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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 27/2023

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem ( SGB II )

1.1 BSG, Urt. v. 21.06.2023 - B 7 AS 3/22 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Erstattungsanspruch des Grundsicherungsträger - Einkommen - Vermögen - Beschränkung der Minderjährigenhaftung

Zur Frage, ob sich ein Kontoguthaben, das auf der Überweisung unpfändbarer Leistungen beruht, auf die Haftungsbeschränkung für Minderjährige nach § 1629a BGB auswirkt?


BSG: Zum Umfang der Haftungsbeschränkung Minderjähriger: Kein Pfändungsfreibetrag auf Kontoguthaben bei Minderjährigenhaftung


Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.


1. Grundsätze der Minderjährigenhaftungsbeschränkung waren hier rechtmäßig.

2. Vermögen im Rahmen des § 1629a BGB ist das Aktivvermögen der volljährig gewordenen Person im Zeitpunkt des Erreichens der Volljährigkeit. Auf ein Nettovermögen als Differenz von Aktiva und Passiva kommt es nicht an.

 

Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2023/2023_06_21_B_07_AS_03_22_R.html

 

 

 

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem ( SGB II )

2.1 LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 16.05.2023 - L 1 AS 35/21 - Revision zugelassen

Leitsätze


Einen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II kann zugunsten einer Unionsbürgerin ein in entsprechender Anwendung von § 11 Abs. 1 Satz 11 Freizüg/EU a. F. i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 Abs. 1 AEUV bestehendes materielles Aufenthaltsrecht entgegenstehen, wenn ihrem minderjährigen freizügigkeitsberechtigten Kind mit Unionsstaatsbürgerschaft unter Berücksichtigung von dessen in Art. 6 GG und Art. 8 EMRK garantierten Grundrechten der Ausschluss von der Erziehungsleistung seiner leiblichen Eltern nicht zumutbar ist.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/173868

 

Rechtstipp:

(so auch: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. Oktober 2018 - L 19 AS 1472/18 B ER - juris Rn. 28 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. August 2017 - L 19 AS 1131/17 B ER – juris Rn. 42 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. September 2017 - L 6 AS 380/17 B ER - juris Rn. 42; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. November 2022 – L 12 AS 452/20 – juris Rn. 72 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Januar 2023 – L 3 AS 3922/20 – juris Rn. 69 ff.; LSG für das Saarland, Urteil vom 7. September 2021 – L 4 AS 23/20 WA – juris Rn. 34 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. Juni 2016 - L 25 AS 1331/16 B ER - juris Rn. 5; SG Kassel, Beschluss vom 20. April 2021 - S 6 AS 30/21 ER - juris Rn. 44; SG Frankfurt, Urteil vom 20. September 2022 - S 16 AS 1321/20 - juris Rn. 27 ff.; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 11 FreizügG/EU, Rn. 102 f.; Oberhäuser in NK-AuslR, 2. Auflage 2016, § 11 FreizügG/EU, Rn. 57 f.; ablehnend u.a.: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Juli 2017 - L 21 AS 782/17 B ER - juris Rn. 44 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Juni 2021 – L 34 AS 850/17 – juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. April 2022 – L 18 AS 312/22 B ER - juris Rn. 11; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Mai 2022 – L 8 AS 449/22 B ER - juris Rn. 18;LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Mai 2017 - L 31 AS 1000/17 B ER – juris Rn. 2; Hessisches LSG, Beschluss vom 21. August 2019 - L 7 AS 285/19 B ER - juris Rn. 45; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4. Juli 2019 - L 4 AS 246/19 B ER - juris Rn. 32; SG Berlin, Urteil vom 9. Juli 2018 - S 135 AS 23938/15 - juris Rn. 47; SG Duisburg, Urteil vom 9. August 2019 - S 41 AS 2408/18 - juris Rn. 12).


Hinweis: siehe auch aktuell LSG NRW, Beschl. v. 07.06.2023 - L 7 AS 586/23 B ER, L 7 AS 571/23 B


Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.

1. § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG findet auf minderjährige Unionsbürger und ihre Eltern entsprechend Anwendung.

2. Eine Anwendung des § 28 AufenthG dergestalt, dass ein die Unionsbürgerschaft besitzendes aufenthaltsberechtigtes Kind verlangen kann, so gestellt zu werden, wie ein deutsches Kind, ist darüber hinaus jedenfalls aus grundrechtlichen Erwägungen geboten. Denn bei der Beantwortung der Frage, ob dem sorgeberechtigten Elternteil eines wegen der Begleitung des anderen Elternteils freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Unionsbürgers ein Aufenthaltsrecht nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG vermittelt werden kann, müssen die Wertungen von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK berücksichtigt werden (vgl. BVerfGE, Beschlüsse vom 04.10.2019 – 1 BvR 1719/18 –).

 

 

2.2 LSG Hamburg, Urt. v. 25.05.2023 - L 4 AS 22/22 D

Schönheitsreparaturen - Malerfirma - Selbstvornahme

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.

Keine Übernahme der Kosten für eine Malerfirma durch den Grundsicherungsträger, wenn der Antragsteller die Arbeit in Eigenregie durchführen kann.

Quelle: https://www.landesrecht-hamburg.de/bsha/search

 

 

2.3 LSG Hamburg, Beschluss v. 26.04.2023 - L 4 AS 95/23 B ER D

Dynamisierung der Miete auch bei fehlender Erforderlichkeit des Umzuges ( Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V. )

Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.


1. Auch bei fehlender Erforderlichkeit des Umzuges in diesem Sinne sind die Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe der bis zum Umzug zu tragenden Aufwendungen zu übernehmen (§ 22 Abs. 1 Satz 6 SGB II, bzw. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II a.F.). Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – sich die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung nach dem Umzug tatsächlich erhöht haben, aber weiterhin im Rahmen des Angemessenen geblieben sind.

2. Es ist nicht auf dem Tag vor dem Umzug der Antragstellerin abzustellen. Vielmehr ist der Zeitpunkt des Umzugs maßgeblich. Die Gesamtmieten (Kaltmiete/Betriebskosten/Heizkosten) der alten und der neuen Wohnung zu diesem Zeitpunkt sind dabei zu vergleichen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 29.4.2015 - B 14 AS 6/14 R, R; Urteil vom 17.2.2016 – B 4 AS 12/15 R).

Quelle: https://www.landesrecht-hamburg.de/bsha/document/JURE230047781

 

2.4 LSG Hamburg, Urt. v. 04.04.2023 - L 4 AS 146/22 D

Ersatzanspruch § 34 SGB II - vorrangige Leistung ( Kindergeld ) - kein sozialwidriges Verhalten

Das Unterlassen der Mitwirkung an der Geltendmachung der Kindergeldansprüche stellt kein sozialwidriges Verhalten i. S. d. § 34 SGB II dar ( Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V. )


Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.

Das Jobcenter kann vom Vater keinen Ersatzanspruch ( § 34 SGB II ) der Leistungen verlangen, wenn dieser seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist, indem er kein Kindergeld für seine Söhne bei der Familienkasse beantragte.

Quelle: https://www.landesrecht-hamburg.de/bsha/search

 

 

2.5 Sächsisches LSG, Urt. v. 18.04.2023 - L 4 AS 822/21

Leitsätze


1. Die Nachzahlung von Kindergeld stellt nach der bis zum 01.08.2016 geltenden Rechtslage eine laufende Einnahme i.S.d. § 11 Abs. 2 SGB II dar, die allein im Monat des Zuflusses angerechnet wird.

2. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU findet Anwendung, wenn ein Arbeitnehmer mit unbefristetem Arbeitsvertrag nach wenigen Wochen Erwerbstätigkeit infolge eines Arbeitsunfalles arbeitsunfähig wird, er in der Folge Entgeltfortzahlung bzw. Krankengeld bezieht und das Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber erst nach mehr als einem Jahr betriebsbedingt gekündigt wird, sofern grundsätzlich prognostisch mit der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit zu rechnen ist.

3. Mit der Unfreiwilligkeitsbescheinigung bestätigt die Bundesagentur für Arbeit sowohl die Arbeitslosigkeit als auch deren Unfreiwilligkeit. Die Bescheinigung ist ein feststellender Verwaltungsakt i.S.d. § 31 SGB X und seine Änderung unterliegt den Einschränkungen der §§ 44 SGB X.

4. Das Aufenthaltsrecht nach Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 setzt nicht voraus, dass der die Sorge ausübende Elternteil zum Zeitpunkt der Aufnahme seiner Kinder in eine Bildungseinrichtung bzw. bei Wohnsitznahme nach wie vor Wanderarbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat ist. Es genügt, dass der sorgende Elternteil zuvor Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin i.S.d. § 45 AEUV war.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/173906

 

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung nach dem ( SGB II )

3.1 SG Detmold, Beschluss v. 22.06.2023 - S 35 AS 718/21

Überschrift:


Beschluss | Grundsicherung für Arbeitsuchende – Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH – Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge – Familiennachzug zu einem minderjährigen Unionsbürger | Art. 267 Abs. 1, Abs. 2 AEUV, Art. 18 AEUV, Art. 20, Art. 21 Abs. 2, Art. 33 Abs. 1 GRCh, Verordnung (EG) Nr. 987/2009, Richtlinie (EG) Nr. 883/2004, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG, § 11 Abs. 14 S. 1 FreizügG/EU, § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 lit. b) SGB II, § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII.


I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) wird nach Art. 267 Abs. 1, Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorlegt:

Ist das Unionsrecht dahingehend auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach eine Aufenthaltserlaubnis im Rahmen der Personensorge lediglich dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen inländischen Kindes zu erteilen ist, wenn dieses seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, was zur Folge hat, dass Unionsbürger eines Mitgliedsstaates einen solchen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Ausübung der Personensorge bei einem minderjährigen Unionsbürger mit der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates als der des Inlandsstaats nicht haben?

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/173911

 

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

4.1 SG Detmold, Beschluss v. 20.06.2023 - S 35 SO 85/23 ER

Der Wortlaut des § 90 Abs. 2 Nr. 10 SGB XII schließt nicht aus, dass auch ein Fahrzeug mit einem Wert von 14.100,00 Euro unter den Begriff der Angemessenheit fällt ( Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V. ).

Leitsätze


1. Soweit der Leistungsberechtigte über ein Kraftfahrzeug verfügt, welches nicht mehr als angemessen im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 10 SGB XII gilt, ist auf denjenigen Wert des Kraftfahrzeugs, der die Angemessenheit übersteigt, zusätzlich der noch nicht verbrauchte Freibetrag des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII anzuwenden.

2. Bei der Ermittlung des Verkehrswerts des Kraftfahrzeugs eines Leistungsberechtigten ist auf den für den Leistungsberechtigten realisierbaren Ankaufswert abzustellen.

3. Zur Frage des unbestimmten Rechtsbegriffs des angemessenen Kraftfahrzeugs in § 90 Abs. 2 Nr. 10 SGB XII.

Überschrift:

Beschluss | Sozialhilfe – Hilfe zum Lebensunterhalt – Vermögenseinsatz – Angemessenheit eines Kraftfahrzeugs – kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte | § 19 Abs. 1 SGB XII, § 27 Abs. 1 SGB XII, § 41 Abs. 1 - 3 SGB XII, § 90 Abs. 2 Nr. 9, Nr. 10 SGB XII

 

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/173912

 

5. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

5.1 LSG: Rückwirkende Umwandlung einer Bewilligung von Alg II als Darlehen in einen Zuschuss

Wie ist das Begehren der Umwandlung von darlehensweise bewilligtem Alg II in einen Zuschuss rechtlich zu qualifizieren? Und wie sind Fristen bei einer rückwirkenden Umwandlung des bewilligten Darlehens in einen Zuschuss im Überprüfungsverfahren zu berücksichtigen?

Fazit

    Darlehensweise erbrachte Leistungen sind ein Aliud zu gezahlten Zuschüssen.

    Eine rückwirkende Umwandlung kann nur für den Zeitraum von einem Jahr vor Rücknahme des Bescheids bewilligt werden.

Quelle: Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 25.04.2023 - L 15 AS 19/23: https://www.wolterskluwer.com/de-de/expert-insights/umwandlung-bewilligung-alg

 

 

5.2 Bürgergeld: Keine Anrechnung von Betriebskostenguthaben, die im Monat vor Beginn des Leistungsbezuges zugeflossen sind - ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt - Anmerkung zu LSG Hamburg, Urteil vom 19.03.2015, L 4 AS 12/14

 

weiter: https://sozialberatung-kiel.de/2023/07/01/burgergeld-keine-anrechnung-von-betriebskostenguthaben-die-im-monat-vor-beginn-des-leistungsbezuges-zugeflossen-sind/

Hinweis: veröffentlicht im Tacheles Rechtsprechungsticker KW 16/2015

 

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

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