Newsticker
Tacheles Rechtsprechungsticker KW 20/2025
1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Arbeitsförderung nach dem SGB 3
1.1 BSG, Urt. v. 17.12.2024 - B 11 AL 10/23 R – www.sozialgerichtsbarkeit.de
Arbeitslosenversicherung - Arbeitslosengeldanspruch - Anwartschaftszeit - Strafgefangener Versicherungspflichtverhältnis - arbeitsfreie Tage
BSG: Bundessozialgericht stärkt Arbeitslosengeld-Anspruch für Gefangene - Gefangenenarbeit auch an arbeitsfreien Tagen versichert
Arbeitslosengeld: Arbeitsfreie Tage in Haft zählen zur Anwartschaftszeit ( Tacheles e. V. )
Dazu Detlef Brock - Orientierungssatz
1. Gefangene können während der Haft durch Tätigkeiten gegen Entgelt Anwartschaftszeiten für den Bezug von Arbeitslosengeld erwerben. Dabei sind auch arbeitsfreie Brückentage, Krankheitstage oder weitere Tage ohne Arbeitsentgelt einzubeziehen.
2. Voraussetzung ist allerdings, dass sie innerhalb eines zusammenhängenden Arbeitsabschnitts liegen und jeweils vier Wochen nicht
überschreiten.
3. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Beschäftigung von Gefangenen ist von einem zusammenhängenden Arbeitsabschnitt solange auszugehen, wie dem Gefangenen durch die Vollzugsbehörde eine bestimmte Beschäftigung zugewiesen ist. Endet diese, endet auch der zusammenhängende Arbeitsabschnitt.
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem SGB II/ Bürgergeld
2.1 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 31.03.2025 - L 2 AS 47/25 B ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de
Bürgergeld: Zur Leistungsbewilligung an eine minderjährige EU-Ausländerin, die selbst Mutter von Kindern ist ( hier bejahend )
Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Wird nach Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs von der Behörde ein Änderungsbescheid erlassen, der nach § 86 SGG Gegenstand dieses Widerspruchsverfahrens wird, wirkt die aufschiebende Wirkung fort.
2. Hebt das Jobcenter die Leistungsbewilligung an eine minderjährige EU-Ausländerin, die selbst Mutter von Kindern ist, für die Zukunft auf, weil diese nur über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche verfüge, muss es im Rahmen seiner Ermessensausübung berücksichtigen, wenn die Minderjährige nicht ohne Zustimmung ihrer Eltern über ihren eigenen Aufenthalt und aufgrund einer Amtsvormundschaft nicht ohne Zustimmung des Jugendamts über den Aufenthalt ihrer Kinder entscheiden darf.
2.2 Bürgergeld: Grundsätzlich entfällt mit einem Umzug innerhalb der Karenzzeit deren Schutzzweck
Grundsatzentscheidung: Höchstrichterliche Entscheidung zur Grundsicherung nach dem SGB II für Bürgergeldbezieher bei einem Umzug während der Karenzzeit.
Grundsätzlich entfällt mit einem Umzug innerhalb der Karenzzeit deren Schutzzweck
1. Bürgergeldbezieher können während der Karenzzeit - nicht jede beliebige Wohnung nach Größe und Preis anmieten, um diese Kosten denn als Bedarf vom Jobcenter beanspruchen zu können.
2. Ziehen Bürgergeldbezieher trotz erforderlichen Umzugs während der Karenzzeit in Kenntnis von ihrer - unangemessenen Mietunterkunft in eine noch teurere Wohnung, ohne aber die Zusicherung beim Jobcenter beantragt zu haben, zahlt das Jobcenter Leistungsempfängern von Bürgergeld- nur noch die angemessenen Unterkunftskosten.
3. Aufgrund der Erforderlichkeit des Umzugs, die hier zu bejahen sein dürfte , kommt entgegen dem Vorbringen der Hilfebedürftigen auch die - Berücksichtigung des bisherigen tatsächlichen KdUH-Bedarfs nach § 22 Abs. 1 Satz 6 SGB II - nicht in Betracht.
4. Denn diese Regelung ( § 22 Abs. 1 Satz 6 SGB II - Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt) findet im Übrigen ohnehin nur bei Auszug eines Leistungsberechtigten aus einer kostenangemessenen in eine grundsätzlich immer noch angemessene, aber teurere Wohnung Anwendung ( vgl auch zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II: BSG, Urteil vom 17. Februar 2016 – B 4 AS 12/15 R - ).
Fazit
Wer indes Fakten schafft und in Kenntnis der zu hohen Kosten gleichwohl eine zu teure Wohnung anmietet, kann sich deshalb nicht darauf berufen, er - verliere - gegebenenfalls diese neue Wohnung, wenn das Jobcenter die Kosten dafür nicht in voller Höhe übernehmen würde.
Die Folgen eines derartigen Verhaltens hat dann grundsätzlich nicht die Allgemeinheit, sondern der oder die Betroffene selbst zu tragen.
So knallhart eine aktuelle höchstrichterliche Gerichtsentscheidung zu den Unterkunftskosten für Bürgergeldbezieher.
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )
3.1 SG Halle, Urteil vom 12. März 2025 - S 18 AS 951/23 -
Bürgergeld: Das Jobcenter muss einer 15-jährigen Schülerin das Notebook in Höhe von 249 € bezahlen
Notebook für Schüler als Bedarf nach dem SGB II (Bürgergeld) - Zuschussleistung vom Jobcenter als Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II
Dazu Detlef Brock
1. Das Sozialgericht Halle gibt in seiner wegweisenden Entscheidung (Urteil vom 12. März 2025 - S 18 AS 951/23 - ) bekannt, dass das Jobcenter die Kosten für die Anschaffung eines Notebooks für die schulische Nutzung durch die 15-jährige Klägerin in Höhe von 249,00 EUR im Rahmen des Bürgergeldbezuges als Zuschuss (und nicht nur im Rahmen einer Darlehensgewährung) übernehmen muss.
2. Das Gericht sah hier die Voraussetzungen eines Mehrbedarfs als gegeben an. Denn die Gesamtkonferenz der Schule hatte für den Unterricht ab der Klassenstufe 8 die Einführung eines jahrgangseinheitlichen Notebooks beschlossen.
3. Eine Darlehensgewährung sei wegen der Art des Bedarfs nicht möglich, denn für die einschlägige Altersgruppe der Jugendlichen vom Beginn des 15. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres werden in der noch aktuellen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe aus dem Jahre 2018 ohne nachvollziehbaren Grund keinerlei Bedarfe für derartige Geräte ausgewiesen.
4. Das Jobcenter könne daher die Klägerin auch nicht darauf verweisen, den erforderlichen Betrag anzusparen.
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht
4.1 SG Mainz, Urteil vom 27.03.2025 - S 15 AL 161/22 – www.sozialgerichtsbarkekit.de
Anspruch auf Insolvenzgeld auch bei Bezug von Mutterschutzlohn
Ein Anspruch auf Mutterschutzlohn während eines ärztlich attestierten Beschäftigungsverbots stellt Arbeitsentgelt iS des § 165 Abs 1 SGB III dar und berechtigt damit ausdrücklich zum Bezug von Insolvenzgeld.
5. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )
5.1 SG Dortmund, Urt. v. 24.04.2024 - S 43 SO 405/23 -
Sozialhilfe: Erhöhende Rente bei Auszahlung erst Ende des Monats mindert das Sozialhilfeeinkommen - § 48 Abs. 1 SGB X
Leitsatz SG Dortmund
1. Zum Vorliegen einer wesentlichen Änderung bei der Bewilligung von Grundsicherung im Alter und der Erhöhung des Renteneinkommens im Juli.
2. Beim Zufluss von laufenden Leistungen ist auf Einnahmen des gesamten Monats abzustellen, so auch für am Monatsletzten zufließende erhöhte Renteneinkommen.
5.2 SG Landshut, Urteil vom 14.03.2025 - S 10 SO 48/23 – www.sozialgerichtsbarkeit.de
Eingliederungshilfe: Schwerbehinderter hat Anspruch auf Erstattung seiner Kosten für den behindertengerechten Umbau seines VW T7 Multivan im Rahmen der Eingliederungshilfe
Eingliederungshilfe: Behörde muss 18.700 € für den Umbau eines KFZ des Behinderten bezahlen
Wegweisendes Urteil für alle Schwerbehinderten zur Kostenübernahme für eine behinderungsbedingte Zusatzausstattung eines KFZ im Rahmen der Eingliederungshilfe, denn eine Anrechnung ist nicht von Einkommen und Vermögen abhängig ( § 7 KfzHV ).
Dazu Detlef Brock - Orientierungssatz
1. Rechtsgrundlage für den Kostenerstattungsanspruch ist § 18 Abs. 6 Satz 1 Alt. 2 SGB IX.
2. Anspruchsgrundlage für die beantragte Kostenübernahme für den behindertengerechten Umbau des Pkw des Klägers ist § 113 Abs. 1, 2 Nr. 7, Abs. 3, 114 SGB IX in Verbindung mit § 83 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 3 Satz 1 Nr. 2 SGB IX.
3.Der behindertengerechte Umbau ist eine Leistung der Sozialen Teilhabe in Form der Leistungen zur Mobilität (§ 113 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX).
4. Die Kosten für den behindertengerechten Umbau sind in vollem Umfang vom der Behörde zu übernehmen. Eine Anrechnung von Einkommen und Vermögen erfolgt nicht ( § 83 Abs. 3 Satz 2 SGB IX regelt, dass sich die Bemessung der Leistungen zur Mobilität an der KfzHV orientiert- § 7 KfzHV ).
6. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
6.1 SG Karlsruhe, Urteil vom 06.05.2025 - S 12 AY 295/23 -
Zur Verurteilung einer beigeladenen Behörde im Asylbewerberleistungsrecht nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Wegen § 6b AsylbLG findet der sozialrechtliche Herstellungsanspruch Anwendung, soweit die örtlich unzuständige Behörde einen Asylbewerberleistungsfall entgegen § 16 Abs. 2 SGB I nicht an die nach § 10a AsylbLG örtlich zuständige Behörde weiterleitet und diese dem Asylbewerber in Unkenntnis des Leistungsfalls existenzsichernde Leistungen nur mit Verzögerung und Rückwirkung gewähren kann.
2. Wegen der Subsidiarität der Verurteilung der Beigeladenen kann ein Bescheidungsurteil nach § 88 Abs. 1 SGG i.V.m. § 75 Abs. 5 SGG nur ergehen, wenn das Gericht zugleich eine Untätigkeitsklage der Klägerin gegen die Beklagte abweist.
3. Eine Änderung der Rechtsverfolgung gegenüber der Beigeladenen nach § 75 Abs. 5 SGG ist nicht in Analogie zu § 99 SGG zulässig.
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Beispiel für Quellenangabe zum Rechtsprechungsticker: Quelle: Tacheles Rechtsprechungsticker KW 14/2025 - Autor: Detlef Brock
Beispiel für Quellenangabe zum Newsletter: Quelle: Thomé Newsletter 12/2025 vom 06.04.2025 - Autor Harald Thomé
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock