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SG GE 25.4.05: im Darlehensfall bei Eigentum keine dingliche Sicherung im Grundbuch

SG GE Beschluss - 25.04.2005 - S 11 AS 15/05 ER

Sozialgericht Gelsenkirchen
Beschluss (nicht rechtskräftig)

Sozialgericht Gelsenkirchen S 11 AS 15/05 ER

Der Antragsgegner wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom
08.03.2005 (Eingang des Antrages bei Gericht) bis zum 31.07.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 80 v.H. des für den Antragsteller einschlägigen Regelsatzes zuzüglich anteiliger und angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung als Darlehen nach weiterer Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers dem Grunde nach zur Hälfte.

Gründe:
Der sinngemäß gestellte Antrag,
den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller bis zu einer Entscheidung
in der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß dem SGB II ab sofort zu gewähren,
hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen war er abzulehnen.

Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Die hier begehrte Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt die Glaubhaftmachung des streitigen Rechtsverhältnisses voraus, aus dem der Antragsteller eigene Rechte - insbesondere Leistungsansprüche - ableitet (Anordnungsanspruch). Ferner ist erforderlich, dass die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) vom jeweiligen Antragsteller glaubhaft gemacht werden. Dies ist im Rahmen einer summarischen Prüfung zu bestimmen (vgl. Grieger, ZfSH/SGB, 2004, 579 [583], Berlit, info also 2005, 3 [4 f.]).

Der Antrag ist zulässig; insbesondere ist ein Rechtschutzbedürfnis gegeben. Zwar fehlt das Rechtschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG in aller Regel, wenn der Antragsteller nicht vorher bei der zuständigen Behörde sein Anliegen vorgetragen bzw. entsprechende Leistungen konkret beantragt hat (vgl. hierzu
Kopp/Schenke, VwGO, 13. Auflage 2003, § 123 Rdnr. 22 mit zahlreichen weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte; Krodel, Das Sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Auflage 2005, Rdnr. 29; Berlitt, info also, 2005, 3 [4]). Der Antragsteller hat zunächst gegen den angefochtenen Bescheid vom 15.12.2004 Widerspruch erhoben und im Rahmen der Widerspruchsbegründung gleichzeitig mitgeteilt, dass er ab 25.01.2005 erwerbstätig sei und vor diesem Hintergrund voraussichtlich seine Bedürftigkeit entfallen werde. Nachdem das
Beschäftigungsverhältnis bereits mit dem 18.02.2005 beendet worden ist, hat er am 08.03.2005 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, wobei eine weitere Befassung des Antragsgegners mit dem Leistungsbegehren aus den Akten nicht ersichtlich ist. Der Vortrag des Antragstellers, er habe unmittelbar nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses beim Antragsgegner vorgesprochen, ist nicht glaubhaft gemacht worden. Gleichwohl ist nach Auffassung der Kammer die erforderliche Vorbefassung des Antragsgegners im Sinne der oben genannten Grundsätze gegeben, weil bereits Widerspruch erhoben und der Antragsgegner mit dem hier streitigen Sachverhalt - der keine wesentlichen Änderungen aufweist - vorab befasst worden war.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch lediglich insoweit glaubhaft gemacht, als nach summarischer
Prüfung im einstweiligen Anordnungsverfahren nur ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung als Darlehen besteht.

Nach § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die
Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zu Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ist Hilfebedürftigkeit. Hilfebedürftig ist, wer unter anderem seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann (vgl. § 9 Abs. 1 SGB II).
Die Nichtaufklärbarkeit dieses anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmals geht zu Lasten desjenigen, der das
Bestehen des Anspruchs behauptet. Dies ist der Hilfebedürftige (vgl. Verwaltungsgericht ( VG -
Gelsenkirchen, Beschluss vom 20.03.2000 ) Az.: 3 L 351/00 zu § 11 Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG -). Gemäß § 9 Abs. 4 SGB II ist hilfebedürftig auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde; in diesem Falle sind die Leistungen als Darlehen zu erbringen.

