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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 35/2025

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )

1.1 BSG, Urt. v. 12.03.2025 - B 11 AL 1/24 R -

Arbeitsförderungsrecht - Kurzarbeitergeldanspruch - Kurzarbeit inländischer Mitarbeiter einer ausländischen Fluggesellschaft während Corona-Pandemie - Vorliegen der betrieblichen Voraussetzungen - inländischer Betrieb - Betriebsabteilung - Heimatbasen an deutschen Flughäfen

BSG: Auch ausländische Fluggesellschaften können Kurzarbeitergeld beanspruchen

Dazu Detlef Brock

1. Denn Heimatbasen sind ausreichender inländischer Anknüpfungspunkt für die Begründung eines Anspruchs auf Kurzarbeitergeld. Bei diesen handelt es sich um Betriebsabteilungen, die nach § 97 Satz 2 SGB III ebenfalls als Betrieb gelten.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/178578

 

Praxistipp ebenso

BSG, Urt. v. 12.03.2025 - B 11 AL 5/24 R -

 

Dazu Detlef Brock

1. Ein ausländisches Unternehmen kann für seinen im Inland dauerhaft beschäftigten
Arbeitnehmer, der ausschließlich Dienstleistungen erbringt und der Sozialversicherungspflicht in Deutschland unterliegt, Kurzarbeitergeld beanspruchen, auch wenn sich der Sitz, die Leitung und wesentliche technische Einrichtungen des Unternehmens im Ausland ( Italien ) befinden.

2. Wie der Senat am heutigen Tag in der Sache B 11 AL 1/24 R bereits befunden hat, ist von einer Betriebsabteilung auszugehen, wenn es sich um eine im Grundsatz personell und organisatorisch vom Gesamtbetrieb abgegrenzte Einheit handelt, die in der Regel einen eigenen Betriebszweck verfolgt und mit eigenen Betriebsmitteln ausgestattet ist. Eine solche liegt hier vor.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/index.php/node/178577

 

 

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem SGB II – Bürgergeld

2.1 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 17.07.2025 - L 2 AS 293/24 -

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. Die für die Zeit ab dem 1. Januar 2019 für einen Ein-Personen-Haushalt geltenden Werte für angemessene Unterkunftskosten in der Stadt Halle (Saale) beruhen auf einem schlüssigen Konzept bzw das ab 1. Januar 2017 geltende Konzept ist zulässig fortgeschrieben worden.

2. Eine Gesamtangemessenheitsgrenze iS von § 22 Abs 10 SGB II gilt nur, wenn der Grundsicherungsträger eine solche festgelegt hat.

Dazu Detlef Brock

1. § 22 Abs. 1 Satz 6 SGB II gewährt keinen „Bestandsschutz“ für die bisherigen unangemessenen Miet- Kosten bei Umzug ohne Zusicherung.


Praxistipp ebenso zum Bürgergeld


LSG Baden-Württemberg, v. 09.05.2025 - L 7 AS 1296/25 ER-B -

 

2.2 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 06.11.2024 - L 2 AS 517/16 -

Dazu Detlef Brock

1. Die freiberufliche Tätigkeit eines Künstlers ist kein Saisonbetrieb.


Leitsätze aus www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. Einer Entscheidung durch Beschluss gem § 153 Abs 4 SGG steht im Einzelfall nicht entgegen, dass der berufungsbeklagte Leistungsträger während des Berufungsverfahrens einen Teilabhilfebescheid erlassen hat.

2. In einem Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG kann die Kostenentscheidung der Vorinstanz abgeändert werden.

3. Das auf die Grundsicherungsleistungen anzurechnende Einkommen von zwei miteinander verheirateten, freiberuflich tätigen Künstlern ist individuell zu ermitteln, wenn diese während des gesamten Leistungszeitraums nach außen hin als Einzelselbständige aufgetreten sind und sich gegenseitig Leistungen in Rechnung gestellt haben. Ein Verlustausgleich findet in diesem Fall nicht statt.

4. Die freiberufliche Tätigkeit eines Künstlers ist kein Saisonbetrieb i.S.v. § 3 Abs. 5 Alg II-V a.F.

 

 

2.3 LSG Hessen, Urt. v. 25.07.2025 - L 7 AS 61/25 – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Dazu Detlef Brock

1. Der Regelbedarf nach der Regelbedarfsstufe 1 war im Zeitraum 1.7.2019 bis 31.3.2020 verfassungsgemäß

Hinweis von Detlef Brock zur Überprüfung des Regelbedarfs in den Jahren 2022-2023

Dem 4. und 7. Senat des Bundessozialgerichts wird in 3 Verfahren zur Grundsicherung nach dem SGB 2 folgende Frage vorgelegt:


1. B 4 AS 5/25 R - neu - ( LSG Baden-Württemberg, L 2 AS 3642/22, 05.11.2024 )- Waren die nach § 20 SGB II bestimmten Regelbedarfe der Regelbedarfsstufe 1 im Jahr 2022 verfassungskonform?


2. B 7 AS 30/24 R - ( LSG NRW, L 12 AS 1814/22, 13.12.2023 )

Waren die nach § 20 SGB II bestimmten Regelbedarfe der Regelbedarfsstufe 1 im Jahr 2022 verfassungskonform?


3. B 7 AS 20/24 R - ( LSG Berlin-Brandenburg, L 18 AS 279/23, 18.10.2023 )

Waren die nach § 20 SGB II bestimmten Regelbedarfe der Regelbedarfsstufe 1 in den Monaten September und Oktober 2022 verfassungskonform?


Rechtstipp zum SGB 12:


1. B 8 SO 4/24 R - ( LSG Baden-Württemberg, L 7 SO 1468/22, 17.11.2022 )

Waren die nach § 29 SGB XII bestimmten Regelsätze in der 1. Hälfte des Jahres 2022 verfassungskonform?


2. B 8 SO 5/24 R -( LSG Baden-Württemberg, L 7 SO 296/23, 27.04.2023 )

Waren die nach § 29 SGB XII bestimmten Regelsätze in der 2. Hälfte des Jahres 2022 verfassungskonform?

 

 

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum SGB II / Bürgergeld

3.1 keine

 

 

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht nach dem SGB III

4.1 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 21.02.2025 - L 2 AL 37/24 -

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. Ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid zu gewährtem Arbeitslosengeld ist hinreichend bestimmt, wenn nach dessen Inhalt und ggf auch dem des Widerspruchsbescheids sowie den Gesamtumständen des Leistungsfalls der aufzuhebende Bewilligungsbescheid (im vorliegenden Fall: die letzte davor erlassene Bewilligung) eindeutig identifiziert werden kann. Eine Nennung des Datums der aufzuhebenden Bewilligung ist hierzu nicht zwingend erforderlich.

2. Es besteht im Recht des SGB III - anders als in dem des SGB II - kein Grundsatz, dass sich der materielle Leistungsanspruch nach Bedarfs- bzw. Bewilligungsmonaten gliedert, so dass innerhalb eines durchgehenden Aufhebungszeitraums keine konkrete Bezeichnung einzelner aufzuhebender Zeitabschnittsteile erforderlich ist.

 

5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 LSG Bayern, Urteil vom 10.09.2024 - L 8 SO 233/22 -

Zur Berechnung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Freibetrag wegen Grundrentenzeiten - zusätzliche Altersvorsorge

Sozialhilfe: Gemäß § 143 SGB XII habe der Träger der Sozialhilfe über Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ohne Berücksichtigung eines eventuellen Freibetrages nach § 82a SGB XII zu entscheiden, so lange ihm nicht durch eine Mitteilung des Rentenversicherungsträgers nachgewiesen sei, dass die Voraussetzungen für die Einräumung des Freibetrages vorlägen. ( hier verneinend, denn eigene Aufstellungen reichen hierzu gerade - nicht aus)

Dazu Detlef Brock

1. Leistungsempfänger von Leistungen Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, welche - lediglich eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen und es sich dabei nicht um eine zusätzliche Altersvorsorge i.S. des § 82 Abs. 4, Abs. 5 Satz 1 und 2 SGB XII handelt, kommt die Absetzung eines Freibetrags nach § 82 Abs. 4 SGB XII nicht in Betracht.

2. Ebenso wenig musste die Behörde einen Freibetrag wegen Grundrentenzeiten oder entsprechenden Zeiten aus anderweitigen Alterssicherungssystemen nach § 82a SGB XII berücksichtigen.

3. Nach der Gesetzesbegründung zu § 143 SGB XII soll allein die Mitteilung der sachlich zuständigen Rentenversicherung oder der berufsständischen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtungen als Nachweis für das Erfüllen der Grundrentenzeiten maßgeblich sein (BT-Drs. 19/24034, S. 34).

An einem solchen Nachweis fehlt es aber vorliegend. Die von der Leistungsbezieherin vorgelegten, eigenen Aufstellungen reichen daher zum Nachweis gerade nicht aus.

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

Maßgeblicher Nachweis für das Erfüllen von Grundrentenzeiten ist allein die Mitteilung der sachlich zuständigen Rentenversicherung oder berufsständischen Vereinigung.

 

Hinweis Detlef Brock

1. Eine § 82 Absatz 4 SGB XII vergleichbare Regelung, wonach Beziehern von Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII der Abzug weiterer Beträge von ihrer Betriebsrente ermöglicht wird, sieht das SGB II nicht vor ( neuste Rechtsprechung des BSG aus 2024 - Az. B 7 AS 17/23 R ).

 

6. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

6.1 LSG Nds.- Bremen vom 21.08.2025 – L 8 AY 34/25 B ER -

LSG Niedersachsen-Bremen: Erhebliche Zweifel, ob Kindern Leistungen gekürzt werden dürfen - § 1 Abs. 4 Satz 1 N r. 1 AsylbLG

Dazu RA Volker Gerloff

1.Es ging im Wesentlichen um § 1a Abs. 4 AsylbLG. Die Leistungskürzung wurde vorläufig unter anderem deshalb aufgehoben, weil die Behörde nicht geprüft hatte, ob der Schutzstatus in Bulgarien überhaupt noch fortbesteht.

Die Behörde muss alle Tatbestandsmerkmale darlegen und beweisen – etwas, das viele Behörden und leider auch einige Gerichte „vergessen“.


2. Am Rande betont das LSG auch nochmals seine verfassungs- und europarechtlichen Bedenken gegen den Leistungsausschluss für „Dublin-Fälle“.

3. Und: Das LSG stellt klar, dass Leistungskürzungen oder gar Leistungsausschlüsse gegen Kinder wohl stets unzulässig sein dürften! Auch hier haben viele Behörden und auch einige Gerichte leider kein Problembewusstsein.


Quelle: Newsletter-07-2025 von RA Volker Gerloff: https://www.ra-gerloff.de/newsletter/Newsletter-07-2025.pdf

 

 

6.2 SG Potsdam, Beschluss vom 23.07.2025 – S 20 AY 15/25 ER -

SG Potsdam: Aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage bei Bezahlkarte- Bescheiden!

Dazu Detlef Brock

Bisher haben die Gerichte die aufschiebende Wirkung bei Widerspruch/ Klage bei Bezahlkarte Bescheiden verneint. Jetzt bejaht das SG Potsdam aber dies, was heißt: Leistungen müssen weiter gezahlt werden!!


Dazu RA Volker Gerloff

1. Wenn im laufenden Bewilligungszeitraum mit gewährten Geldleistungen ein neuer Bescheid „auf Bezahlkarte umstellt“, dann hat der Widerspruch dagegen aufschiebende Wirkung (SG Potsdam, Beschluss vom 23.07.2025 – S 20 AY 15/25 ER). Das heißt: Es sind weiter Geldleistungen zu gewähren.


2. Bisher haben die Gerichte diese aufschiebende Wirkung verneint, weil es sich um eine Aufhebung oder einen Entzug von Leistungen handeln soll (jeweils ganz oder teilweise), § 11 Abs. 4 Nr. 1 AsylbLG. Wo aber soll der Entzug oder die Aufhebung sein? Es wird „lediglich“ die Leistungsform umgestellt und damit in das Grundrecht auf freie Selbstbestimmung eingegriffen.

3. Ein Entzug oder eine Aufhebung kann nur dann bejaht werden, wenn durch die Bezahlkarte Bedarfe des Existenzminimums nicht mehr vollständig gedeckt werden – genau das haben aber die meisten Gerichte verneint.

 

Quelle: Newsletter – 06- 2025 von RA Volker Gerloff: https://ra-gerloff.de/newsletter/Newsletter-06-2025.pdf

 

 

 

Wichtiger Hinweis zur Zitierweise:

Nicht veröffentlichte Urteile, Anmerkungen oder Urteilsbesprechungen dürfen nur mit Quellenangabe zitiert werden:
Quelle: Tacheles Rechtsprechungsticker KW XX/2025 – Autor: Detlef Brock

Für Newsletter bitte angeben:
Quelle: Thomé Newsletter 12/2025 vom 06.04.2025 – Autor: Harald Thomé

Veröffentlichung unter Creative Commons Lizenz – CC-BY-SA 3.0
Zitate ohne Quellenhinweis sind urheberrechtswidrig.

 

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock



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