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Nachträger Bericht zum RberG Prozess in Stuttgart

„In dubio contra victimam!“
- widersprüchliche Botschaften für sozial-politisch Engagierte durch Politik und Rechtsprechung im Internationalen Jahr der Freiwilligen -

2001 ist das „Internationale Jahr der Freiwilligen“. Die Bundesregierung und allen voran Bundesministerin Christine Bergmann werden nicht müde, immer wieder die zunehmende Wichtigkeit des Ehrenamtes zu betonen. Sie haben dazu das Motto „Was ich kann, ist unbezahlbar!“ ausgegeben und weiß auch dieses: "Unschätzbare soziale, politische und auch wirtschaftliche Werte verdanken wir den knapp 22 Millionen Freiwilligen in Deutschland. Dennoch wird ihre Bedeutung häufig unterschätzt; auch, weil dieser unbezahlte und unbezahlbare Einsatz oft unsichtbar bleibt."
Pressemitteilungen des BMFSFJ gab es bereits zuhauf, und es wird ganz sicher weitere geben; die Fraktionen streiten sich im Bundestag über Spendenrecht und fairere Verfahren bei Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Helfer und Helferinnen, die es aller Voraussicht jedoch nicht geben wird.
Ein ungeheuer massives Plädoyer für noch mehr sozialen Kitt ist gegenwärtig im Gange. Und mehr Menschen, die noch mehr sozialen Kitt „produzieren“ sollen, sind auch vonnöten. Das weiß die Politik genau und blendet gleichzeitig ein Faktum aus:
Soziale relevante, konstruktive Arbeit wird in unseren Gesellschaften schlecht oder gar nicht bezahlt. Sozial wenig oder ganz irrelevante, sogar destruktive Arbeit wird gut bis spitzenmäßig bezahlt.
Das soll offensichtlich so bleiben. Daran wird nicht gerüttelt. Es würde das System auch bis in die Grundfesten erschüttern und bleibt daher den Bereichen der Theorie, der Philosophie oder der Vision zugeordnet.

Die Auslassung ist die Botschaft...
Dass dieses regelrechte Gewitter an Pressemitteilungen und immer noch mehr Aufrufen zu noch mehr nicht bezahlten Arbeitseinsätzen bei vielen, seit Jahren aktiven Menschen als purer Zynismus rüberkommt, ist den Absendern eher nicht bekannt. Wie auch? Wer in anderen Gesellschaftsschichten lebt, bekommt von der Realität nur ganz bestimmte, wenige schlaglichtartige Ausschnitte mit.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass beim Thema „Ehrenamt“ und sogar bei den neuen Spendenformularen vor allem die Kategorien „Sport“, „Jugendsport“, „Kunstförderung“ und „Tierschutz“ auftauchen. Von „Kinderschutz“ oder gar „Menschenrechtsschutz“ ist hier nichts zu hören oder zu finden. Diese Kategorien sind nicht vorgesehen. Die in der Regel professionell zu leistende Arbeit von Menschenrechtler/innen ist also unwichtig oder existiert gar nicht?
Wer im Menschenrechtsschutz arbeitet, bekommt durch eine solche Auslassung neben den o.g. Aufrufen zu noch mehr ehrenamtlicher, noch mehr unbezahlter Arbeit im Grunde eine schallende Ohrfeige (kostenfrei) dazu.
Doch damit nicht genug. Sozial relevante, konstruktive Arbeit soll jetzt auch noch strafbar werden!

Wehe denen, die sozial-politisches Engagement ernst nehmen und womöglich konsequent betreiben..
Wer Nicht-Yuppies und Nicht-Gutverdienende oder anderweitig nicht privilegierte Menschen in Rechtssachen berät, steht mit einem Bein im Gefängnis oder sehr fix vor Gericht. So geschehen im März 2001 vor dem Stuttgarter Landgericht. Dafür hergehalten hat ein Nazigesetz aus dem Jahre 1935, das sog. Rechtsberatungsgesetz. Die Stuttgarter Anwaltskammer hatte gegen den Stuttgarter Caritas Verband und Dr. Manfred Hammel, der auch als „Anwalt der Armen“ bekannt ist, eine Klage auf Unterlassung eingereicht. Hammel hatte u.a. so spektakuläre Entscheidungen durchsetzen können, wie die Erlaubnis für „stilles Betteln“ in der Fußgängerzone.
Der Gegenstand der Verhandlung lautete: „Verstoß gegen das Wettbewerbsgesetz in Verbindung mit Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz“.
Mit seinem Einsatz für sozial benachteiligte Menschen soll Dr. Hammel gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßen haben. Das Gesetz befugt in der Tat nur Rechtsanwälte oder zugelassene Rechtsbeistände, Mitbürger/innen in rechtlichen Dingen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Ja, es soll laut OLG Stuttgart (NStZ 1989, 274) sogar jegliche entgeltliche oder unentgeltliche "Betätigung von christlicher Nächstenliebe oder sozialem Engagement" verboten sein!
Damit wäre die Ausrufung des Jahres 2001 zum „Jahr der Freiwilligen“ ein Aufruf zum Rechtsbruch, und wer das Gesetz samt des OLG-Urteils richtig ernst nimmt, sollte seinen Verein auflösen und sich mit der Tatsache vertraut machen, dass Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) sinnfrei und eigentlich verboten sind.
Das mag überspitzt klingen, aber man kann sich nicht auf ein Gesetz berufen und dann nur den Teil herauspicken, der einem gerade zu Pass kommt und den „Rest“ einfach ignorieren. Wenn schon, dann ganz!

„Survival of the fittest“?
Wer sich auf ein Gesetz, das aus einer traurigen Vergangenheit stammt, beruft, handelt unredlich. Die Ausrede, dass der Gesetzgeber das eben hätte ändern müssen, gilt nicht. Unsere historisch gewachsene und immer komplizierter werdende Gesellschaftsstruktur erfordert die Aufmerksamkeit und die Verantwortungsübernahme von allen. So steht es auch den Anwaltskammern frei, politische Lobbyarbeit zu betreiben und dafür Sorge zu tragen, dass Nazirelikte endlich ganz aus der Legislative und Jurisdiktion verschwinden. Das erfordert Engagement, das freilich unbezahlt sein wird.
Der Frontalangriff auf sozial-politisch Engagierte durch eine Anwaltskammer ist jedoch keineswegs der erste Fall dieser Art. Bundesweit werden immer wieder Vereine und Beratungsstellen, aber auch Einzelpersonen mit Verfahren wegen "Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz" terrorisiert und auch sanktioniert. Klagen werden immer dann gerne gegen Einrichtungen oder Einzelpersonen erhoben, wenn sie unbequem sind und sich engagiert für die Belange hilfesuchender (nicht selten völlig mittelloser) Menschen einsetzen.
Die Stuttgarter Anwaltskammer ging aber noch weiter, denn sie kombinierte die Klage mit dem Wettbewerbsgesetz. Ein Skandal par excellence!
Die Sicherung von Besitzständen unter Berufung auf ein Nazigesetz hätte ihnen eigentlich bereits die Schamesröte ins Gesicht treiben müssen. Angesichts der Tatsache, dass kaum ein Anwalt solche Fälle, wie sie auch Dr. Hammel bearbeitet, annimmt, da hier anstatt Geld vor allem Arbeit und Ärger zu „verdienen“ sind, kann man nur mit Unverständnis und Zorn reagieren.

Das Internationale Jahr der Besitzstandswahrung
Schützenhilfe scheinen die Stuttgarter jetzt noch durch die Wiener zu bekommen. So berichtet die Wiener Zeitung (http://www.wienerzeitung.at/frameless/suche.htm?ID=109823), die Wiener Anwaltskammer beklage in ihrem „Wahrnehmungsbericht 1999“, dass private oder staatliche Institutionen wirtschaftlichen Schaden für die Anwälte anrichten würden. Ja, sie gefährdeten die Unabhängigkeit, da sie auch keiner Verschwiegenheitspflicht unterworfen seien. Das ist eine perfide, da verdeckte Unterstellung. Motto: „Wir sind die Guten und Verschwiegenen. Die sind gar nichts; vermutlich erzählen sie alles weiter.“
Der Höhepunkt liegt dann in folgender Aussage:
"Allein in Wien gibt es über 400 Stellen, die kostenlose Rechtsberatung für Frauen anbieten; bezahlt wird das alles aus Mitteln der öffentlichen Hand", so die Berichtsautorin Elisabeth Rech. Und der Kammerpräsident Knirsch stellt schließlich fest, dass dies für die Rechtsanwälte bedrohlich sei! "Zur Unabhängigkeit gehöre auch das wirtschaftliche Überleben", meint Knirsch.
Da fragt man sich – angesichts der Lebensrealität von Frauen, die die o.g. Beratung bekommen – was hier eigentlich knirscht.
Gerade die Frauenorganisationen in Österreich haben durch die Haider-und-Co.-Regierung schon genug gelitten und damit auch die Frauen. Ihre „Rechtsberatungen“ sind, und das wissen nicht nur die Expertinnen, aus purer Not entstanden. Ziele: Menschenrechte für Frauen und der Abbau der Gewalt in der Gesellschaft.
Anwaltskammern haben sich darum bislang einen Kehricht geschert. Wer die Lage kennt, fragt sich zu recht, ob man noch ignoranter und bösartiger argumentieren kann?

Engagement: ja, aber bitte nicht zuviel!
Der Hintergrund für den Stuttgarter Prozess ist entlarvend für die gegenwärtig deutliche Tendenz, NGOs einem „outsourcing“-Prozess zu unterwerfen. Vorausgegangen war ihm die Anzeige eines Richters vom Verwaltungsgericht, der sich durch Dr. Hammel und dessen zahlreiche, qualifizierte Schriftsätze zur Unterstützung sozial benachteiligter Menschen augenscheinlich irritiert und belästigt fühlte. Er trug aus Aktenbeständen eigener und anderer Herkunft „Verdachtsfälle“ zusammen und verpetzte diese an die Staatsanwaltschaft und die Anwaltskammer. Beim Thema ´Datenschutz´ hatte er als Student vermutlich vorlesungsfreie Zeit gehabt. Die Staatsanwaltschaft nahm diese Sache auch noch an und beantragte beim Amtsgericht einen Beschluss zur Hausdurchsuchung.
Man wünschte sich dieses konsequente Verhalten von Richtern und Staatsanwaltschaft im Falle von gewalttätigen Ehemännern!
Glücklicherweise lehnte der zuständige Amtsrichter die Hausdurchsuchung gegen Dr. Hammel und die Stuttgarter Caritas ab.
Spannend ist auch, dass zur allgemeinen Problematik längst Gutachten existieren, die klar aufzeigen, dass Hilfe und Beratung von Sozialhilfeempfängern durch Einrichtungen der Wohlfahrtspflege eben nicht gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßen. Sie wurden ignoriert. Wenn man dann noch bedenkt, dass sich all dies vor dem Hintergrund der Tatsache abspielt, dass Anwälte in der überwiegenden Mehrzahl aus wirtschaftlichen Gründen überhaupt nicht bereit sind, die Rechtsvertretung für solche Fälle zu übernehmen, versteht man nichts mehr oder kommt ins Grübeln. Bei solcher Klientel ist in der Tat nichts zu verdienen. Aber warum dann dieses Theater mit dem Wettbewerbsgesetz?

Knackpunkte des Stuttgarter Prozesses im Landgericht
Der vorsitzende Richter bejahte in der Verhandlung ausdrücklich, dass es ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den hier streitenden Parteien gäbe. Dieses würde schon potentiell bestehen, meinte er. Es sei also nicht nötig, dass dem Rechtsanwalt auch tatsächlich Klientel entgehen würde.
Bei solchen Statements fragt man sich, auf welchem Planeten manche Menschen eigentlich leben. Den Luxus, dass Juristen völlig abgehoben von der Wirklichkeit herumtheoretisieren, kann sich niemand mehr in dieser Welt erlauben. Diese Erkenntnis scheint jedoch noch nicht bis in alle Kreise vorgedrungen zu sein.
Der Vertreter der Anwaltskammer gab nach den einführenden Erklärungen des Richters relativ Unzusammenhängendes von sich. Von der aggressiven Brisanz der schriftlichen Klagebegründung war hier nichts zu spüren; vielmehr erahnte man eher Kompromissbereitschaft.
Der Rechtsanwalt der Caritas begann die Verhandlung mit einer klaren Aussage und zeigte sich deutlich verwundert über die plötzliche Konsensbereitschaft der Kläger. Im Schriftstück der Anwaltskammer würde jedoch etwas anderes stehen.
An dieser Stelle reagierte auch das Publikum (überwiegend bestehend aus NGO-Vertreter/innen), denn in der Tat waren sie deshalb angereist, weil die Anwaltskammer laut mit dem Säbel gerasselt hatte und nun den Eindruck erweckte, als sollte lediglich Niespulver verstreut werden.

Die besondere Stellung der Kirche
Während der Verhandlung machte der Anwalt der Caritas die zentrale Frage deutlich: „Was soll das Ganze eigentlich?“ Er brachte Beispiele aus der Praxis, um „Ausnahmen“, die auch schon vom Richter angesprochen worden waren, zu klären. Es gäbe nicht selten Notstandssituationen – z.B. bei Obdachlosen -, wo es um den Ablauf der Klagefrist ginge und anwaltliche Stellen nicht mehr zu erreichen seien. In Bayern sei das in Ordnung. Niemand würde sich darüber aufregen. Die Sozialträger würden hier helfen; mit den Rechtsanwälten oder deren Kammer gäbe es keine Probleme.
Beim Streit um die Grenzziehung hob er darauf ab, dass die Kirche in der Tat eine besondere Stellung hätte. Sie definiere und organisiere ihre Aufgaben lt. Gesetz selbst. Bei Kollisionen und Notfällen müsse das Selbstdefinitionsrecht der Kirche gelten. Er stimme mit der Theorie, wie sie auch der Richter dargestellt habe, überein. Aber in der Praxis der Notfälle müsse das Selbstdefinitionsrecht und die Freiheit der Kirche vorgehen.

Danach waren die Gegner wieder an der Reihe. Es wurde zum Rückzug geblasen, Passagen der Klageschrift wurden gestrichen, Wiederholungen bestimmten den „Schlagabtausch“: die Grenze sei generell ab Beginn eines Antrags und Verfahrens überschritten. So lautete der Konsens.
Nach derlei Worten protokollierte der Richter die Klagerücknahme, was den Gesamtumfang der ursprünglichen Streitfrage anging. Er meinte, dass ja nun „95 Prozent des Sprengstoffs“ weg seien.
Das war und ist aus allgemeiner NGO-Sicht mit Sicherheit nicht der Fall.
Es bliebe, so der Richter aber weiter, noch die Frage der Notfälle, also der Grenzziehung. Und er bat, „ohne die Instanzen weiter zu bemühen“, darum, dass die Gegner doch ein „Spitzengespräch“ führen sollten. Der Anwalt der Caritas bemerkte auf diese richterliche Bitte hin, dass sie die Anwaltskammer doch genau darum im Vorfeld gebeten hätten.
Der Richter ging dann nochmals auf die Ausnahmefälle, die Nothilfe ein. Das müsse definiert werden. Wenn klar wäre, dass ein erster Schriftsatz als Nothilfe in Ordnung sei – und dann in jedem Fall der Rechtsanwalt aufgesucht würde.
Doch der Anwalt der Kammer schien an dieser Stelle frustriert zu sein und behauptete frank und frei, dass es gar keinen Notfall der beschriebenen Art gäbe (laute Reaktionen im Publikum) und an den gegnerischen Anwalt gerichtet: „... wenn Sie meine Hand nicht ergreifen, dann...“
„Aber ich ergreife doch Ihre Hand“, gab der Caritasanwalt zurück und nannte erneut ganz konkrete Beispiele aus der Lebenswirklichkeit von Menschen, die sich an die Caritas wenden, weil sie keine/n Rechtsanwalt/in finden. „Bei Obdachlosen gibt es keinen, der dazu bereit ist.“
Darauf rief der Präsident der Anwaltskammer, dass dies aber doch ein politisches Problem sei! Ein ebenso schallendes wie zynisches Lachen im Publikum war die Folge.

Der Caritasanwalt machte deutlich, dass sie dann nur eine Alternative hätten, nämlich die Menschen abzuweisen.
An dieser Stelle schaltete sich der beklagte Dr. Manfred Hammel ein und berichtete, dass die von den Anwälten abgewiesenen Sozialfälle in der Regel den Rat bekämen „Gehen Sie zur Caritas“. Die wenigen Anwälte, die für sozial Schwache arbeiten wollten, würden diese dann doch meist nach fünf Minuten rausschicken. Berufsanfänger würden die Fälle nur übernehmen, um überhaupt „mal in´s Geschäft zu kommen.“

Angesichts dieser Berichte aus der wirklichen Welt, reagierte der Präsident der Anwaltskammer mit einer Erzählung, die die sozialen Errungenschaften der Kammer für Sozialprojekte hervorheben sollten; was die Kammer im Interesse der Gemeinschaft so alles tut, erstaunte dann alle Anwesenden. Abschließend skandierte er: „Wir sind ein Berufsstand, der angetreten ist, um den Armen und Entrechteten zu helfen.“
Die Reaktionen im Publikum waren entsprechend. Manche waren sprachlos und schüttelten nur mit dem Kopf, einige lachten auf, andere gaben Unmutsäußerungen von sich.
Die Parteien haben jetzt bis Anfang Mai Zeit, um sich außergerichtlich zu einigen. Sollten sie es nicht schaffen, wird es am 17. Mai um 12 Uhr im Saal 22 des Landgerichts eine richterliche Entscheidung geben müssen.

Knebelung der NGOs im Jahr der Freiwilligen: „Bitte brav sein!“
Niemals zuvor wurden Nichtregierungsorganisationen (NGO) auf derart vielfältige Weise geknebelt wie in dieser Legislaturperiode. Dabei hatte die SPD in aller Öffentlichkeit bei den Koalitionsverhandlungen eben diesen NGOs versprochen, dass ihnen ab jetzt mehr Respekt und Gehör geschenkt werden würde und dass man die ´Erkenntnisresistenz´ der vorigen Regierung nicht fortsetzen wolle. Beispiele, die dagegen sprechen, gibt es zuhauf.
Doch alles ist bedauerlicherweise steigerungsfähig.
So gibt es nach den Castor-Transporten den ernst gemeinten Vorschlag von einigen Innenministern, die Gemeinnützigkeit von Greenpeace und Robin Wood in Frage zu stellen.
Damit haben die Innenminister die Definitionen von „Gemeinnützigkeit“ und „Gemeinwohl“ auf den Kopf gestellt. Wenn sie damit durchkommen, wird gelten: Wer die Macht hat, darf seine speziellen Interessen und persönlichen Sichten auf die Welt zum „Gemeinwohl“ erheben. Diese nun gemeinnützigen Interessen sind damit die Interessen aller. Greenpeace und Robin Wood leisten also „falsche“ gemeinnützige Arbeit, da sie die „falschen Interessen“ vertreten.
Das dahinter stehende Motto lautet: „Nur brave und artige NGOs dürfen die Ehre der Gemeinnützigkeit verliehen bekommen.“ Und hier wird endlich etwas Licht ins Dunkle gebracht. Denn: ganz sicher ist auch nur für sie das „Jahr der Freiwilligen“ gedacht...

Dass NGOs eben gerade nicht „brav und artig“ sein sollen, ist der Mehrzahl der Politikverantwortlichen sicher noch nicht in den Sinn gekommen, weshalb man dringend einen Demokratie-Eignungstest für Politiker/innen einführen sollte, der vor jeder Amtsübernahme absolviert werden muss und in regelmäßigen Abständen zu wiederholen ist. Das wäre auch recht und billig, da sie auf unsere Kosten einen Arbeitsplatz erhalten, was sie mehrheitlich jedoch erfolgreich zu verdrängen scheinen.

Quo vadis, Demokratie?
Was bleibt für die Nichtregierungsorganisationen als vorläufiges Fazit? Für das Verhandlungsergebnis zum Rechtsberatungsgesetz vor dem LG Stuttgart ist zu sagen, dass die Hervorhebung der Sonderstellung der Kirche durch die Caritas für sie selbst vermutlich in Ordnung ist und eine ebenso praktische wie praktikable Lösung darstellt. Aber sie löst das grundsätzliche Problem nicht. So las man dann folgerichtig in der Stuttgarter Zeitung, dass bei der Rechtsberatung für die Caritas eine Ausnahmeregelung gelte. Kompatibel dazu hatte deren Anwalt die Sonderstellung der Kirche auch besonders hervorgehoben.
Ebenso wurde das Rechtsberatungsgesetz als verfassungskonform angesehen, was aber dringend zu bezweifeln wäre. Die in der Verhandlung anwesenden, nicht-kirchlichen NGO-Vertreter/innen fragten sich daher zurecht, warum sie eigentlich gekommen waren. Ihre Anwesenheit war nämlich durchaus als Solidaritätserklärung mit der beklagten Caritas zu verstehen.
Das beanspruchte Selbstdefinitionsrecht für die Kirche und deren Freiheit ginge in Ordnung, wenn da nicht auch noch andere NGOs und Beratungsstellen wären, die mindestens gleichwertige und gleich wichtige Arbeit leisten. Es kann nicht sein, dass Freiheit und Selbstdefinitionsrecht für die Kirche mit JA und für Greenpeace & Co. mit NEIN beantwortet wird.
Mehr noch: Nimmt man die Fachgrenzen überschreitende, kostenlos angebotene Arbeit wirklich als Problemfall an, dann müssten alle Fachkräfte, die in Therapie, Psychologie
usw. ausgebildet sind, kirchliche Träger und andere anzeigen. Dazu bemerkte eine Kollegin aus dem Fachgebiet der Traumatherapie sehr treffend: „Da sie (die Geistlichen) ständig spirituellen Geist um sich haben, scheint es keiner zu merken, daß sie permanent gegen das Heilpraktikergesetz verstoßen. Sie trösten am laufenden Band, sie therapieren unerlaubterweise bis in die tiefsten Winkel einer Seele hinein. Ein schwerer Verstoß gegen das Gesetz der gesetzlich bestimmten Heiler und eine unglaubliche Konkurrenz für Psychotherapeuten und Psychiater!“ Damit stünden alle Geistlichen und für Notfallhilfe tätigen Personen schon wieder mit einem Bein im Gefängnis, da sie permanent gegen das Heilpraktikergesetz, das Wettbewerbsgesetz usw. verstoßen.

Die Anwaltskammer, die zunächst mit Kanonen auf Spatzen geschossen hatte, verkrümelte sich im Laufe der Stuttgarter Verhandlung zusehends. Man muss sich die Frage stellen, auf wessen Kosten dieser Territorialstreit ausgetragen wurde bzw. ausgetragen werden sollte?
Sieht man sich die Probleme dieses Berufsstandes an, wo nicht nur frisch gebackene Anwälte und Anwältinnen erhebliche Probleme haben, ein einigermaßen vernünftiges Auskommen zu finden, so fragt man sich, warum die Kammer - anstatt sich um Probleme des eigenen Berufsstandes zu kümmern – nun auf Sozialträger losgeht, deren Fälle sie ohnehin nicht übernehmen würde. Genau dies gilt auch für die zitierte Wiener Anwaltskammer. Ist es die pure Verzweiflung oder Hilflosigkeit? Wer weiß.

Grundsätzliches ist zum Gesetzgeber und zum Staat zu sagen: Er verweigert sich systematisch und vorsätzlich seiner (sozialen) Verpflichtungen, gibt sie – nun sogar über massive Propaganda - an Institutionen ab, billigt damit Gesetzeswidrigkeiten (wie zu sehen war) und nimmt auch das seit 50 Jahren Wesentliche nicht in Angriff, nämliche eine Entnazifizierung des gesamten deutschen Rechts.
Auch eine Neudefinition von „Arbeit“, die nicht nur aus sozial gerechteren oder philosophischen Gründen längst angebracht wäre, findet nicht einmal ansatzweise statt.
Im Gegenteil!
Das BMFSFJ teilt in einer Pressemeldung vom 29. März 2001 mit: „Die Freiwilligen: das Sozialkapital des neuen Jahrtausends“...

Noch Fragen?
Anwaltskammern sagen uns, dass wir NGO-Vertreter/innen wirtschaftlichen Schaden anrichten und formulieren Unterlassungsklagen; eine Bundesministerin verbreitet, für unsereins gelte der Satz „Was ich tue, ist unbezahlbar!“, wir seien das Sozialkapital des Jahrtausends, und Innenminister beabsichtigen, „bösen“ NGOs die Gemeinnützigkeit zu entziehen.
Wer sich durch so viel Widersprüchliches verwirren lässt, dem kann leider nicht geholfen werden. Auch die besten Traumatherapeut/innen können solche „double-bind“-Botschaften nicht auflösen.

Monika Gerstendörfer,
freie Autorin und Geschäftsführerin der Lobby für Menschenrechte e.V.
gerstendoerfer@lobby-fuer-menschenrechte.de
http://www.lobby-fuer-menschenrechte.de

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