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Jahresarchiv

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Tacheles Rechtsprechungsticker KW 03/2023

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sozialhilfe nach dem ( SGB XII )

1.1 BSG, Urt. v. 11.08.2022 - B 8 SO 3/21 R

Sozialhilfe - Eingliederungshilfe - Persönliches Budget - Verwaltungsakt - Widerruf – Vergangenheit

Kein rückwirkender Widerruf eines persönlichen Budgets

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.


Leistungen der Eingliederungshilfe, die rechtmäßig begünstigend in Form eines Persönlichen Budgets bewilligt worden sind, dürfen nicht nach § 47 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172723

 

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem ( SGB II )

2.1 LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 22.11.2022 - L 4 AS 54/19

Leitsatz


1. Ein vorläufige Leistungsbewilligung wandelt sich nach Wegfall des Entscheidungshindernisses nicht automatisch in einen endgültigen Geldleistungsverwaltungsakt um. Nach Wegfall der Voraussetzungen für die zunächst nur vorläufige Bewilligung von SGB II-Leistungen war im Jahr 2013 vom Leistungsträger anstelle eines auf § 48 SGB X gestützten Bescheids eine endgültige Bewilligungsentscheidung nach § 40 Abs 2 Nr 1 SGB II aF iVm § 328 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB III zu treffen.

2. Die Umdeutung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids in einen endgültigen Festsetzungs- und Erstattungsbescheid scheidet aus, wenn dem Bescheid und auch dem Widerspruchsbescheid nicht hinreichend deutlich entnommen werden kann, dass die Leistungen nunmehr endgültig bewilligt werden. Die bloße Berechnung des Leistungsanspruchs ohne entsprechende Verfügung genügt hierfür nicht.

Quelle: https://www.landesrecht.sachsen-anhalt.de/bsst/document/JURE220038994

 

2.2 Sächsisches LSG, Urt. v. 15.12.2022 - L 7 AS 694/19

Leitsätze


1. Für die Annahme einer Verwirkung kann der Zeitraum des Unterlassens einer Rechtsausübung nicht starr in entsprechender Anwendung von Normen des Sozialverwaltungsverfahrens bestimmt werden (Festhalten an der Senatsrechtsprechung).

2. Ein Hinweis in der vorläufigen Bewilligung, nach abschließenden Angaben ergehe ohne Änderungen nur auf Antrag eine abschließende Entscheidung, kann ein die Verwirkung auslösender Umstand sein.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172674

 

2.3 Sächsisches LSG, Beschluss v. 06.01.2023 - L 7 AS 591/22 B ER

Leitsätze

Die Entziehung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Versagen von Leistungen eines anderen Trägers bedarf einer Ermessensentscheidung, bei der das Recht über Leistungsminderungen zu berücksichtigen ist.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172692

 

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung nach dem ( SGB II )

 

3.1 SG Detmold, Beschluss v. 01.07.2022 - S 35 AS 441/22 ER

Überschrift:

Beschluss | Grundsicherung für Arbeitsuchende, Einstweiliger Rechtsschutz, Rechtsschutzbedürfnis bei laufendem Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X, Verhältnis zu § 77 SGG, Ausschluss der fiktiven Anrechnung von Unterhaltsvorschussleistungen, Anforderungen des § 5 Abs. 3 S. 3 SGB II, Verhältnis § 1 Abs. 3 UhVorschG zu § 66 SGB I

Leitsätze

1. Das notwendige Rechtsschutzbedürfnis für die Erlangung einstweiligen Rechtsschutzes fehlt im Falle der nach § 77 SGG zu beachtenden Bestandskraft des angegriffenen Verwaltungsakts dann ausnahmsweise nicht, wenn die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheids nach § 44 SGB X unzweifelhaft vorliegen und der Bescheid offensichtlich rechtswidrig ist.

2. Eine Entziehung oder Versagung nach § 5 Abs. 3 S. 3 SGB II setzt nach § 5 Abs. 3 S. 1 SGB II zwingend die Antragstellung durch den für die Leistungsbewilligung nach dem SGB II zuständigen Leistungsträger voraus.

3. Die Voraussetzungen für eine Versagungsentscheidung nach § 5 Abs. 3 S. 3 SGB II sind im Falle einer Ablehnungsentscheidung nach § 1 Abs. 3 UhVorschG nicht erfüllt. Bei § 1 Abs. 3 UhVorschG handelt es sich um eine Sonderregelung, die in ihrem Anwendungsbereich den Rückgriff auf § 66 SGB I ausschließt.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172686

 

3.2 SG Köln, Urt. v. 07.02.2023 - S 45 AS 3461/20 WA

Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Mietkautionsdarlehen - ca 4- jährige Tilgung durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des Regelbedarfs - Aufrechnung ist auf max. 3 Jahre zu beschränken - Restbetrag der Kaution abtreten an das JC

Eine Aufrechnung eines Darlehens ist dann verfassungsrechtlich zu beanstanden, wenn sehr hohe Rückzahlungspflichten aus Darlehen und/oder zeitlich unmittelbar nacheinander folgende Aufrechnungen länger als drei Jahre in Folge jeweils monatlich i.H.v. 10 Prozent mit dem Regelbedarf aufgerechnet werden.

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.

1. Ca 4 jährige Tilgung eines Mietkautionsdarlehen ist für den Leistungsempfänger unzumutbar, denn bei dieser Dauer der Rückzahlungsverpflichtung liegt eine nicht mehr nur vorübergehende Leistungskürzung vor.

2. Bei einem Zeitraum ab mehr als 3 Jahren ist entsprechend der Regelung des ( § 43 Abs. 4 S. 2 SGB II ) eine Kappungsgrenze entsprechend verfassungskonformer Auslegeung zu setzen, 3 Jahre max. sind verfassungsgemäß.

Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.

1.Die Aufrechnung des Mietkautionsdarlehen war auf max. 3 Jahre zu begrenzen ( vgl. dazu BSG, Urt. v. 28.11.2018 - B 14 AS 31/17 R ).

2. Das Jobcenter kann sich den noch nicht getilgten Beitrag des Mietkautionsdarlehens von der Hilfebedürftigen abtreten lassen.

 

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )

4.1 SG Duisburg, Urt. v. 23.11.2022 - S 3 SO 94/22

Zur Kostenübernahme einer Wortschatzerweiterung eines Talkers mit dem Vokabular der Sprache Tamazight, hier bejahend

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.

Sprach-Hilfsmittel muss Kommunikation mit der Familie ermöglichen, denn zur sozialen Teilhabe behinderter Menschen in der Gesellschaft gehört auch die wechselseitige Kommunikation mit ihren Familienangehörigen.

Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.


1. Das Eingliederungsziel der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft schließt die Teilhabe am Leben in der Familie mit ein (ebenso: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.06.2019 – L 9 KR 363/17; Bieback, in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 7. Auflage 2020, Rn. 27; Schmeller, in Mergler/Zink, SGB XII, 46. Lieferung, Stand: April 2019, Rn. 38 zu § 53 SGB XII; eher bejahend: LSG NRW, Urteil vom 24.06.2014 – L 20 SO 388/13; a.A.: LSG NRW, Urteil vom 28.05.2015 – L 9 SO 303/13; SG Düsseldorf, Urteil vom 07.12.2017 – S 28 SO 431/15).

2. Die an der sozialen Integration orientierte Zielsetzung der Eingliederungshilfe ist vor dem Hintergrund der allgemeinen Vorschriften der § 1 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX zu sehen, die die Förderung eines selbstbestimmten Lebens und einer gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben vorgeben. Maßgeblich sind im Hinblick auf § 8 Abs. 1 S. 1 SGB IX die Wünsche des behinderten Menschen. Es soll die Begegnung und der Umgang mit nichtbehinderten Menschen im Sinne einer angemessenen Lebensführung gefördert werden.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172668

 

4.2 SG Detmold, Gerichtsbescheid v, 04.04.2022 - S 35 SO 228/20

Überschrift:

Gerichtsbescheid | Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – Übernahme von Haftpflichtversicherungsbeiträgen, kein vom Regelsatz umfasster Bedarf, Einkommensbereinigung, Beihilfe, ergänzendes Darlehen nach § 37 Abs. 1 SGB XII

Leitsätze


Der Streitgegenstand bei Rechtsstreitigkeiten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel SGB XII ist in Ansehen des § 44 Abs. 3 S. 1 SGB XII in zeitlicher Hinsicht regelmäßig auf einen Zeitraum von 12 Monaten begrenzt.

Bei den Aufwendungen für eine Haftpflichtversicherungsbeiträgen handelt es sich nicht um einen vom Regelbedarf umfassten Bedarf, der zwingende Voraussetzung für eine Gewährung von Leistungen als Darlehen nach § 37 Abs. 1 SGB XII ist. Es stellt einen Unterschied dar, ob der Gesetzgeber einen Versicherungsbeitrag der Bedarfsseite zurechnet oder es dem Einkommensbezieher ermöglicht, eine solche Versicherungsprämie vom anzurechnenden Einkommen abzusetzen.

Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/172685

 

4.3 LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 17.11.2022 - L 9 SO 44/18

Leitsatz

§ 45 Abs. 3 SGB XII i. d. F. bis zum 01.01.2020 unterstellt die dauerhafte Erwerbsminderung von Menschen mit Behinderungen im Eingangsbereich von WfB.

Hinweis: Die streitige Rechtsfrage ist ebenso vom Bayerischen LSG, Urteil v. 03.07.2019, L 18 SO 110/19 und vom LSG NRW in einem Urteil vom 05.11.2020, L 9 SO 392/19 entschieden worden. Die gegen letztere Entscheidung erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BSG mit Beschluss vom 08. Juli 2020 (B 8 SO 97/20 B) mit der Begründung, zurückgewiesen, eine grundsätzliche Bedeutung sei nicht gegeben, da inzwischen eine Rechtsänderung zum 01.01.2020 erfolgt sei.

Quelle: https://www.landesrecht-mv.de/bsmv/document/JURE230039187

 

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

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