Newsticker
Tacheles Rechtsprechungsticker KW 02/2025
1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )
1.1 LSG BW, Urt. v. 27.11.2024 - L 3 AS 2341/23 –
Erledigung der Versagungsentscheidung auf andere Weise
Bürgergeld: Kein Rechtsschutzbedürfnis bei Erledigung des Versagungsbescheides in sonstiger Weise
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Ein Versagungsbescheid erledigt sich auf sonstige Weise nach § 39 Abs. 2 SGB X, nachdem die Behörde Bewilligungsentscheidungen für den Zeitraum erlassen hat, den der Verfügungssatz des Versagungsbescheides betraf, mithin die Behörde den Versagungsbescheid selbst offensichtlich als gegenstandslos betrachtet und keinerlei negative Rechtsfolgen aus diesem gegenüber dem Betroffenen zieht.
2. In einer solchen Konstellation besteht kein Rechtsschutzinteresse für ein isoliertes, auf Aufhebung des Versagungsbescheides gerichtetes Anfechtungsbegehren, weil die begehrte gerichtliche Entscheidung nicht geeignet wäre, die Stellung des Betroffenen zu verbessern.
Praxistipp:
LSG Berlin-Brandenburg, 19.05.2022 - L 19 AS 1242/21 -
1. Eine Versagungsentscheidung nach § 66 Abs 1 S 1 SGB I erledigt sich, wenn eine Behörde dem Adressaten die entzogene verfahrensrechtliche Position vollständig wieder einräumt und ihm ungekürzt Leistungen erbringt.
2. Hat sich eine mit Widerspruch angegriffene Verfügung erledigt, muss der Widerspruch grundsätzlich nicht mehr beschieden werden.
2. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld ( SGB II )
2.1 SG Hamburg, Beschluss v. 11.11.2024 - S 62 AS 237624 ER -
Voraussetzungen einer vorläufigen Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für einen Ausländer im Wege des einstweiligen Rechtschutzes
Bürgergeld: Marokkanische Bedarfsgemeinschaft hat Anspruch auf Bürgergeld im Eilverfahren
Marokkanischer Staatsangehöriger lebt mit seinem afghanischem Vater, einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, in einer Bedarfsgemeinschaft und hat somit Anspruch auf Bürgergeld im Eilverfahren für nichterwerbsfähige Personen gemäß §§ 7 Abs. 1, 9 Abs. 1, 19 Abs. 1 S. 2 SGB II ( früher Sozialgeld ).
Orientierungssatz SG Hamburg
1. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB 2 sind von Leistungen des SGB 2 Ausländer ausgeschlossen, die kein Aufenthaltsrecht haben.
2. Nach § 81 Abs. 3 AufenthG gilt der Aufenthalt eines Ausländers bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt, wenn sich dieser rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt, ohne einen so zu besitzen.
3. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 33 S. 1 AufenthG vor, so stellt der fiktiv erlaubte Aufenthalt nach § 83 Abs. 3 und Abs. 5 AufenthG ein Aufenthaltsrecht i. S. des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a SGB 2 dar.
4. Liegen weitere Ausschlusstatbestände des § 7 Abs. 1 SGB 2 nicht vor, so sind dem Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 S. 2 SGG Leistungen der Grundsicherung im Wege des einstweiligen Rechtschutzes vorläufig zu gewähren.
3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht ( SGB III )
3.1 LSG BB, Urt. v. 20.11.2024 - L 18 AL 45/24 – www.sozialgerichtsbarkeit.de
Polnischer Grenzgänger hat kein Anspruch auf höheres ALG 1, denn sein Anspruch bemisst sich nach deutschem Recht
Dem Grenzgänger wird auf der Grundlage seines im Beschäftigungsstaats – hier Polen - erzielten Entgelts eine Arbeitslosenunterstützung in derselben Höhe zuerkannt wie einem Arbeitnehmer, der im Wohnstaat ebenso hohe Einkünfte erzielt hat (vgl zur Geltung der inländischen Beitragsbemessungsgrenze auch für in Deutschland wohnhafte Grenzgänger BSG, Urteil vom 29. März 2022 – B 11 AL 4/21 R - ).
4. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
4.1 Sozialgericht Darmstadt – Beschluss vom 19.12.2024 – Az.: S 16 AY 106/21
Normen: § 193 SGG, § 88 Abs. 2 SGG – Schlagworte: Kostenlast nach Untätigkeitsklage, 3-Monatsfrist, Verzögerte Abgabe durch Ausgangsbehörde, Sozialgericht Darmstadt
Quelle: RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2024/12/24/sozialgericht-darmstadt-beschluss-vom-19-12-2024-az-s-16-ay-106-21/
4.2 Sozialgericht Stuttgart – Beschluss vom 18.12.2024 – Az.: S 9 AY 4612/24 ER
Normen: § 3 AsylbLG, § 3a AsylbLG, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG – Schlagworte: Regelbedarfsstufe 1, Regelbedarfsstufe 2, Leistung nach §3 AsylbLG, Leistung nach §3a AsylbLG
Quelle: RA Sven Adam: https://anwaltskanzlei-adam.de/2024/12/24/sozialgericht-stuttgart-beschluss-vom-18-12-2024-az-s-9-ay-4612-24-er/
5. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe ( SGB XII )
5.1 LSG Hessen, Urteil vom 13.11.2024 - L 4 SO 88/22 -
Sozialhilfe: Verfassungswidrige Diskriminierung der Sozialhilfeempfänger bei kurzen Bewilligungsbescheiden des Sozialamtes?
Sozialleistungen dürfen auch für nur sehr kurze Zeiträume bewilligt werden. Die Vorschrift des § 44 Abs. 3 S. 1 SGB XII ist keine starre Vorgabe.
Keine verfassungswidrige Diskriminierung der Hilfeempfänger bei Befristung von Bewilligungsbescheiden des Sozialamtes.
War der Kläger zum Zeitpunkt der Bewilligung obdachlos und in einer Pension untergebracht, stellt die besondere Wohnsituation sowie die Ungewissheit, wie lange der Kläger die Möglichkeit der Unterbringung in der Pension nutze, einen hinreichenden sachlichen Grund dar, der dazu berechtige, einen verkürzten Leistungszeitraum anzunehmen ( hier 2 Monate ).
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Für die Festsetzung eines von der Regel des § 44 Abs. 3 Satz 1 SGB XII abweichenden Bewilligungszeitraumes ist ein sachlicher Grund hinreichend. Unzulässig ist eine regelhaftes Unterlaufen der gesetzlichen Wertung des § 44 Abs. 3 Satz 1 SGB XII.
2. Art. 3 Abs. 3 GG schützt über das Merkmal "Herkunft" nicht vor Diskriminierung allein in Bezug auf den gegenwärtigen ökonomischen Status (Obdachlosigkeit).
6. Verschiedenes zum Bürgergeld, Sozialhilfe, Wohngeld und anderen Gesetzesbüchern
Bürgergeld: Weniger Widersprüche, leichter Anstieg bei Klagen
- 2024 sank die Zahl der Widersprüche, die der Klagen stieg geringfügig an
- Widerspruchsquote in Jobcentern in gemeinsamer Einrichtung (gE) liegt bei rund 1,8 Prozent
10.01.2025 | Presseinfo Nr. 4
Im Jahr 2024 gingen 423.357 Widersprüche in den Jobcentern ein – das sind 2.002 weniger als im Vorjahr. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der Klagen um 851 von 47.934 auf 48.785.
Am häufigsten wurden Widersprüche gegen Entscheidungen zur Berechnung von Wohnkosten, der Anrechnung von Einkommen/Vermögen sowie der Aufhebung und Erstattung von Bürgergeld eingelegt. Die meisten Widersprüche fallen unter die Kategorie „Sonstiges“, die verschiedene Gründe, wie beispielsweise das Einbehalten von Bürgergeld bei Überzahlungen, das Abführen von Geldleistungen an andere Behörden und die fehlende Mitwirkung, zusammenfasst.
Bei den Klagen gab es einen leichten Anstieg. Mehr Klagen wurden etwa gegen Leistungsminderungen eingereicht. Mit Auslaufen des Sanktionsmoratoriums Ende 2022, haben die Jobcenter seit Anfang 2023 wieder mehr Leistungsminderungen ausgesprochen. Trotz des Anstiegs liegt die Zahl der Klagen mit 48.785 unter dem Niveau von 2022 (50.893).
Erledigte Widersprüche und Klagen
2024 haben die Jobcenter 422.201 Widersprüche bearbeitet und entschieden. Zwei Drittel davon wurden zurückgewiesen oder durch die Leistungsberechtigten selbst zurückgezogen. Bei 137.013 Widersprüchen wurde die Entscheidung geändert, am häufigsten, weil fehlende Unterlagen nachgereicht oder Mitwirkungspflichten nachgeholt wurden (62.194). Fehlerhafte Rechtsanwendung wurde in 40.793 Fällen festgestellt.
57.014 Klagen wurden im vergangenen Jahr durch die Gerichte abgeschlossen. Davon wurden etwa 66 Prozent abgewiesen oder zurückgenommen, rund 34 Prozent führten zu einer neuen Entscheidung.
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock