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Jahresarchiv
Sozialpolitische Infos 04/12/04 von Frieder Claus
Liebe sozialpolitisch Interessierte,
mit der staendig steigenden Verteilerliste komme ich beim Versenden schwergewichtiger Anlagen an Grenzen. Ich bin deshalb froh ueber das Angebot der BAG der Sozialhilfeinitiativen in Frankfurt, die Sozialpolitischen Infos mit Anlagen auf der Webseite bereit zu halten. Dort koennen Sie also saemtliche Anlagen zukuenftig herunterladen unter http://www.bag-shi.de/fachinfo/sozialpol_infos/.
Herzlichen Dank an Frank Jaeger und sein Team dort.
Heute finden Sie folgende Themen:
EU-Verfassung – meine Stimme zaehlt
Hartz IV: die Wohnung ist nicht sicher
KEG – bayrische Offensive gegen die Existenzsicherung und ihre Dienste
Mindestloehne vom Tisch
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Roter Teppich für Sozialbetrug und Ausbeutung
Unternehmenssteuern – was den einen gegeben, wird den andern genommen
Konzerne: nach der Erpressung folgt der Verrat
Armut in Großbritannien – 21.500 Rentner im letzten Jahr erfroren
EU-Verfassung – meine Stimme zaehlt
Die neue europaeische Verfassung wird unsere Sozial-, Wirtschafts-,Umwelt- und Friedenspolitik in der EU für die naechsten Jahrzehnte bestimmen. Mit anderen Worten: sie wird die Form unseres menschlichen Zusammenlebens in der Zukunft regeln. Wirtschaftliche Interessen den menschlichen uebergeordnet, Aufruestungspflicht, militaerisches Eingreifen fuer "EU-Belange" weltweit, keine Sozialpflichtigkeit des Eigentums mehr ... all dies erhaelt Verfassungsrang (s. Sozialpolitische Infos vom 7.11.04).
In vielen europaeischen Staaten - wie etwa in Daenemark, Frankreich, Großbritannien und Spanien - stimmen die Buerger/innen selbst über den Verfassungsentwurf ab. Nicht so bei uns. Und kaum jemand kennt, was da drin steht.
Mit der Kampagne "EU-Verfassung - Meine Stimme zaehlt!" machen die Online-Plattformen Campact und Mehr Demokratie e.V. gemeinsam Druck für ein Referendum zur EU-Verfassung.
Schon bis Mitte Dezember entscheidet sich, ob eine Gesetzesinitiative zu einem Volksentscheid zur EU-Verfassung in den Bundestag eingebracht wird.
Unter http://www.meine-stimme-zaehlt.de/ kann ein Votum bei den EU-Abgeordneten des Wahlkreises abgeben werden.
Unter http://www.campact.de/wahlkreisaktion kann man bis zum 6.12.04 zu einem Argumententeppich für den CDU-Partei beitragen. Die CDU blockiert als einzige Partei eine Zweidrittel-Mehrheit für einen Volksentscheid.
Bitte verbreiten Sie diese eilige Info im Bekanntenkreis weiter.
Hartz IV: die Wohnung ist nicht sicher
Die in den letzten Infos erwaehnte Untersuchung der Diakonie in 11 Stadt- und Landkreisen Baden-Wuerttembergs über die Absicherung der Kosten einer einfachen Wohnung ist erstellt und kann in den naechsten Tagen unter http://www.bag-shi.de/fachinfo/sozialpol_infos/ heruntergeladen werden.
Das ernuechternde Ergebnis: In nur einem der 11 Kreise waren die Kosten einer einfachen Wohnung ausreichend gedeckt. Die fehlenden monatlichen Betraege können in vielen Faellen auch mit Hungern nicht vom monatlichen Regelsatz von 345 Euro abgespart werden. An Unterdeckungen ergaben sich folgende Spitzenwerte:
Kaltmiete, Goeppingen bis zu 40%
Nebenkosten ohne Heizung, Rhein-Neckar-Kreis bis zu 58%
Heizkosten, Karlsruhe bis zu 37%
Im Bereich von Obdachlosen reisst Hartz IV noch groessere Luecken in die Existenzsicherung. Schlafsaecke (Erfrierungsschutz!) sollen 'angespart' werden, Abzuege vom Regelsatz fuer moebilierte Zimmer in Heimen und Gasthoefen u.v.a.m.
s. hierzu ebenfalls http://www.bag-shi.de/fachinfo/sozialpol_infos/
3. KEG – bayrische Offensive gegen die Existenzsicherung und ihre Dienste
Ein weiterer Schleifungsversuch der Sozialsysteme wurde am 5.11.04 vom Bundesrat an den Bundestag weitergeleitet: der bayrische Gesetzesentwurf für ein kommunales Einspargesetz im sozialen Bereich, kurz KEG. Nachstehend eine Kurzuebersicht des sozialhilferechtlichen Horrorkatalogs :
Bestimmung der Regelsaetze durch die Laender, nachdem vorab alle Vorschriften zu den Inhalten und der Bemessung der Regelsätze gestrichen wurden, auch der Hoechstabstand der Regelsaetze Ost. Damit sind frei gegriffene Festlegungen des "Existenzminimums" nach Gutsherrenart moeglich
komplette Versagung der Unterkunftskosten bei Anmietung "unangemessenen" Wohnraums ohne Zustimmung des SHT (dieses Fiasko hatten wir schon einmal kurze Zeit)
Aufrechnung auch bei nicht schuldhaftem Verhalten bis auf das zum Leben Unerlaessliche durch den Sozialhilfetraeger wird moeglich (Par. 26 II SGB XII)
unbeschraenkte Erbenhaftung in Nachlasshoehe unter Beseitigung der 10-Jahres-Frist. Saemtliche Freibetraege nach Par.102 SGB XII entfallen, selbst, wenn Angehoerige bis zum Tod gepflegt und zusammengewohnt haben (dann ist endlich mal das SGB II mit Par.35 SGB II besser). Letztendlich bleibt nicht einmal mehr Geld für die Bestattung und die Grabpflege uebrig. Werthaltige Erinnerungsstuecke muessen ggf. vom Staat "abgekauft" werden.
"Mutwillensgebuehr" für unzulaessige oder offensichtlich unbegruendete Rechtsmittel von bis zu 2.600 Euro. Damit wird der Rechtsweg nach Einfuehrung von Gerichtsgebuehren weiter verbaut. Man stelle sich vor: im besten Fall geht der Widerspruch durch, im schlechtesten Fall sind 2.600 Euro zu zahlen (Par.67 a AGB X) (Diese Regelung wurde vom Bundesrat i.d. Beratung vom 5.11.04 vor der Weiterleitung an den Bundestag gestrichen)
Schaerfung der Generalklausel für die Missbrauchskontrolle. Ermittlungen (Sozialdetektive...) koennen jetzt auch ohne Anfangsverdacht eingesetzt werden. Damit wird jeglicher Datenschutz und das Prinzip der Unschuldsvermutung für Arme beseitigt
"Finanzkraftklausel", nach der die Haushaltslage bei Leistungen der SGB's für Hilfebeduerftige, soziale Dienste und Einrichtungen zum Parameter wird (Par. 33 SGB I)
Einschraenkung des Wunsch-und Wahlrechts, das bei Mehrkosten nicht mehr beruecksichtigt wird. Damit muss auch jeweils die billigste Leistung / die billigste Einrichtung genommen werden (Par.9 II SGB XII)
Streichung des Vorrangs für Einrichtungen freier Traeger (Par.75 II SGB XII)
Vereinbarungen nur noch für Einrichtungen, die dem "regionalen Versorgungsbedarf" entsprechen (Par.75 II SGB XII)
Verguetungsvereinbarungen werden 6 Monate nach Ablauf des Vereinbarungszeitraums ungueltig. Dies ist z.B.bei Klagen regelmaessig der Fall.
Bei der Jugendhilfe wird eine wahre Streichorgie in den Paragraphen abgehalten. In jedem Fall gibt es verschaerfte Kostenbeteiligungen und weitergehende Pauschalierungen.
Insgesamt eine Großoffensive gegen die Existenzsicherung und ihrer Dienste und Einrichtungen.
Den Gesetzesentwurf finden Sie unter http://www1.bundesrat.de/coremedia/generator/Inhalt/Drucksachen/2004/0712_2D04B,property=Dokument.pdf
4. Mindestloehne vom Tisch
Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in der Bundesrepublik scheint vom Tisch zu sein. Mehrere fuehrende SPD-Politiker bestaetigten, daß dies kein Thema für die Regierungspartei mehr sei. Verstaerkt hatte es innerhalb der SPD immer wieder Stimmen gegeben, die einen gesetzlichen Mindestlohn einfuehren wollten, um die ungezuegelte Ausweitung des Billigjobsektors einzugrenzen. Allerdings waren solche Ideen stets auf kategorischen Widerspruch bei der Kapitallobby und den buergerlichen Parteien gestossen, zuletzt auch auf den von Schroeder und Clement.
Naeheres zu dieser neu vertanen Chance unter http://www.jungewelt.de/2004/11-30/014.php
5. EU-Dienstleistungsrichtlinie – Roter Teppich für Sozialbetrug und Ausbeutung
Die jetzt geplante EU-Dienstleistungsrichtlinie will den gesamten Dienstleistungsbereich in der erweiterten EU deregulieren. Unternehmen sollen nur noch den gesetzlichen Anforderungen ihres Herkunftsland unterliegen. Kontrollen der inlaendischen Behörden sind dann nicht mehr moeglich. Es liegt auf der Hand,daß damit soziale, tarif- und arbeitsrechtliche Standards auf einfachste Weise unterlaufen werden, indem der Unternehmenssitz ins Ausland verlagert oder eine Briefkastenfirma gegruendet wird.
"Die EU-Kommission rollt Sozialversicherungsbetruegern den roten Teppich aus", kritisierte Thomas Fritz, Handelsexperte von Attac. Arbeitnehmer koennten sogar sozialversicherungsfrei beschaeftigen. "Damit werden die für viele Freiberufler ueberlebenswichtigen Honorarordnungen auf Dumpingniveau getrimmt." Auch im Sozialbereich, insbesondere im Bereich der stark wachsenden Gesundheits- und Pflegebereiche, wird damit Dumpingsaetzen und Ausbeutungsverhaeltnissen Tuer und Tor geoeffnet.
Der Ministerrat hat dem Entwurf am 25.11.04 (mit deutscher Unterstuetzung) bereits zugestimmt. Es kommt jetzt darauf an, ihn im Europaparlament vor einer Ratifizierung zu stoppen.(Junge Welt 27.11.04)
s. http://www.attac.de/bolkestein
6. Unternehmenssteuern – was den einen gegeben, wird den andern genommen
Die Unternehmenssteuerreform hat bislang mehr als 100 Milliarden Euro an Steuerausfaellen, doch keine Arbeitsplaetze gebracht. Sie hat zu einer gigantischen Umverteilung, einem "schlanken" (verarmten) Staat, der Schleifung von Sozialleistungen und dem Zusammenbruch der Binnennachfrage gefuehrt.
Einer der renommiertesten Steuerexperten Deutschlands, Prof. Lorenz Jarras fuehrt in seiner neuen Recherche plastisch aus, dass und warum die großen Unternehmen kaum noch Steuern zahlen. Im sozialen Bereich beackern wir nur die Rueckseite dieser Milliardengeschenke: die Massenverelendung.
s. http://www.freitag.de/2004/27/04270401.php
7.) Konzerne: nach der Erpressung folgt der Verrat
Was Beschaeftigungsgarantien wert sind, die Belegschaften nach erpresserischen Lohnabsenkungen von Konzernen einhandeln, zeigt ein juengstes Beispiel des Murrhardter Haushaltswaagen-Herstellers Soehnle.
Hier eine Chronik:
9 / 1993: das schwaebische Unternehmen feiert 125-jaehriges Jubilaeum mit ca. 900 Beschaeftigten
1/ 2001: Soehnle wird von der Leifheit AG aufgekauft und verliert nach 132 Jahren die Eigenstaendigkeit
12 / 2003: im Bundestag prangert Friedrich Merz die harte Haltung der IG Metall gegen eine Aufweichung der Tarifvertraege an. Die Gewerkschaft gibt ihren Widerstand auf, es kommt zu Lohnsenkungen. Im Gegenzug will Leifheit bis 2005 keine Kuendigungen aussprechen
9 / 2004: 35 Mitarbeiter erhalten die Kuendigung. Der Betriebsrat sieht keinen Bruch der Beschaeftigungsgarantie
12 / 2004: Leifheit verkuendet das Ende der Haushaltswaagen-Produktion. Von 180 verbliebenen Mitarbeitern erhalten 110 die Kuendigung
(Stuttgarter Zeitung vom 3.12.04)
8.) Armut in Großbritannien – 21.500 Rentner im letzten Jahr erfroren
Maggie Thatcher's Schleifung der Sozialsysteme hinterlaesst ihre Opfer. 20 Prozent der Rentner – 2 Millionen Menschen – lebt unter der Armutsgrenze mit einer Staatsrente von 116 Euro pro Woche. Notwendig waeren mindestens 182 Euro woechentlich.
Die englische Rentner-Organisation 'Help the Aged' skandalisiert jetzt in einer Kampagne, dass im vergangenen Jahr 21.500 aeltere Menschen erfroren sind. Die Beheizung einer kleinen Wohnung in London koste mindestens 58 Euro im Monat. Das geben die kargen Renten nicht her. Und viele Wohnungen Armer sind katastrophal schlecht isoliert.
(Stuttgarter Zeitung v. 4.12.04)
Damit wuensche ich allen ein geruhsames und gesegnetes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch nach Hartz IV.
Es grüsst Sie freundlich
Frieder Claus
P.S.: Nachdem es bei der angewachsenen Masse von Abonnenten, unabhaengig vom verwendeten Zeichensatz, immer wieder zu Darstellungsproblemen mit den Umlauten kommt, werden die Sozialpolitischen Infos ohne Umlaute verfasst. Bitte haben Sie deshalb Verstaendnis fuer die etwas schwierigere Lesbarkeit.
Hinweis: Mit einem einfachen Mail an friederclaus@web.de koennen Sie sich in den Direktverteiler der Sozialpolitischen Infos aufnehmen oder aus diesem loeschen lassen, wenn Sie diese nicht mehr erhalten moechten. Bitte geben Sie dabei Ihren Namen und Wohnort an.
mit der staendig steigenden Verteilerliste komme ich beim Versenden schwergewichtiger Anlagen an Grenzen. Ich bin deshalb froh ueber das Angebot der BAG der Sozialhilfeinitiativen in Frankfurt, die Sozialpolitischen Infos mit Anlagen auf der Webseite bereit zu halten. Dort koennen Sie also saemtliche Anlagen zukuenftig herunterladen unter http://www.bag-shi.de/fachinfo/sozialpol_infos/.
Herzlichen Dank an Frank Jaeger und sein Team dort.
Heute finden Sie folgende Themen:
EU-Verfassung – meine Stimme zaehlt
Hartz IV: die Wohnung ist nicht sicher
KEG – bayrische Offensive gegen die Existenzsicherung und ihre Dienste
Mindestloehne vom Tisch
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Roter Teppich für Sozialbetrug und Ausbeutung
Unternehmenssteuern – was den einen gegeben, wird den andern genommen
Konzerne: nach der Erpressung folgt der Verrat
Armut in Großbritannien – 21.500 Rentner im letzten Jahr erfroren
EU-Verfassung – meine Stimme zaehlt
Die neue europaeische Verfassung wird unsere Sozial-, Wirtschafts-,Umwelt- und Friedenspolitik in der EU für die naechsten Jahrzehnte bestimmen. Mit anderen Worten: sie wird die Form unseres menschlichen Zusammenlebens in der Zukunft regeln. Wirtschaftliche Interessen den menschlichen uebergeordnet, Aufruestungspflicht, militaerisches Eingreifen fuer "EU-Belange" weltweit, keine Sozialpflichtigkeit des Eigentums mehr ... all dies erhaelt Verfassungsrang (s. Sozialpolitische Infos vom 7.11.04).
In vielen europaeischen Staaten - wie etwa in Daenemark, Frankreich, Großbritannien und Spanien - stimmen die Buerger/innen selbst über den Verfassungsentwurf ab. Nicht so bei uns. Und kaum jemand kennt, was da drin steht.
Mit der Kampagne "EU-Verfassung - Meine Stimme zaehlt!" machen die Online-Plattformen Campact und Mehr Demokratie e.V. gemeinsam Druck für ein Referendum zur EU-Verfassung.
Schon bis Mitte Dezember entscheidet sich, ob eine Gesetzesinitiative zu einem Volksentscheid zur EU-Verfassung in den Bundestag eingebracht wird.
Unter http://www.meine-stimme-zaehlt.de/ kann ein Votum bei den EU-Abgeordneten des Wahlkreises abgeben werden.
Unter http://www.campact.de/wahlkreisaktion kann man bis zum 6.12.04 zu einem Argumententeppich für den CDU-Partei beitragen. Die CDU blockiert als einzige Partei eine Zweidrittel-Mehrheit für einen Volksentscheid.
Bitte verbreiten Sie diese eilige Info im Bekanntenkreis weiter.
Hartz IV: die Wohnung ist nicht sicher
Die in den letzten Infos erwaehnte Untersuchung der Diakonie in 11 Stadt- und Landkreisen Baden-Wuerttembergs über die Absicherung der Kosten einer einfachen Wohnung ist erstellt und kann in den naechsten Tagen unter http://www.bag-shi.de/fachinfo/sozialpol_infos/ heruntergeladen werden.
Das ernuechternde Ergebnis: In nur einem der 11 Kreise waren die Kosten einer einfachen Wohnung ausreichend gedeckt. Die fehlenden monatlichen Betraege können in vielen Faellen auch mit Hungern nicht vom monatlichen Regelsatz von 345 Euro abgespart werden. An Unterdeckungen ergaben sich folgende Spitzenwerte:
Kaltmiete, Goeppingen bis zu 40%
Nebenkosten ohne Heizung, Rhein-Neckar-Kreis bis zu 58%
Heizkosten, Karlsruhe bis zu 37%
Im Bereich von Obdachlosen reisst Hartz IV noch groessere Luecken in die Existenzsicherung. Schlafsaecke (Erfrierungsschutz!) sollen 'angespart' werden, Abzuege vom Regelsatz fuer moebilierte Zimmer in Heimen und Gasthoefen u.v.a.m.
s. hierzu ebenfalls http://www.bag-shi.de/fachinfo/sozialpol_infos/
3. KEG – bayrische Offensive gegen die Existenzsicherung und ihre Dienste
Ein weiterer Schleifungsversuch der Sozialsysteme wurde am 5.11.04 vom Bundesrat an den Bundestag weitergeleitet: der bayrische Gesetzesentwurf für ein kommunales Einspargesetz im sozialen Bereich, kurz KEG. Nachstehend eine Kurzuebersicht des sozialhilferechtlichen Horrorkatalogs :
Bestimmung der Regelsaetze durch die Laender, nachdem vorab alle Vorschriften zu den Inhalten und der Bemessung der Regelsätze gestrichen wurden, auch der Hoechstabstand der Regelsaetze Ost. Damit sind frei gegriffene Festlegungen des "Existenzminimums" nach Gutsherrenart moeglich
komplette Versagung der Unterkunftskosten bei Anmietung "unangemessenen" Wohnraums ohne Zustimmung des SHT (dieses Fiasko hatten wir schon einmal kurze Zeit)
Aufrechnung auch bei nicht schuldhaftem Verhalten bis auf das zum Leben Unerlaessliche durch den Sozialhilfetraeger wird moeglich (Par. 26 II SGB XII)
unbeschraenkte Erbenhaftung in Nachlasshoehe unter Beseitigung der 10-Jahres-Frist. Saemtliche Freibetraege nach Par.102 SGB XII entfallen, selbst, wenn Angehoerige bis zum Tod gepflegt und zusammengewohnt haben (dann ist endlich mal das SGB II mit Par.35 SGB II besser). Letztendlich bleibt nicht einmal mehr Geld für die Bestattung und die Grabpflege uebrig. Werthaltige Erinnerungsstuecke muessen ggf. vom Staat "abgekauft" werden.
"Mutwillensgebuehr" für unzulaessige oder offensichtlich unbegruendete Rechtsmittel von bis zu 2.600 Euro. Damit wird der Rechtsweg nach Einfuehrung von Gerichtsgebuehren weiter verbaut. Man stelle sich vor: im besten Fall geht der Widerspruch durch, im schlechtesten Fall sind 2.600 Euro zu zahlen (Par.67 a AGB X) (Diese Regelung wurde vom Bundesrat i.d. Beratung vom 5.11.04 vor der Weiterleitung an den Bundestag gestrichen)
Schaerfung der Generalklausel für die Missbrauchskontrolle. Ermittlungen (Sozialdetektive...) koennen jetzt auch ohne Anfangsverdacht eingesetzt werden. Damit wird jeglicher Datenschutz und das Prinzip der Unschuldsvermutung für Arme beseitigt
"Finanzkraftklausel", nach der die Haushaltslage bei Leistungen der SGB's für Hilfebeduerftige, soziale Dienste und Einrichtungen zum Parameter wird (Par. 33 SGB I)
Einschraenkung des Wunsch-und Wahlrechts, das bei Mehrkosten nicht mehr beruecksichtigt wird. Damit muss auch jeweils die billigste Leistung / die billigste Einrichtung genommen werden (Par.9 II SGB XII)
Streichung des Vorrangs für Einrichtungen freier Traeger (Par.75 II SGB XII)
Vereinbarungen nur noch für Einrichtungen, die dem "regionalen Versorgungsbedarf" entsprechen (Par.75 II SGB XII)
Verguetungsvereinbarungen werden 6 Monate nach Ablauf des Vereinbarungszeitraums ungueltig. Dies ist z.B.bei Klagen regelmaessig der Fall.
Bei der Jugendhilfe wird eine wahre Streichorgie in den Paragraphen abgehalten. In jedem Fall gibt es verschaerfte Kostenbeteiligungen und weitergehende Pauschalierungen.
Insgesamt eine Großoffensive gegen die Existenzsicherung und ihrer Dienste und Einrichtungen.
Den Gesetzesentwurf finden Sie unter http://www1.bundesrat.de/coremedia/generator/Inhalt/Drucksachen/2004/0712_2D04B,property=Dokument.pdf
4. Mindestloehne vom Tisch
Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in der Bundesrepublik scheint vom Tisch zu sein. Mehrere fuehrende SPD-Politiker bestaetigten, daß dies kein Thema für die Regierungspartei mehr sei. Verstaerkt hatte es innerhalb der SPD immer wieder Stimmen gegeben, die einen gesetzlichen Mindestlohn einfuehren wollten, um die ungezuegelte Ausweitung des Billigjobsektors einzugrenzen. Allerdings waren solche Ideen stets auf kategorischen Widerspruch bei der Kapitallobby und den buergerlichen Parteien gestossen, zuletzt auch auf den von Schroeder und Clement.
Naeheres zu dieser neu vertanen Chance unter http://www.jungewelt.de/2004/11-30/014.php
5. EU-Dienstleistungsrichtlinie – Roter Teppich für Sozialbetrug und Ausbeutung
Die jetzt geplante EU-Dienstleistungsrichtlinie will den gesamten Dienstleistungsbereich in der erweiterten EU deregulieren. Unternehmen sollen nur noch den gesetzlichen Anforderungen ihres Herkunftsland unterliegen. Kontrollen der inlaendischen Behörden sind dann nicht mehr moeglich. Es liegt auf der Hand,daß damit soziale, tarif- und arbeitsrechtliche Standards auf einfachste Weise unterlaufen werden, indem der Unternehmenssitz ins Ausland verlagert oder eine Briefkastenfirma gegruendet wird.
"Die EU-Kommission rollt Sozialversicherungsbetruegern den roten Teppich aus", kritisierte Thomas Fritz, Handelsexperte von Attac. Arbeitnehmer koennten sogar sozialversicherungsfrei beschaeftigen. "Damit werden die für viele Freiberufler ueberlebenswichtigen Honorarordnungen auf Dumpingniveau getrimmt." Auch im Sozialbereich, insbesondere im Bereich der stark wachsenden Gesundheits- und Pflegebereiche, wird damit Dumpingsaetzen und Ausbeutungsverhaeltnissen Tuer und Tor geoeffnet.
Der Ministerrat hat dem Entwurf am 25.11.04 (mit deutscher Unterstuetzung) bereits zugestimmt. Es kommt jetzt darauf an, ihn im Europaparlament vor einer Ratifizierung zu stoppen.(Junge Welt 27.11.04)
s. http://www.attac.de/bolkestein
6. Unternehmenssteuern – was den einen gegeben, wird den andern genommen
Die Unternehmenssteuerreform hat bislang mehr als 100 Milliarden Euro an Steuerausfaellen, doch keine Arbeitsplaetze gebracht. Sie hat zu einer gigantischen Umverteilung, einem "schlanken" (verarmten) Staat, der Schleifung von Sozialleistungen und dem Zusammenbruch der Binnennachfrage gefuehrt.
Einer der renommiertesten Steuerexperten Deutschlands, Prof. Lorenz Jarras fuehrt in seiner neuen Recherche plastisch aus, dass und warum die großen Unternehmen kaum noch Steuern zahlen. Im sozialen Bereich beackern wir nur die Rueckseite dieser Milliardengeschenke: die Massenverelendung.
s. http://www.freitag.de/2004/27/04270401.php
7.) Konzerne: nach der Erpressung folgt der Verrat
Was Beschaeftigungsgarantien wert sind, die Belegschaften nach erpresserischen Lohnabsenkungen von Konzernen einhandeln, zeigt ein juengstes Beispiel des Murrhardter Haushaltswaagen-Herstellers Soehnle.
Hier eine Chronik:
9 / 1993: das schwaebische Unternehmen feiert 125-jaehriges Jubilaeum mit ca. 900 Beschaeftigten
1/ 2001: Soehnle wird von der Leifheit AG aufgekauft und verliert nach 132 Jahren die Eigenstaendigkeit
12 / 2003: im Bundestag prangert Friedrich Merz die harte Haltung der IG Metall gegen eine Aufweichung der Tarifvertraege an. Die Gewerkschaft gibt ihren Widerstand auf, es kommt zu Lohnsenkungen. Im Gegenzug will Leifheit bis 2005 keine Kuendigungen aussprechen
9 / 2004: 35 Mitarbeiter erhalten die Kuendigung. Der Betriebsrat sieht keinen Bruch der Beschaeftigungsgarantie
12 / 2004: Leifheit verkuendet das Ende der Haushaltswaagen-Produktion. Von 180 verbliebenen Mitarbeitern erhalten 110 die Kuendigung
(Stuttgarter Zeitung vom 3.12.04)
8.) Armut in Großbritannien – 21.500 Rentner im letzten Jahr erfroren
Maggie Thatcher's Schleifung der Sozialsysteme hinterlaesst ihre Opfer. 20 Prozent der Rentner – 2 Millionen Menschen – lebt unter der Armutsgrenze mit einer Staatsrente von 116 Euro pro Woche. Notwendig waeren mindestens 182 Euro woechentlich.
Die englische Rentner-Organisation 'Help the Aged' skandalisiert jetzt in einer Kampagne, dass im vergangenen Jahr 21.500 aeltere Menschen erfroren sind. Die Beheizung einer kleinen Wohnung in London koste mindestens 58 Euro im Monat. Das geben die kargen Renten nicht her. Und viele Wohnungen Armer sind katastrophal schlecht isoliert.
(Stuttgarter Zeitung v. 4.12.04)
Damit wuensche ich allen ein geruhsames und gesegnetes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch nach Hartz IV.
Es grüsst Sie freundlich
Frieder Claus
P.S.: Nachdem es bei der angewachsenen Masse von Abonnenten, unabhaengig vom verwendeten Zeichensatz, immer wieder zu Darstellungsproblemen mit den Umlauten kommt, werden die Sozialpolitischen Infos ohne Umlaute verfasst. Bitte haben Sie deshalb Verstaendnis fuer die etwas schwierigere Lesbarkeit.
Hinweis: Mit einem einfachen Mail an friederclaus@web.de koennen Sie sich in den Direktverteiler der Sozialpolitischen Infos aufnehmen oder aus diesem loeschen lassen, wenn Sie diese nicht mehr erhalten moechten. Bitte geben Sie dabei Ihren Namen und Wohnort an.