Nach summarischer Prüfung geht die Kammer davon aus, dass an sich ein Hilfebedarf des Antragstellers besteht.
Von einem solchen Hilfebedarf geht offensichtlich auch der Antragsgegner aus, der mit Schriftsatz vom 20.04.2005
ausgeführt hat, dass er die Gewährung eines Darlehens nach § 9 Abs. 4 SGB II in Betracht ziehe und ferner mitgeteilt hat, dass Voraussetzung für die Gewährung des Darlehens die Abgabe einer bereits vorbereiteten Erklärung zur Grundschuldbestellung sei. Für einen Hilfebedarf spricht nicht zuletzt die - wenn auch vorläufige - Berechnung des Antragsgegners vom 10.03.2005, mit der er einen monatlichen Fehlbedarf von mindestens 500,00 EUR ermittelt hat wie auch der Umstand, dass das Girokonto des Antragstellers am 12.04.2005 mit mehr als 2.000,00 EUR überzogen war. Durchgreifende Anhaltspunkte für andere - bislang nicht offen gelegte - Einkommensquellen liegen dem Gericht nicht vor.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Kläger und seine Ehefrau Eigentümer eines Grundstücks mit einem
selbst bewohnten und vermieteten Mehrfamilienhaus mit sechs Wohnungen sowie einer Freifläche mit einer Größe von 932 qm sind (Grundstück Mstraße 00, Grundbuch I Gemarkung I Flur 0, Flurstücke 000, 000 und 0000), die Vermögen im Sinne des § 12 SGB II darstellen. Während die Kammer davon ausgeht, dass eine wirtschaftlich sinnvolle Verwertung des mit dem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstückes - insbesondere die Umwandlung in Eigentumswohnungen - nicht möglich ist, spricht nach summarischer Prüfung nach Auffassung der Kammer
jedenfalls nicht mehr dagegen als dafür, dass die Freifläche - deren Verkehrswert von der Stadt H(
Vermessungs- und Katasteramt) mit 65.000,00 EUR eingeschätzt worden ist - veräußert werden kann.
Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller und seine Ehefrau im Falle einer Bebauung nach § 5 Nr.
1 des Grundstückskaufvertrages vom 13.10.1999 verpflichtet sind, die Hälfte des Verkehrswertes dieses Grund und
Bodens zum Zeitpunkt der Bebauung abzüglich des damals entrichteten Kaufpreises von 30,00 DM pro Quadratmeter zu entrichten und dieser Anspruch mit einer Auflassungsvormerkung (§ 883 Abs. 1 BGB) gesichert
ist. Auch wenn es sich bei der Freifläche um berücksichtigungsfähiges Vermögen handeln dürfte, das in absehbarer Zeit tatsächlich verwertbar ist, geht die Kammer von der Unmöglichkeit des sofortigen Einsatzes aus. Denn
typischerweise ist eine wirtschaftlich sinnvolle Grundstücksveräußerung nicht "von heute auf morgen" durchführbar (vgl. hierzu Brühl in LPK -SGB II, § 9, Rdnr. 41 m.w.N.). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der - allgemeinbekannt - angespannten Verhältnisse auf dem Immobilienmarkt. Angesichts dessen sind die Voraussetzungen des § 9 Abs. 4 SGB II erfüllt.

Nach alledem sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen zu erbringen. Entgegen der
Auffassung des Antragsgegners ist das Darlehen ohne Gewährung von Sicherheiten zu gewähren. Dies erklärt sich
vor dem Hintergrund, dass die Vergabe des Darlehens durch § 9 Abs. 4 SGB II als sogenannte "Ist-Leistung" ausgestaltet worden ist. Nach Ansicht der Kammer hat der Gesetzgeber die Absicherung des Rückzahlungsanspruchs im Rahmen des SGB II nicht für erforderlich gehalten. Hierfür spricht auch der Vergleich mit § 91 des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB XII). Nach § 91 Satz 1 SGB XII ist die Gewährung von Sozialhilfe als Darlehen unter anderem bei Unmöglichkeit der sofortigen Verwertung von Vermögen nicht als "Ist-Leistung", sondern als "Soll-Leistung" ausgestaltet. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber durch § 91 Satz 2 SGB XII angeordnet, dass im Recht der Sozialhilfe die Leistungserbringung davon abhängig gemacht werden kann, dass der Rückzahlungsanspruch dinglich oder in anderer Weise gesichert wird. Diese Gesichtspunkte sprechen dafür, dass es sich bei den Unterschieden zwischen § 91 SGB XII und § 9 Abs. 4 SGB II nicht lediglich um ein sogenanntes "Redaktionsversehen" des Gesetzgebers gehandelt haben kann. Im Übrigen ist im SGB II - anders als im SGB XII (z.B. § 17 Abs. 2 SGB XII) - keine weitere Ermessensermächtigung erkennbar, aus der die Berechtigung zur Einforderung von Sicherheiten abzuleiten wäre (vgl, Brühl in LPK-SGB XII, § 9, Rn. 43, m.w.N.).

Schließlich hat der Antragsteller auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn Eilbedürftigkeit im Sinne einer dringenden und gegenwärtigen Notlage, die eine sofortige Entscheidung
unumgänglich macht, glaubhaft gemacht worden ist (vgl. hierzu Verwaltungsgericht - Gelsenkirchen,
Beschluss vom 06.11.2000 - Az.: 3 L 2178/00 und Beschluss vom 23.01.2003 - Az.: 2 L 2994/02, m.w.N.).
Aufgrund der derzeitigen Einkommens- und Vermögensver-hältnisse des Antragstellers ist dieser offensichtlich auf
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes dringend angewiesen. Dies ergibt sich nicht zuletzt vor dem
Hintergrund, dass sein Konto am 12.04.2005 mit mehr als 2000,00 EUR überzogen.
Da im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Vorwegnahme der Hauptsache in der Regel nicht zulässig ist,
erscheint es angemessen und ausreichend, dem Antragsteller Leistungen des für ihn maßgeblichen Regelsatzes in
Höhe von 80 % als Darlehen einstweilen zu gewähren. Im Hinblick auf etwaige Veräußerungsbemühungen, aber
auch hinsichtlich weiterer notwendiger Ermittlungen - insbesondere die Ermittlung des Verkehrswertes der hier
streitigen Flächen - hat die Kammer im Rahmen der einstweiligen Regelung eine Befristung bis zum 31.07.2005
vorgenommen.
Bei der auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung hat die Kammer
berücksichtigt, dass der Antrag insoweit erfolgreich war, als die Erbringung von Leistungen als Darlehen ohne
Verpflichtung zur Bestellung von (dinglichen) Sicherheiten anzuordnen war.

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