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Solingen: „Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres bessert die ARGE bei den Unterkunftskosten nach”

Erfolge und Mühen einer kritischen und beharrlichen Interessenvertretung von Leistungsbezieher/-innen im Rat der Stadt Solingen – Tacheles führt ein Interview mit Frank Knoche
Frank Knoche ist von Beruf Sozialarbeiter. Der parteilose Stadtrat vertritt als sozialpolitischer Sprecher die grün-offene Ratsfraktion im Rat der Stadt Solingen, im Ausschuss für Gesundheit, Soziales und Wohnen (AGSW), im Ausschuss für Zuwanderung und Integration (ZUWI) und in der Begleitkonferenz der ARGE.

Tacheles: Stimmt es, dass in Solingen bereits zum zweiten Mal bei den Kosten der Unterkunft (KdU) für ALG II-Bezieher/innen nachgebessert wurde?


Knoche: Ja. Das erste Mal wurden zum 1.12.2005 die Höchstsätze für Miete und Nebenkosten um durchschnittlich 10,7 Prozent erhöht. Für eine Person erhöhte sich zum Beispiel diese Mietobergrenze von 271,50 auf 299,70 Euro. Jetzt, am 30. November 2006, hat der zuständige Ratsausschuss auch die für angemessen gehaltene Obergrenze der Heizkosten von 1,07 Euro pro Quadratmeter im Monat zunächst um 15 und ab dem neuen Jahr, wegen der Erhöhung der Mehrwertsteuer, um weitere drei Prozentpunkte angehoben. Beendet wurde jetzt auch die Benachteiligung der Wohngemeinschaften gegenüber den „normalen” Haushalten und die völlige Negierung eines höheren Wohnraumbedarfes bei einem erweiterten Umgangskontakt von Kindern getrennt lebender Eltern. Außerdem wurden die Kriterien zur Überprüfung der Angemessenheit einer Wohnung völlig neu geregelt. Bisher galt die sogenannte „Kombinationstheorie”, bei der die Beurteilung der Angemessenheit einer Wohnung. Alle Kriterien, nach denen die Angemessenheit beurteilt wurde, mussten, erfüllt sein. Jetzt wurde beschlossen, das Produkt aus Grundmiete, Neben- und Heizkosten als entscheidendes Kriterium der Angemessenheit heranzuziehen.

Tacheles: Wie sahen diese Kriterien vor der Nachbesserung aus?


Knoche: Die heiligste Kuh war die Quadratmetergröße pro Person, also 45 Quadratmeter für eine oder 105 Quadratmeter für fünf Personen. Dieses Kriterium war für die Sachbearbeiter/innen der ARGE oft das Wichtigste und Einfachste bei der Beurteilung, ob eine Wohnung nicht angemessen ist. Wohnungen mit 50 Quadratmetern wurden schon abgelehnt, obwohl sie bei der Warmmiete inklusive Nebenkosten unter der für 45 Quadratmeter festgelegten Höchstmiete von 299 Euro lagen. Die Angemessenheit wurde aber auch verneint, wenn etwa eine 35 Quadratmeter große Wohnung bezüglich der Grundmiete pro Quadratmeter über dem festgelegten Höchstwert von 4,99 Euro pro Quadratmeter lag, obwohl im Ergebnis die Gesamtmiete inklusive Neben- und Heizkosten unterhalb des Bereiches der Angemessenheit lag. Das gleiche galt, wenn die Nebenkosten pro Quadratmeter über 1,50 Euro oder die Heizkosten über 1,07 Euro lagen. Das fünfte Kriterium war schließlich die Höchstmiete inklusive Nebenkosten je nach Anzahl der Personen und Größe.
Da der Solinger Wohnungsmarkt bezüglich der Standards sehr unterschiedlich ist – kleine Wohnungen mit hohem Komfort, große Wohnungen mit niedrigen Standards – wurde in der Regel mindestens eines der fünf Angemessenheitskriterien nicht erfüllt. Selbst die an sich preiswerten Wohnungen der Wohnungsbaugenossenschaften waren nicht angemessen, weil sie bei niedrigen Grundmieten zu hohe Betriebs- und Nebenkosten aufweisen.

Tacheles: Warum war die alte Regelung für Euch nicht akzeptabel? Welche Auswirkungen hatte sie auf Betroffene?


