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Klagen gegen Anbieter von Ein-Euro-Jobs

Klage gegen Anbieter von Ein-Euro-Jobs
Arbeitsgelegenheiten: verdi berichtet von Missbrauchsfällen und Rechtsverstößen

Annette Jensen

Weiden/Hamburg (epd). Im bayerischen Weiden ist ein Ein-Euro-Jobber vor Gericht gezogen, um ein Sozialunternehmen zur Einhaltung des Sozialgesetzbuchs II zu zwingen. Außerdem hat die Dienstleistungsgewerkschaft verdi in der Oberpfalz weitere mutmaßliche Missbrauchsfälle publik gemacht. Auch in Hamburg gibt es Vorwürfe, Beschäftigungsträger verstießen im Zusammenhang mit Ein-Euro-Jobs gegen die gesetzlichen Bestimmungen.
Der Kläger Helmut Wagner hatte seit Herbst 2004 für den Malteser Hilfsdienst Behinderte in Weiden transportiert - eine Tätigkeit, für die das Unternehmen ein Entgelt von den Sozialversicherungen erhält. Wagner berichtet, dass es seit Jahren Routenpläne für seine Tour gebe und dass er die meiste Zeit alleine unterwegs gewesen sei. Seine Tätigkeit sei weder karitativ noch zusätzlich gewesen. Folglich liege ein eindeutiger Verstoß gegen die zentralen Bestimmungen für Ein-Euro-Jobs vor, argumentiert der arbeitslose Berufskraftfahrer. "Das war ein ganz normales Arbeitsverhältnis, das auch normal bezahlt werden muss", meint er. Sein Anwalt hat ausgerechnet, dass ihm noch 1.153,20 Euro Lohn zustünden.

Beim Gütetermin Anfang Mai konnten sich der Malteser Hilfsdienst und Helmut Wagner nicht einigen. Den Antrag des Malteser-Vertreters, das Arbeitsgericht für unzuständig zu erklären und die Sache am Verwaltungs- oder Sozialgericht verhandeln zu lassen, schlug fehl. Nun wird es vermutlich Ende Juli vor dem Weidener Arbeitsgericht zum Prozess kommen. Wagner steht inzwischen nicht mehr bei den Maltesern im Dienstplan. Als seine Klage bekannt wurde, habe er nur noch Däumchen drehen dürfen. Wagner fühlte sich gemobbt. "Es war unerträglich. Ich bin dann gegangen", berichtet er. Die Malteserdienststelle wollte sich zu den Vorgängen nicht äußern.

Bisher hat die Arbeitsagentur Wagners Bezüge nicht um 30 Prozent gekürzt, wie es bei abbrechenden Ein-Euro-Jobbern im Gesetz vorgesehen ist. "Ich hoffe, dass der öffentliche Druck ausreicht, das auch auf Dauer zu verhindern", meint der 52-jährige.

In Weiden werden wohl noch weitere Institutionen vor dem Kadi landen. "Es gibt inzwischen drei Feststellungsklagen, ob es sich um Arbeitsgelegenheiten oder um reguläre Jobs handelt", berichtet Luise Nomayo vom verdi-Arbeitskreis Erwerbslose, der inzwischen schon Anfragen aus der ganzen Republik bekommt, wie man effektiv gegen den Missbrauch von Ein-Euro-Jobs vorgehen kann.

Ebenfalls ins Visier geraten ist die Diakonie in Weiden, die einen Werkhof als Beschäftigungsprojekt betreibt. Sie hat der Weidener Postbaugenossenschaft Anfang April einige Ein-Euro-Jobber geschickt. Nach Angaben von verdi wurden die Billigkräfte zur Sanierung von Wohnungen eingesetzt. Ohne Helm und Sicherheitskleidung mussten die Männer Fußböden herausreißen, berichtet Nomayo. Nicht nur die Postbaugenossenschaft habe auf diese Weise massiv Geld gespart, weil sie für die Arbeiter keine Sozialbeiträge abführen musste, kritisiert die Gewerkschafterin. Die Diakonie habe sogar doppelt profitiert: Zum einen überweist die Arbeitsagentur an den "Maßnahmenträger" für jeden Ein-Euro-Jobber neben dem Lohn auch eine Verwaltungsentschädigung von 110 Euro im Monat; zum zweiten vergütete die Wohnungsgesellschaft den Einsatz der Ein-Euro-Jobber mit acht Euro pro Stunde, ohne dass die Beschäftigten davon profitiert hätten.

Diakonie-Chef Friedrich empört: "Die haben uns eine Falle gestellt"

Aus der Sicht von Markus Friedrich, Leiter des Arbeitsförderungszentrums der Diakonie, sieht dagegen alles ganz anders aus: "Da wurde aus einer Mücke ein Elefant gemacht." Arbeitnehmerüberlassung sei eigentlich gar nicht beabsichtigt gewesen. Man habe nämlich gedacht, das Fußbodenholz aus den Wohnungen der Postbaugenossenschaft sei noch brauchbar, um daraus ein Regal für die Diakonie zu bauen. Erst vor Ort sei dann klar geworden, dass das Holz mit Chemikalien verseucht sei und entsorgt werden musste. "Das haben wir dann in Rechnung gestellt." Die Postbaugenossenschaft wollte sich gegenüber epd sozial zu den Vorgängen nicht äußern.

Markus Friedrich meint: "Das Einzige, was vielleicht verwerflich ist, ist dass wir das für eine private Firma gemacht haben." Im Prinzip hätte sich die Diakonie wohl zurückziehen müssen, als klar wurde, dass das Holz für den Regalbau nicht mehr brauchbar sei. "In Zukunft wird es solche Graubereiche nicht mehr geben," versichert er.

Doch Nomayo sieht System im Vorgehen des Werkshofs. "Die bieten in den Zeitungen Bügeldienste, Gartenarbeiten und Schneeschippen an", berichtet sie. Um Beweise zu sammeln, hatte sie einen Bekannten gebeten, beim Werkhof einen Helfer für Waldarbeiten zu ordern. Für die drei Stunden, die die Ein-Euro-Kraft beschäftigt war, sollte der Strohmann 24 Euro bezahlen. Markus Friedrich findet das Vorgehen der verdi-Frau infam: "Uns wurde eine Falle gestellt. Der Anrufer sagte uns, er schaffe es nicht, sein privates Brennholz allein aus dem Wald zu holen." Da habe man dann jemanden hingeschickt. Als der Helfer ankam, habe ihn die Gewerkschafterin gleich fotografiert. Außerdem sei das alles schon im vergangenen Jahr gewesen und Friedrich ist sich nicht einmal sicher, ob der Betreffende tatsächlich ein Ein-Euro-Jobber war oder ein Jugendlicher aus einem anderen Beschäftigungsprojekt. Für ihn ist jedenfalls klar: Die 110 Euro, die die Diakonie für die Verwaltung jedes Ein-Euro-Jobbers von der Arbeitsagentur kassiert, reichen für die notwendige Arbeit auf keinen Fall aus. "Wir haben ja auch Aufwendungen. Bei uns auf dem Werkhof macht zum Beispiel eine Sozialpädagogin Bewerbungstraining", argumentiert Friedrich. Wenn nicht ab und zu zusätzliches Geld in die Kasse käme, "könnten wir gar nichts mehr machen".

Eine solche Perspektive will Daniel Wagner, Pressesprecher beim Diakonischen Werk Bayern, jedoch nicht gelten lassen. "Unsere Mitglieder müssen sich an die gesetzlichen Vorgaben halten." Und die schreiben vor, dass die Tätigkeiten gemeinnützig und zusätzlich sein müssen. Außerdem sei die Aufwandsentschädigung durch die Arbeitsagentur mancherorts sogar noch viel niedriger als in Weiden, berichtet Wagner. Er kenne Einzelfälle, bei denen der Träger nur 30 Euro monatlich für den Verwaltungsaufwand durch den Ein-Euro-Jobber bekomme. Nach einem Gespräch mit Friedrich gibt sich Wagner aber optimistisch, dass die Diakonie in Weiden künftig keine Ein-Euro-Jobber mehr an Private ausleiht und dafür kassiert. "Meines Wissens haben die das jetzt abgestellt und ich gehe davon aus, dass so etwas nicht mehr passieren wird." Auch das Diakonische Werk der EKD in Berlin weist darauf hin: Ein-Euro-Jobs müssen gemeinnützig und zusätzlich sein und dürfen keine reguläre Arbeit verdrängen.

Die dritte Institution in Weiden, die verdi aufs Korn nimmt, ist die Beratungsstelle für Beschäftigungsinitiativen "denk!statt e.V." in Altenstadt an der Waldna. Sie tritt nicht nur als Personal-Service-Agentur, sondern auch als Beschäftigungsträger für Ein-Euro-Jobber auf und vermischt die Bereiche nach Angaben des verdi-Erwerbslosenausschusses. Er wirft der Organisation vor, in mehreren Fällen Ein-Euro-Jobberinnen an ein Altenheim ausgeliehen zu haben, wo sie wie festangestellte Pflegerinnen im Dienstplan standen und arbeiteten. Unter der Bedrohung, bei der "denk!statt" den Job zu verlieren und dann eine Kürzung des Arbeitslosengeldes II zu erleiden, hätten die Frauen unterschreiben müssen, dass sie "zusätzliche" Tätigkeiten verrichteten. Außerdem gibt es nach verdi-Recherchen familiäre Verflechtungen des Führungspersonals von "denk!statt" und den Entscheidern in der zuständigen Arbeitslosenverwaltung. "denk!statt"-Projektleiter Johann Reichenberger wollte sich gegenüber epd sozial nicht zu den Vorwürfen äußern. "Es handelt sich um ein schwebendes Verfahren", begründet er seine Zurückhaltung.

Ein-Euro-Jobber können sich meistens nicht wehren

Dass in Weiden eine solche Häufung von möglichen Missbrauchsfällen öffentlich geworden ist, liegt vermutlich vor allem an der sehr eifrigen Gewerkschaftsinitiative. "Es ist tatsächlich sehr schwierig, Kläger zu finden," berichtet Bernhard Jirku von der verdi-Bundesverwaltung. Nicht nur seien viele Ein-Euro-Jobber froh über den kleinen Zuverdienst zum Alg II und wollten ihn nicht aufs Spiel setzen. Zugleich hätten sie Angst, wenn sie sich gegen bestimmte Ein-Euro-Jobs wehrten, von den Jobcentern beim Alg II gekürzt zu werden.

Vergangene Woche ist nun ein weiterer mutmaßlicher Missbrauchs-Fall aus Hamburg öffentlich geworden: Dort hat die Grone-Schule Ein-Euro-Jobber einfach in Klassenzimmer gesetzt, in denen gelegentlich Unterricht stattfindet; ausreichend Arbeitsgelegenheiten für die insgesamt 900 Ein-Euro-Jobber bietet die Schule nicht. Kritiker sehen darin den Versuch eines Bildungsträgers, sich nach dem Wegbrechen vieler Weiterbildungskurse durch die Bundesagentur für Arbeit über Wasser zu halten.

Was steht sonst noch im Heft epd sozial 24/2005?

Aus dem Fachdienst epd sozial

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