente nicht unbillig im Sinne des § 1 UnbilligkeitsVO ist.
Hier können nur besondere Härten, die die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente als unzumutbar erscheinen lassen, im Einzelfall in Betracht kommen.
Beim Verlust einer mit der Pflege von Angehörigen einhergehenden rentenrechtlichen Absicherung handelt es sich um keine im Rahmen dieser Ermessensentscheidung allein zu berücksichtigende Härte im Einzelfall.
Die Anerkennung des hohen Einsatzes der Pflegeperson und die Schließung der bedingt durch die Ausübung der Pflege in der Erwerbsbiographie eintretenden Lücken in der gesetzlichen Rentenversicherung hat nicht zur Folge, dass dies zwingend auch im steuerfinanzierten Existenzsicherungssystem nach dem SGB II mit seinem strengen Nachranggrundsatz zu berücksichtigen ist.
Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=213763&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
2.2 BSG, Urteil vom 3. Juli 2020 (B 8 SO 15/19 R):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Von einem Sozialhilfeträger nach § 44 SGB I zu gewährende Zinsen sind als unselbständige Nebenleistung akzessorisch zur vom Sozialamt zu gewährenden Hauptleistung.
Von maßgebender Bedeutung für die Fälligkeit von Sozialhilfeansprüchen im Sinne des § 41 SGB I in Verbindung mit § 44 Abs. 1 SGB I ist stets der Zeitpunkt, wann die im Gesetz bestimmten, materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.
Lehnt ein Sozialhilfeträger die Gewährung einer Leistung zu Unrecht ab, kann antragstellerseitig zwar der geltend gemachte Sozialhilfeanspruch, solange die Bestandskraft des Ablehnungsbescheids fortwirkt, gegenüber dem Sozialamt nicht durchgesetzt werden; dieser Anspruch ist aber dennoch entstanden im Sinne des § 40 Abs. 1 SGB I in Verbindung mit § 41 SGB I.
Ein Leistungsantrag hat dann als vollständig im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB I aufgefasst zu werden, wenn dort der anspruchsbegründende Sachverhalt in der Weise dargestellt wird, so dass vom Sozialleistungsträger die gesetzlich bestimmten Voraussetzungen für einen Sozialleistungsanspruch eingehend überprüft und sein Entstehen festgestellt werden kann.
Der Zeitpunkt der Zahlung im Sinne des § 44 Abs. 1 SGB I stellt der Tag der Gutschrift der bewilligten Geldleistung auf dem Konto der anspruchsberechtigten Person dar.
2.3 BSG, Urteil vom 3. Juli 2020 (B 8 SO 27/18 R):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Das von einer teilstationär betriebenen „Integrierten Angebotswerkstatt (IAW)“ einem psychisch behinderten Erwerbsgeminderten, der Leistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII bezieht, zur Förderung seiner Anwesenheit aus Eigen- und Spendenmitteln gewährte „Motivationsgeld“ (EUR 1,60 pro Stunde) stellt ein Einkommen im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII dar.
Für die Frage, ob ein Einkommen vorliegt, spielt es (zunächst) keine Rolle, welcher Art die Einkünfte sind, aus welcher Quelle sie stammen, aus welchem Grunde und in welchem zeitlichen Rhythmus sie geleistet wurden. Von maßgebender Bedeutung ist hier stets der tatsächliche Zufluss an Geldmitteln.
Bei den von der IAW ihrer Klientel gegenüber auf der Grundlage der nach den §§ 75 ff. SGB XII abgeschlossenen Vereinbarungen gewährten Eingliederungsleistungen handelt es sich um keinen Ausdruck der Tätigkeit der „freien Wohlfahrtspflege“ im Sinne des § 84 Abs. 1 SGB XII. Das dieser Klientel ausgezahlte „Motivationsgeld“ stellt eine freiwillige Zuwendung Dritter im Sinne des § 84 Abs. 2 SGB XII dar, die nicht von den Regelungen der Leistungs- und Prüfungsvereinbarung (§ 76 SGB XII) mit umfasst ist, sondern in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Eingliederungsleistung dieser teilstationären Einrichtung steht.
Die IAW unterliegt weder einer rechtlichen noch einer sittlichen Pflicht zur Zahlung dieses Motivationsgeldes im Verhältnis zu den einzelnen behinderten Maßnahmenteilnehmern.
Das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne des § 84 Abs. 2 SGB XII hängt maßgeblich davon ab, ob die Nichtanrechnung einer freiwilligen Zuwendung neben dem Sozialhilfebezug ungerechtfertigt ist.
Dies kann nicht vertreten werden, wenn über die Gewährung dieses Motivationsgeldes der Maßnahmenträger einen Anreiz setzt, damit bei seiner Klientel durch eine regelmäßige Teilnahme die bei diesen Personen bestehenden behinderungsbedingten Einschränkungen in Bezug auf die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gemindert oder überwunden werden.
Die Höhe des Motivationsgeldes von EUR 1,60 pro Stunde dokumentiert, dass hier kein Zusammenhang mit einem bei der im Rahmen der Eingliederungsmaßnahme verrichteten Tätigkeit erzielten Erfolg besteht.
Bei der Anwendung des § 84 Abs. 2 SGB XII verbietet sich eine pauschalierend getätigte Orientierung anhand von Einkommensgrenzen. Mit dem Begriff der „besonderen Härte“ im Einzelfall lässt sich eine feste Obergrenze, bis zu der eine freiwillige Zuwendung als berücksichtigungsfrei einzuschätzen wäre, nicht vereinbaren.
3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II
3.1 Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 02.09.2020 - L 29 AS 998/20 B ER - rechtskräftig
Grundsicherung für Arbeitsuchende - vorläufige Leistungsbewilligung - Erstattung erbrachter Leistungen nach abschließender Entscheidung - keine vierjährige Verjährung - 30-jährige Verjährungsfrist
Orientierungshilfe ( Redakteur )
Die 4-jährige Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 SGB X findet auf einen mit bestandskräftigem Erstattungsbescheid gemäß § 328 Abs. 3 SGB III festgesetzten Erstattungsanspruch keine Anwendung. dieser verjährt gemäß § 52 SGB X in 30 Jahren.
Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=213658&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
Rechtstipp: ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Juli 2020 – L 14 AS 553/20 B ER
3.2 Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.08.2020 - L 29 AS 3028/16
litauische Staatsangehörige; Krankenpflegerin; Integrationskurs; Deutschkurs; Anerkennung der Ausbildung; Aufenthaltsrecht; Arbeitssuche; Ausschluss von Leistungen nach dem SGB 2; Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 12 im Ermessen; Ermessensreduktion auf Null; Aufenthaltsverfestigung; Kenntnis des beigeladenen Sozialhilfeträger mit Eingang des Antrags beim SGB 2 Träger; Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft
Orientierungshilfe ( Redakteur )
1. Bei der Frage, ob nach einem sechsmonatigen gefestigten Aufenthalt eine Ermessensreduktion auf Null vorliegen kann, hält der Senat an seiner früheren insoweit ablehnenden Rechtsauffassung nicht mehr fest.
Die typisierende Annahme einer Aufenthaltsverfestigung von EU-Ausländern nach Ablauf von sechs Monaten tatsächlichem Aufenthalt in Deutschland, der von der Ausländerbehörde faktisch geduldet wird, hat als normative Anknüpfungspunkte § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB XII a.F. und § 2 Abs. 2 Nr. 1 a FreizügG/EU, die sich auf die Arbeitsuche und die hieraus folgende Freizügigkeitsberechtigung für sechs Monate beziehen (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R, Urteil vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 35/15 R ).
2. Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung, ein Antrag nach dem SGB II beim hierfür zuständigen Jobcenter umfasse nicht zugleich einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII, nicht mehr fest.
Hinsichtlich der nach § 18 Abs. 1 SGB XII erforderlichen Kenntnis des beigeladenen Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R ), die hier nicht bei Abgabe des Formantrages beim Beklagten, sondern bereits mit Eingang des formlosen Antrages der Klägerin beim Beklagten anzunehmen ist.
Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=213554&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
3.3 LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31. August 2020 (L 2 AS 1111/20 B ER):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Eine unter Bezug auf § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II vom Jobcenter geäußerte Aufforderung zur Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente stellt eine Entscheidung dar, der keine pflichtgemäße Ausübung von Ermessen zugrunde liegt, wenn nicht vor dem Erlass eines entsprechenden Verwaltungsakts eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts im für eine rechtmäßige Ermessenausübung notwendigen Umfang erfolgte, z. B. wenn die wichtige Klärung der von einer 63jährigen Alg II-Empfängerin konkret zu erwartenden Rentenhöhe vor dem Erlass der von ihr angefochtenen Aufforderung zur Rentenantragstellung unterblieb. Hier bedarf es zunächst der Beibringung einer möglichst aktuellen und damit exakten Rentenauskunft.
