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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 06/2021

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem ( SGB II )

1.1 Bundessozialgericht, Urteil vom 03.09.2020 - B 14 AS 37/19 R 


Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Dreipersonenhaushalt in Berlin - Kostensenkungsaufforderung - Angemessenheitsprüfung - Nichtvorliegen eines schlüssigen Konzepts des Grundsicherungsträgers - Ermittlung der abstrakten Angemessenheitswerte durch das Gericht anhand eines qualifizierten Mietspiegels - Notwendigkeit der Überprüfung der tatsächlichen Verfügbarkeit angemessener Unterkünfte auf dem Wohnungsmarkt durch das Gericht

SGB II: Gerichte dürfen kein eigenes schlüssiges Konzept aufstellen - Wohnkosten nicht auf Basis von Mittelwerten eines Mietspiegels

Leitsatz ( Redakteur )


Angemessene Wohnkosten dürfen von Sozialgerichten nicht auf Basis von Mittelwerten eines einfachen Mietspiegels bestimmt werden. Der Mietspiegel darf zwar im Zweifelsfall verwendet werden, zusätzlich muss dann aber ermittelt werden, ob konkret Wohnungen in ausreichender Zahl zu den angesetzten Mieten auf dem Markt verfügbar sind.



Quelle: http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/portal/t/19ke/page/bsjrsprod.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=10908&fromdoctodoc=yes&doc.id=KSRE188550205&doc.part=L&doc.price=0.0&doc.hl=1#focuspoint



Hinweis: ebenso BSG, Urt. v. 03.09.2020 - B 14 AS 40/19 R





1.2 BSG, Urt. v. 03.09.2020 - B 14 AS 34/19 R

Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Angemessenheitsprüfung - Einpersonenhaushalt in Bayern - Anforderungen an das schlüssige Konzept des Grundsicherungsträgers - gerichtliche Kontrolle - tatrichterliche Beweiswürdigung - revisionsgerichtliche Überprüfung - fehlende Repräsentativität der Datenerhebung

Mietobergrenze bei fehlendem schlüssigen Konzept: Wohngeldtabelle plus 10% ( Orientierungshilfe Rechtsanwalt Dr. Jens-Torsten Lehmann ).



Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=215543&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=



Hinweis: Leitsatz Dr. Manfred Hammel

Aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II lässt sich nicht herleiten, dass ein von einem Jobcenter zur Konkretisierung unterkunftsbezogener Kosten gebildetes schlüssiges Konzept der Anforderung zu entsprechen hat, für eine hinreichende Datenrepräsentativität hätte hier außerhalb qualifizierter Mietspiegel stets eine Datenbasis von mindestens zehn v. H. der Wohnungen des in Betracht zu ziehenden Wohnungsmarkts zugrunde gelegt zu werden.

Die an einen „Stichprobenumfang“ zu stellenden Anforderungen sind insbesondere von der Größe und der Struktur des Wohnungsmarkts (homogener oder eher heterogener Wohnungsbestand mit der Folge einer erheblichen Mietendifferenzierung) sowie der konkreten Ausgestaltung des Konzepts abhängig. Wie hoch die letztlich verwertbare Datenbasis im Einzelfall zu sein hat, lässt sich nicht generell, sondern maßgeblich nur in Berücksichtigung des Aspekts beurteilen, wie verlässlich eine entsprechende Stichprobe die Grundgesamtheit abbildet.

Zu den rechtlichen Anforderungen an ein die Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllendes, schlüssiges Konzept gehört insbesondere, dass hierdurch die Ausbildung von „Brennpunkten“ durch soziale Segregation verhindert wird. Hinsichtlich der Ermittlung der Höhe von Referenzmieten dürfen vom Jobcenter nicht nur „billige“ Stadtteile herausgegriffen werden, sondern es ist hingegen auf die Durchschnittswerte des unteren Mietpreisniveaus im gesamten räumlichen Vergleichsraum abzustellen, sofern in sämtlichen Stadtteilen Wohnungen mit einfachem Wohnstandard vorhanden sind.

Der obere Wert der als dem Angemessenheitskriterium des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II entsprechenden Mietpreisspanne lässt sich vom SGB II-Träger rechtsfehlerfrei auf der Grundlage von Bestandsdatensätzen der Empfänger von Arbeitslosengeld II (§§ 19 ff. SGB II) und von Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27 ff. SGB XII) ermitteln.





1.3 BSG, Urteil vom 3. September 2020 (B 214 AS 37/19 R):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel

Für eine durch drei Personen gebildete Bedarfsgemeinschaft im Land Berlin ist in Mietwohnungen eine Wohnfläche von 80 qm als angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II aufzufassen.

Die gewichteten Mittelwerte der Tabellenwerte des Mietspiegels für einfache Wohnlagen in Berlin bilden in diesem Bundesland die als abstrakt im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II einzuschätzenden Nettokaltmieten nicht ab. Aus der „Überzeugung, dass mit der Einbeziehung der mittleren durchschnittlichen Mietspiegelwerte in gewichteten Anteilen die potenziell zumutbare und damit abstrakt angemessene Kaltmiete am gerechtesten bestimmt werden kann“, ergibt sich keine generelle Verfügbarkeit von Wohnraum für Arbeitslosengeld II erhaltende Personen zu diesem Preisniveau.





1.4 BSG, Urteil vom 14. Oktober 2020 (B 4 AS 14/20 R):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel

Der wegen des Wechsels des Stromversorgers von diesem einer Alg II beziehenden Person gewährte „Sofortbonus“ hat vom Jobcenter als ein gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigendes, einmaliges Einkommen aufgefasst zu werden.

Hier handelt es sich um einen bedarfsmindernd anzurechnenden Nettokapitalzufluss, der einem Alg II-Empfänger als ein jederzeit zur Bedarfsdeckung frei einsetzbares Mittel zur Verfügung steht.

Diesem Bonus liegt keine (anteilige) Rückzahlung von bereits entrichteten Pauschalzahlungen für den Strombezug zugrunde, was als eine Einsparung bei einer regelbedarfsrelevanten Position (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II: „Haushaltsenergie“) aufzufassen wäre. Dem „Sofortbonus“ fehlt es insbesondere an einer wirtschaftlichen Konnexität zum Stromverbrauch und zu geleisteten Vorauszahlungen, wenn die Auszahlung dieses Betrags bereits wenige Wochen nach Vertragsbeginn und unabhängig von der Höhe des Stromverbrauchs, d. h. keine Verrechnung mit Vorauszahlungen erfolgte.

§ 22 Abs. 3, 2. Halbsatz SGB II gelangt hier nicht zur Anwendung.



Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=215622&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=



2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

2.1 Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 23.09.2020 - L 19 AS 728/20- Revision anhängig BSG - B 14 AS 77/20 

Orientierungshilfe ( Redakteur )

Zur Rechtmäßigkeit eines Eingliederungsverwaltungsakts nach § 15 Absatz 3 Satz 3 SGB II, der - im Zusammenhang mit der Zuweisung einer neunmonatigen Eingliederungsmaßnahme - mit einem unbefristeten Geltungszeitraum "bis auf weiteres" unter vorgesehener Überprüfung spätestens nach sechs Monaten erlassen wurde.



Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=215523&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=





2.2 Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 13.01.2021 - L 7 AS 1874/20 B ER – rechtskräftig

Volle Unterkunftskosten für Barbetreiber 

Orientierungshilfe ( Redakteur )

1. Wenn ein Leistungsberechtigter in der Wohnung zugleich arbeitet, wird die Qualifizierung der gesamten Unterkunft als Wohnung nicht in Frage gestellt, solange dies Räume sind, die im Übrigen den Wohnungsbegriff erfüllen.

Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=215469&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=



Hinweis: Volle Unterkunftskosten für Barbetreiber

Dient eine Wohnung auch als Büro, ändert dies an ihrer Qualifizierung als Wohnung nichts, solange Büro- und Wohnflächen nicht voneinander abgrenzbar sind.

Quelle: https://www.juris.de/jportal/portal/t/128d/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA210200432&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp





2.3 LSG Thüringen, Urteil v. 05.11.2020 - L 9 AS 322/19 - rechtskräftig

Grundsicherungsträger muss Kosten für Teilnahme an Jugendweihefeier übernehmen


Nach einem jetzt veröffentlichten Urteil des Thüringer Landessozialgerichts (LSG) muss das Jobcenter des Landkreises Saalfeld-Rudolstadt einem Leistungsberechtigten 60,- EUR für die Teilnahme an einer Jugendweiheveranstaltung bezahlen. Der Veranstalter stellte dafür 100,- EUR in Rechnung. Der Kläger beantragte die Kostenübernahme, was der Grundsicherungsträger ablehnte. Gegen das zusprechende Urteil des Sozialgerichts Meiningen legte das Jobcenter Berufung ein, die das LSG - bis auf einen kleinen Teil - zurückwies.

Nach § 28 Absatz 7 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wird Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ein Bedarf zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft gewährt. Das gilt ausdrücklich für Mitgliedsbeiträge in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit, aber auch für Unterricht in künstlerischen Fächern (z. B. Musikunterricht).

Nach dem Urteil ist die Jugendweihefeier eine vergleichbare kulturelle Aktivität im Sinne von § 28 Absatz 7 SGB II, so dass grundsätzlich Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket zu gewähren sind. Dies gilt allerdings nur für die vom Veranstalter verlangten Teilnahmekosten selbst, nicht für sonstige Aufwendungen (Kleidung, Bewirtungsspesen o. ä.).

Diese Leistungen sind zudem vom Gesetz auf einen in der Höhe gedeckelten Monatsbetrag begrenzt (hier im Jahr 2017 10,- EUR, gegenwärtig 15,- EUR). Daraus ergab sich ein Problem, weil dem Kläger bereits 60,- EUR für das erste Halbjahr für eine andere Aktivität gewährt worden waren und damit das Budget eigentlich erschöpft war. Weil der Kläger jedoch im zweiten Halbjahr keine Leistungen in Anspruch genommen hatte, hat das LSG das gesamte Kalenderjahr in den Blick genommen und das Jobcenter zur Zahlung von 60,- EUR verurteilt. Den diesen Höchstbetrag übersteigenden Restbetrag in Höhe von 10,- EUR muss der Kläger selbst tragen.

Dies gilt auch für die Kosten, die dadurch entstanden sind, dass der Kläger von der Möglichkeit ermäßigter Teilnahmekosten für SGB II- Empfänger (der Veranstalter hatte diesem Personenkreis eine Ermäßigung in Höhe von 30,- EUR eingeräumt) keinen Gebrauch gemacht hat.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle: Pressemitteilung des LSG Erfurt Nr. 3/2021 v. 03.02.2021: http://www.thlsg.thueringen.de/webthfj/webthfj.nsf/4ED419A2A4EAB209C1258671001BD31D/$File/Pressemitteilung%203.21.pdf?OpenElement





2.4 Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 22.07.2020 - L 4 AS 647/18

Verpflichtung der Klägerin, einen Antrag auf vorzeitige Altersrente zu stellen, hier bejahend

Leitsatz ( Redakteur )


1. Die Länge der Frist für die Antragstellung ist gesetzlich nicht geregelt. Eine starre Vorgabe wäre auch nicht sachgerecht. Denn nach Auffassung des Senats (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18. November 2016 – L 4 AS 550/16 B ER ) kann, soweit der Betroffene und Leistungsträger bereits im Austausch über das Für und Wider der Antragstellung waren, auch eine kurze Frist noch angemessen sein. Diese sollte jedoch eine Woche nicht unterschreiten.

2. Jedoch kann eine zu kurz gesetzte Frist die Aufforderung nicht unwirksam machen. Sie würde aber die ersatzweise Antragstellung erst nach Ablauf der angemessenen Frist ermöglichen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 01. März 2016 - L 5 AS 25/16 B ER ).



Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=215247&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=





Hinweis: Leitsatz ( Juris )

 1. Die am 1. Januar 2017 in Kraft getretene Regelung von § 6 UnbilligkeitsVist nicht auf Sachverhalte anzuwenden, in denen das Widerspruchsverfahren mit dem Widerspruchsbescheid als letzter Behördenentscheidung vor dem 31. Dezember 2016 bereitsbeendet war.

2. Eine noch gültige Eingliederungsvereinbarung hindert den Leistungsträger nicht, den Leistungsberechtigten zu einer vorzeitigen Altersrentenantragstellung aufzufordern (§ 12a Satz 2 Nr 1 SGB II), da sich allein aus dem Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung keine atypischen Umstände ableiten lassen (vgl: 5. Senat des LSG Sachsen-Anhalt, B v 12. April 2017, L 5 AS 340/16 B ER, juris RN 30).





2.5 Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urt. v. 17.11.2020 - L 9 AS 479/17

Orientierungshilfe ( Redakteur )

Berücksichtigung von Tilgungszahlungen auf zwei Immobiliendarlehen als Bedarfe für Unterkunft und Heizung, hier verneinend.

Leitsatz ( Juris )

1. Zur Übernahme von Tilgungsleistungen auf Immobiliendarlehen als Kosten der Unterkunft eines selbst bewohnten Hausgrundstücks.

2. Erklärungen über die tatsächlichen Grundlagen des Rechtsstreits, wie die Angaben zu den geltend gemachten Kosten der Unterkunft, entbinden Verwaltung und Gerichte von weiteren Ermittlungen, wenn weitere oder abweichende Tatsachen, die für die Entscheidung von Bedeutung wären, nicht ersichtlich sind (im Anschluss an BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 49/14 R -).



Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=215642&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=





3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ( SGB II )

3.1 SG Leipzig, Beschluss vom 27.5.2020 - S 24 AS 817/20 ER

Leitsatz ( Juris )

1. Corona- Soforthilfe ist weder als Einkommen im Sinne des § 11 Abs 1 SGB II noch als Betriebseinnahmen im Sinne des § 3 Abs 1 S 2 ALG II- VO (juris: Alg II-V 2008) zu berücksichtigen.

2. Von den Betriebseinnahmen sind die Betriebsausgaben nur insoweit abzusetzen, als diese durch Corona- Soforthilfe nicht bereits gedeckt sind.

3. Ein die Betriebsausgaben übersteigender Anteil an Corona- Soforthilfe findet bei der Leistungsberechnung keine Berücksichtigung.

Volltext auf Juris





3.2 SG Speyer, Gerichtsbescheid v. 15.01.2021 - S 15 AS 250/19

Kostensenkungsobliegenheit nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II nur bei Kenntnis einer konkreten, bedarfsgerechten und angemessenen Unterkunftsalternative; Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind bei Mehrpersonenhaushalten nicht nach dem „Kopfteilprinzip“ zu bestimmen

Leitsatz ( Juris )

1. Die Senkung von Unterkunftskosten durch Auszug ist Leistungsberechtigten objektiv immer möglich (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II), wenn und soweit sie sich von vertraglichen Verpflichtungen zur Leistung von Aufwendungen wirksam lösen können.

2. Zumutbar (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II) kann eine Kostensenkung durch Umzug allenfalls dann sein, wenn an Stelle der bisher bewohnten Unterkunft eine andere, sowohl bedarfsgerechte als auch im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II angemessene Unterkunft bezogen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R –, Rn. 22; BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 10/06 R –, Rn. 25; BSG, Urteil vom 27.02.2008 – B 14/7b AS 70/06 R –, Rn. 17; BSG, Urteil vom 19.03.2008 – B 11b AS 43/06 R –, Rn. 20; BSG, Urteil vom 18.06.2008 – B 14/7b AS 44/06 R –, Rn. 19). Denn unabhängig davon, wie der unbestimmte Rechtsbegriff der „Zumutbarkeit“ im Kontext des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II im Übrigen zu konkretisieren ist, folgt aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Mindestvoraussetzung für die Zumutbarkeit der Kostensenkung, dass diese nicht zur Obdachlosigkeit führen darf.

3. Dies setzt nicht nur voraus, dass auf dem (im Wege der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II näher zu bestimmenden) in Betracht zu ziehenden regionalen Wohnungsmarkt im streitgegenständlichen Zeitraum „angemessener“, leerstehender Wohnraum vorhanden, sondern auch, dass dem Leistungsberechtigten im streitgegenständlichen Zeitraum mindestens eine konkrete Unterkunftsalternative bekannt gewesen sein muss (Anschluss an SG Speyer, Urteil vom 09.05.2018 – S 16 AS 1339/16 –, Rn. 44).

4. Eine Kostensenkungsobliegenheit des Leistungsberechtigten besteht nur dann, wenn eine konkrete, zumutbare und angemessene Unterkunftsalternative zur Verfügung steht und dem Leistungsberechtigten bekannt ist. Eine Obliegenheit zur Wohnungssuche besteht hingegen nicht, da das Gesetz an das bloße Unterlassen einer Wohnungssuche keine negativen leistungsrechtlichen Konsequenzen knüpft (Anschluss an SG Speyer, Urteil vom 09.05.2018 – S 16 AS 1339/16 –, Rn. 49).

5. Die Frage, ob die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II auf Grund ihrer Unbestimmtheit verfassungswidrig ist, über die das Bundesverfassungsgericht mit seinen Beschlüssen vom 06.10.2017 (1 BvL 2/15 und 1 BvL 5/15) und vom 10.10.2017 (1 BvR 617/14 und 1 BvR 944/14) noch nicht entschieden hat (vgl. SG Speyer, Beschluss vom 29.12.2017 – S 16 AS 1466/17 ER –, Rn. 63f.), ist im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich.

6. Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind bei Mehrpersonenhaushalten den Personen als Bedarf zuzuordnen, die die Aufwendungen tatsächlich haben, d.h. die tatsächlich einer entsprechenden Forderung ausgesetzt sind. Für eine Aufteilung nach Kopfteilen besteht hingegen keine Rechtsgrundlage (Anschluss an SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 –, Rn. 289 ff., SG Speyer, Beschluss vom 17.08.2017 – S 16 AS 908/17 ER –, Rn. 31 ff. und SG Speyer, Beschluss vom 29.12.2017 – S 16 AS 1466/17 ER –, Rn. 36; entgegen BSG, Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 1/06 R –, Rn. 28 f.; Urteil vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 7/07 R –, Rn. 19).



Quelle: http://www.landesrecht.rlp.de/jportal/portal/t/moc/page/bsrlpprod.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE210001260&documentnumber=1&numberofresults=2658&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K&paramfromHL=true#focuspoint





3.3 SG Aurich, Urteil vom 02.09.2020 - S 55 AS 386/18

Leitsatz ( Juris )

Ein fehlender Antritt einer Arbeitsstelle ohne wichtigen Grund kann ein sozialwidriges Fehlverhalten im Sinne des § 34 Abs. 1 SGB II begründen.

Die Dauer der Ursächlichkeit eines solchen sozialwidrigen Fehlverhaltens eines Leistungsempfängers kann im Wege einer parallelen Wertung zu den Sperrzeittatbeständen des SGB III auf den Zeitraum von drei Monaten begrenzt werden.



Quelle: http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE210000541&st=null&doctyp=juris-r&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint





3.4 SG Dortmund, Beschluss vom 21.01.2021 - S 33 AS 2357/19 ER

Orientierungshilfe (RA Johannes Christian Heemann, Dresden):

Im Falle eines Orts- und Zuständigkeitswechsels muß die bisher zuständige Behörde die Leistungen noch solange erbringen, bis sie von der nunmehr zuständigen Behörde fortgesetzt werden (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X).





4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )



4.1 LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.01.2021 - L 3 AL 1926/20

Leitsatz ( Juris )

1. Arbeitslose Altersteilzeitarbeitnehmer erhalten eine privilegierte Bemessung des Arbeitslosengeldes auf Grundlage eines fiktiven Arbeitsentgeltes, das sie ohne Altersteilzeit erhalten hätten, nur bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sie erstmals eine - gegebenenfalls auch abschlagsbehaftete - Altersrente beanspruchen können (Anschluss an BSG, Urteil vom 15.12.2005 - B 7a AL 30/05 R).

2. Kann ein arbeitsloser Altersteilzeitarbeitnehmer eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit Rentenabschlägen beanspruchen, erfolgt die Bemessung seines Arbeitslosengeldes auf Grundlage des tatsächlich erzielten Arbeitsentgeltes.

3. Der Schutz der Finanzierbarkeit der Arbeitslosenversicherung stellt einen rechtfertigenden Grund für die unterschiedliche Arbeitslosengeldbemessung von arbeitslosen Altersteilzeitarbeitnehmern ohne Rentenanspruch und solchen, die einen Rentenanspruch haben, dar, selbst wenn der Rentenanspruch nur unter Inkaufnahme von Abschlägen realisierbar ist.



Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=215519





Hinweis: Keine privilegierte Bemessung des Arbeitslosengeldes von Altersteilzeitarbeitnehmern auf Grundlage eines fiktiven Arbeitsentgeltes



weiter auf Juris: https://www.juris.de/jportal/portal/t/ocv/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA210200420&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp





4.2 SG Bremen, Beschluss vom 02.02.2021 - S 17 AL 10/20

Orientierungshilfe (RA Johannes Christian Heemann, Dresden):

Wird ein Widerspruch rechtswidrig als unzulässig verworfen, kann mit der Klage die isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides begehrt werden, um den Anspruch des Betroffenen auf eine Sachentscheidung bei form- und fristgerecht eingelegtem Widerspruch im Rahmen des Vorverfahrens zu verwirklichen.

Rechtstipp: SG Duisburg, Urteil vom 26.04.2018 - S 49 AS 857/17





5. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )



5.1 Sozialgericht Karlsruhe, Urt. v. 12.01.2021 - S 12 SO 3577/18 


Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII - Absetzung Beiträge zur Sterbegeldversicherung vom Altersrenteneinkommen - § 82 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB XII - Angemessenheit des Sterbegeldes

Zur Angemessenheit der Beitragsentrichtung für eine private Sterbegeldversicherung im Rahmen der Absetzbarkeit von Aufwendungen bei der Einkommensanrechnung im Recht der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), hier bejahend

Leitsatz ( Redakteur )


Die Klägerin kann die Absetzung ihrer Aufwendungen für Beitrage zu ihrer Sterbeversicherung in Höhe von monatlich 53,68 EUR vom Beklagten verlangen. Bei ihren privatrechtlichen Versicherungsbeiträgen handelt es sich dem Grunde nach um solche, die dem Grund und der Höhe nach angemessen im Sinne des § 82 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB XII sind.



Quelle: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=215537&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=







6. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

6.1 Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 04.02.2021 – L 8 AY 118/20 B ER

Normen: §§ 3, 3a AsylbLG, § 2 AsylbLG – Schlagworte: Roma, Kosovo, staatenlos, Beibringung von Papieren, Passpflicht, nicht rechtsmissbräuchliches Verlängern des Aufenthaltes

Orientierungshilfe ( Redakteur )

1. Gewährung von vorläufig Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG unter Anrechnung der erbrachten Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG.

2. Dies gilt für die erst 2020 volljährig gewordene Antragstellerin sowie die erst zwölf, elf bzw. sechs Jahre alten Antragsteller schon deshalb, weil ihnen wegen der von § 2 Abs. 1 AsylbLG verlangten „Selbstbeeinflussung“ der Aufenthaltsdauer ein rechtsmissbräuchliches Verhalten ihrer Eltern, der Antragsteller nicht zurechenbar ist und ihnen eigenes vorsätzlich rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht vorgeworfen werden kann.

3. Minderjährige Kinder, wenn sie – anders als hier – in eigener Person die Leitungsvoraussetzungen von § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht bereits erfüllen, können die privilegierten Leistungen gleichwohl „auch dann“ beanspruchen, wenn mindestens ein in Haushaltsgemeinschaft lebender Elternteil in eigener Person privilegierte Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG erhält (vgl. Oppermann/Filges in jurisPK-SGB XII, § 2 AsylbLG (Stand: 5.1.2021) Rn. 241 und 252 m.w.N.). Dieser ganz h. M. zur Auslegung des § 2 Abs. 3 AsylbLG hatte sich der Antragsgegner in einem anderen Eilverfahren aus 2019 auf gerichtlichen Hinweis auch bereits angeschlossen (- L 8 AY 14/19 B ER -).



weiter bei RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2021/02/06/landessozialgericht-niedersachsen-bremen-beschluss-vom-04-02-2021-az-l-8-ay-118-20-b-er/







7. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

7.1 ALG II als Darlehen bei Rechtsstreit um BAföG, ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt

Der Ausschluss von Studenten von ALG II stellt bis zum Abschluss eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vor dem Verwaltungsgericht um Leistungen nach dem BAföG eine „besondere Härte“ im Sinne von  § 27 Abs. 3 Satz 1 SGB II dar mit der Folge, dass Auszubildende in diesem Zeitraum ALG II (Hartz IV) als Darlehen erhalten können.



Weiter: https://sozialberatung-kiel.de/2021/02/02/alg-ii-als-darlehen-bei-rechtsstreit-um-bafoeg/





7.2 Die Humboldt-Law-Clinic hat sich in einem 74seitigen „Working-Paper“ ausführlich, stringent und fundiert mit der Verfassungswidrigkeit der 1a-Kürzungen im Asylbewerberleistungsgesetz auseinandergesetzt:



weiter: http://hlcmr.de/wp-content/uploads/2021/01/WP-27-Das-migrationspolitische-Existenzminimum.pdf und hier: https://www.ggua.de/aktuelles/einzelansicht/0f9c4089c0ffd59293697006c31c7ef2/?tx_news_pi1%5Bnews%5D=1152&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail





7.3 Jobcenter Weimar: Mehr Geld für Wohnungs-Erstausstattung von Hartz-IV-Empfängern

Für die Erstausstattung ihrer Wohnung können Hartz-IV-Empfänger in Weimar zukünftig auch höhere Leistungen als die bisherige Maximalsumme von 1.500 Euro erwarten. Nach einem Urteil des Sozialgerichts in Gotha, in welchem einer Mutter mit ihrem Kind eine höhere Summe zugesprochen wurde, überarbeitet das Jobcenter in Weimar jetzt die Pauschalen.

weiter: https://www.mdr.de/thueringen/mitte-west-thueringen/weimar/hartz-iv-wohnung-erstausstattung-urteil-100.html





7.4 Zum Anspruch auf digitale Endgeräte für das Homeschooling / Im Bedarfsfall jetzt Anträge stellen !!!

Für ALGII Sozialhilfe Geflüchtete

Alle Infos und Anträge hier: https://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/aktuelles/d/n/2739/





Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

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