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Jahresarchiv

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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 24/2025

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sozialhilfe nach dem SGB 12

1.1 BSG, Urt. v. 18.12.2024 - B 8 SO 8/23 R -

Können Beiträge zu einer Sterbegeldversicherung auch dann als angemessene Beiträge zu einer privaten Versicherung vom Einkommen abzusetzen sein, wenn die Versicherungsleistung eine Erbrechtsberatung enthält?

Können erhöhte Bedarfe für Haushaltsstrom, Gaststättenbesuche und Hilfe beim Einkauf eine abweichende Festsetzung des Regelsatzes recht fertigen - § 27a Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB XII?

BSG: Sterbegeldversicherung, die eine Erbrechtsberatung beinhaltet auch absetzbar vom Einkommen, wenn sie angemessen ist

Orientierungssatz Detlef Brock

1. Eine Sterbegeldversicherung, die zusätzlich eine Erbrechtsberatung beinhaltet, dient zwar nicht dem Gesetzeszweck, führt aber auch bei im Leistungsbezug abgeschlossenen Versicherungen nicht per se zu deren Unangemessenheit.

2. Sondern ist - soweit sie nicht isoliert ausweisbar ist - hinzunehmen, solange die monatliche Beitragshöhe insgesamt im Vergleich zu anderen am Markt angebotenen Versicherungen nicht in einem auffälligen Missverhältnis steht. Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich.

3. Ein sozialhilferechtlich relevanter abweichender unausweichlicher Bedarf ist vorliegend nicht erkennbar. Ebenso liegen keine atypischen Bedarfe bei sonstigen Lebenslagen iS von § 73 SGB XII vor, denn die geltend gemachten Bedarfe sind im Regelsatz bzw im Mehrbedarfszuschlag abgebildet (vgl. dazu BSG vom 18.7.2019 - B 8 SO 4/18 R - ).


4. Ein Anspruch auf Berücksichtigung von monatlich weiteren 20 Euro wegen erhöhten Haushaltsstromverbrauchs aufgrund nächtlicher Aktivitäten (Licht, Fernseher, Computer) besteht nicht. Der Bedarf an Haushaltsenergie/Strom (ohne die auf Heizung und Warmwasserbereitung entfallenden Anteile) ist im Regelbedarf abgebildet. Anders kann dies allenfalls zu bewerten sein, wenn aus nachgewiesenen medizinischen Gründen stromintensive Geräte betrieben werden müssen (LSG Berlin-Brandenburg vom 16.4.2007 - L 23 B 186/06 SO ER ). Unterschiedliche individuelle Lebensgewohnheiten verursachen indes noch keinen sozialhilferechtlich relevanten abweichenden Bedarf.

5. Auch für den geltend gemachten Bedarf für Gaststättenbesuche kommt eine abweichende Regelsatzfestsetzung nicht in Betracht. Das Grundbedürfnis der Nahrungsaufnahme ist in § 5 Abteilung 1 und 2 RBEG (Nahrungsmittel und Getränke, vgl BT-Drucks 19/22750 S 22), der Besuch von Gaststätten in Abteilung 11 (Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen) abgebildet.


6. Aufwendungen für einen Einkaufshelfer


Auch dieser Bedarf kann nicht berücksichtigt werden, denn die Ehefrau des Klägers kann im nahegelegenen Supermarkt die notwendigen Einkäufe zumutbar bewältigen. Auch Hilfen zur Weiterführung des Haushalts (§ 70 Abs 1 Satz 1 SGB XII) scheiden aus diesem Grund aus.

Wegen der Einschränkung seines Gehvermögens ist außerdem in der Bedarfsrechnung ein Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs 1 Nr 1 SGB XII in die Bedarfsberechnung eingestellt, der gerade bezweckt, Bedarfspositionen abzudecken, die an eine eingeschränkte Mobilität anknüpfen, weshalb die geltend gemachten Bedarfe dem Regelungsbereich des § 30 Abs 1 Nr 1 SGB XII zuzuordnen sind und eine abweichende Festsetzung nach § 27a Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB XII ausscheidet (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 5/08 R -).


7. Bei den Bedarfen für Unterkunft und Heizung hat der 8. Senat des Bundessozialgerichts mit heutigem Tage bekannt gegeben, dass

Das Sozialamt muss auch Kosten für den Heizstrom eines Heizstrahlers als Heizkosten übernehmen ( (vgl zur Schätzung der Stromkosten eines Heizstrahlers BSG vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 12 RdNr 37 und die Vorinstanz LSG Baden-Württemberg vom 23.10.2009 - L 12 AS 4179/08 - ).

 

 

 

  1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem SGB II/ Bürgergeld

 

 

2.1 LSG BW, Beschluss v. 09.05.2025 - L 7 AS 1296/25 ER-B – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Bürgergeld: Voraussetzungen der Bewilligung höherer als angemessener Kosten der Unterkunft

Keine befristete Übernahme unangemessener Wohnkosten bei einem Umzug ohne Zusicherung ( Tacheles e. V. ).

Dazu Detlef Brock

1. § 22 Abs. 1 Satz 7 SGB II sieht eine befristete Übernahme auch höherer Bedarfe unter der Voraussetzung vor, dass eine sofortige Kostensenkung dem Leistungsbezieher nicht möglich bzw. nicht zumutbar ist, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Allerdings gilt dies dann nicht, wenn der Leistungsberechtigte in eine andere Wohnung umzieht, ohne seiner Obliegenheit aus § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II nachzukommen, zuvor die Zusicherung zur Übernahme der Kosten einzuholen.

2. Denn wer sich vor dem Umzug keine Klarheit über die Angemessenheit der Kosten verschafft, geht sehenden Auges das Risiko ein, diese teilweise selbst tragen zu müssen und ist daher nicht befristet schutzbedürftig (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. April 2021 – L 8 AS 421/16 – ).

3. Eine entsprechende Zusicherung haben die Antragsteller vorliegend – auch nach eigenen Angaben – nicht eingeholt. Eine solche war gerade auch nicht deshalb entbehrlich, wie der Antragsteller meint, weil bereits ein Leistungsbezug nach dem SGB II bestand, vielmehr ist gerade das Gegenteil der Fall.

 

 

2.2 LSG NRW, Beschluss vom 27.05.2025 - L 7 AS 551/25 B ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Bürgergeld: Kein Eilverfahren, wenn die Mietkosten fast doppelt so hoch sind wie die angemessenen Wohnkosten des Jobcenters

 

Dazu Detlef Brock


1. Eine Bürgergeld Bezieherin kann keine Eilbedürftigkeit hinsichtlich ihrer Mietkosten vor Gericht geltend machen, wenn ihre Mietwohnung die angemessenen Mietkosten um 550 € bzw. 84,6 % überschreitet. Damit ist für das Gericht auch ohne weitere Ermittlungen eine evidente Unangemessenheit indiziert .

2. Es liegt keine Eilbedürftigkeit als auch kein Anordnungsgrund vor, denn 1. bis Antragstellung beim Gericht zahlte das Jobcenter die tatsächlichen KdU und 2. ist die Wohnung der Bürgergeld Bezieherin - nicht erhaltenswert i. S. d. § 22 Abs. 1 SGB II ist.

3. Im Eilverfahren ist nur eine Berücksichtigung der Höchstbeträge nach § 12 des Wohngeldgesetzes (WoGG) zuzüglich eines 10% - igen Sicherheitszuschlages vorgesehen.

4. Der für einen Einpersonenhaushalt in Düsseldorf zu berücksichtigende Höchstbetrag würde sich auf 650,10 € (591 € für die in Düsseldorf gemäß § 1 Abs. 3 der Anlage zur Wohngeldverordnung (WoGV) anzuwendende Mietenstufe VI zuzüglich 59,10 € Sicherheitszuschlag) belaufen.

5. Die von der Antragstellerin bereits ohne Einbeziehung ihres Stellplatzes zu entrichtende Bruttokaltmiete übersteigt diesen Betrag um 550,05 € bzw. 84,6.

 

Anmerkung Detlef Brock

 

1. Das Jobcenter muss den Nachweis erbringen, dass für den Betroffenen konkret verfügbarer Wohnraum vorhanden ist, zumal die Unangemessenheit der KdUH eine Einwendung der Behörde ist ( so auch LSG BB L 32 AS 1888/17 ).

2. Zur Bestimmung der Angemessenheitswerte ist der Zuschlag Klimakomponente zu berücksichtigen , was aber die wenigsten Gerichte tun.

 

 

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum SGB II/ Bürgergeld

3.1 SG Halle, Urteil vom 05.03.2024 - S 11 AS 697/23 - rechtskräftig

Bürgergeld - Unterkunft und Heizung - Umzugskosten - Entsorgungs- und Sperrmüllkosten - deutlich eingeschränkte Alltagskompetenz - Selbsthilfeobliegenheit - keine Verlagerung auf Betreuerin

Bürgergeld: Gericht rügt Jobcenter wegen Diskriminierung und zynischen, unverschämten  Verhalten

 

Dazu Detlef Brock

1. Das Jobcenter muss Entsorgungs- und Sperrmüllkosten in Höhe von 3070 € als Umzugskosten übernehmen, denn unter Umzugskosten sind alle Kosten zu verstehen, die durch das Ausräumen einer Wohnung und den Transport von einem zum anderen Ort anfallen, unabhängig davon, ob Umzugsziel eine neue Wohnung (vgl. BSG, Urteil vom 15.11.2012 – B 8 SO 25/11 R –) oder wie vorliegend wegen eingetretener Unbrauchbarkeit eine Entsorgungsstation bzw. Mülldeponie ist.

 

Das Jobcenter darf nicht auf Selbsthilfe verweisen

2. Denn die bei der Klägerin diagnostizierten psychiatrischen Erkrankungen führen zu einer deutlich eingeschränkten Alltagskompetenz, was eine zumutbare Selbsthilfe zur Organisation und Bewältigung der Räumung einer durch Löschwasser zerstörten Wohnungseinrichtung ausschließt. Hinzu kommt, dass für die Klägerin wegen ihrer Erkrankungen auch für Wohnungsangelegenheiten eine Betreuerin bestellt ist.

3. Die Klägerin vor diesem Hintergrund und in Kenntnis der bei ihr bestehenden Erkrankungen lapidar auf die Selbsthilfe und zweimal jährlich stattfindende Sperrmüllaktionen verweisen zu wollen, ist nicht nur diskriminierend, sondern nahezu unverschämt und zynisch.

4. Daneben verlagert sich eine Selbsthilfeobliegenheit entgegen der Ansicht des Jobcenters nicht ohne weiteres auf die Betreuerin.

 

Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock

Die Entscheidung und Begründung des Gerichts ist zu begrüßen.

Endlich hat mal ein Gericht den Mut sich einer Behörde in den Weg zu stellen.

Dieses unmenschliche Verhalten des Jobcenters/ Behördenmitarbeiter gehört an die Öffentlichkeit und muss für die Behörde wie ein Schlag ins Gesicht gewirkt haben.

Eine unter Betreuung stehende schwerstkranke Leistungsempfängerin  auf Selbsthilfe zu verweisen, ist nach meiner Meinung blanke Diskriminierung oder Sozialneid.

Behördenmitarbeiter sind Staatsdiener nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Ein zynisches Verhalten gegenüber Hilfebedürftigen ist für mich zu 100% Diskriminierung. So ein Verhalten muss für den Betroffenen auch Konsequenzen haben.

Jedem steuerfinanzierten „Kundenberater“ jedes steuerfinanzierten „Jobcenters“ ist es zuzumuten, seinen königlichen „Kunden“ bei Bedarf „Kundengespräche“ in wertschätzendem Ton anzubieten und wohlwollend um ihre Mitwirkung zu werben. ( so zutreffend SG Karlsruhe, Urt. v. 09.05.2023 - S 12 AS 2046/22 ).

 

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )

4.1 LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 09.05.2025 - L 3 AL 24/22 -

Dazu Detlef Brock

1. Zur Rückabwicklung einer überzahlten Leistung zwischen Arbeitsagentur und Jobcenter nach Rücknahme der Leistungsbewilligung

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. Hat ein Sozialleistungsträger nach dem 1.Januar 2018 den elektronischen Rechtsverkehr eingeführt, belehrt in einem Veraltungsakt aber nicht über die Möglichkeit der elektronischen Widerspruchseinlegung, so ist die Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft und es gilt die Jahresfrist.

2. Erweist sich nach Erfüllung eines Erstattungsanspruches nach §§ 103 ff SGB X zwischen zwei Sozialleistungsträgern die Leistung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers im Verhältnis gegenüber dem Leistungsberechtigten als rechtswidrig und ist sie gegenüber diesem aufgehoben oder zurückgenommen worden, so kommt im Umfang des erfüllten Erstattungsanspruch ein Rückerstattungsanspruch gegenüber dem anderen Leistungsträger nach § 112 SGB X nicht aber ein Erstattungsanspruch gegenüber dem Leistungsberechtigten nach § 50 SGB X in Betracht.

 

5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

5.1 SG Reutlingen, Beschluss vom 20.07.2022 - S 4 SO 1049/23 ER –

Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Vermögenseinsatz - angemessenes Hausgrundstück - Auslegung des Angemessenheitsbegriffs abweichend von § 12 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB 2 - Verfassungsmäßigkeit

Keine fixe Angemessenheitsgrenze in der Sozialhilfe - Besteht eine verfassungsrechtlich problematische Ungleichbehandlung gegenüber Bürgergeld - Empfängern?

Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. Die Kammer legt als Orientierungswert für eine angemessene Wohnfläche bei einer Einzelperson 90 m² zugrunde.

2. Die im Zusammenhang mit der Einführung des Bürgergelds im Grundsicherungsrecht für Arbeitsuchende (Zweites Buch Sozialgesetzbuch - SGB II) erfolgte Neufassung der Parallelvorschrift zu § 90 Abs 2 Nr 8 SGB XII, des § 12 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB II, rechtfertigt keine Korrektur der bisherigen Auslegung des Begriffs der Angemessenheit nach § 90 Abs 2 Nr 8 SGB XII.

3. Der Gesetzgeber fügte bewusst keine fixe Angemessenheitsgrenze in § 90 Abs 2 Nr 8 SGB XII ein und wollte es bei der bisherigen Auslegung des dortigen Angemessenheitsbegriffs belassen. Die Kammer sieht darin keine verfassungsrechtlich problematische Ungleichbehandlung

 

5.2 LSG Hessen, Urteil vom 26.03.2025 - L 4 SO 87/23 - Revision anhängig beim BSG - B 8 SO 7/25 R

Bürgergeld: Nur der tatsächliche Bezug einer Altersrente lässt den SGB II Anspruch entfallen

Dazu Detlef Brock

  1. Bei Nicht - Auszahlung der Altersrente, hier eine russische Altersrente, besteht Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, denn wurde die russische Altersrente im Zeitraum nicht im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II bezogen, besteht Anspruch auf Bürgergeld.

    2. Das Tatbestandsmerkmal – beziehen - ist nicht bereits erfüllt, wenn die betroffene Person bloß einen Rechtsanspruch auf eine Altersrente oder ein Antrag auf Rentengewährung gestellt hat .

 

Maßgeblich ist nach herrschender Meinung der tatsächliche Bezug einer Altersrente.

3. Für den - Bezug einer Leistung im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II muss eine Auszahlung in dem Monat erfolgen, für den Leistungen nach dem SGB XII begehrt werden.

Die erstmalige Aufnahme der Rentenzahlung reicht nicht aus.

 

5.3 SG Lüneburg, Gerichtsbescheid vom 28.05.2025 - S 38 SO 10/25 -

Das Schweigen der Behörden verstößt gegen den Verfassungsgrundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung, Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz

Dazu Detlef Brock

  1. Die Behörde muss auch Bescheide erlassen, wenn sie sich nicht für zuständig hält
  2. Ein Zuständigkeitsstreit zwischen Leistungsträgern ermöglicht es den Behörden nicht, untätig zu bleiben.
  3. Die Auffassung, man könne Bescheide nicht erlassen, weil man unzuständig sei, verstößt sowohl gegen den Verfassungsgrundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung, Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz, als auch gegen die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.
  4. Denn vielmehr ist die angenommene Unzuständigkeit durch Bescheid auszusprechen, um dem Betroffenen die rechtsstaatliche Kontrolle zu ermöglichen. Der Kläger bestimmt insoweit den Beginn eines Verwaltungsverfahrens, dass grundsätzlich durch Verwaltungsakt zu enden hat.
  5. Die Behörde darf vorliegend darüber hinaus die Entgegennahme von Anträgen, die grundsätzlich in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb verweigern, weil sie die Erklärung oder den Antrag in der Sache unzulässig oder unbegründet hält. Denn der Gesetzgeber hat alle denkbaren Fallkonstellationen geregelt, wie die adressierte Behörde mit dem Antrag umzugehen hat.
  6. So hat er vorgegeben, dass eine Behörde, die der Auffassung ist, unzuständig zu sein, einen entsprechenden Bescheid zu erlassen hat, der das Verwaltungsverfahren beendet, §§ 8, 31 SGB X.
  7. Daneben hat die Behörde bei angenommener Unzuständigkeit den Antrag an den nach ihrer Auffassung nach zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten, § 16 Abs. 2 SGB I bzw. im Falle der Eingliederungshilfe § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Der Gesetzgeber hat das Verwaltungsverfahren, dessen Beginn und das Ende normiert sowie im Sozialrecht insbesondere auch die Gewährung der sozialen Rechte durch die Pflicht zur Weiterleitung des Antrags sichergestellt.

Quelle: https://voris.wolterskluwer-online.de/

 

 

6. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

6.1 Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Beschluss vom 02.06.2025 – Az.: L 8 AY 18/25 B

Normen: § 1a Abs. 3 AsylbLG, § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO – Schlagworte: Prozesskostenhilfe, Verfassungsrecht, Leistungskürzung, Erfolgsaussichten

Gewährung von PKH, denn ob die (einheitlichen) Rechtsfolgen bei Anspruchseinschränkungen gemäß § 1a Abs. 1 AsylbLG (vgl. hier den Rechtsfolgenverweis aus § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG) mit dem Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) zu vereinbaren sind, ist in Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten.

Dazu Detlef Brock

1. Gewährung von PKH, denn ob die (einheitlichen) Rechtsfolgen bei Anspruchseinschränkungen gemäß § 1a Abs. 1 AsylbLG (vgl. hier den Rechtsfolgenverweis aus § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG) mit dem Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) zu vereinbaren sind, ist in Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten und noch nicht höchstrichterlich geklärt (vgl. dazu etwa Sächsisches LSG, Beschluss vom 16.12.2021 – L 8 AY 8/21 B ER – juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8.11.2024 – L 20 AY 16/24 B ER – juris; Oppermann in jurisPK-SGB XII, 4. Aufl. 2024, § 1a AsylbLG Rn. 241 ff. m.w.N.; Hohm in GK-AsylbLG, 105. Lfg., Januar 2025, § 1a Rn. 560 ff.).

Quelle: https://anwaltskanzlei-adam.de/2025/06/03/landessozialgericht-niedersachsen-bremen-beschluss-vom-02-06-2025-az-l-8-ay-18-25-b/

 

 

6.2 Sozialgericht Fulda – Beschluss vom 04.06.2025 – Az.: S 7 AY 8/25 ER

Normen: § 1a Abs. 4 AsylbLG – Schlagworte: Keine Leistungskürzung über 6 Monate hinaus, Leistungskürzung, Landkreis Fulda, Sozialgericht Fulda

§ 1a Abs 4 S 2 AsylbLG knüpft nicht an ein konkretes Fehlverhalten des Leistungsberechtigten an. Mit der Regelung soll für Personen, die dem europäischen Leistungsregime unterworfen sind, eine unerwünschte europäische Sekundärmigration sanktioniert werden

Dazu Detlef Brock

1. Gemäß § 14 Abs. 1 AsylbLG sind die Anspruchseinschränkungen nach diesem Gesetz auf sechs Monate zu befristen. Gemäß § 14 Abs. 2 AsylbLG ist zwar die Anspruchseinschränkung bei fortbestehender Pflichtverletzung im Anschluss fortzusetzen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen der Anspruchseinschränkung weiterhin erfüllt werden. Eine solche Pflichtverletzung liegt hier allerdings nicht vor.

2. Denn der gesetzliche Hintergrund der Leistungskürzung nach § 1a Abs. 4 AsylbLG liegt nicht in einem konkreten Fehlverhalten der Leistungsberechtigten, sondern darin, dass diese Personen dem europäischen Asylregime oder einem drittstaatsbezogenen Schutzregime unterworfen sind und sich in Deutschland aufhalten. Sanktioniert wird eine asyl- bzw. ausländerrechtliche Lage, die einer unerwünschten europäischen Sekundärmigration entgegentreten soll (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 2. August 2018 – L 8 AY 2/18 B ER –, juris, Rn. 19; Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 1a AsylbLG (Stand: 14.01.2025)) und damit keine Pflichtverletzung des Leistungsberechtigten.

3. In Konstellationen wie der vorliegenden kommt folglich eine Anspruchseinschränkung über den Sechsmonatszeitraum des § 14 Abs. 1 AsylbLG hinaus nicht in Betracht.

Quelle: https://anwaltskanzlei-adam.de/2025/06/07/sozialgericht-fulda-beschluss-vom-04-06-2025-az-s-7-ay-8-25-er/

 

6.3 LSG NSB, Beschluss v. 12.06.2025 - L 8 AY 24/25 B ER -

Dazu RA Sven Adam:

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hält mit Beschluss vom 12.06.2025 zu dem Az.: L 8 AY 24/25 B ER daran fest, dass § 1a Abs. 4 AsylbLG ein ungeschriebendes Tatbestandsmerkmal enthält, nach dem der betreffenden Person die Rückkehr in das schutzgewährende Land aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen möglich sein muss.

Diese Möglichkeit besteht für vulnerable Gruppen im Fall der geforderten Ausreise nach Griechenland nicht, da sie dort der ernsthaften Gefahr ausgesetzt sind, aufgrund der zu erwartenden Lebensumstände eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. von Art. 4 Charta der Grundrechte der EU (GRCh) bzw. des Art. 3 EMRK zu erfahren.

Quelle: https://anwaltskanzlei-adam.de/leistungskuerzungen-nach-%C2%A7-1a-asylblg-insbesondere-die-absaetze-3-und-4-asylblg/

 

6.4 LSG NSB, Beschluss v. 13.06.2025 - L 8 AY 12/25 B ER -

Dazu RA Sven Adam: zu § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG:

1. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen sagt, dass eine konkrete Ausreisemöglichkeit in den zuständigen Mitgliedsstaat erst nach der Organisation des Überstellungsprozesses in Zusammenarbeit des BAMF, der Ausländerbehörde bzw. der Bundespolizei und des zuständigen
Mitgliedstaates feststeht und ein Rechtsanspruch auf eine freiwillige Ausreise nicht besteht.

2. Dem Überstellungsverfahren ist damit das reguläre Institut der freiwilligen Ausreise unbekannt und die Überstellung erfolgt stets im Rahmen eines behördlich überwachten Verfahrens, selbst bei einer Initiative der betreffenden Person hinsichtlich der freiwilligen Ausreise. Dadurch ist die positive Feststellung der rechtlich und tatsächlich möglichen Ausreise durch das BAMF aber zwingende Voraussetzung des § 1 Abs. 4 AsylbLG, die hier nicht vorliegt.

3. Dem Antragsteller ist es sogar aus rechtlichen Gründen nicht möglich bzw. nicht gestattet, freiwillig auszureisen, weil eine Überstellung auch nie vorbereitet wurde. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 4 AsylbLG sind damit nicht erfüllt.

4. Die Folgenabwägung führt zur vorläufigen Verpflichtung der Behörde zur Zahlung von Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG. Selbst wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 4 AsylbLG erfüllt wären, könnte die Folgenabwägung aber auch zur vorläufigen Verpflichtung der Behörde zur Zahlung von Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG führen, da eine Vorlage des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG an den EuGH im Hauptsacheverfahren ernsthaft in Betracht kommt.

 

Quelle: RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2025/06/14/landessozialgericht-niedersachsen-bremen-beschluss-vom-13-06-2025-az-l-8-ay-12-25-b-er/

 

 

7. Verschiedenes zum Bürgergeld, Sozialhilfe, Wohngeld, Kinderzuschlag und anderen wichtigen Gesetzesbüchern

 

7.1 Neue Mietobergrenzen für Kiel ab dem 01.01.2025

weiter bei RA Helge Hildebrandt: https://sozialberatung-kiel.de/2025/06/13/neue-mietobergrenzen-fur-kiel-ab-01-01-2025/

 

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Beispiel für Quellenangabe zum Rechtsprechungsticker: Quelle: Tacheles Rechtsprechungsticker KW 14/2025 - Autor: Detlef Brock


Beispiel für Quellenangabe zum Newsletter: Quelle: Thomé Newsletter 12/2025 vom 06.04.2025 - Autor Harald Thomé



Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock


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