Knoche: Die eigene Wohnung stellt für die Menschen ein hohes Gut dar. Sie gibt Sicherheit und Geborgenheit und ist gleichzeitig auch die Voraussetzung, um arbeiten zu können bzw. Arbeit zu finden. Wer von der Hartz-Behörde die Aufforderung bekommt, die Mietkosten durch Anmietung einer vom Preis und von der Größe angemessenen Unterkunft” zu senken, weil die jetzige Wohnung nicht angemessen sei, der ist natürlich zutiefst verunsichert. Wenn es ALG II-Empfängern dann nicht möglich ist, die Mietkosten durch Verhandlung, Untervermietung oder durch einen Umzug zu senken, dann sollen sie die Differenz zwischen den tatsächlichen Kosten und den als angemessen bezeichneten selbst bezahlen. Das betrifft in Solingen 1500 bis 2000 Bedarfsgemeinschaften (von insgesamt 8000 bis 8400 im Zeitraum November 05 bis Mai 06), also 2700 bis 3600 Personen, die von dem ohnehin schon viel zu niedrigen Regelsatz nun Monat für Monat noch 30 bis 150 Euro für die Wohnung abziehen müssen. Dadurch werden etwa 18 bis 24 Prozent der ALG II-Empfänger gezwungen, ein Leben weit unter dem 345-Euro-Regelsatz-Existenzminimum zu führen. Viele müssen dann von rund 200 bis 250 Euro einen Monat lang leben. Da stehen Mütter und Väter schnell vor der Entscheidung, ob sie Rechnungen und Miete bezahlen oder am Essen und an Medikamenten für ihre Kinder sparen sollen.

Tacheles: Bislang standen ja eher die Zwangsumzüge im Mittelpunkt der Kritik.


Knoche: Solche Umzüge hat es auch gegeben. Die ARGE war jedoch nicht in der Lage, ihre Behauptung mit Daten und Zahlen zu belegen, nur wenige würden in nicht angemessenen Unterkünften wohnen und kaum einer müsse umziehen. Darauf hat der Sozialausschuss die Hartz-Behörde zu einer Erhebung verpflichtet. Von Anfang Dezember 2005 bis Ende Mai 2006 wurden entsprechende Daten erhoben. Demnach sei es nur in 58 Fällen „durch Einwirken der ARGE” zu Wohnungswechseln gekommen. Obwohl diese Zahl nur auf der Auswertung der Fälle basiert, die im Erhebungszeitraum von sechs Monaten bearbeitet wurden, setzte die ARGE diese in Bezug zu allen Bedarfsgemeinschaften, die in 18 Monaten entstanden und übriggeblieben sind. Sie behauptet, nur 0,6 Prozent hätten im Zeitraum seit der Einführung von Hartz IV am 1. Januar 2005 umziehen müssen. Die willkürliche Festlegung einer Bezugsgröße, die als 100 Prozent ausgegeben wird, ist aber ein plumper Trick, um die Statistik zu fälschen. Ich halte die Zahl der tatsächlichen Umzüge für höher als offiziell angegeben. Dennoch ist sie niedriger als anfangs von uns befürchtet wurde. Tatsächlich gibt es diese angemessenen Wohnungen – insbesondere für Singles und fünf- und mehrköpfige Haushalte – gar nicht in ausreichender Zahl. Dies belegt auch eine Analyse der Wohnungsanzeigen durch die Hartz-Behörde und die Auflistung der freien Wohnungen durch den Stadtdienst Wohnen. Die ARGE behauptet zwar, dass die hier angeführten Wohnungsangebote vom Sozialgericht als Beweis für ausreichend vorhandenen Wohnraum akzeptiert würden. Diese Aussage wundert mich schon, denn sie deckt sich nicht mit unseren Erkenntnissen.
Mit der komplizierten Regelung der Angemessenheitsbeurteilung nach fünf Einzelkriterien wurde die Zahl der sowieso schon knapp vorhandenen freien und angemessenen Wohnungen noch weiter reduziert. Es liegt auf der Hand, dass es für ARGE und Stadt billiger war, möglichst viele Hilfeempfänger auf die angemessenen Kosten der Unterkunft zu deckeln, anstatt beim Umzug in angemessenen Wohnraum teuere Wohnbeschaffungskosten wie Umzugskosten, Kaution, doppelte Mieten und Renovierungskosten zu zahlen. Wenn alle, die eine sogenannte Umzugsaufforderung bekommen haben, tatsächlich in angemessenen Wohnraum umgezogen wären, dann wäre das viel teuerer geworden. Hinzu kommt, dass viele Wohnungen, welche als nicht angemessen eingestuft wurden, weil sie nur nach einem der fünf Kriterien nicht angemessen waren, in den Gesamtkosten zum Teil erheblich unter der Angemessenheitsgrenze lagen. Bei einem Umzug hätten die monatlichen Gesamtkosten der neuen Wohnung vielleicht höher gelegen, wenn der Spielraum bis an die obere Grenze der Angemessenheit ausgefüllt worden wäre. Die ARGE aber wehrte sich gegen die Anwendung der „Produkttheorie”, weil sie befürchtet, dass sich Mieter und Vermieter absprechen, um im Rahmen der Angemessenheit das Maximale herauszuholen. Um diesen Generalverdacht zu entkräften, haben wir vorgeschlagen, vor jeder Umzugsaufforderung eine Wirtschaftlichkeitsberechnung durchzuführen. Dabei wären für den Berechnungszeitraum von zwei Jahren die Gesamtkosten der bisherigen Wohnung den Gesamtkosten einer neuen angemessenen Wohnung plus den Wohnungsbeschaffungskosten gegenüberzustellen. Falls die Kosten für die neue Wohnung höher sind als die der bisher bewohnten, sollten die tatsächlichen Kosten der alten Wohnung als angemessen betrachtet werden. Leider gab es für diese Forderung weder im Rat noch in der Verwaltung eine Mehrheit.
Betroffene hat an dieser alten Regelung nach der „Kombinationstheorie” am meisten geärgert, dass ihnen mit untransparenten, nicht nachvollziehbaren bürokratischen Regelungen das Leben schwer gemacht wurde. Wer von seinem Regelsatz, der für den täglichen Bedarf, für Lebensmittel und Kleidung vorgesehen ist, noch größere Beträge für die Kosten der Unterkunft abzwacken muss, und sich dann abends im Fernsehen bei Frau Christiansen noch vorrechnen lassen muss, dass er ohne zu arbeiten in Saus und Braus lebt, dem kann schon mal der Kragen platzen. Allgemein wurde bislang die negative Wirkung der Gewährungspraxis bei den Kosten der Unterkunft auf die Existenzsicherung der Hilfeempfänger völlig unterschätzt bzw. verharmlost. Das mag auch daran liegen, dass das System schwer zu verstehen ist und die Träger Informationen zurückhalten. Ich kenne keine ARGE, die fundiertes Datenmaterial über die Auswirkungen der Unterkunftsregelungen veröffentlicht hätte.

Tacheles: Du hast anfangs weitere Verbesserungen angesprochen. Was tut sich bei Wohngemeinschaften?


Knoche: Bislang wurde bei Wohngemeinschaften unterstellt, dass sie weniger Raumbedarf hätten als andere Hausgemeinschaften. Dieser Annahme der Verantwortlichen in der Hartz-Behörde lag wohl ein antiquiertes Bild von Wohngemeinschaften zu Grunde. In Wirklichkeit jedoch brauchen Wohngemeinschaften mehr Platz als zum Beispiel Familien, die oft ein gemeinsames elterliches Schlafzimmer und Kinderzimmer haben. Dem ist jetzt auf unseren Antrag hin Rechnung getragen worden. Die anzuerkennende Grundfläche für Wohngemeinschaften wurde bezüglich der Gemeinschaftsnutzung von 30 Quadratmetern um 5 je Person aufgestockt. Hieraus ergeben sich angemessene Wohnungsgrößen von 70 Quadratmetern für zwei und 90 für drei Personen anstatt der bisher geltenden 60 und 75 Quadratmeter.

Tacheles: Was wurde bezüglich des erweiterten Umgangskontaktes entschieden?


Knoche: Leider gab es keine schriftliche Ausführung, weil die KdU-Experten der ARGE bei einer öffentlich bekannt gemachten Regelung, eine Einladung zum Mißbrauch befürchten. Wir haben aber durch die Diskussion der Problematik erreicht, dass ein durch die Wahrnehmung des Umgangsrechts entstehender höherer Wohnraumbedarf grundsätzlich anerkannt wird. Das wurde in der Vergangenheit bestritten, denn hier gibt es bis heute noch keine eindeutige Rechtsprechung. Wie hoch dieser größere Wohnraumbedarf sein könnte, ist natürlich nur individuell zu ermitteln. Aber es ist schon ein Fortschritt, dass die ARGE sich bereit erklärt hat, einen solchen Bedarf nach individueller Prüfung anzuerkennen. Noch im September 2006 war man dort der Meinung, dass „bei einem besuchsweisen Aufenthalt von Kindern es den Leistungsempfängern durchaus zuzumuten sei, im Wohnraum zu nächtigen bzw. mit dem Kind das Schlafzimmer zu teilen”.

Tacheles: Du wolltest doch auch eine Toleranzregelung bei den Angemessenheitsgrenzen und Verbesserungen für verschuldete Leute mit Schufa-Eintrag erreichen.


Knoche: Das ist leider an SPD und CDU gescheitert. Wir hatten in Solingen ursprünglich bei Einführung von Hartz IV eine Toleranzgrenze von fünf Prozent. Das heißt, die für angemessen gehaltenen Obergrenzen bei den Kosten der Unterkunft konnten im Einzelfall und nach Ermessen des Sachbearbeiters um fünf Prozent überschritten werden. Andere ARGEn hatten 10 und mehr Prozent an Toleranz eingeräumt. Fünf waren wirklich lächerlich. Bei der Obergrenze für eine Person wären das ja nur 2,25 Quadratmeter oder 15 Euro Toleranz. Bereits vor einem Jahr hatten wir beantragt, dass die Toleranzgrenze auf 10 Prozent erhöht wird. Weil CDU; FDP und SPD diesen Erhöhungsantrag damals abgelehnt haben und weil die Höchstgrenzen ja Ende 2005 um durchschnittlich 10,7 Prozent erhöht wurden, hat die Verwaltung der Hartz IV-Behörde klammheimlich die Toleranzgrenze ganz abgeschafft. Der so ausgetrickste Sozialausschuss war in seiner Mehrheit dann auch jetzt im Nachhinein nicht mehr bereit, selbst auf die Einhaltung der ursprünglichen fünf Prozent Toleranz zu bestehen.
ALG II-Empfänger mit Schufa-Eintrag haben kaum eine Chance, eine neue Wohnung zu finden. Selbst die Wohnungsbaugenossenschaften lehnen solche Mieter ab. Für diese Personengruppe gibt es also fast gar keine Chance, ihre für zu hoch eingestuften Kosten der Wohnung etwa durch Umzug in eine kleinere und billigere Wohnung zu senken. Sie werden also gezwungen, die Differenz zwischen den angemessenen und den tatsächlichen Kosten irgendwie zu bezahlen und geraten so immer tiefer in die Schuldenfalle. Unser Antrag, in solchen Fällen die tatsächlichen Kosten, wenn sie nicht aus dem Rahmen fallen, zu übernehmen, fand ebenfalls keine Mehrheit. Hatte der Arbeitskreis Kosten der Unterkunft bei der Solinger ARGE noch vor zwei Monaten mit Unverständnis auf dieses Problem reagiert und behauptet, dass „solche Sachverhalte bzw. Einzelfälle nicht bekannt seien” und deshalb „keine Erfahrungen vorlägen, aus denen eine Regelung ableitbar wäre”, erklärte man sich jetzt wenigstens dazu bereit, stärker auf die Möglichkeit der Direktüberweisung der Miete an den Vermieter zu setzen und in Eingliederungsvereinbarungen die Möglichkeit der Schuldnerberatung einzuräumen. Ob den Menschen dadurch wirklich geholfen wird ist fraglich.
Fast hätte ich vergessen, dass auch auf unseren Antrag hin der Passus geändert wurde, wonach der Wechsel einer Wohnung eine besondere Härte darstellt, wenn diese 40 Jahre bewohnt wurde. 40 Jahre schien uns doch etwas zu lange. Normalerweise wären solche Hilfeempfänger schon in Rente. Unser Vorschlag „20 Jahre” wurde zwar nicht akzeptiert, aber zumindest sollen nun die „40 Jahre” gestrichen werden. Es wird eine Regelung angestrebt, bei der mehrere Faktoren berücksichtigt werden sollen: Die Wohndauer, die Höhe der Überschreitung der Angemessenheit und die zu erwartende Dauer des Leistungsbezuges. Vereinbart wurde auch, dass die Energiekosten halbjährlich und die anderen Kosten wie Grundmiete und Nebenkosten anhand der Veränderungen des örtlichen Mietspiegels überprüft werden.

Tacheles: Mit Blick auf das restriktive System der Hartz-IV-Gesetze habt ihr in Solingen bei den Kosten der Unterkunft einige beachtliche Erfolge zu verzeichnen. Wie war das möglich?


Knoche: Die grün-offene Ratsfraktion in Solingen, der ich als parteiloses Ratsmitglied und sozialpolitischer Sprecher angehöre, hat sich im Gegensatz zu den Bundesgrünen von Anfang an äußerst kritisch zu Hartz IV verhalten. Das wir uns nicht verbiegen müssen, jetzt wo nach zwei Jahren die sogenannten Hartz-Reformen in der Praxis gescheitert sind, hat unsere sozialpolitische Kompetenz gestärkt. Wir haben aber auch immer wieder konkrete Mißstände bei Hartz IV zum Anlass genommen, um Vorschläge zu unterbreiten. Wir bieten Lösungen an, die selbst unter Bedingungen der Hartz-Gesetze konkrete Verbesserungen für Betroffene zur Folge haben. Da kam außer von uns ansonsten Nichts. All diese kleinen, aber für die Betroffenen oft wichtigen Änderungen im Bereich KdU zum Beispiel, beruhen auf unseren Anträgen. Diese Anträge wurden immer mit konkreten Fällen und entsprechenden Entscheidungen der ARGE begründet. Da kam es dann schon mal öfters auch bei den Kollegen und Kolleginnen anderer Fraktionen zum Kommentar: „Das darf doch nicht wahr sein!” Meistens konnten wir anhand von Sozialgerichtsurteilen aufzeigen, dass geltendes Recht nicht nur das ist, was die Behörde für richtig hält. Dabei war übrigens die Tacheles-Wuppertal-Homepage mit ihren aktuellen Informationen und der Rechtsprechungsdatenbank äußerst hilfreich.
Die Diskussion um unsere Anträge war immer mit heftigen Reaktionen bis hin zu persönlichen Verunglimpfungen aus dem Mund der ARGE-Verantwortlichen verbunden. Hier wurde deutlich, dass diese Behörde nichts mehr scheut, als die öffentliche Diskussion anhand konkreter Praxisbeispiele als Beleg für die soziale Härte und Grausamkeit der Hartz IV-Umsetzung. Als sich dann die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse in Rat und Ausschüssen veränderten, und wir zumindest die Mitglieder der Kommunalverwaltung in der Lenkungsgruppe der ARGE per Beschluß anweisen konnten, änderte sich vorübergehend die Blockadehaltung der Verwaltung. Der sozialpolitische Sprecher der CDU, der mir früher als Kontrahent gegenüber saß, saß auf einmal neben mir auf der Seite der Opposition. Er war mit weiteren fünf Ratsmitgliedern aus der CDU ausgetreten, hatte die Fraktion der Freien Bürger Union gebildet und die CDU/FDP-Koalition um ihre Mehrheit gebracht. Unter den Bedingungen wechselnder Mehrheiten konnten wir dann mit einer „zum Jagen getragenen SPD” einiges durchsetzen. Inzwischen haben sich die Mehrheitsverhältnisse allerdings wieder verändert, weil die SPD ihre komfortable Position, mit wechselnden Mehrheiten zu regieren, zugunsten einer Großen Koalition mit der CDU freiwillig aufgegeben hat.

Tacheles: Was ist das für eine Erhebung der ARGE über die Kosten der Unterkunft?


Knoche: Der Beschluss des Sozialausschusses zum 1.12.2005 „die Höchstsätze für Unterkunftskosten im Rahmen der Leistungsgewährung nach SGB II und SGB XII” anzuheben, war mit der Aufforderung verbunden, die Auswirkungen dieser Erhöhung mittels einer Erhebung über den Zeitraum eines halben Jahres zu überprüfen. Mit welchem Trick die ARGE diese Erhebung frisiert hat, habe ich ja schon berichtet. Obwohl nur die Fälle, welche in sechs Monaten anfielen, ausgewertet wurden, hat man das auf alle existierenden Bedarfsgemeinschaften hochgerechnet. Allein das dargestellte Ergebnis, wonach in nur sieben Fällen höhere, also unangemessene Heizkosten von der ARGE übernommen wurden zeigt, dass da etwas nicht stimmen kann. Mir persönlich sind allein ca. dreimal so viele Fälle bekannt. Mit dem Ergebnis der Erhebung, dass in 273 Fällen die Heizkosten auf die Höchstgrenzen reduziert wurden, haben sich die KdU-Experten der Hartz IV-Behörde schließlich ein weiteres Eigentor geschossen. Hier wurde indirekt zugegeben, dass seitens der Behörde automatisch unwirtschaftliches Heizverhalten unterstellt wird, sobald die Heizkosten die für angemessen gehaltene Obergrenze von 1,07 Euro pro Quadratmeter im Monat überschreiten. Damit wird dann die Decklung der Leistungen fürs Heizen begründet. Dass eine solche rechtswidrige Vorgehensweise praktiziert wird, wurde zuvor heftig dementiert.
Weiter heißt es: Nur 512 Bedarfsgemeinschaften, also etwa fünf Prozent der Hilfeempfänger, hätten eine Aufforderung zur Mietsenkung erhalten, weil ihre Unterkunftskosten nicht angemessen wären. Während der ehemalige Geschäftsführer der ARGE, Paul Philipps, in Kenntnis der Erhebung gegenüber der Solinger Morgenpost noch am 20.7.06 verkündet hatte, dass „nur 0,6 Prozent der Haushalte eine Aufforderung bekommen hätten, sich eine angemessene Wohnung zu suchen”, geht an anderer Stelle aus der Erhebung hervor, dass in dem selben Zeitraum der Datenerfassung 418 Bedarfsgemeinschaften auf die Höchstgrenze der angemessenen Miet- und Nebenkosten reduziert wurden. Dass es sich bei einer Frist von sechs Monaten zwischen Aufforderung zur Mietsenkung und Reduzierung auf die Höchstgrenzen nicht um die gleichen Bedarfsgemeinschaften handeln kann, entspricht einer gewissen Logik. Zählt man beide Zahlen zusammen, sind das weder 0,6 Prozent noch fünf, sondern etwa zehn Prozent. Berücksichtigt man dann, dass diese Zahlen nur das Ergebnis der erfassten Bedarfsgemeinschaften innerhalb eines halben Jahres darstellen, kommt man auf die von mir hochgerechnete Zahl von 18 bis 24 Prozent der ALG II-Empfänger deren Wohnung gefährdet ist oder war. Ein Teil der 273 wegen nicht angemessener Heizkosten gedeckelten Bedarfsgemeinschaften ist hier eingerechnet. Im Übrigen kommt auch eine Analyse von Finanztest und Stiftung Warentest zu dem Ergebnis, dass etwa 17 Prozent der Bedarfsgemeinschaft von diesem Problem betroffen sind.
Für die Solinger ARGE jedoch lautete die Schlußfolgerung aus ihrer Datenerfassung: Nur wenige haben ein solches „KdU-Problem”. Bei denjenigen, die auf die Höchstsätze reduziert wurden, führe dies zu „keinen nennenswerten Problemen”, weil die Differenzen zwischen tatsächlichen und angemessenen Mietkosten „aus vorhandenen Mehrbedarfszuschlägen, geschütztem Vermögen, Freibeträgen etc. getragen werde”. Dass Mehrbedarfszuschläge, etwa für krankheitsbedingte Ernährung, Alleinerziehende und schwangere Mütter dazu da sein sollen, die Löcher bei der Miete zu stopfen, offenbart schon einen gravierenden Mangel an Sensibilität und Sachverstand beim Umgang mit sozialen Notlagen.

Tacheles Online Redation
Interview vom 12.12.2006

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