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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 14/2022
1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem (SGB II )
1.1 BSG, Urt. v. 29.03.2022 - B 4 AS 2/21 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss - EU-Ausländer - Aufenthaltsrecht - geringfügige Beschäftigung
Kein Hartz IV für EU-Bürger mit 100-Euro-Job/10 Std. pro Monat
Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.
Kein Arbeitnehmerstatus bei 100 EUR/10 Std. pro Monat, denn diese Tätigkeit stellt sich damit als völlig untergeordnet und unwesentlich dar.
Quelle: https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2022/2022_03_29_B_04_AS_02_21_R.html
Anmerkung RA Volker Gerloff auf Twitter:
Das BSG scheint bzgl EU-Bürger:innen umzuschwenken
Wurde bisher stets betont, dass v nicht ausreisepflichtigen Personen keine Ausreise verlangt werden kann, scheint jetzt eine soz.rechtl. Obliegenheit zur Ausreise unterstellt zu werden, bei fehlender mig.rechtl. Ausreisepflicht
1.2 BSG, Urt. v. 29.03.2022 - B 4 AS 24/21 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Arbeitseinkommen - Absetzung - Freibeträge
Mehrfache Absetzung der Erwerbstätigenfreibeträge
Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.
1. MehrfachAbsetzung des Grund- und Erwerbstätigenfreibetrages nach § 11b SGB II, wenn Arbeitseinkommen aus einem Beschäftigungsverhältnis und -monat durch Vorschuss- beziehungsweise Abschlagszahlungen und Restzahlungen über mehrere Monate verteilt zufließt.
2. Dies ergibt sich aus dem der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach Wortlaut und Systematik zugrundeliegenden Monatsprinzip, dem auch bezogen auf die Absetzbeträge bei Erwerbstätigkeit strikt Rechnung zu tragen ist, sowie aus Sinn und Zweck der Freibetragsregelungen.
Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2022/2022_03_29_B_04_AS_24_21_R.html
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )
2.1 LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 19.01.2022 - L 18 AS 1513/19
Voraussetzungen einer von einem geförderten Umschüler beantragten und vom Grundsicherungsträger
Orientierungssatz
1. Eine nach § 16 Abs. 1 SGB 2 i. V. m. §§ 131 a Abs. 3 Nr. 1, 444 a Abs. 2 SGB 3 vom Grundsicherungsberechtigten beim Träger der Grundsicherung beantragten Weiterbildungsprämie (WBP) ist von diesem nicht zu bewilligen, wenn der Antragsteller keine Zwischenprüfung i. S. des § 131 a Abs. 3 Nr. 1 SGB 3 absolviert hat. Diese Vorschrift ist Anspruchsgrundlage nur für Zwischenprüfungen (Rn.15).
2. Hat der Antragsteller an einer solchen Zwischenprüfung nicht teilgenommen, so ist die Bewilligung einer Weiterbildungsprämie durch den Grundsicherungsträger ausgeschlossen.(Rn.19)
3. Für eine analoge Anwendung von § 131 a Abs. 3 Nr. 1 SGB 3 auf trägerinterne, von diesen gfs. als Zwischenprüfung bezeichnete Leistungsüberprüfungen ist mangels einer Regelungslücke bzw. einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes kein Raum (BSG Urteil vom 3. 11. 2021, B 11 AL 2/21 R).(Rn.20)
Quelle: https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE220022850
2.2 Sächsisches LSG, Beschluss v. 10.03.2022 - L 3 AS 1157/21 B ER
Leitsätze
Nach dem Wortlaut von § 3 Abs. 4 EAO kann ein Arbeitsloser unabhängig vom Grund der Abwesenheit (Beruf, Urlaub, Familie) keine Zustimmung für seine Ortsabwesenheit erhalten, wenn er sich länger als sechs Wochen außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches aufhalten will
Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/170695
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung ( SGB II )
3.1SG Magdeburg, Urt. v. 23.03.2022 - S 27 AS 2571/19
Leitsatz
Im Fall eines sog. Nullfestsetzungsbescheids ist statthafte Klageart die isolierte Anfechtungsklage.
Mit der Möglichkeit des § 41a Abs. 3 Satz 4 SGB II wollte der Gesetzgeber eine Regelung schaffen, die einen mit den §§ 60 ff SGB I vergleichbaren Rechtszustand herstellt, was eine Heranziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Versagungsbescheiden zur Folge hat. Ebenso wie ein Versagungsbescheid ist ein Nullfestsetzungsbescheid mangels Anspruchsermittlung kein Leistungsbescheid.
Quelle: https://www.landesrecht.sachsen-anhalt.de/bsst/document/JURE220025328
3.2 SG Halle, Urt. v. 03.02.2022 - S 27 AS 889/20
Keine Instandhaltungsskosten bei unangemessen großem Wohneigentum
Leitsatz
1. Aus § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II kann sich ein Anspruch auf Übernahme unabweisbarer Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur von Wohneigentum nur ergeben, wenn es sich um ein selbst genutztes Haus von angemessener Größe i.S.d. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II handelt. Ist das Wohneigentum unangemessen groß, fehlt eine erforderliche Anspruchsvoraussetzung.
2. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck des § 22 Abs. 2 SGB II.
Quelle: https://www.landesrecht.sachsen-anhalt.de/bsst/document/JURE220025334
Hinweis: anderer Auffassung bzw. gleicher Auffassung:
Die Kammer folgt insoweit nicht mehr der in ihrem – in anderer Besetzung – ergangenem o.g. Urteil vom 15. Oktober 2020 (S 27 AS 3351/16 – Fenster der Sommerküche) ausführlich dargelegten Auffassung, dass die Übernahme von Instandhaltungskosten aufgrund der Verweisung auf § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II wegen Unangemessenheit der Grundstücks- und/oder Hausgröße nicht abgelehnt werden dürfe (vgl. hierzu LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 8. Januar 2016, Az.: L 8 AS 578/15 B ER). Danach sei § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs im Wege der teleologischen Reduktion dahingehend einengend auszulegen, dass die Regelung auf selbst bewohntes Wohneigentum dann keine Anwendung finde, wenn dieses nach § 12 SGB II bereits aus anderen Gründen nicht als Vermögen zu berücksichtigen sei (Urteil der Kammer v. 15. Oktober 2020, Az.: S 27 AS 3351/16; ebenso: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss v. 8. Januar 2016, Az.: L 8 AS 578/15 B ER, Rn. 27; Berlit in: Münder/Geiger, SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende, 7. Aufl. 2020, § 22 Rn. 161).
Die Kammer hält an dieser Rechtsauffassung nicht mehr fest. Sie erachtet sie für nicht vereinbar mit dem Gesetzeswortlaut und dem Sinn und Zweck des § 22 Abs. 2 SGB II (ebenso: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Mai 2021, Az.: L 29 AS 1920/19, Rn. 27 ff., juris; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. Oktober 2015, Az.: L 4 AS 431/15 B ER, sowie Beschluss vom 2. Juni 2020, Az.: L 4 AS 167/20 B ER, juris).
3.3 Sozialgericht Kiel, Beschluss vom 28.01.2022 - S 34 AS 4/22 ER, rechtskräftig
Neuanmietungen im ALG II-Leistungsbezug sind von § 67 Abs. 3 erfasst (entgegen LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23.03.2022, L 6 AS 28/22 B ER, RA Helge Hildebrandt )
Orientierungssatz RA Helge Hildebrandt
§ 67 Abs. 2 SGB II ist auch auf Leistungsberechtigte anzuwenden, deren Hilfebedürftigkeit nicht ursächlich auf die Corona-Pandemie zurückzuführen ist. Mieten diese im Leistungsbezug eine neue Wohnung an, sind deren Kosten auch dann zu übernehmen, wenn sie sehr hoch sind. Einer vorherigen Zusicherung des Jobcenters zur Übernahme der tatsächlichen Mietkosten bedarf es nicht.
Quelle: RA Helge Hildebrandt, Kiel mit Beitrag:
Corona-Pandemie: Noch bis Ende 2022 sind die tatsächlichen Unterkunftskosten zu übernehmen: https://sozialberatung-kiel.de/2022/04/01/corona-pandemie-noch-bis-ende-2022-sind-die-tatsachlichen-unterkunftskosten-zu-ubernehmen/
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )
4.1 Sächsisches LSG, Urt. v. 21.05.2021 - L 8 SO 107/20
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen einer Gewährung von Sozialhilfe für Deutsche im Ausland
Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/170690
4.2 Sächsisches LSG, Beschluss v. 12.07.2021 - L 8 SO 29/21 B ER
Anspruch auf Schulbegleitung im Homeschooling
Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.
1. Anspruch auf Schulbegleitung im Homeschooling im Rahmen der Eingliederungshilfe.
2. Keine pauschale Ablehnung eines Schulbegleiters mit Hinweis auf die den Eltern obliegende elterliche Sorge.
4.3 LSG Hessen, Urt. v. 19.01.20022 - L 4 SO 185/20
Leitsätze
Zur Berechnung der Höhe des Aufwendungsersatzes nach § 19 Abs. 5 SGB XII bei flexibel bewilligten Eingliederungshilfeleistungen.
Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/170696
5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
5.1 SG Frankfurt ( Hessen ), Urt. v. 14.03.2022 - S 30 AY 6/21
Leitsätze
1. Es fehlt an einem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers, wenn er während des Distanzunterrichts in der Coronapandemie mit einem Leihgerät durch die Schule ausgestattet war.
2. Die Beschaffung eines internetfähigen PC ist grundsätzlich aus dem Regelsatz und aus den gewährten Bedarfen für Bildung und Teilhabe zu decken.
3. Die Fachliche Weisung zu § 21 SGB II, Nummer 202102001, der Bundesagentur für Arbeit ist im Rechtskreis des SGB XII nicht beachtlich.
4. Eine Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und von Art. 3 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht ersichtlich, wenn die Teilnahme des Klägers im coronabedingten Fernunterricht durch die Zurverfügungstellung eines Leihgerätes sichergestellt war und darüber hinaus, die Schule auf Nachfrage des Gerichts mitgeteilt hat, dass ein internetfähiger Computer oder Laptop zum Schulbesuch nicht notwendig ist.
Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/170704
6. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern
6.1 Es gibt eine brandaktuelle und wirklich gute Handreichung der Diakonie Deutschland:
Teilhabeleistungen (Eingliederungshilfe), Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und Leistungen zur Pflege für Personen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, so RA Volker Gerloff, hier zur Quelle: https://www.ra-gerloff.de/newsletter/Anlage%20nl-06-2022_3.pdf
6.2 Prozesskostenhilfe: Keine Absetzung der Prämienzahlungen auf nicht staatlich geförderten Rentenversicherungsvertrag
Ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt, Kiel
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock