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Gesundheitsreform - Entlastung in Härtefällen

Gesundheitsreform - Entlastung in Härtefällen

1.) Darlehen vom Sozialamt bei Überschreitung der mtl. Belastungsgrenze (6 € / 3 €)
a) Aus der Begründung zu Artikel 28 Buchstabe c des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (Bundestags-Drucksache 15/1525 S. 167):
„Auf Grund der Neuregelung der Zuzahlungen und Belastungsgrenzen für Sozialhilfe¬empfänger im Neunten Abschnitt [des Dritten Kapitels] des SGB V musste § 38 Abs. 2 BSHG gestrichen werden. Damit werden Sozialhilfeempfänger bei den Zuzahlungen des Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung gleichgestellt. Sollte die Belastungsgrenze nach § 62 SGB V in Einzelfällen innerhalb eines kurzen Zeitraumes erreicht werden, können Sozialhilfeträger Kosten darlehensweise übernehmen.“
b) BMGS-Ausschuss-Drucksache 15-0496 v. 26.2.04:
"Kann ein Sozialhilfeempfänger die Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze (ca. 72 bzw. 36 € pro Jahr) nicht aus eigener Kraft aufbringen, kann der Sozialhilfeträger im Einzelfall den Betrag als Darlehen vorschießen (§ 15b i.V.m. § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG) und in den nächsten Monaten - in kleinen Schritten - mit dem Sozialhilfeanspruch verrechnen. Das gleiche Ergebnis lässt sich auch dadurch erreichen, dass eine entsprechende Beihilfe gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG gewährt und diese Leistung durch eine entsprechende Absenkung des Sozialhilfeanspruchs in den nächsten Monaten ausgeglichen wird. Psychisch kranke Hilfeempfänger werden für die Inanspruchnahme der Vorfinanzie¬rungsmöglichkeit über ein Darlehen - wie bei anderen Rechtsgeschäften - ggf. der Hilfe eines Betreuers bedürfen.
Ein Darlehen kann auch Menschen gewährt werden, die wegen geringfügig überschießender Einkommen keine Sozialhilfe erhalten, jedoch in die gleiche Situation geraten können. Das Darlehen ist in diesen Fällen mangels Verrechnungsmöglichkeit ggf. in monatlichen Raten zurückzuzahlen."
c) OVG Lüneburg, Beschluss v. 06.05.2004 - 4 ME 88/04:
Aus der Änderung der Regelsatzverordnung folgt z. B. die Verpflichtung eines Sozialhilfe¬empfängers, Aufwendungen für die Praxisgebühren und die Zuzahlungen für Medikamente bis zur Höhe von 1/12 der für ihn nach § 62 SGB V geltenden Belastungsgrenze monatlich aus dem Regelsatz zu decken.
Der Senat hat § 1 Abs. 1 Satz 2 der Regelsatzverordnung dahingehend ausgelegt, dass in dem monatlich zu gewährenden Regelsatz lediglich 1/12 der maximalen Zuzahlung nach § 62 SGB V enthalten ist. Die in diesem Zusammenhang vom Hilfeempfänger zu tragenden Belastungen sind - mit anderen Worten - auf die in einem Jahr zu gewährenden zwölf Regelsätze aufzuteilen.
In der Praxis bedeutet dies einen Darlehensanspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger, so weit diese zumutbaren Belastungen überschritten werden.

2.) Darlehen der Heime f. Heimbewohner b. Überschreitung der Belastungsgrenze
BMGS-Ausschuss-Drucksache 15-0496 v. 26.2.04:
"Sozialhilfeempfänger, die in Einrichtungen leben und nur über ein Taschengeld (Barbetrag gemäß § 21 BSHG) in Höhe von regelmäßig 88 € im Monat verfügen, dürften in aller Regel zu den chronisch Kranken zählen; daher liegt auch hier die Belastungsgrenze bei 36 Euro jährlich oder 3 Euro im Monat. Für diesen Personenkreis entrichten die Heime die Zuzahlungen bis zur Belastungsobergrenze an die Krankenkassen und verrechnen diese dann sukzessive mit dem von ihnen ausgezahlten Taschengeld. Im Gegen¬zug erhalten die Betroffenen von den Krankenkassen eine Befreiungsbescheini¬gung bzgl. der Zuzahlungsverpflichtung. Um Liquiditätsprobleme bei einzelnen Heimen zu vermeiden, können die Abschlagzahlungen der Sozialhilfeträger an die Heime zu Jahresbeginn in angemessenem Umfang angehoben werden. Im Rahmen der ‚Spitzabrechnungen‘ zwischen den Heimen und den Sozialhilfeträgern kann der Zuzahlungsbetrag sodann verrechnet werden. Dieses Verfahren wird in einzelnen Ländern bereits praktiziert."

3.) Vorausdarlehen mit Zuzahlungsbefreiung für Obdachlose
BMGS-Ausschuss-Drucksache 15-0496 v. 26.2.04:
"Bei obdachlosen Sozialhilfeempfängern mit Leistungsanspruch gegenüber einer gesetzlichen Krankenkasse können Probleme bei der Umsetzung der Zuzahlungsregelungen entstehen, weil die Fähigkeit, Geld für eventuelle Zuzahlungen vorzuhalten, ebenso wie die Bereitschaft, Quittungen über geleistete Zuzahlungen aufzubewahren, regel¬mäßig nicht vorhanden sein dürfte. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass die Betroffenen, die zu Zuzahlungen herangezogen werden, gegenüber dem Sozialhilfeträger eine tatsächliche Mittellosigkeit geltend machen und – selbst wenn Zuzahlungen bis zur Belastungsobergrenze geleistet wurden – eine Zuzahlungsbefreiung nicht gewährt werden kann, weil der Krankenkasse die erforderlichen Belege nicht vorgelegt werden. Hier besteht die Möglichkeit, den Zuzahlungsbetrag bis zur Belastungsobergrenze dem Hilfe¬empfänger in der Weise darlehnsweise (gem. § 15b BSHG) zu gewähren, dass der gesamte Zuzahlungsbetrag in einer Summe an die zuständige Krankenkasse ausgezahlt wird, die ihrerseits eine Bescheinigung über die Zuzahlungsbefreiung ausstellt."

4.) Keine Zuzahlungen für umherziehende Obdachlose
BMGS-Ausschuss-Drucksache 15-0496 v. 26.2.04:
"Obdachlose Menschen, die als nicht Sesshafte umherziehen (dies ist der wesentlich kleinere Teil der obdachlosen Menschen in Deutschland) und die nicht gemäß § 264 Abs. 2 SGB V in das GKV-System integriert werden können, haben weiterhin Anspruch auf Krankenhilfe gemäß § 37 BSHG. Sie sind zu Zuzahlungen nicht verpflichtet, brauchen mithin auch keine Belege über geleistete Zuzahlungen zu sammeln. Damit dieser Personenkreis - bei wirtschaftlicher Betrachtung – keine Besserstellung erhält als die in die GKV einbezogenen Sozialhilfeempfänger, haben die Sozialhilfeträger unter Berufung auf § 37 BSHG die Möglichkeit, die Gleichstellung über entsprechende Einbehalte bei weiteren Leistungen zum Lebensunterhalt zu erreichen. Ob dies im Einzelfall realisierbar ist, hängt davon ab, ob der Betreffende in Zukunft überhaupt weitere Leistungen von diesem Sozialhilfeträger begehrt. Der Personenkreis ist jedoch so klein, dass dadurch entstehende Fehlbeträge nicht ins Gewicht fallen."

5.) Kostenübernahme des Sozialamts bei Leistungsausschlüssen der Krankenkasse
a) OVG Lünenurg, Beschluss vom 23.8.04, Az.: 4 ME 224/04:
Der Sozialhilfeträger muss die Kosten für Brillengläser übernehmen.
Leistungen für Brillengestelle gibt es im Rahmen der Krankenhilfe überhaupt nicht und – abgesehen von den Sonderfällen der therapeutischen Sehhilfen – für Personen, die 18 Jahre oder älter sind und auf wenigstens einem Auge eine Sehschärfe von mehr als 30 % erreichen, auch keine Leistungen mehr für Brillengläser zum Ausgleich von Weit- oder Kurzsichtigkeit.
Das führt aber nicht dazu, dass Empfänger von Sozialhilfe, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, nicht mehr Anspruch auf Hilfen zur Beschaffung von Brillen (Gläser und/oder Brillengestell) haben.
Dass eine Brille zum Ausgleich auch einer nicht hochgradigen Sehschwäche ein sozialhilferechtlich anzuerkennender Bedarf ist, war in der Vergangenheit unumstritten. Dass sich daran etwas geändert haben könnte, ist nicht ersichtlich. Dann verstößt eine generelle Versagung einer Hilfe für die Beschaffung einer Brille aber gegen das – oben bereits angesprochene – sozialhilferechtliche Bedarfsdeckungsprinzip.
Der Gesetzesbegründung zu den §§ 37, 38 BSHG kann auch nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber diesen früher der Krankenhilfe zugeordneten Bedarf gleichsam völlig „wegdefinieren“ wollte.
In der Begründung zur Änderung des § 33 SGB V (BT-Drs. 15/1525) wird davon ausgegangen, dass die Leistungsausgrenzung erwachsene Versicherte grundsätzlich nicht überfordert.“ Es ist offensichtlich, dass diese Erwägungen für Sozialhilfeempfänger nicht gelten können. Sie haben diese finanziellen Mittel nicht.
Allerdings kommen angesichts der eindeutigen Regelungen der Krankenhilfe in den §§ 36 bis 38 BSHG Leistungen der Krankenhilfe für die Beschaffung von Brillen nicht mehr in Betracht. Ein medizinisch begründeter Bedarf kann aber auch Bestandteil des not¬wendigen Lebensunterhalts (§ 12 BSHG) sein. Die Aufzählung der verschiedenen Bedarfsgruppen in § 12 Abs. 1 S. 1 BSHG ist nicht abschließend.
Der Regelsatz (§ 1 Abs. 1 Regelsatzverordnung) umfasst zwar anteilig die im SGB V vorgesehenen Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze des § 62 SGB V, indes nicht Aufwendungen für Heilmittel, die nach dem Dritten Kapitel, Fünften Abschnitt , Ersten Teil SGB V vom Leistungsumfang der Krankenversicherung ausgeschlossen sind.
Daraus folgt, dass der Bedarf „Anschaffung einer Brille (Gläser und/oder Brillengestell) des Hilfesuchenden vom Sozialhilfeträger durch Gewährung einer einmaligen Leistung (Beihilfe) nach § 21 Abs. 1 a Nr. 6 BSHG zu decken ist.

b) VGH München, Beschluss vom 2.9.04, Az: 12 CE 04.979
Der Sozialhilfeträger hat Brillengläser [im Wert von 225 €] als einmalige Leistung nach § 21 BSHG zu übernehmen
„Nach § 21 Abs. 2 Satz 1 BSHG sind einmalige Leistungen auch zu gewähren, wenn der Hilfesuchende zwar keine laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt benötigt, den Lebensunterhalt jedoch aus eigenen Kräften und Mitteln nicht voll beschaffen kann. Die einmalige Hilfe in Form einer Geldleistung für die Kosten der Brillengläser ist daher zu gewähren. Die hier streitgegenständliche Leistung wird nicht bereits mit der Pauschale [pauschalierte einmalige Leistungen] in Höhe von 29 Euro gewährt.
… Die Antragsgegnerin hält dem zu Unrecht § 1 Abs. 1 Satz 2 der Regelsatzverordnung in der Fassung, die die Bestimmung durch Art. 29 GMG erhalten hat, entgegen. Denn der Senat ist der Überzeugung, dass Art. 29 GMG mit § 22 Abs. 1 Satz 1 BSHG nicht vereinbar und § 1 Abs. 1 Satz 2 der Regelsatzverordnung i.d. Fassung des Art. 29 GMG deshalb jedenfalls nicht für die Zeit der auslaufenden Geltung des Bundessozialhilfegesetzes, das zum 1. Januar 2005 durch das Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) – Sozialhilfe – (SGB XII) ersetzt wird, anwendbar ist.

Anmerkung: Die gute Lösung fällt leider ab 1.1.2005 mit den pauschalierten einmaligen Leistungen der Sozialhilfe und des AlgII teilweise weg. Es sind dann wohl lediglich Darlehen nach § 37 SGB XII bzw. § 23 SGB II möglich.

Diakonisches Werk Württemberg
Referat Wohnungslosenhilfe + Armut
Frieder Claus

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