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Jahresarchiv

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Offener Brief zur Reportage „ARD-Exclusiv - „Arbeit, nein, danke!

Elke Groß. Ehlentruper Weg 64. 33604 Bielefeld

ARD Programmdirektion
Erstes Deutsches Fernsehen
Arnulfstr. 42

80335 München

Offener Brief zur Reportage „ARD-Exclusiv- „Arbeit, nein, danke! Scheitern mit Hartz IV“ von Rita Knobel-Ulrich (ARD, 24.08.05)

Sehr geehrte Damen und Herren,

es ist interessant, dass gerade in Zeiten anstehender Wahlen „Dokus“ über die Bildschirme der bundesdeutschen Haushalte flimmern, die in ihrer Berichterstattung propagandistisch, einseitig und undifferenziert ausgerichtet sind.

Während der gesamten Zeit war Ihre Reportage durchzogen vom per Television transportierten Feindbild des faulen und asozialen Arbeits-losen. Gezeigt wurde in Pauschalmanier der Langzeitarbeitslose, der auf Kosten der (arbeitenden) Allgemeinheit lebt und lediglich keine Lust zum Arbeiten hat. Gezeigt wurde der Langzeitarbeitslose, der vom Staat „ge-füttert“ wird, selbigen betrügt und in der
„sozialen Hängematte“ ein be-quemes Leben führt, weil er zu den Regelleistungen noch viele Extra- Zuwendungen ein-streicht. Zudem wurde der Zuschauer darüber aufgeklärt, dass man mit Hartz IV fast reich werden, zumindest richtig gut leben kann, wenn man es nur geschickt anstellt. Spätestens jetzt glaubt jeder zu wissen, dass es den Betroffenen noch viel zu gut geht und Schritte wie die mit in der Doku einhergehenden Botschaft zur Einführung von Minimalstversorgung- wie z.B. mit Lebensmittelgutscheinen und die Verabschiedung vom Sozialstaat durch die längst fällige Beerdigung jeglicher Sozialromantik unbedingt zu bejahen sind.

Die durch die Art Ihrer Berichterstattung zu vermutenden Extra-Leistun-gen - wie z.B. eine Übernahme anfallender Telefon- und Stromkosten oder die automatisch fließend anmutenden Kindergeldzahlungen- gibt es so gar nicht. Telefongebühren und Strom sind vom Regelsatz zu beglei-chen, Kindergeld wird als Einkommen mit auf das ALG II angerechnet. Vielmehr sind steigende Energiekosten und der Wegfall der ehemaligen Beihilfen für Sonderanschaffungen nach dem BSHG wie z.B. für Beklei-dung und kaputte Haus-haltsgeräte bei gleichzeitig verschärften Einkommensan-rechnungen für Menschen unter Hartz IV bittere Realität.

Die Reportage wird durch die glorifizierende Darstellung der 1,- Euro-Jobs als Eintrittspforte in den ersten Arbeitsmarkt in weiterer Weise ad absurdum geführt. Sie vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass der 1-Euro- Job das Problem der Arbeitslosigkeit nicht beseitigt, sondern forciert, da er keine Arbeitsplätze schafft, sondern selbige durch Lohndumping und Verdrängung regulärer Arbeits-plätze vernichtet (z.B. der Maler auf 1-Euro-Basis in der gemeinnützigen Einrichtung). Der 1-Euro-Job beseitigt auch deshalb nicht das Problem der Arbeitslosigkeit, weil der Betroffene unter dessen ½-jährlichen Befristung und 1-Euro-Hinzuverdienst zum ALG II seine Existenz nicht eigenständig sichern kann. Die weitere Abhängigkeit Betroffener von finanziellen Hilfeleistun-gen ist vorprogrammiert und die zusätzlich staatlich finanzierten Zuwen-dungen für Anbieter von 1 Euro-Jobs bedeuten eine Erhöhung der Staatslast. Die durch Massenentlassungen, Firmenschließungen und Auslands-verlagerungen resultierende Arbeitsplatzvernichtung und weitere Inkaufnahme von Arbeitslosen war in der Reportage überhaupt kein Thema. Unglaubwürdigkeiten wie der frei-zügige Bericht einer Arbeitslosen, die vor laufender Kamera von ihrer jahrelangen, unentdeckten Schwarzarbeit erzählt und dargestelltes unkooperatives Verhalten, welches unter Hartz IV mit heftigen Sanktionen bedroht ist, bilden weitere Highlights dieser „Doku“.

Durch einseitige und verzerrte Darstellung reiht sich die Reportage ein in den Strom zur Bekämpfung der Arbeitslosen anstelle in den Strom zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Derartiger Journalismus ist eine weitere Erklärung zur Aufkündigung des öffentlichen Interesses an den Betrof-fenen sowie deren Lebenssituation und ein Schlag ins Gesicht. Das allgemeine Totschweigen der Suizide durch Hartz IV spricht in diesem Zusammenhang eine deutliche Sprache. Vor dem Hintergrund tatsächlich bestehender gesellschaftspolitischer Probleme können durch Medienhetze Feindbilder gegenüber bestimmten Gruppierungen und gewollte Meinungen gepflegt werden, um Lobbyisten zu bedienen und sich hier von den Arbeitslosen der Gegenwart und Zukunft zu verabschieden. Gegenüber der Gesellschaft lässt eine der-artige Berichterstattung jedoch jegliches journalistisches Verantwortungsbewusstsein vermissen.

Elke Groß,
im Auftrag der Bielefelder Montagsaktion- Weg mit Hartz IV

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