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Jahresarchiv

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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 07/2025

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)

1.1 BSG, Urt. v. 26.09.2024 - B 8 AY 1/22 R -

Asylbewerberleistungsrecht - Grundleistungen - Bedarfsstufe - erwachsener Leistungsberechtigter - Gemeinschaftsunterkunft - menschenwürdiges Existenzminimums – Verfassungsmäßigkeit - Vorlagebeschluss

Das Verfahren wird ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu folgender Frage eingeholt:

Sind § 3a Abs 1 Nr 2 Buchst b Asylbewerberleistungsgesetz und § 3a Abs 2 Nr 2 Buchst b Asylbewerberleistungsgesetz jeweils in der Fassung des Art 1 Nr 5 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13. August 2019 (BGBl I 1290), soweit für eine alleinstehende erwachsene Person ein Bedarf lediglich in Höhe der Bedarfsstufe 2 anerkannt wird, mit Art 1 Abs 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art 20 Abs 1 Grundgesetz vereinbar?

Bundessozialgericht aktuell: Bei Wohnen in einer Gemeinschaftsunterkunft hat guineischer Staatsangehöriger Anspruch auf Regelbedarfsstufe 1

 

 

1. § 3a Abs 1 Nr 2 Buchst b AsylbLG und § 3a Abs 2 Nr 2 Buchst b AsylbLG jeweils in der Fassung des Art 1 Nr 5 AsylbLGÄndG3 verstoßen, soweit für eine alleinstehende erwachsene Person ein Bedarf lediglich in Höhe der Bedarfsstufe 2 anerkannt wird, gegen Art 1 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art 20 Abs 1 GG.


2. Die Regelungen in § 3a Abs 1 Nr 2 Buchst b AsylbLG und § 3a Abs 2 Nr 2 Buchst b AsylbLG sind mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht zu vereinbaren, soweit alleinstehenden erwachsenen Leistungsberechtigten in Sammelunterkünften niedrigere Leistungen zuerkannt werde.

Quelle: http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/portal/t/19ke/page/bsjrsprod.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=10908&fromdoctodoc=yes&doc.id=jb-KSRE160370108&doc.part=L&doc.price=0.0&doc.hl=1#focuspoint



2.
Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )

2.1 LSG BB, Urt. v. 28.11.2024 - L 32 AS 105/24 - Revision anhängig beim BSG - B 4 AS 32/24 R -

Einem Bürgergeldempfänger darf das ALG II nicht gestrichen werden beim Verlust des Freizügigkeitsrechts

Ein Leistungsbezieher, welche die Staatsbürgerschaft des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland besitzt hat Anspruch auf Bürgergeld, denn eine Verlustfeststellung nach dem FreizügG/EU 2004 wirkt erst ab deren Bestandskraft bzw sofortiger Vollziehbarkeit ( ebenso LSG BB, Beschluss vom 20. April 2023 - L 29 AS 320/23 B ER -; anderer Auffassung LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 8. Juli 2021 - L 6 AS 92/21 B ER -).

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

Die Rückausnahme des § 7 Abs. 1 Satz 4 letzter Teilsatz SGB II tritt jedenfalls solange nicht ein, wie eine durch die Ausländerbehörde nach dem FreizügigG/EU verfügte Verlustfeststellung mit Aufforderung zur Ausreise infolge der aufschiebenden Wirkung einer verwaltungsgerichtlichen Klage nicht durchsetzbar ist.

 

Praxistipp: weitere Klage beim BSG dies bezüglich anhängig

B 7 AS 13/23 R

Vorinstanz: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 10 AS 311/19, 27.07.2023

Zu den Voraussetzungen für das Eingreifen der Rückausnahme vom Leistungsausschluss für Ausländer bei mindestens fünfjährigem gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 7 Absatz 1 Satz 4 SGB II.

 

 

2.2 LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 02.10.2024 - L 4 AS 24/23 -

Bürgergeld: Fehlende Ermittlungen des Jobcenters machen Rückforderungsbescheid in Höhe von 6950 € rechtswidrig - Gericht gibt Nachhilfeunterricht bei Erstattungsanspruch des Jobcenters bei sozialwidrigem Verhalten i. S. d. § 34 SGB II

Zum Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten

Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. Soweit ein Ersatzanspruch nach § 34 SGB II an ein Verhalten anknüpft, das bereits mit einer Minderung nach den §§ 31a und 31b SGB II sanktioniert worden ist, kommt (nur) in einem besonderen Ausnahmefall zusätzlich ein Ersatzanspruch nach § 34 SGB II in Betracht, wenn die in den Tatbeständen des § 31 SGB II ausgedrückten Verhaltenserwartungen aus Sicht der Solidargemeinschaft in einem besonders hohen Maß verletzt worden sind.

2. Im Fall des grob fahrlässigen Herbeiführens von Hilfebedürftigkeit muss für die Annahme von Sozialwidrigkeit hinzukommen, dass das zur Inanspruchnahme von SGB II-Leistungen führende Verhalten in vergleichbarer Weise zu missbilligen ist wie eines, das auf die Inanspruchnahme von Leistungen ausdrücklich angelegt ist.

3. Die vollständige Ermittlung der Umstände des Einzelfalls ist nach § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 20 SGB X Aufgabe des Jobcenters im Verwaltungsverfahren. Fehlt es daran, sind die notwendigen Ermittlungen ungeachtet des Untersuchungsgrundsatzes im gerichtlichen Verfahren (§ 103 SGG) einer reinen Anfechtungsklage nur eingeschränkt - bis zu Grenze der Wesensveränderung des angegriffenen Bescheids - nachholbar (vgl BSG, Urt v 29. August 2019, B 14 AS 49/18 R, juris RN 29; BSG, Urt v 25. Juni 2015, B 14 AS 30/14 R, juris RN 23).

4. Fehlen im angegriffenen Bescheid die erforderlichen Feststellungen zum Fehlverhalten und zu der Motivation, darf das Gericht die Ermittlung der Umstände des Einzelfalls nicht vollständig nachholen und erstmals die Grundlagen für eine Rechtmäßigkeit des Bescheids legen, weil dies zu einer Wesensänderung des Verwaltungsakts führte, die mit dem Gewaltenteilungsprinzip nicht zu vereinbaren ist.

 

2.3 Sächsisches LSG, Urteil vom 23.12.2024 - L 7 AS 535/21 -

Bürgergeld: Ohne – gesonderten - Hinweis des Jobcenters auf Schwärzung der Kontoauszüge ist der Versagungsbescheid des Jobcenters rechtswidrig und aufzuheben

Orientierungssatz Detlef Brock

  1. Ein Versagungsbescheid über Bürgergeld nach dem SGB 2 vom Jobcenter ist rechtswidrig und aufzuheben, wenn die Behörde vom Leistungsbezieher die Vorlage der Kontoauszüge verlangt, aber es unterlässt einen gesonderten Hinweis dazu zugeben, dass eine Schwärzung der Kontoauszüge möglich ist.

    2. Ein Hinweis des Jobcenters, wonach lediglich bei Bedarf die Kontostände - geschwärzt werden können , ist ungenügend ( vgl. BSG v. 14.05.2020 - B 14 AS 7/19 R - ).

 

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

Ein Bescheid über die vollständige Bewilligung beantragter Leistungen erledigt zwar einen nicht zugleich aufgehobenen Versagungsbescheid, wird aber nicht kraft Gesetzes zum Gegenstand des Verfahrens.

 

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )

 

3.1 SG Landshut, Urteil v. 31.01.2025 – S 11 AS 160/23

Versicherungsvertragsgesetz, Private Rentenversicherung, Altersvorsorgevertrag, Widerspruchsbescheid, Zu berücksichtigendes Vermögen, Hilfsbedürftigkeit, Gewöhnlicher Aufenthalt, Vermögensanrechnung, Zweckbestimmung, Sozialgerichtsgesetz, Elektronischer Rechtsverkehr, Rückkaufswert, Erlaß eines Grundurteils, SGB II, Sicherung des Lebensunterhalts, Kostenentscheidung, Rechtsmittelbelehrung, Berufsunfähigkeitsrente, Hinterbliebenenversorgung, Prozeßbevollmächtigter

Bürgergeld: Private Rentenversicherung für die Altersvorsorge kein zu berücksichtigendes Vermögen

Orientierungssatz Detlef Brock

1. Eine Private Rentenversicherung mit einer Laufzeit von 25 Jahren, welche der Versorgung im Alter dient und die vereinbarte Auszahlung erst mit dem 65. Lebensjahr erfolgt, dient der Altersvorsorge und darf vom Jobcenter nicht als Vermögen berücksichtigt werden.

Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de

Eine private Rentenversicherung als ein für die Altersvorsorge bestimmter Versicherungsvertrag im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II.

Praxistipp

Eine Kapitallebensversicherung mit einer Laufzeit von 30 Jahren, welche der Versorgung im Alter dient und die vereinbarte Auszahlung erst mit dem 60. Lebensjahr erfolgt, dient der Altersvorsorge und darf vom Jobcenter nicht als Vermögen berücksichtigt werden ( SG Landshut, Beschluss vom 04.12.2024 – S 11 AS 347/24 ER - ).

 

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )

 4.1 LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 18.12.2024 - L 8 AL 1447/24 -

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. Die für die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe erforderliche Förderungsfähigkeit der Berufsausbildung setzt voraus, dass im Anwendungsbereich des Berufsbildungsgesetzes der Berufsausbildungsvertrag in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragen ist.

2. Die zu § 40 Abs. 1 Satz 1 AFG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AusbFöAnO (bis 31.12.1997) und § 60 Abs. 1 SGB III (bis 29.08.2008) entwickelte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Förderungsfähigkeit einer Berufsausbildung gilt auch für die Auslegung des § 57 Abs. 1 SGB III in den seit 01.04.2012 geltenden Normfassungen.

 

 

5. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

5.1 LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 26.11.2024 - L 2 SO 228/24 -

Zur örtlichen Zuständigkeit nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII bei der Erbringung von vollstationären Leistungen.


Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de

Auch bei einem tatsächlich kurzen Aufenthalt in einer neuen Unterkunft kann ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet werden, wenn im Rahmen der Prognose von einem zukunftsoffenen Verweilen „bis auf Weiteres“ ausgegangen werden konnte.

 

5.2 LSG NRW, Urt. v. 18.11.2024 - L 20 SO 409/22 -

Sozialhilfe: Keine Erstattung der Kosten für ein behindertengerechtes KfZ bei Tod des Ehepartners

Orientierungssatz Detlef Brock

1. Ansprüche auf Eingliederungshilfe nach dem Zweiten Teil des SGB IX i.d.F. ab 01.01.2020 gehen grundsätzlich mit dem Tod des Leistungsbeziehers unter. Es besteht insofern kein Unterschied zu Ansprüchen nach §§ 53 ff. SGB XII i.d.F. bis 31.12.2019.

2. Eine etwa vorhanden gewesene Notlage in der Person des verstorbenen Hilfebedürftigen lässt sich nach dessen Tod im Nachhinein nicht mehr beheben, so ausdrücklich der 20. Senat des LSG NRW mit Urteil vom 18.11.2024 - L 20 SO 409/22 - .

Quelle. LSG NRW

 

 

6. Verschiedenes zum Bürgergeld, Sozialhilfe, Wohngeld und anderen Gesetzesbüchern

6.1 War der Regelsatz für ALG II - Empfänger im ganzem Jahr 2022 verfassungswidrig?

Diese Frage wird nun das Bundessozialgericht demnächst beantworten müssen, das zuständige Aktenzeichen lautet - B 7 AS 30/24 R - .

„In dem Verfahren LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 05.11.2024 - L 2 AS 3642/22 - Revision zugelassen zum BSG - B 7 AS 30/24 R - gibt das Landessozialgericht bekannt, dass es nicht die Auffassung des Klägers teilt, wonach der Regelsatz in 2022 unzureichend war.

Auch wenn der Antragsteller auf die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg verweist, Urteil vom 18.10.2023 - L 18 AS 279/23 - Revision anhängig unter B 7 AS 20/24 R - , sei seiner Auffassung - nicht zu folgen.

Denn eine evidente Verfassungswidrigkeit der Höhe des Regelbedarfs - für Alleinstehende in 2022 - liegt nicht vor. „ ( Text erarbeitet vom Redakteur Tacheles e. V. ).

Das Bundessozialgericht gibt mit heutigem Tage bekannt, dass der 7. Senat in zwei Verfahren über die Verfassungskonformität der Regelbedarfe der Regelbedarfsstufe 1 zu entscheiden haben wird  (B 7 AS 20/24 R für die Monate September und Oktober 2022, B 7 AS 30/24 R für das gesamte Jahr 2022).

Quelle:https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Jahresberichte/Jahresbericht_2024_pdf.html

 

6.2 Wissenswert für alle Bezieher von Bürgergeld/Sozialhilfe bei Stromschulden

Die Verbraucherzentrale NRW hat einen besseren Schutz bei drohenden Stromsperren erstritten: Nach einem Urteil des OLG Düsseldorf dürfen Energieversorger bei Zahlungsrückständen keine Gebühren für Ratenzahlungen erheben.

Energieversorger müssen Haushalten vor einer Stromsperre eine zinsfreie monatliche Ratenzahlung anbieten.

Urteil vom 13.02.2025, Az I-20 UKI 7/24 - Revision zugelassen

Quelle: https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/olg-duesseldorf-i20uki724-stromsperren-gebuehren-ratenzahlungen-stromschulden

 

 

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

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