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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 33/2021

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sozialhilfe ( SGB XII )

1.1 BSG, Urteil vom 23. März 2021 (B 8 SO 14/19 R):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel


Von der Definition der „Wohnung“ im Sinne des § 42a Abs. 2 Satz 2 SGB XII ist auch das selbst genutzte Eigenheim erfasst, selbst wenn es im Eigentum der Eltern steht, und der schwerbehinderte Antragsteller (GdB: 100; Zuerkennung des Merkzeichens „B“) im 30 qm großen Wohnbereich des Dachgeschosses dieses Hauses in einem Mehrpersonenhaushalt entsprechend § 42a Abs. 3 Nr. 1 SGB XII lebt.

Von ausschlaggebender Bedeutung für die Abgrenzung zu einer Wohngemeinschaft nach § 42a Abs. 4 SGB XII ist hier, dass dieser behinderte Mensch keinen vom Haushalt seiner Eltern vollkommen unabhängigen, eigenen Haushalt führt.

§ 42a Abs. 3 SGB XII normiert – in Abweichung von § 35 SGB XII und von der sog. Kopfteilmethode – eine Berechnung und Anerkennung pauschalierter, fiktiver Unterkunftskosten nach der Differenz- bzw. Mehraufwandsmethode. Hiernach bemisst sich der Bedarf, ausgehend von den nach der Personenzahl gestaffelten Angemessenheitsgrenzen nach der Differenz zwischen den abstrakt angemessenen Aufwendungen für den Mehrpersonenhaushalt (nach der Anzahl der dort ständig lebenden Personen) und den Aufwendungen mit einer um eine Person verringerten Anzahl an dort lebenden Menschen.

Maßgebend ist hier einzig – unabhängig von den tatsächlich für die Unterkunft entstehenden Kosten – die nominale Differenz der abstrakten Angemessenheitsgrenzen. § 42a Abs. 3 SGB XII gibt den Sozialhilfeträgern die Praktizierung einer pauschalierenden Bewilligungspraxis vor.

Der aus § 42a Abs. 3 Nr. 2 SGB XII hervorgehende Verweis auf die Anwendung des § 42a Abs. 4 Satz 1 SGB XII stellt klar, dass im besonders begründeten Fall, wenn die aufnehmenden Angehörigen die von ihnen zu bestreitenden Kosten für Unterkunft und Heizung aus eigenen Mitteln heraus nicht vollständig decken können, zur Verhinderung der Entstehung von Bedarfsunterdeckungen das Kopfteilprinzip zur Anwendung gelangen kann.

 

 

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

2.1 LSG Baden-Württemberg Urteil vom 23.3.2021, L 9 AS 3091/19

Leitsätze

1. Im Gegensatz zum sozialgerichtlichen Verfahren kann im Verwaltungsverfahren jede natürliche Person als Bevollmächtigter auftreten, solange sie handlungsfähig im Sinne des § 11 SGB X ist.

2. Das Bestehen eines Betreuungsverhältnisses führt nicht allein zum Wegfall der Handlungsfähigkeit. Daran fehlt es erst dann, wenn der Betreute zudem geschäftsunfähig ist.

3. Wenn ein Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 BGB) angeordnet worden ist, bedarf eine Willenserklärung des Betreuten, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, der Einwilligung des Betreuers, wenn die Willenserklärung dem Betreuten nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil bietet. In diesem Fall bedürfen auch Handlungen im Verwaltungsverfahren der Einwilligung des Betreuers.

 

Quelle:  http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Sozialgerichte&Datum=2021&Seite=5&nr=35473&pos=58&anz=95

 

 

2.2 LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 11.3.2021, L 9 AS 233/21 ER-B

Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Übergangsregelung während der Corona-Pandemie - Aussetzung der Angemessenheitsprüfung - Anwendung auch bei Umzug ohne Zusicherung des Grundsicherungsträgers bei Zuständigkeitswechsel

Leitsätze


Die Bestimmung des § 67 Abs. 3 Satz 1 SGB II, wonach die tatsächlichen Aufwendungen für einen Zeitraum von sechs Monaten als angemessen gelten, erfasst nicht nur Neubewilligungen, sondern auch Weiterbewilligungen und zwar auch bei Umzug in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Trägers.

Quelle: http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Sozialgerichte&Datum=2021&Seite=6&nr=35431&pos=64&anz=95

 

 

Hinweis vom Redakteur von Tacheles e. V. Detlef Brock:

vgl. zur Bestimmung des $ 67 Abs. 3 SGB II: 1. SG Heilbronn, Urteil vom 26. März 2021 - S 8 AS 380/21 - Jobcenter muss nach einem Umzug während der Corona-Pandemie übergangsweise auch unangemessene Unterkunftskosten übernehmen; 2. LSG München, Beschluss v. 28.07.2021 – L 16 AS 311/21 B ER - Die Angemessenheitsfiktion des § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II ist auch dann anwendbar, wenn weder die Hilfebedürftigkeit noch der Umzug direkt auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sind. 3. LSG München, Beschluss v. 21.04.2021 – L 16 AS 129/21 B ER - Ein Kostensenkungsverfahren scheidet im Geltungszeitraum des § 67 SGB II nicht generell aus. Nach Ablauf der sechs Monate gilt die allgemeine Regelung des § 22 Abs. 1 SGB II wieder, wobei der Zeitraum nach § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II auf die in § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II genannte Frist anzurechnen ist.

http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Sozialgerichte&Datum=2021&Seite=6&nr=35431&pos=64&anz=95

http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Sozialgerichte&Datum=2021&Seite=6&nr=35431&pos=64&anz=95

 

 

 

2.3 LSG Hamburg, Urt. v. 07.05.2021 - L 4 AS 330/20

Rechtmäßigkeit eines nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Grundsicherungsberechtigten ergangenen Rückforderungsbescheides des Leistungsträgers

Orientierungssatz


1. Nach § 41a Abs. 6 S. 3 SGB 2 sind bei einer abschließenden Leistungsfeststellung nach zunächst vorläufiger Leistungsbewilligung überzahlte Leistungen der Grundsicherung zu erstatten.(Rn.20)

2. Der Grundsicherungsträger ist nicht gehindert, sich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Leistungsempfängers durch Erlass eines Bescheides einen Titel zu verschaffen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt nicht dazu, dass zu diesem Zeitpunkt bereits bestehende Erstattungsbescheide nachträglich rechtswidrig würden und aufzuheben wären.(Rn.21)

Quelle: https://www.hamburg.de/

 

 

2.4 LSG Hamburg, Urt. v. 29.04.2021 - L 4 AS 212/20 ZVW

Erstattung bewilligter Leistungen der Grundsicherung nach Aufhebung der Bewilligung - Beschränkung der Haftung der Eltern für Verbindlichkeiten ihres Kindes

Orientierungssatz


1. Ist ein Verwaltungsakt über die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung aufgehoben worden, so sind danach bereits erbrachte Leistungen nach § 40 Abs. 1 S. 1 SGB 2 i. V. m. § 50 Abs. 1 S. 1 SGB 10 zu erstatten.(Rn.14)

2. Ein Erstattungsbescheid, der auf der Grundlage von § 40 Abs. 1 S. 1 SGB 2 i. V. m. § 50 Abs. 1 S. 1 SGB ergeht, ist auch an § 1629a BGB zu messen. Danach beschränkt sich die Haftung für Verbindlichkeiten, welche die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, auf den Bestand des bei Eintritt in die Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes.(Rn.16)

Quelle: https://www.hamburg.de/

 

 

2.5 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 25.05.2021 - L 2 AS 225/21 B ER

Orientierungssatz

Angelegenheiten nach dem SGB II (AS) - Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche - Unionsbürger - anderes Aufenthaltsrecht - Freizügigkeit - Fortwirkung bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit - Bestätigung der Agentur für Arbeit

Leitsatz


1. Es würde dem verfassungsrechtlichen Gebot eines effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) zuwiderlaufen, im sozialgerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu Lasten von Grundrechtsberechtigten von einer höchstrichterlichen Rechtsprechung abzuweichen und ihnen auf dieser Grundlage existenzsichernde Leistungen vorzuenthalten, die ihnen nach dieser Rechtsprechung im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich zugesprochen werden.

2. Geht man mit der Rechtsprechung des BSG davon aus, dass die Bestätigung einer unfreiwilligen Arbeitslosigkeit durch die Agentur für Arbeit konstitutive Bedeutung für das Freizügigkeitsrecht aus § 2 Abs 3 Satz 2 FreizügG/EU hat (BSG, Urt v 13. Juli 2017 - B 4 AS 17/16 R - juris), dann handelt es sich bei dieser Bestätigung um einen feststellenden Verwaltungsakt iSv § 31 SGB X, der nur unter den Einschränkungen der §§ 44 ff SGB X abgeändert werden kann. In diesem Fall bindet eine positive Feststellung der Unfreiwilligkeit das Jobcenter und die Gerichte.

Quelle: https://www.landesrecht.sachsen-anhalt.de/bsst/document/JURE210012559

 

 

2.6 Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 15. Senat, Urteil vom 15.07.2021 - L 15 AS 260/20

1. Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren erfordert im Regelfall, dass dem angerufenen Gericht die Wohnanschrift des Rechtsuchenden genannt wird.
2. Zur Prüfung der Vollmacht eines Rechtsanwalts ohne Rüge der Gegenseite, wenn das Verhalten des Rechtsanwalts ernsthafte Zweifel daran aufkommen lässt, dass er über die notwendige Vollmacht verfügt.

Quelle: https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE210012718&st=null&doctyp=juris-r&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint

 

 

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

3.1 SG Stuttgart, Gerichtsbescheid v. 14.01.2021 - S 25 AS 2384/20

Annahme der Arbeitnehmereigenschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU


Das SG Stuttgart hat sich mit Fragen im Zusammenhang mit der Annahme der Arbeitnehmereigenschaft nach § 2 Absatz 2 Nummer 1 FreizügG/EU bei Beendigung der aufgenommenen Tätigkeit aufgrund behördlicherseits angeordneter Betriebsschließung in Folge der Corona-Pandemie befasst ( hier bejahend ).

weiter: https://www.juris.de/jportal/portal/t/13ar/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA210802897&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp

 

 

 

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )

4.1 SG Stuttgart, Urt. v. 31.03.2021 - S 3 AL 3206/18

Begriff der Leistungsfähigkeit Sinne des § 145 SGB III


Das SG Stuttgart hat entschieden, dass der Begriff der Leistungsfähigkeit Sinne des § 145 SGB III mit dem der Erwerbsminderung im Sechsten Buch Sozialgesetzbuch korrespondiert.

Nach der Entscheidung des SG Stuttgart sind die Voraussetzungen für die Fiktion der objektiven Verfügbarkeit erfüllt, solange – bei nicht festgestellter verminderter Erwerbsfähigkeit – nicht „zweifelsfrei“ eine nur vorübergehende, also nicht mehr als sechsmonatige Minderung der Leistungsfähigkeit vorliegt.

Quelle: Pressemitteilung des SG Stuttgart v. 03.08.2021: https://www.juris.de/jportal/portal/t/my6/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA210802876&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp

 

 

4.2 SG Nordhausen, Urt. v. 20.07.2021 - S 18 AL 101/20

Leitsatz


1. Bei dem Ruhen des Anspruchs wegen einer Sperrzeit und der Minderung der Anspruchsdauer handelt es sich um eigenständige Sperrzeitfolgen. Hat der Kläger während des von der Bundesagentur für Arbeit festgestellten Sperrzeitzeitraums aus anderen Gründen keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, ist eine Klage wegen der Lage der Sperrzeit unzulässig.
2. Ist absehbar, dass im Falle des Erfolgs einer Kündigungsschutzklage ein längerer Anspruch auf Arbeitslosengeld in Betracht kommt, besteht eine Spontanberatungspflicht der Bundesagentur für Arbeit im Hinblick auf das Hinausschieben der Anspruchsentstehung gemäß § 137 Abs. 2 SGB III, wenn wegen einer Sperrzeit bis zur nach § 137 Abs. 2 SGB III absehbar günstigeren Anspruchsentstehung ohnehin keine Leistungen gezahlt werden. Eine Begünstigung des Klägers durch den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch kommt dann in Betracht, wenn die Änderung der Festlegung der Rahmenfrist noch möglich ist, weil es bis zum nach § 137 Abs. 2 SGB III zu bestimmenden Zeitpunkt noch nicht zum Leistungsbezug gekommen ist (Anschluss an BSG, Urteil vom 3. Juni 2004, B 11 AL 70/03 R, SozR 4-4300 § 123 Nr. 2; Abgrenzung zu BSG, Urteil vom 11. Dezember 2014, B 11 AL 2/14 R, SozR 4-4300 § 124 Nr. 6).

Quelle: https://landesrecht.thueringen.de/bsth/document/JURE210012717

 

 

4.3 LSG Baden-Württemberg Beschluß vom 29.6.2021, L 8 AL 1560/21 ER-B

Leitsätze


Der Anspruch auf Alg ruht solange, wie eine laufende Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt wird, ohne dass es hierfür auf eine nähere Auslegung fachlicher Weisungen der Bundesagentur für Arbeit ankommt. Die Rentenbewilligung der DRV hat für die BA Tatbestandswirkung und kann von dieser grundsätzlich nicht auf ihre materiellrechtliche Richtigkeit überprüft werden.

Quelle: http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Sozialgerichte&Datum=2021&nr=35512&pos=3&anz=103

 

 

5. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII

5.1 Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 8. Senat, Urteil vom 24.06.2021 - L 8 SO 50/18

Zum Anspruch auf Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten während einer Inhaftierung (hier: Übernahme von Mietkosten).

1. Ein drohender Wohnungsverlust nach der Haftentlassung gehört im Grundsatz zu den "besonderen Lebensumständen mit sozialen Schwierigkeiten" iS des § 67 SGB XII. Die Notwendigkeit von Geldleistungen zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit hängt von einer Prognoseentscheidung im Hinblick auf die zu erwartende Situation bei Haftentlassung ab (vgl BSG v. 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R - juris Rn. 16 ff.).

2. § 4 Abs 2 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (juris: BSHG§72DV 2001) ist als Rechtsfolgenverweisung und nicht als Rechtsgrundverweisung zu verstehen (vgl LSG Nordrhein-Westfalen v. 30.06.2005 - L 20 B 2/05 SO ER - juris Rn. 7; Bayerisches LSG v. 17.09.2009 - L 18 SO 111/09 B ER - juris Rn. 23).

3. Die Abgrenzung von Schulden zu laufenden Leistungen nach § 35 SGB XII ist danach vorzunehmen, ob es sich um einen tatsächlich eingetretenen, im Zeitpunkt der Kenntnis des Trägers der Sozialhilfe (vgl § 18 Abs 1 SGB XII) von der Notwendigkeit der weitergehenden Sicherung der Unterkunft in der Vergangenheit liegenden und bisher noch nicht vom Sozialhilfeträger gedeckten Bedarf handelt (BSG v. 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R - juris Rn. 21).

4. Zu den während einer Haft angefallenen Kosten der Unterkunft kann nicht allein der für diese Zeit fällige Mietzins gehören, sondern (ausnahmsweise) auch die zur Abwendung des Wohnungsverlustes notwendigen Gerichts- und Anwaltskosten einer Räumungsklage (als einmaliger Bedarf), wenn diese unmittelbar auf die rechtswidrige Leistungsablehnung des Leistungsträgers zurückzuführen sind (Anschluss an Bayerisches LSG v. 30.01.2014 - L 7 AS 676/13 - juris Rn. 25; LSG Baden-Württemberg v. 27.06.2017 - L 9 AS 1742/14 - juris Rn. 56).

Quelle: https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE210012719&st=null&doctyp=juris-r&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint

 

 

Hinweis: Mietübernahme als Sozialhilfe für Häftling

Das LSG Celle-Bremen hat entschieden, dass die Miete eines Häftlings in bestimmten Fällen vom Sozialamt übernommen werden muss.

Weiter: https://www.juris.de/jportal/portal/t/frp/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA210802949&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp

 

 

S. a. Dazu Leitsatz Dr. Manfred Hammel

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24. Juni 2021 (L 8 SO 50/18):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel

Zur Bejahung des Anspruchs auf Übernahme der Kosten der bisherigen, angemessenen Wohnung für die Zeit einer etwas mehr als siebenmonatigen Inhaftierung und zur Abwendung der Entstehung von Obdachlosigkeit entsprechend den §§ 67 ff. SGB XII als Pflichtleistung der Sozialhilfe.

Im Grundsatz gehört der drohende Wohnraumverlust bedingt durch die Verbüßung einer Freiheitsstrafe zu den „besonderen Lebensverhältnissen mit sozialen Schwierigkeiten“ im Sinne des § 67 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 1 DVO zu § 69 SGB XII.

Der Verlust einer Wohnung ist für eine haftentlassene Person deutlich schwerer zu kompensieren als für andere Bedürftige.

Vorbeugende Leistungen zur Erhaltung einer angemessenen Unterkunft für die Zeit nach dem Freiheitsentzug können auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 68 Abs. 1 Satz 1 SGB XII beansprucht werden.

Dies gilt gerade dann, wenn ein Antragsteller zur Verhinderung einer drohenden Verschärfung seiner sozialen Schwierigkeiten in der Zeit nach der Haftentlassung bezogen auf seine Wohnsituation sowie in Berücksichtigung auch seiner Multimorbidität geordnete Wohnverhältnisse vorfinden sollte, die bisherige Wohnung bereits seit fast zehn Jahren bewohnt wird, die Haftdauer sich auf wenig mehr als sieben Monate beläuft sowie durch eine Räumung der bisherigen und eine Neuanmietung einer vollkommen neuen Wohnung mit einer Entstehung von Kosten in erheblicher Höhe zu rechnen ist. Ein Sozialhilfeträger darf hier nicht pauschal darauf verweisen, die §§ 67 ff. SGB XII könnten in keiner Weise zur Anwendung gelangen, weil die Haftdauer einen Zeitraum von sechs Monaten überschreitet und der Antragsteller unter gesetzlicher Betreuung (§§ 1896 ff. BGB) steht.

Ein auf § 67 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 68 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, § 4 Abs. 2 DVO zu § 69 SGB XII und § 35 SGB XII gestützter Leistungsanspruch ist auf die Übernahme der während der Dauer der Haft entstandenen Kosten der bisherigen Mietwohnung gerichtet, ohne dass vom Sozialhilfeträger die Voraussetzungen einer Schuldenübernahme gemäß § 36 SGB XII zu prüfen sind, oder die Übernahme der Unterkunftskosten es erfordert, dass der Antragsteller diesen angemessenen Wohnraum tatsächlich bewohnt. Hier liegt ein atypisch gelagerter Fall vor, wo das Sozialamt vor dem Auflaufen von Mietschulden von dieser besonderen Bedarfslage rechtzeitig und ausreichend informiert war.

 

 

6. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

6.1 SG Stuttgart, Beschluss v. 30.06.2021 - S 20 AY 2011/21 ER

Hilfegewährung Dritter im Vorgriff auf zu erwartende Leistung des Sozialhilfeträgers lässt Hilfebedürftigkeit nicht entfallen


Im Kirchenasyl aus Spendengeldern notfallmäßig erbrachte Leistungen führen nicht zu einer anderweitigen Bedarfsdeckung im Sinne von § 8 AsylbLG. Denn eine Hilfegewährung Dritter im Vorgriff auf eine zu erwartende Leistung des Sozialhilfeträgers lässt die Hilfebedürftigkeit nicht entfallen.

Weiter: https://www.juris.de/jportal/portal/t/uq0/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA210802929&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp

 

 

7. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

7.1 OVG Sachsen, Beschluss vom 23. Juli 2021 (3 D 1/21):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel

Über die Gewährung eines Mietzuschuss entsprechend § 1 Abs. 1 WoGG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 WoGG soll bedürftigen Personen ein angemessenes Wohnen im eigengenutzten Wohnraum wirtschaftlich gesichert werden.

Eine zentrale Fördervoraussetzung stellt es hier dar, dass antragstellerseitig Mietzahlungen auch tatsächlich entrichtet zu werden haben. Dies ist erforderlichenfalls der Wohngeldstelle gegenüber im Rahmen der allgemeinen Mitwirkungspflicht (§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I) nachzuweisen.

Bei einem sog. Verwandtenmietverhältnis ist die Vorlage einzig des Mietvertrags nicht als ausreichend einzustufen.

Es handelt sich um keinen unzulässigen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG), wenn ein Sozialleistungsträger zum Nachweis der anspruchsbegründenden Voraussetzungen Einsicht in die Kontounterlagen von Antragstellern der letzten drei Monate nimmt, wenn die Kenntnis dieser Daten zur Erfüllung der Aufgaben der sie erhebenden öffentlichen Stelle erforderlich ist (§ 67a Abs. 1 SGB X). Dies gilt gerade dann, wenn eine Wohngeldstelle sich nicht nur von der tatsächlichen Entrichtung von Mietzahlungen zu überzeugen hatte, sondern aufgrund einer ihrer Einschätzung nach bestehenden Einkommensunterdeckung die Hilfebedürftigkeit grundsätzlich anzuzweifeln war, sowie die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers nicht feststanden.

 

 

7.2 Anmerkung zu:   BSG 11. Senat, Urteil vom 04.03.2021 - B 11 AL 7/19 R

Autor: Dr. Michael E. Reichel, RiLSG

Zur Versicherungspflicht von Umschulungen und Berufsausbildungen

 

Orientierungssatz zur Anmerkung

Umschulungsverhältnisse nach den §§ 58 ff. BBiG sind keine die Versicherungspflicht auslösenden Berufsausbildungsverhältnisse i.S.d. § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB III.

Weiter: https://www.juris.de/jportal/portal/t/y47/page/homerl.psml?nid=jpr-NLSR000008221&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp

 

 

7.3 Sozialrechtliche Informationen August 2021

Bernd Eckhardt, Nürnberg:

"Oftmals gibt es auch ein sozialrechtliches Sommerloch und im August kaum Neues zu vermelden. Diesmal ist es anders. Es gibt einige für Beratungsstellen wichtige Themen. Die Problematik des »Kinderfreizeitbonus« zwingt betroffene SGB II-Haushalte sogar noch im Monat August 2021 zu handeln. Die Themen sind:

Ein systematischer Fehler im »KiZ-Lotsen« der Bundesagentur für Arbeit führt in einigen Fällen zur Falschauskunft, dass kein Anspruch besteht,

obwohl das nicht der Fall ist. Viele Alleinerziehende wurden hier falsch informiert, aber auch von Beratungsstellen, die den KiZ-Lotsen nutzen, falsch beraten. Eine rückwirkende Antragstellung ist hier über den sozialhilferechtlichen Herstellungsanspruch möglich.

Auch der »Kinderfreizeitbonus« für August 2021 wirft Probleme auf: Kinder, die nicht bedürftig sind, aber auch nur über das

sozialrechtliche Existenzminimum verfügen, erhalten den Bonus nicht. In vielen Fällen hilft »Kinderwohngeld«, das aber noch im August 2021 beantragt werden muss!

Ein paar positive gesetzliche Änderungen gibt es ab Juli 2021 bei der Anrechnung von Einkommen im SGB II/SGB XII."

 

weiter: https://sozialrecht-justament.de/data/documents/SJ-08-2021.pdf

 

 

7.4 RA Volker Gerloff:

Studie für Ernährungsministerium zeigt: Mit dem Regelsatz kann man sich nicht gesundheitsfördernd ernähren!

Vor allem bei 15-18-jährigen liegt eine Unterdeckung des Ernährungsbedarfs um bis zu 44% vor.

Details hier (Zusammenfassung auf S. 148 im Kasten):

 

weiter: https://twitter.com/GerloffVolker/status/1425702140673241088

 

 

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

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