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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 09/2025
1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sozialhilfe ( SGB XII )
1.1 BSG, Urt. v. 26.09.2024 - B 8 SO 13/22 R
Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Übernahme von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung - sozialgerichtliches Verfahren - Streitgegenstand
BSG: Sozialhilfeträger müssen Sonderbedarf nach § 33 Abs. 1 SGB XII berücksichtigen
Orientierungshilfe Detlef Brock
1. Bei der Berechnung des Bedarfs eines Sozialhilfeempfängers können auch freiwillige Beitragszahlungen an die gesetzliche Rentenversicherung zu berücksichtigen sein.
2. Dabei ist von einer Angemessenheit der geltend gemachten Beiträge im Grundsatz auszugehen, wenn die Beitragszahlung den Grundsicherungsbedarf im Alter prognostisch mindert.
3. Als angemessen der Höhe nach erweisen sich dabei nur die Beiträge, die Bezieher von Einkommen knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze unter besonderer Berücksichtigung ihrer individuellen Lebenssituation aufbringen würden, um eine verbesserte Absicherung, die das Grundsicherungsniveau nicht wesentlich übersteigt, zu erreichen.
Volltext jetzt hier: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/177458
Praxistipp
vgl. dazu bereits BSG, Urt. 08.05.2024 - B 8 SO 4/23 R -
Zur Erstattung der Aufwendungen für die Beiträge einer Pflegeperson für eine angemessene Alterssicherung gemäß § 64f Absatz 1 SGB XII.
Hinweis: www.evangelisch.de
1. Sozialhilfeträger müssen für pflegende Angehörige nur begrenzt Rentenbeiträge für die Alterssicherung zahlen. Ist die pflegebedürftige Person nicht in der gesetzlichen Pflegeversicherung versichert, kann die pflegende Person nur dann Rentenbeiträge erhalten, wenn sie voraussichtlich eine über der Grundsicherung liegende Rente erhalten wird und keine anderweitige angemessene Alterssicherung besteht.
2. Der Gesetzgeber fördert die häusliche Pflege durch Angehörige oder andere nicht professionelle Pflegepersonen dadurch, dass die pflegebedürftige Person vom Sozialhilfeträger die Übernahme von Rentenbeiträgen für die pflegende Person verlangen kann. Voraussetzung hierfür ist, dass mindestens ein Pflegegrad 2 besteht und keine „anderweitige Alterssicherung“ aufgebaut wird.
3. Üblicherweise kommt die Pflegeversicherung für die Beiträge auf. Ist der Pflegebedürftige nicht in der Pflegeversicherung, kann der Sozialhilfeträger zur Übernahme der Rentenbeiträge verpflichtet sein. Dies ist insbesondere bei erwerbsunfähigen oder aus dem Ausland stammenden Pflegebedürftigen möglich.
1.2 BSG, Urteil vom 27.02.2025 - B 8 SO 9/23 R
Sozialhilfe - Eingliederungshilfe - Mittagessen - tagesstrukturierendes Angebot - Menschen mit Behinderung – Tod des Klägers – Eingliederungshilfe nur ausnahmsweise vererblich
BSG: Ansprüche auf Eingliederungshilfe nur unter bestimmten Voraussetzungen vererblich
Orientierungshilfe Detlef Brock
1. Nach ständiger Rechtsprechung des 8. Senates des Bundessozialgerichts sind Sozialhilfeansprüche nur vererblich, wenn der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mithilfe eines vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat.
2. Gleiches kann gelten, wenn im Zeitpunkt des Todes wegen einer bereits vor dem Tod gedeckten Bedarfslage noch Schulden gegenüber dem Erbringer der Leistung bestehen, die aus dem Nachlass zu begleichen sind.
3. Weiterhin führt das Bundessozialgericht aus, dass diese Grundsätze gelten für die Eingliederungshilfe auch seit der Herauslösung aus dem SGB XII und Neuregelung in Teil 2 des SGB IX zum 1. Januar 2020.
4. Denn die steuerfinanzierte Eingliederungshilfe dient alleine dazu, aktuelle Teilhabebedürfnisse von Menschen mit Behinderungen zu decken; mit dem Tod können diese Ziele nicht mehr erreicht werden.
5. Die Revision hat keinen Erfolg gehabt. Die Klage ist durch den Tod des Klägers unzulässig geworden.
Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2025/2025_02_27_B_08_SO_09_23_R.html
Praxistipp
Aktuellste Rechtsprechung zu diesem Thema
Sozialhilfe: Keine Erstattung der Kosten für ein behindertengerechtes KfZ bei Tod des Ehepartners
Orientierungssatz Detlef Brock
1. Ansprüche auf Eingliederungshilfe nach dem Zweiten Teil des SGB IX i.d.F. ab 01.01.2020 gehen grundsätzlich mit dem Tod des Leistungsbeziehers unter. Es besteht insofern kein Unterschied zu Ansprüchen nach §§ 53 ff. SGB XII i.d.F. bis 31.12.2019.
2. Eine etwa vorhanden gewesene Notlage in der Person des verstorbenen Hilfebedürftigen lässt sich nach dessen Tod im Nachhinein nicht mehr beheben, so ausdrücklich der 20. Senat des LSG NRW mit Urteil vom 18.11.2024 - L 20 SO 409/22 - .
3. Denn das Bundessozialgericht hat bereits wiederholt entschieden, dass Ansprüche auf Sozialhilfe, zu denen auch Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII i.d.F. bis zum 31.12.2019 (a.F.) gehören, wegen ihres höchstpersönlichen Charakters nach dem Tod des Berechtigten nicht auf einen Sonderrechtsnachfolger i.S.v. § 56 SGB I übergehen und auch grundsätzlich nicht vererblich sind.
4. Abweichendes gilt (nur) dann, wenn der Hilfebedürftige seinen Bedarf zu Lebzeiten mithilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Sozialhilfeträger nicht rechtzeitig geholfen oder die Hilfe abgelehnt hat (BSG, Urteil vom 23.07.2014 – B 8 SO 14/13 R - , sowie Urteil vom 12.05.2017 – B 8 SO 14/16 R - ).
5. Diese vom Bundessozialgericht zur Rechtsnachfolge von Ansprüchen nach dem SGB XII entwickelten Grundsätze sind auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX i.d.F. ab Januar 2020 (n.F.), zu denen auch die hier streitigen Leistungen zur Mobilität für ein Kfz nach § 90 Abs. 1 und 5, § 99 Abs. 1 und 2, § 102 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 113 Abs. 2 Nr. 7 und § 83 Abs. 1 SGB IX n.F. gehören, übertragbar.
1.3 BSG, Urteil vom 27.02.2025 - B 8 SO 10/23 R -
Sozialhilfe - Eingliederungshilfe - stationäre Einrichtung - Besuchsbeihilfen
BSG: Eingliederungshilfeträger müssen Heimfahrten Behinderter zu ihren Angehörigen bezahlen
Bundessozialgericht stärkt die Rechte von Behinderten bei der Besuchsbeihilfe
Orientierungssatz Detlef Brock
1. Ein unter schweren, körperlichen Einschränkungen auf einen Sonder(schiebe) Rollstuhl angewiesener Schwerstbehinderter hat Anspruch auf mehrere Besuchsbeihilfen pro Jahr für Besuche bei seinen Eltern im Rahmen der Eingliederungshilfe.
2. Voraussetzung ist, dass die Besuchsbeihilfen im Einzelfall erforderlich sind (§ 54 Abs. 2 SGB IX a.F.), sie also, ausgehend von Art und Schwere der Behinderung und den hieraus resultierenden Einschränkungen, unter prognostischer Betrachtung geeignet und notwendig ist, das in Frage stehende Teilhabeziel – hier die Verbindung von Leistungsberechtigten zu seinen Angehörigen – zu erreichen.
3. Die erforderliche Besuchsbeihilfe ist sowohl nach dem alten als auch nach dem neuen, ab 2020 geltenden Recht, eine eigenständige Leistung der Eingliederungshilfe, für die der Landkreis aufkommen muss.
Das Bundessozialgericht hat mit heutigem Tage klar gestellt, dass zum Anspruch behinderter Menschen auf soziale Teilhabe auch die Teilhabe am Familienleben gehört.
Denn lebt ein erwachsener behinderter Mensch in einem Wohnheim, kann ihm die Kostenübernahme für notwendige regelmäßige Heimfahrten zu seinen Eltern zustehen, urteilte am Donnerstag das Gericht in Kassel. (AZ: B 8 SO 10/23 R).
Die Erforderlichkeit der Besuchsbeihilfen und deren Häufigkeit hängt vom Einzelfall ab
Die Erforderlichkeit der Besuchsbeihilfen und deren Häufigkeit bestimmt sich anhand des konkreten eingliederungshilferechtlichen Bedarfs, insbesondere den medizinischen Erfordernissen und den örtlichen Verhältnissen.
Die erforderliche Besuchsbeihilfe ist sowohl nach dem alten als auch nach dem neuen, ab 2020 geltenden Recht, eine eigenständige Leistung der Eingliederungshilfe, für die der Landkreis aufkommen muss.
Der Eingliederungshilfeträger muss die soziale Teilhabe ermöglichen, wozu auch die Teilhabe am Familienleben gehöre, stellten die Sozialrichter in Kassel klar.
Das Bundessozialgericht betonte weiter, dass die Anzahl der Heimfahrten vom jeweiligen Einzelfall abhänge.
Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2025/2025_02_27_B_08_SO_10_23_R.html
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )
2.1 LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 12.12.2024 - L 5 AS 79/23 -
Leitsätze www.landesrecht-sachsen-anhalt.de
1. Fließt einem Leistungsberechtigten aus einem Beschäftigungsverhältnis innerhalb eines Monats in mehreren Monaten erarbeitetes Arbeitsentgelt zu, so ist auch das weitere Einkommen um den Grundfreibetrag für jeden dieser Monate gesondert zu bereinigen (Anschluss an BSG, Urteil vom 17.07.2014, B 14 AS 25/13 R).
2. Die Aufwandsentschädigung für die ehrenamtliche Tätigkeit als Stadträtin ist insgesamt im Monat des Zuflusses (hier: quartalsweise Fälligkeit nach der kommunalen Satzung) als Einkommen anzurechnen. Die Bereinigung hat mit den Freibeträgen für diesen Monat zu erfolgen (§ 11b Abs 2 Satz 3 SGB II in der Fassung bis 30.06.2023).
3. Treffen Aufwandsentschädigung und Einnahmen aus einem Mini-Job in einem Monat zusammen, ist der erhöhte Freibetrag (hier: 200 € ) abzusetzen (Anschluss an BSG, Urteil vom 28.10.2014, B 14 AS 61/13 R).
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )
3.1 SG Hamburg, Urt. v. 25.01.2025 - S 62 AS 855/24 -
Vorrangiger Erstattungsanspruch des Jobcenters gegen den Leistungsträger nach dem AsylbLG
Orientierungssatz www.landesrecht-hamburg.de
1. Der in § 105 Abs. 3 SGB X i.V.m. § 9 Abs. 4 S. 1 AsylbLG normierte Ausschluss des Erstattungsanspruchs bei fehlender Kenntnis des tatsächlich zuständigen Leistungsträgers von dem Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen ist auf den für Leistungen nach dem AsylbLG zuständigen Leistungsträger entsprechend anwendbar.
2. Für die Kenntnis im Sinne von § 105 Abs. 3 SGB X i.V.m. § 9 Abs. 4 S. 1 AsylbLG kommt es alleine auf die Kenntnis der für die Leistungserbringung nach dem AsylbLG zuständige Abteilung der betroffenen Behörde an; eine Kenntnis der in der gleichen Behörde angesiedelten und für die aufenthaltsrechtliche Prüfung zuständigen Abteilung reicht nicht aus.
3. Bereits die Stellung eines Leistungsantrages nach dem SGB II durch die leistungsberechtigte Person vermittelt dem für die Leistungen nach dem AsylbLG zuständigen Träger auf der leistungsrechtlichen Ebene Kenntnis von dem Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen i.S.v. § 2 Abs. 1 S. 1 AsylbLG i.V.m. § 18 Abs. 1 SGB XII.
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )
4.1 SG Freiburg, Urt. v. 06.10.2024 - S 6 SO 1646/24 -
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
Ob die Unterbringung in einer besonderen Wohnform als solche in einer stationären Einrichtung anzusehen ist, hängt von der Art der Hilfe und den konkreten Umständen der Leistungserbringung in jedem Einzelfall ab (hier bei Übernahme der Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Leistungsberechtigten durch den Einrichtungsträger bejaht).
4.2 LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.01.2025 - L 2 SO 2471/24
Sozialhilfe: Keine Übernahme der vor Haftantritt aufgelaufenen Mietschulden
Leitsatz Detlef Brock
1. Kein Anspruch auf Übernahme von Wohnungserhaltungskosten aus Mitteln der Sozialhilfe während der Zeit einer Strafhaft bzw. vor Haftantritt entstandenen Mietschulden nach Kündigung durch den Vermieter und Räumung der Wohnung durch den Hilfesuchenden.
Orientierungssatz Detlef Brock
1. Der Sozialhilfeträger übernimmt die vor Haftantritt aufgelaufenen Mietschulden nicht, wenn die vom Sozialleistungsträger zu erbringende Leistung - nicht - der langfristigen Erhaltung bzw. Sicherung des Wohnraums dienen.
2. Die Transferleistung darf nicht dazu dienen, den Leistungsempfänger lediglich von zivilrechtlichen Ansprüchen eines Vermieters freizustellen.
3. Sie ist auch nicht gerechtfertigt, wenn der Zweck der Transferleistung, nämlich die Sicherstellung der Unterkunft des Bedürftigen, nicht erreicht werden kann.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
5.1 LSG Bayern, Beschluss v. 19.02.2025 - L 8 AY 55/24 B ER -
Das Asylbewerberleistungsrecht ist Existenzsicherungsrecht auf niedrigstem Leistungsniveau - Anspruch auf eine konkrete Leistungsform (z.B. Geldleistung statt Bezahlkarte) kommt daher nur im Fall einer Ermessensreduzierung auf Null in Betracht
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. § 11 Abs. 4 Nr. 1 AsylbLG ist aufgrund einer zumindest teilweisen Aufhebung einer Leistungsbewilligung auch dann anwendbar, wenn lediglich die gewährte Form der Leistung aufgehoben wird.
2. § 3 Abs. 3 AsylbLG stellt es in das pflichtgemäße Ermessen des Leistungsträgers, die Entscheidung über die Form der Leistung zu treffen. Es besteht daher insofern lediglich ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung gem. Art. 40 BayVwVfG. Ein Anspruch auf eine konkrete Leistungsform (z.B. Geldleistung statt Bezahlkarte) kommt daher nur im Fall einer Ermessensreduzierung auf Null in Betracht. Entsprechende Umstände sind in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen.
3. Es ist verfassungsrechtlich zulässig, das Existenzminimum auch durch Sach- oder Dienstleistungen zu gewähren.
4. Soweit bestimmte Dienstleistungen oder Waren nicht mit der Bezahlkarte bezahlt werden können, steht hierfür der monatliche Barbetrag zur freien Verfügung. Auch der Umstand, dass die Bezahlkarte maximal Bargeldabhebungen von 50 € monatlich ermöglicht, begründet grds. keinen wesentlichen Nachteil, der den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen könnte. Die aus der Obergrenze möglicher Bargeldabhebungen resultierende Begrenzung des Bargeldeinsatzes ist der gesetzlich geregelten Zulässigkeit einer anderen Erbringung von Leistungen als durch Bargeld immanent.
5. Aus dem Anspruch auf Gewährleistung des Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1, 20 Abs. 1 GG folgt kein Anspruch auf bestmögliche Versorgung. Das Asylbewerberleistungsrecht ist Existenzsicherungsrecht auf niedrigstem Leistungsniveau. Es ist nicht erkennbar, dass der Einsatz des Barbetrags als auch der Bezahlkarte nicht genügen würden, um existentielle Bedarfe zu decken.
5.2 Newsletter – 0272025 – erstellt von RA Volker Gerloff mit vielen Rechtsprechungshinweisen zum Asylrecht
weiter hier: https://www.ra-gerloff.de/newsletter/Newsletter-02-2025.pdf
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock