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Pro Asyl: Mindestens 23.000 tote Flüchtlinge seit dem Jahr 2000

Liebe Interessierte,

zu der gestrigen Horror-Meldung von PRO ASYL



http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/neue_schaetzung_mindestens_23000_tote_fluechtlinge_seit_dem_jahr_2000/



wonach sich die Zahl der Toten infolge der EU-Abschottungspolitik seit dem 1.1.2000 nach neuesten Datenbank-Recherchen europäischer Journalistinnen und Journalisten auf mehr als 23.000 beläuft (eine Steigerung um 70% gegenüber bisherigen Schätzungen), passt die Nicht-Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion DIE LINKE (Ulla Jelpke u.a.) zu den Todesopfern unter Flüchtlingen an den deutschen bzw. EU-Außengrenzen (im Anhang). Zu Toten der EU-Abschottungspolitik liegen der Bundesregierung „keine amtlichen Erkenntnisse“ vor. Weiter (Frage 6c):
„Aus Sicht der Bundesregierung besteht grundsätzlich kein Bedarf an einer systematischen Erhebung der angefragten Daten. Da jeder bekannt gewordene Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Zuständigkeiten grundsätzlich aufgeklärt wird, ist ein Mehrwert einer derartigen Statistik nicht erkennbar.“



 



Dpa meldete am 26.3.2014 hierzu:



Linke rügt fehlende Erfassung von Todesfällen unter Flüchtlingen



Berlin (dpa) - Die Linke kritisiert eine fehlende Erfassung der Flüchtlinge, die auf dem Weg nach Europa sterben. Die Bundesregierung kümmere sich darum nicht, sagte die Linke-Innenpolitikerin Ulla Jelpke am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. Auf eine Anfrage der Abgeordneten zu den Todesopfern unter Flüchtlingen an den Grenzen Deutschlands und der EU im vergangenen Jahr hatte das Bundesinnenministerium erklärt, hierzu lägen keine amtlichen Erkenntnisse vor. «Dieses demonstrative Desinteresse an den alltäglichen Opfern der EU-Abschottungspolitik spricht Bände», beklagte Jelpke.



In der Antwort des Innenressorts hieß es weiter, die Regierung sei angesichts der schrecklichen Flüchtlingsunglücke wie vor der italienischen Insel Lampedusa tief betroffen. Die Antwort liegt der dpa vor. Allein bei einem Unglück vor der Küste Lampedusas am 3. Oktober 2013 waren mehr als 360 Afrikaner ertrunken.



Betroffenheit zu äußern reicht nach Auffassung der Linken nicht. Jelpke forderte, endlich müssten die toten und vermissten Flüchtlinge systematisch erfasst werden. Grundsätzlich müsse aber die Abschottung der EU ein Ende haben. Nötig seien sichere Einreisewege für schutzsuchende Menschen.



 



Vor einem Jahr (BT-Drs. 17/12308) hatte die Bundesregierung auf die Frage:



„wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass im Rahmen der Tätigkeit der FRONTEX solche Daten systematisch erhoben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, und wenn nein, warum nicht?“, erklärt:
„Die Bundesregierung nimmt grundsätzlich Informationen von internationalen Organisationen wie z. B. Amnesty International, Human Rights Watch oder Pro Asyl zur Kenntnis. Über die im FRONTEX-Konsultativforum für Grundrechts- fragen beteiligten internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen besteht zukünftig ebenfalls die Möglichkeit der Unterrichtung.



Einzelheiten zur Durchführung von gemeinsamen Einsätzen und Regelungen zur Verarbeitung und Speicherung von personenbezogenen Daten durch die EU-Agentur FRONTEX ergeben sich aus der Verordnung (EU) Nummer 1168/2011. Demnach hat FRONTEX ein sehr begrenztes und zweckgebundenes Mandat zur Erfassung von personenbezogenen Daten.



Die Übertragung von Zuständigkeiten von den Mitgliedstaaten an die Europäische Union bzw. seine Organe und Einrichtungen ergeben sich aus dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit sowie dem System der ausschließlichen, der geteilten und der ergänzenden Zuständigkeiten. Die Erhebung und gegebenenfalls die Weitergabe von Daten aus FRONTEX-koordinierten Einsätzen unterliegen den jeweiligen nationalen Bestimmungen der Mitgliedstaaten, in denen der Einsatz stattfindet.“



 Damit ist das (Des-) Interesse der Bundesregierung an einer genauen Erfassung der Toten der von ihr maßgeblich mit zu verantwortenden EU-Abschottungspolitik wortreich umschrieben…



 Der Begründung eines Antrags der LINKEN vom 25.4.2007 (BT-Drs. 16/5109) sind folgende Hinweise und Quellen zur Zahl der EU-Grenztoten zu entnehmen:



„Es muss mit einer erschreckenden Zahl von mindestens 20 000 bis 30 000 Todesopfern an den EU-Außengrenzen seit Anfang der 90er Jahre gerechnet werden: Nach Angaben der Regionalregierung der Kanaren gab es allein im Jahr 2006 auf dem Weg zu den Kanarischen Inseln ca. 6 000 Tote (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/ 24336/1.htmlUnter Einbezug einer Dunkelziffer kommt Helmut Dietrich von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) auf die geschätzte Zahl von 12 000 bis 14 000 Toten von 1991 bis 2004 in der Meerenge von



Gibraltar (vgl.: „AusgeLAGERt. Exterritoriale Lager und der EU-Aufmarsch an den Mittelmeergrenzen“, Hrsg.: Niedersächsischer Flüchtlingsrat/FFM/Komitee für Grundrechte und Demokratie, Bockenem 2005, S. 37).“



Die dritte Forderung dieses sieben Jahre alten Antrags lautete übrigens: „Die Dublin-II-Verordnung wird so geändert, dass Flüchtlinge die eigenständige Wahl ihres Aufnahmelandes ermöglicht wird“…



Die Bundesregierung antwortete zudem auf eine Kleine Anfrage der LINKEN (Ulla Jelpke u.a.) zu einer „Europäischen Polizeioperation („Perkünas“) zur Erfassung der Reisewege von Migranten ohne Aufenthaltsstatus im Schengenraum und zu Fragen der Rechtmäßigkeit von Polizeikontrollen zur Feststellung unerlaubten Aufenthalts“. Die Antwort liegt nunmehr als BT-Drucksache vor (anbei).
Ulla Jelpke beklagte die mit solchen Kontrollen verbundene Illegalisierung und Inhaftierung von Flüchtlingen sowie damit verbundene Kontrollmethoden (racial profiling) und kommentierte in einer Pressemitteilung:



http://www.ulla-jelpke.de/news_detail.php?newsid=2897



http://www.ulla-jelpke.de/gfx/roterpunkt.gifPressemitteilung: Asylsuchende im Fadenkreuz der Bundespolizei

Fr., 28.03.2014:
„Bei anlasslosen Personenkontrollen durch die Bundespolizei geraten vor allem Menschen ins Fadenkreuz, die in Deutschland oder anderen EU-Staaten Asyl suchen“, erklärt Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, zur Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (BT-Drs 18/709). Jelpke weiter:

„Im Rahmen der Europäischen Polizeioperation Perkunas, mit der EU-weit nach Migranten ohne Aufenthaltspapiere gefahndet wurde, stellte die Bundespolizei in der Zeit vom 30. September bis zum 13. Oktober 2013 1.606 Personen ohne Einreise- oder Aufenthaltserlaubnis fest. 715 (44,6 Prozent) dieser Menschen stellten nach Angaben der Bundesregierung bei oder nach der Kontrolle einen Antrag auf Asyl. 746 (46 Prozent) gaben an, auf der Durchreise in einen anderen EU-Staat zu sein. Die festgestellten Personen stammten aus den aktuellen Hauptherkunftsländern von Asylsuchenden in Deutschland, allen voran Syrien (520). Im gesamten Jahr 2013 wurden im Inland etwa 377.000 anlasslose Personenkontrollen durch die Bundespolizei durchgeführt. Dabei wurde in 25.000 Fällen ein Verdacht auf illegalen Aufenthalt oder illegale Einreise festgestellt.
Auf ihrer Ein- oder Durchreise werden diese schutzsuchenden Menschen durch die Kontrollen und Anzeigen der Bundespolizei kriminalisiert. Es droht Inhaftierung, bevor die Betroffenen die Möglichkeit hatten, einen Asylantrag zu stellen. In der Folge kommt es zur Inhaftierung Asylsuchender - ein klarer Verstoß gegen Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention. Die Kontrollen führen zu racial profiling und zur Kriminalisierung von Asylsuchenden. Sie müssen endlich abgeschafft werden.“



In einem zweiten Teil der Anfrage (ab Frage 14, siehe auch die Vorbemerkung) wird problematisiert, dass deutsches Recht und deutsche Kontrollpraktiken mit EU-Recht und der Rechtsprechung des EuGH unvereinbar sind. Der Gerichtshof hatte in zwei Urteilen („Melki“ und „Adil“) klare rechtliche Vorgaben angemahnt, mit denen in der Praxis verhindert werden kann, dass es insbesondere an den EU-Binnengrenzen und im grenznahmen Raum zu Kontrollen kommt, die die Wirkung von (verbotenen) Grenzkontrollen haben. Diese gibt es im deutschen Recht offenkundig nicht.



 Die Bundesregierung weicht den konkreten Fragen zu den Rechtsprechungsvorgaben des EuGH aus (vgl. Fragen 19-21), sie möchte die Flexibilität von Polizeikontrollen angesichts der „dynamischen Kriminalitätsentwicklung“ nicht eingeschränkt wissen.



Darüber hinaus gibt es folgende Informationen:
- Frage 14: Zum Melki-Urteil des EuGH vom 22.6.2010 gab es einen Erlass des Bundespolizeipräsidiums, der aber nicht (wie erbeten) im Wortlaut zitiert wird. Infolge des Adil-Urteils vom 19.7.2012 gab es offenbar keinen weiteren Erlass. Allerdings befänden sich die „Bestimmungen zur grenzpolizeilichen Aufgabenwahrnehmung“ und ein „Lehrbrief für Befragungen und Identitätsfeststellungen“ „derzeit in Überarbeitung“ – „auf Grund europäisch determinierter Änderungen und Ergänzungen hinsichtlich einreise- und aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen“ – hierzu hätten wir gerne Mehr und Konkretes erfahren…



- Frage 14/15: Außer allgemeinen Vorgaben gibt es keine konkreten Regelungen, die verhindern, dass Polizeikontrollen den Charakter oder die Wirkung von Grenzkontrollen annehmen – der Verweis auf eine „kontinuierliche Aus- und Fortbildung der Beamten der Bundespolizei“ und die „Dienst- und Fachaufsicht“ könnte unkonkreter nicht sein…



- Frage 24: Eine Nachfrage ergibt, dass nach Ansicht der EU-Kommission polizeiliche Befugnisse an der deutsch-tschechischen Grenze unionsrechtswidrig ausgeübt wurden – die Kommission akzeptierte auch nicht die Ausführungen der Bundesregierung hierzu und will die Situation im Grenzraum weiter beobachten.



Klare Regelungen wie in den Niederlanden zur Beschränkung von Polizeikontrollen, zur Sicherstellung von EU-Recht und zur Vermeidung von racial profiling lehnt die Bundesregierung ab (Frage 22).



 

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