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Jahresarchiv
Presseberichte über die Aufhebung des Todesurteils gegen Erna Wazinski auf Veranlassung von Helmut Kramer (FR 22.3.91)
Freispruch doch Nazi Urteil ist nicht nichtig
Hingerichtete Frau rehabilitiert / Zeugen erzwangen Wiederaufnahme von Sondergerichtsurteil
Quelle: Frankfurter Rundschau v. 22.3.1991
Von unserem Korrespondenten Eckart Spoo
BRAUNSCHWEIG, 21. März. Eine junge Arbeiterin, die im Oktober 1944 nach einem Urteil des Sondergerichts Braunschweig mit dem Fallbeil hingerichtet wurde, weil sie nach einem Bombenangriff fremde Gegenstände aus den Trümmern an sich genommen hatte, ist jetzt vom Landgericht Braunschweig in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen worden. Damit errangen die Braunschweiger Juristen Helmut und Barbara Kramer, die sich seit über 25 Jahren bemühten, anhand dieses Falls die Rechtsprechung der Sondergerichte aufzurollen einen wichtigen Erfolg. Das Gericht weigerte sich jedoch, das Urteil der NS-Justiz für nichtig zu erklären.
Erna Wazinski war 19 Jahre alt, als die Wohnung verbrannte, in der sie mit ihrer Mutter gelebt hatte. Sie verlor ihre ganze Habe. Wenige Tage später wurde sie wegen angeblicher Plünderung verhaftet, mißhandelt und innerhalb von 18 Stunden zum Tode verurteilt. Landgerichtsrat Walter Lerche unterschrieb das Urteil.
Einstige Hinrichtungsstätte im Strafgefängnis
Wolfenbüttel. Dieser nichtssagende Backsteinbau
aus dem späten 19. Jahrhundert, der seit April 1990
als Gedenk- und Dokumentationsstätte mit einer
Ausstellung zur nationalsozialistischen Justiz dient,
war zunächst Magazinraum, dann Schlosserei und
wurde im Herbst 1937 in Vorbereitung des Krieges zur
Hinrichtungsstätte umgebaut. Hier verloren
von 1937 bis 1945 über 600 Menschen das Leben.
Auf Antrag der Mutter kam es 1952 zu einer neuen Verhandlung, in der das Landgericht Braunschweig die Todesstrafe in eine Freiheitsstrafe umwandelte. Damit wollte sich die Mutter nicht abfinden, doch zwei weitere Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens blieben 1960 und 1966 ohne Erfolg. Zur Begründung schrieb der - inzwischen zum Bundesgerichtshof gewechselte - Richter Henning Pieper, die in der "Volksschädlingsverordnung" von 1939 angedrohte Todesstrafe könne nicht als schlechthin "unverbindliches, unsittliches Gesetzesrecht" angesehen werden. Nachdem Helmut Kramer den Fall an die Öffentlichkeit gebracht hatte, meldeten sich Zeugen, die eindeutig bestätigten, daß Erna Wazinski in den Trümmern Sachen geborgen habe, von denen sie glaubte, daß sie ihren Eltern gehörten. Sie habe intensiv nach ihrer Mutter gesucht, und auch nach einem Nachbarn, dessen Eigentum einige Gegenstände hätten sein können.
Kammervorsitzender Gerhard Eckeis, der jetzt das Wiederaufnahmeverfahren leitete, lehnte es ab, Barbara Kramer als Verteidigerin zuzulassen, weil sie befangen sei. Sie habe sich "schon zu lange mit der Sache befaßt", sagte er am Donnerstag der FR. Er bestellte einen Pflichtverteidiger, der ebenso wie die Staatsanwaltschaft gegen die von Kramer geforderte Nichtigkeitserklärung plädierte. Kramer sagte, im Falle Wazinski sei ein nachträglicher Freispruch nur möglich geworden, weil sich trotz des Zeitabstandes noch Zeugen gefunden hätten. Es komme aber aus zwei Gründen darauf an, derartige Sondergerichtsurteile für nichtig zu erklären: Erstens, weil sie auf der "Volksschädlingsverordnung" beruhten, die für Bagatellsachen die Todesstrafe vorsah, zweitens, weil damalige Verfahren nicht auf rechtsstaatliche, sondern auf verbrecherische Weise geführt worden seien
Der Fall Wazinski beschäftigt auch die Braunschweigische Evangelische Landeskirche. Richter Eckels, zugleich Präsident der Landessynode, teilte mit, ein Ausschuß der Kirchenleitung werde sich mit dem Wirken des einstigen Richters Lerche befassen. Nach dem Krieg brachte Lerche es zum zweiten Präsidenten der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Wie sich inzwischen herausstellte, war er an mindestens 15 Todesurteilen beteiligt (Az: 39 KLs 703 (1 Sond) KLs 231/44).
Hingerichtete Frau rehabilitiert / Zeugen erzwangen Wiederaufnahme von Sondergerichtsurteil
Quelle: Frankfurter Rundschau v. 22.3.1991
Von unserem Korrespondenten Eckart Spoo
BRAUNSCHWEIG, 21. März. Eine junge Arbeiterin, die im Oktober 1944 nach einem Urteil des Sondergerichts Braunschweig mit dem Fallbeil hingerichtet wurde, weil sie nach einem Bombenangriff fremde Gegenstände aus den Trümmern an sich genommen hatte, ist jetzt vom Landgericht Braunschweig in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen worden. Damit errangen die Braunschweiger Juristen Helmut und Barbara Kramer, die sich seit über 25 Jahren bemühten, anhand dieses Falls die Rechtsprechung der Sondergerichte aufzurollen einen wichtigen Erfolg. Das Gericht weigerte sich jedoch, das Urteil der NS-Justiz für nichtig zu erklären.
Erna Wazinski war 19 Jahre alt, als die Wohnung verbrannte, in der sie mit ihrer Mutter gelebt hatte. Sie verlor ihre ganze Habe. Wenige Tage später wurde sie wegen angeblicher Plünderung verhaftet, mißhandelt und innerhalb von 18 Stunden zum Tode verurteilt. Landgerichtsrat Walter Lerche unterschrieb das Urteil.
Einstige Hinrichtungsstätte im Strafgefängnis
Wolfenbüttel. Dieser nichtssagende Backsteinbau
aus dem späten 19. Jahrhundert, der seit April 1990
als Gedenk- und Dokumentationsstätte mit einer
Ausstellung zur nationalsozialistischen Justiz dient,
war zunächst Magazinraum, dann Schlosserei und
wurde im Herbst 1937 in Vorbereitung des Krieges zur
Hinrichtungsstätte umgebaut. Hier verloren
von 1937 bis 1945 über 600 Menschen das Leben.
Auf Antrag der Mutter kam es 1952 zu einer neuen Verhandlung, in der das Landgericht Braunschweig die Todesstrafe in eine Freiheitsstrafe umwandelte. Damit wollte sich die Mutter nicht abfinden, doch zwei weitere Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens blieben 1960 und 1966 ohne Erfolg. Zur Begründung schrieb der - inzwischen zum Bundesgerichtshof gewechselte - Richter Henning Pieper, die in der "Volksschädlingsverordnung" von 1939 angedrohte Todesstrafe könne nicht als schlechthin "unverbindliches, unsittliches Gesetzesrecht" angesehen werden. Nachdem Helmut Kramer den Fall an die Öffentlichkeit gebracht hatte, meldeten sich Zeugen, die eindeutig bestätigten, daß Erna Wazinski in den Trümmern Sachen geborgen habe, von denen sie glaubte, daß sie ihren Eltern gehörten. Sie habe intensiv nach ihrer Mutter gesucht, und auch nach einem Nachbarn, dessen Eigentum einige Gegenstände hätten sein können.
Kammervorsitzender Gerhard Eckeis, der jetzt das Wiederaufnahmeverfahren leitete, lehnte es ab, Barbara Kramer als Verteidigerin zuzulassen, weil sie befangen sei. Sie habe sich "schon zu lange mit der Sache befaßt", sagte er am Donnerstag der FR. Er bestellte einen Pflichtverteidiger, der ebenso wie die Staatsanwaltschaft gegen die von Kramer geforderte Nichtigkeitserklärung plädierte. Kramer sagte, im Falle Wazinski sei ein nachträglicher Freispruch nur möglich geworden, weil sich trotz des Zeitabstandes noch Zeugen gefunden hätten. Es komme aber aus zwei Gründen darauf an, derartige Sondergerichtsurteile für nichtig zu erklären: Erstens, weil sie auf der "Volksschädlingsverordnung" beruhten, die für Bagatellsachen die Todesstrafe vorsah, zweitens, weil damalige Verfahren nicht auf rechtsstaatliche, sondern auf verbrecherische Weise geführt worden seien
Der Fall Wazinski beschäftigt auch die Braunschweigische Evangelische Landeskirche. Richter Eckels, zugleich Präsident der Landessynode, teilte mit, ein Ausschuß der Kirchenleitung werde sich mit dem Wirken des einstigen Richters Lerche befassen. Nach dem Krieg brachte Lerche es zum zweiten Präsidenten der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Wie sich inzwischen herausstellte, war er an mindestens 15 Todesurteilen beteiligt (Az: 39 KLs 703 (1 Sond) KLs 231/44).