3.4 LSG München, Beschluss v. 08.09.2020 – L 15 AS 142/20 B PKH
Anspruch auf PKH trotz Verbandsmitgliedschaft und Rechtsschutzversicherung
Leitsätze:
1. Trotz Verbandsmitgliedschaft ist PKH zu bewilligen, wenn es dem Beteiligten aus triftigen Gründen unzumutbar ist, den ihm zustehenden Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wenn ein Anspruch aus einer Rechtsschutzversicherung im laufenden Verfahren nicht zeitgerecht realisiert werden kann, ist PKH zu bewilligen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei Ablehnung der Deckungszusage durch die Rechtsschutzversicherung ist im Einzelfall zu prüfen, ob sich der Versicherungsnehmer um den Rechtsschutz durch seine Versicherung ernsthaft bemüht hat. (Rn. 29 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
Quelle: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2020-N-23907?hl=true
4. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )
4.1 Sozialgericht Halle (Saale), Urt. v. 25.08.2020 - S 5 AS 2203/18 – rechtskräftig
Angelegenheiten nach dem SGB II (AS), Mehrbedarf bei unabweisbarem laufenden besonderen Bedarf, Kostenübernahme für Anschaffung eines Computers nach verbindlicher Vorgabe der Schule
Kostenübernahme für ein im Schulunterricht zu verwendendes Tablet in Höhe von 210 EUR des Klägers im Rahmen von Leistungen nach dem SGB II
Leitsatz ( Redakteur )
1. Der Bedarf des Schülers ist nach § 21 Abs. 6 SGB II zu befriedigen, denn
Soweit sich die schulische Bildung mit einer im Einzelfall für die Schüler bzw. deren Eltern verbindlichen bzw. zwingenden - also auf Vorgabe der Gesamtkonferenz (§§ 27, 28 SchulG LSA) - Nutzung von Notebooks technisch fortentwickelt, stellen sich diese Notebooks oder Tablets bei entsprechender technischer Ausstattung im Hinblick auf den verfolgten Bildungszweck letztlich als mit Schulbüchern vergleichbar und damit als erforderliches Lernmittel dar. Dies bestätigt sich auch durch die vermehrte Verknüp-fung schulischer Aufgaben mit entsprechenden Lernplattformen (z.B. moodle, sofatutor, simpleclub), deren Nutzung durch entsprechende internetfähige Notebooks ermöglicht wird und die zunehmend ein nicht nur nebensächlicher Bestandteil schulischer Wissensvermittlung sein werden.
2. Soweit zur Deckung dieses Bedarfs nicht auf den Regelbedarf und die damit verbundene Ansparkonzeption verwiesen werden kann, werden solche Sondersituation zur Bedarfsdeckung bei verfassungskonformer Auslegung dem Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zugeordnet (so für "klassische" Schulbücher BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 - B 14 AS 13/18 R ).
Leitsatz ( Juris )
Soweit sich die schulische Bildung mit einer im Einzelfall für die Schüler bzw. deren Eltern verbindlichen bzw. zwingenden - also auf Vorgabe der Gesamtkonferenz (§§ 27, 28 SchulG LSA) - Nutzung von Notebooks technisch fortentwickelt, stellen sich diese Notebooks oder Tablets bei entsprechender technischer Ausstattung im Hinblick auf den verfolgten Bildungszweck letztlich als mit Schulbüchern vergleichbar und damit als erforderliches Lernmittel dar. Wenn zur Deckung dieses Bedarfs nicht auf den Regelbedarf und die damit verbundene Ansparkonzeption verwiesen werden kann, werden solche Sondersituation zur Bedarfsdeckung bei verfassungskonformer Auslegung dem Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zugeordnet.
Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=213780&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
4.2 Sozialgericht Reutlingen, Urt. v. 02.09.2020 - S 4 AS 1417/19
Orientierungshilfe ( Redakteur )
Festsetzung von Mahngebühren - keine Verjährung - vierjährige Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X gilt nicht, sondern die 30-jährige Verjährungsfrist des § 52 Abs. 2 SGB X ( aA.: Landessozialgerichten Rheinland-Pfalz (Urteil vom 27.09.2018, L 1 AL 88/17), Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 14.12.2018, L 34 AS 2224/18 B) und Baden-Württemberg (Urteil vom 26.06.2020, L 8 AL 3185/19 ).
Leitsatz ( Juris )
Spätestens ab dem Zeitpunkt der Neufassung des § 52 SGB 10 im Januar 2002 spricht alles dafür, dass Erstattungsbescheide nach § 50 Abs. 3 SGB 10 gleichzeitig Bescheide im Sinne des § 52 Abs. 1 S. 1 SGB 10 sind und damit § 50 Abs. 4 S. 1 SGB 10 in der Tat keinen Anwendungsbereich mehr hat und aufgehoben werden könnte.
Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=213781&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
Anmerkung von RA Kay Füßlein, Berlin:
Nicht zu vergessen die Rechtsprechungsvermeidung der BA vor dem BSG (Revisionsücknahme )
„Schadenmanagement“ durch Rechtsprechungsvermeidung?“ (Verdamp lang her II)
„Schadenmanagement“ durch Rechtsprechungsvermeidung?“ heißt ein Aufsatz von Piontek (r+s 2016, 335) der sich damit befasst, inwiefern Versicherungsunternehmen durch Rücknahme von Rechtsmitteln oder der Abgabe von Anerkenntnissen Urteile des Bundesgerichtshofs zu bestimmten Rechtsfragen vermeiden.
Denn wo bekanntlich
Wo kein Kläger /Beklagter auch kein Richter.
Gebannt wartet man daher, ob die vierjährige Verjährungsfrist für Erstattungsforderungen nun auch für Rückforderungen der JobCenter/ Bundesagentur für Arbeit (meist aus Recklinghausen) gilt. Dies hatte das SG Speyer, das LSG Rheinland-Pfalz und nachfolgend auch andere Gerichte so gesehen (siehe auch Verdamp lang her)
Nach Mittelung des BSG (Terminvorschau – Sitzung 11. Senat am 10.12.2019 ) hat dann aber die Agentur für Arbeit ihr Rechtsmittel gegen das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 27. September 2018 – L 1 AL 88/17 zurückgenommen, so dass es auf absehbarere Zeit keine Rechtsprechung des BSG zu dem Verhältnis von § 50 SGB X zu § 52 SGB X geben wird, also die Frage gelöst wird, wann eine vierjährige und wann eine 30 jährige Verjährung gilt.
Zumindest hat das SG Berlin nun abermals die Ansicht vertreten, dass eine vierjährige Verjährungsfrist gilt (Beschluss des SG Berlin vom 29.11.2019 – S 140 AS 8530/19 ER)
http://www.ra-fuesslein.de/wordpress/?p=983
5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )
5.1 Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 25.09.2020 - L 15 SO 124/20 B ER - rechtskräftig
Existenzsicherung; Überbrückungsleistungen; Unionsbürger ohne Aufenthaltsrecht; abschließende Prüfung der Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes; Folgenabwägung
Leitsatz ( Juris )
1. Zur abschließenden Prüfung der materiellen Rechtslage in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn der zuständige Spruchkörper in einem Hauptsacheverfahren, zu dem eine Revision anhängig ist, eine bestimmte Rechtsauffassung bereits vertreten hat.
2. Zur Folgenabwägung bei rechtlich streitigen existenzsichernden Leistungen.
3. Kann es für den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf eine ungeklärte, schwierige Rechtsfrage ankommen, ist Prozesskostenhilfe auch dann zu bewilligen, wenn das Gericht aufgrund seiner Rechtsauffassung den Erlass der einstweiligen Anordnung ablehnt (s. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2020 – 1 BvR 1246/19 -).
Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=213776&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=
6. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher
6.1 Zum Termin beim Jobcenter mit dem Fahrrad
Grundsätzlich steht auch Fahrradfahrern eine Fahrtkostenerstattung für die Wahrnehmung von Meldeterminen beim Jobcenter zu. Bezüglich der Höhe der Erstattung besteht ein Ermessensspielraum.
weiter: https://www.rechtslupe.de/sozialrecht/zum-termin-beim-jobcenter-mit-dem-fahrrad-3219055
6.2 Hartz-IV: Jobcenter muss für Auszubildenden Kosten der Berufskleidung tragen
weiter: https://www.lifepr.de/inaktiv/deutscher-anwaltverein-dav-ev/Hartz-IV-Jobcenter-muss-fuer-Auszubildenden-Kosten-der-Berufskleidung-tragen/boxid/818236
6.3 Tabellarische Übersicht: Anspruch auf Familienleistungen für drittstaatsangehörige ausländische Staatsangehörige
weiter: http://ggua.de/fileadmin/downloads/tabellen_und_uebersichten/Tabelle_Familienleistungen_2020.pdf
6.4 Verwaltungsgericht Stuttgart, Beschluss vom 31. August 2020 (5 K 4391/20 – nicht rechtskräftig):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Verweisung eines obdachlosen Menschen auf das Mittel der Selbsthilfe in Form einer Rückreisemöglichkeit in sein Herkunftsland und Verneinung einer unfreiwilligen Obdachlosigkeit, die allein eine Polizei-/Ordnungsbehörde zu einer obdachlosenrechtlichen Intervention verpflichtet, nachdem kein Arbeitnehmerstatus (§ 2 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alt. FreizügG/EU) mehr besteht, und die angebotene Rückkehrbeihilfe abgelehnt wurde, ohne dass gegen eine Rückkehr in den Heimatstaat sprechende Gründe erkennbar vorliegen.
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock