Newsticker
Jahresarchiv
Ein-Euro-Jobs in Berlin - 1. Versammlung von (künftig) Betroffenen
Erstellt: Sonntag, 21.11.2004 11:03
Veranstaltung
Ein-Euro-Jobs in Berlin - 1. Versammlung von (künftig) Betroffenen
Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II (Alg II / Hartz IV) werden ab Januar 2005 Ein-Euro-Jobs im großen Stil eingeführt und die Verdrängung regulärer Beschäftigung eingeleitet.
Die Berliner Kampagne gegen Hartz IV mit Unterstützung
des Berliner Sozialforums und des Berliner Arbeitslosenzentrums (BALZ)
lädt ein zum Thema:
Ein-Euro-Jobs in Berlin - 1. Versammlung von (künftig) Betroffenen
am Montag, dem 22.11.2004 um 18.30 Uhr, im ´Familiengarten` in der Oranienstr. 34
(U-Kottbusser Tor / U-Moritzplatz / Bus 129, Station Adalbertstr.)
Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II (Alg II / Hartz IV) werden ab Januar 2005 Ein-Euro-Jobs im großen Stil eingeführt und die Verdrängung regulärer Beschäftigung eingeleitet. Wirtschaftsminister Clement plant bekanntlich 600.000 solcher Einsatzgelegenheiten, allein in Berlin könnten nach Ansicht von Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) bis zu 50.000 Erwerbslose in 1-Euro-Jobs eingesetzt werden.
Mit dem Inkrafttreten von Hartz IV stellen sich viele Fragen:
- Wer entscheidet, welche Stellen “zusätzlich” und “in öffentlichem Interesse” sind?
- Wer kontrolliert, dass es zu keiner Verdrängung oder Verschlechterung regulärer Stellen kommt?
- Wie können sich 1-Euro-Jobber gegen mögliche Schikanen und ungerechte bzw.
rechtswidrige Behandlung durch ihre Fallmanager oder durch Vorgesetzte wehren?
- Welche Rechte und welche Rechtsmittel stehen ihnen zu?
- Gegen welche Gesetzesverstöße kann vor welchen Gerichten geklagt werden?
- Wie ist es um den Arbeits- und Unfallschutz bestellt?
- Wie steht es um die betriebliche Mitbestimmung und den Kündigungsschutz?
- Wer kontrolliert, daß die Träger den geplanten Qualifizierungs- und Integrationsanforderungen
nachkommen, damit die 1-Euro-Jobber Zugang zum ersten Arbeitsmarkt finden?
- Und schließlich: Wer kontrolliert die Träger und die Fallmanager und welche Korrektur-
verfahren und Sanktionen sind vorgesehen?
Diese und andere Fragen, die den (derzeit) Betroffenen und den von Arbeitszwang Bedroh-ten auf der Seele liegen, sollen auf einer 1. Versammlung in Berlin erörtert werden. Zum offenen Austausch sind vor allem künftige Alg II-BezieherInnen eingeladen und jene, denen bereits ein 1-Euro-Job “angeboten” wurde. Verschiedene ArbeitsrechtlerInnen, AktivistInnen aus dem Anti-Hartz-Spektrum sowie Aktive aus der gewerkschaftlichen u.a. Erwerbslosenarbeit haben ihr Kommen zugesagt.
Der Einsatz von 1-Euro-JobberInnen ist bisher vor allem in der Altenhilfe und Pflege geplant, in Krankenhäusern und Behindertenwerkstätten, in ambulanten sozialen Diensten, in Einrichtungen der offenen Jugendhilfe, in familienunterstützenden Diensten, in Sportvereinen, Schulen und Kindertagesstätten und im Umweltbereich. Überall dort, wo in den letzten Jahren massiv Personal abgebaut wurde, sollen die “Eingesparten” und andere Menschen, die länger als ein Jahr erwerbslos sind, demnächst zu Ein-Euro-Bedingungen eingesetzt werden. Die Schaffung neuer regulärer Arbeitsplätze und ein Übergang in den ersten Arbeitsmarkt sind hier nicht zu erwarten. Auf die BezieherInnen von Alg II kommen harte Zeiten zu. Denn der Phantasie der Kommunen und Verbände sind keine Grenzen gesetzt, wenn es um die Einrichtung von Ein-Euro-Jobs geht. Begehrlichkei-ten sind geweckt, wie das Beispiel der BVG zeigt, die jüngst ihr Interesse bekundet hat. Auch an den Einsatz erwerbsloser Lehrer in Vorschul-Sprachkursen und erwerbsloser Ban-ker in der Schuldenberatung ist gedacht.
Von diesen billigen Arbeitskräften profitieren vor allem die Kommunen und die freien Träger. Kleine gemeinnützige Einrichtungen können den Verlust öffentlicher Förderung ausgleichen. Und die großen Wohlfahrtsverbände, die nicht selten wegen Missmanagements tief in den roten Zahlen stecken, erhalten die Möglichkeit, sich zu sanieren. Denn von den maximal 500,- Euro, die die Bundesagentur für jede dieser Arbeitsgelegenheiten zahlt, verbleibt der größere Teil in den Händen des Arbeitgebers bzw. freien Trägers. Die Betroffenen erhalten zum Alg II lediglich eine so genannte Mehraufwandsentschädigung von 1,- bis maximal 1,80 Euro die Stunde (je nach Kommune und Träger; in Berlin sind es 1,00 bis 1,50 Euro). Diese wird aber, je nach Stundenzahl (in der Regel 15 bis 30 Stunden die Woche) oft nicht einmal die tatsächlichen Mehrausgaben für Kleidung, (Kantinen-)Essen, Fahrtkosten etc. decken.
In Berlin gibt es seit dem 15.September 1-Euro-Jobs, gewissermaßen im Probelauf. Bis zum 31.12.2004 kann der Job noch abgelehnt werden. Doch schon jetzt führen materielle Not oder Angst vor Schikanen durch Agenturmitarbeiter oder die Angst vor dem künftigen Ar-beitszwang zur “freiwilligen” Aufnahme der Ein-Euro-Beschäftigung. Wer jetzt ablehnt, riskiert einen Vermerk oder mehr; denn die Bundesagentur empfiehlt „in diesen Fällen Trai-ningsmaßnahmen zur Überprüfung der Arbeitswilligkeit“, da im Rahmen des noch geltenden SGB III „leistungsrechtliche Konsequenzen nicht gezogen werden (können).“ (Zentrale der BA, Verfahrensumsetzung, SR 2/TP Markt und Integration, Nürnberg, 09.08.2004) Ab Januar ist die Freiwilligkeit abgeschafft, dann droht bereits bei einer ersten Ablehnung eine 30prozentige Kürzung des Alg II.
Was ab Januar 2005 auf Alg II-BezieherInnen zukommt, lässt sich erahnen, wenn man Beispiele aus der derzeitigen Zuweisungspraxis anschaut: Da soll ein Literaturwissenschaftler in der Altenpflege eingesetzt werden, einer Akademikerin wird ein 1-Euro-Job in der Kranken- und Hauspflege angetragen, Putzen und Einkäufe inbegriffen, eine erwerbslose Sozialforscherin soll für 1,50 Euro als Vollzeit-Bürofachkraft in Forschung und Entwicklung arbeiten.
Vor diesem Hintergrund ist es Zeit, dass die künftigen Alg II-BezieherInnen und potentiell von Arbeitszwang Betroffenen zusammenkommen und erste Überlegungen anstellen, wie ein regelmäßiger Austausch, wie eine Rechtsberatung und anderes mehr organisiert werden können. Wir wollen mit dieser ersten Versammlung am 22.11. den Anstoß zu (Selbst-)Organisierung und Selbstbehauptung geben. Mittelfristig werden drei Ziele verfolgt:
- die Einrichtung eines regelmäßiges Austauschs unter Betroffenen, z.B. im Rahmen
eines "1-Euro- Cafes" an einem oder mehreren Orten in Berlin
- die Schaffung einer Rechtsberatung, die auch nicht gewerkschaftlich organisierten
Betroffenen zur Verfügung steht
- die Initiierung einer “Bestandsaufnahme” zwecks Erfassung der 1-Euro-Jobs, angefangen
von den Trägern, über die Arbeits- und Qualifizierungsbedingungen bis hin zu den
Erfahrungen mit (bestimmten) Fallmanagern, mit Widerständigkeit, Solidarität und
Gerichtsverfahren.
Für Rückfragen, Anregungen etc.:
- Angelika Wernick / Tel. 218 52 83 / angelika.wernick@web.de
- buero@andersarbeiten.de / Tel. 695 98 306
- Corinna Genschel (Berliner Sozialforum) / Tel. 617 09 739 / genschel@rz.uni-potsdam.de