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SG GE 08.03.05: bei fehlernder Belehrung keine Sanktion

SG GE Beschluss - 08.03.2005 - S 11 AS 7/05 ER

Sozialgericht Gelsenkirchen

Beschluss (nicht rechtskräftig)

Sozialgericht Gelsenkirchen S 11 AS 7/05 ER

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 16.02.2005 gegen den Bescheid der
Antragsgegnerin vom 03.02.2005 wird bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens angeordnet. Die
Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:
Der vom Antragsteller gestellte Antrag,
den Bescheid des Antragsgegners vom 03.02.2005 dahingehend einzuschränken, dass die sofortige Vollziehung der Ablenkung aus dem oben angegeben Bescheid bis zur Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers
vom 16.02.2005 vorläufig ausgesetzt wird, wird vom Gericht dahingehend ausgelegt (§ 123 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 16.02.2005 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 03.02.2005 bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens angeordnet werden soll.

Der so verstandene Antrag hat Erfolg.
Geeignete Antragsart ist hier der Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG. Denn bei dem Bewilligungsbescheid
vom 23.12.2004 - mit dem dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der
angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 19 Satz 1 Nr. 1 des 2. Buches des Sozialgesetzbuches -
SGB II - für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.09.2005 bewilligt worden sind, handelt es sich um einen sogenannten
Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der sich nicht nur auf eine einmalige Leistungsbewilligung beschränkt. Nachdem
der vom Antragsteller erhobene Widerspruch gegen den Absenkungsbescheid vom 03.02.2005 gemäß § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung entfaltet, war die aufschiebende Wirkung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
anzuordnen (vgl. hierzu auch Berlit in LPK-SGB II, § 31, Rdnr. 123 ff., m.w.N.).
Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen - wie
hier - Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz
oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. der Anfechtungsklage ist anzuordnen,
wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass dem privaten Aussetzungsinteresse gegenüber dem öffentlichen
Vollzugsinteresse der Vorrang einzuräumen ist. Im Vordergrund steht hierbei eine Prüfung der Erfolgsaussichten
der Hauptsache. Auch wenn das Gesetz keine materiellen Kriterien für die Entscheidung nennt, ist davon
auszugehen, dass die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und/oder Anfechtungsklage in den Fällen anzuordnen ist, in denen eine summarische Prüfung ergibt, das der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist (vgl. Düring in Jansen, SGG, 1. Auflage 2004, § 86 b, Rdnr. 6, Berlit, a.a.0., § 31, Rdnr. 124, beide m.w.N.). Die Kammer hatte vorläufigen Rechtsschutz in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu gewähren, weil sie nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zu der Überzeugung gelangt ist, dass gewichtige Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von der Antragsgegnerin verfügten Absenkung bestehen.

Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller die ihm mit Bescheid vom 02.09.2004 zugewiesene gemeinnützige Arbeit ab dem 22.11.2004 ohne wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht weiter ausgeführt hat (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1d) SGB II). Denn der Antragsteller ist vor dem von der Antragsgegnerin geltend gemachten Pflichtverstoß nicht im Sinne des § 31 Abs. 6 Satz 4 SGB II belehrt worden. Absenkung und Kürzung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes setzen stets eine Rechtsfolgenbelehrung voraus. Diese hat Warn- und Erziehungsfunktion, darf sich nicht in einer bloßen Formalie oder formelhaften Wiederholung des Gesetzestextes erschöpfen und muss darüber hinaus konkret, eindeutig, verständlich, verbindlich und rechtlich zutreffend die unmittelbaren und konkreten Auswirkungen eines bestimmten Handelns vor Auge führen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 10.12.1981 - Az.: 7 RAr 24/81, SozR 4100 § 119 AFG Nr. 18). Ihrem Inhalt nach muss die Rechtsfolgenbelehrung über die Absenkung bzw. den Wegfall als solchen belehren sowie auf Beginn, Dauer und den Ausschluss von ergänzenden Sozialhilfeleistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches - SGB XII - hinweisen (§ 31 Abs. 6 Satz 4 SGB II, vgl. auch Berlit, a.a.0., § 31, Rdnr. 65).
Aufgrund der erzieherischen Funktion der Rechtsfolgenbelehrung ist eine dem Pflichtverstoß nachfolgende Belehrung nicht ausreichend (Berlit, a.a.0., § 31, Rdnr. 65).
Mit dem Zuweisungsbescheid vom 02.09.2004 ist der Antragsteller zwar im Sinne des § 25 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz - BSHG - darüber belehrt worden, dass er den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt
verliere, sofern er der Aufforderung zur Verrichtung gemeinnütziger und zusätzlicher Tätigkeiten nicht nachkomme.
Er ist ferner darüber aufgeklärt worden, dass er in einem solchen Fall mit der Kürzung der Hilfe zum Lebensunterhalt bis zur Einstellung der Hilfe rechnen müsse. Diese nach Maßgabe des § 25 Abs. 1 BSHG erteilte Rechtsfolgenbelehrung entspricht allerdings nicht den Anforderungen an eine Rechtsfolgenbelehrung nach § 31 Abs. 6 Satz 4 SGB II. Es fehlen Angaben dazu, dass Absenkung und Wegfall mit Wirkung des Kalendermonats eintreten, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes, der Absenkung und Wegfall feststellt, folgt (vgl. § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB II). Der Antragsteller hätte ferner darüber belehrt werden müssen, dass Absenkung und Wegfall drei Monate dauern (vgl. § 31 Abs. 6 Satz 2) wie auch darauf hingewiesen werden müssen, dass während
Absenkung und Wegfall der Leistung kein Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Vorschriften des SGB XII besteht (vgl. § 31 Abs. 6 Satz 3 SGB II). Schließlich ist er auch nicht über die Absenkung als solche und deren Höhe belehrt worden. Vor dem Hintergrund, dass sich die erteilte Rechtsfolgenbelehrung an den Maßgaben des § 25 Abs. 1 Satz 3 BSHG orientiert, § 31 Abs. 6 Satz 4 SGB II jedoch andere Anforderungen an eine Rechtsfolgenbelehrung als Voraussetzung für eine Absenkungsentscheidung stellt, ist der angefochtene
Bescheid offensichtlich rechtswidrig.
In Konstellationen der vorliegenden Art bedarf es keiner weiteren Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses
mit dem privaten Aussetzungsinteresse, da kein öffentliches Interesse an dem Vollzug offensichtlich rechtswidriger
Bescheide bestehen kann. Ob im Übrigen in anderen Sachverhaltskonstellationen noch im Rahmen des
Abwägungsvorgangs ein besonderer "Anordnungsgrund" zu prüfen ist (vgl. Berlit, a.a.0., § 31, Rdnr. 124) bedarf an
dieser Stelle keiner abschließenden Entscheidung.
Die Kostentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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