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Auswirkungen der geplanten Veränderungen (Agenda 2010) in den Leistungssystemen für Arbeitslose in Dortmund

AKOPLAN - Institut für soziale und ökologische Planung e.V. Dortmund, Juni 2003


Auswirkungen der geplanten Veränderungen in den Leistungssystemen für Arbeitslose in Dortmund

Die wichtigsten Ergebnisse einer aktuellen Akoplan-Recherche

Anlass
Nach den Plänen der Bundesregierung soll zum Jahresbeginn 2004 das bisherige System der Arbeitslosenhilfe mit dem System der Sozialhilfe (hier nur die erwerbsfähigen Hilfeempfänger) verschmolzen werden. Das Vorhaben ist Teil des Hartzpakets und wurde später in die derzeit vieldiskutierte ‚Agenda 2010‘ übernommen.1 (Mit der Erarbeitung konzeptioneller Details sowie der Bemessung der finanziellen Auswirkungen wurde die bereits im März 2002 installierte ‚Kommission zur Reform für Gemeindefinanzen‘ betraut, die hierfür eine spezielle Arbeitsgruppe einrichtete. Mitte April wurden die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe vorgestellt.
Siehe hierzu den (Schluß-) Bericht der Arbeitsgruppe ‚Arbeitslosenhilfe/Sozialhilfe‘ v. 17.4.2003, nachzulesen im Internet unter der Adresse http://www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik/dokull_politik/aIhLsohL2003_04_1 7~abschluss.pdf )

Die Bundesregierung beabsichtigt ferner, für ältere Arbeitslose ab 45 Jahren, die im Arbeitslosengeldbezug stehen bzw. künftig geraten, die maximale Bezugsdauer deutlich zu kürzen. Die Minderung soll zwischen 6 und 14 Monaten betragen (von bisher möglichen 18-32 Monaten). Auch dies ein Teil des ‚Hartz-Pakets‘ sowie des Programms ‚Agenda 2010‘.

Die beiden Maßnahmen sind mit erheblichen Einspar-Erwartungen verbunden und würden bundesweit gut 3 Millionen Empfänger von Arbeitslosengeld (Alg), Arbeitslosenhilfe (Alhi) und Unterhaltsgeld nach dem Sozialgesetzbuch III (UHG) betreffen.

Bisher hat sich niemand die Mühe gemacht, die mit den beiden Maßnahmen verbundenen privaten Einkommensverluste einmal auf die örtliche Ebene herunterzubrechen. Auch wenn die Datenlage nicht ganz einfach ist, sind wir in einer soeben fertiggestellten Studie zu durchaus belastbaren Zahlen für Dortmund gekommen. Alle im folgenden referierten Ergebnisse beziehen sich auf das Stadtgebiet Dortmund bzw. Bürgerlnnen dieser Stadt. Gegenstand unserer Berechnungen waren die den Privathaushalten unmittelbar zufließenden Unterstützungsleistungen, also nicht die damit verknüpften Änderungen bei den Sozialversicherungsbeiträgen.

Die wichtigsten Ergebnisse

1. Insgesamt werden ca. 25.000 Dortmunder Haushalte von den beiden Maßnahmen erfasst, davon 19-20 Tsd. Haushalte, die bislang Alhi beziehen, und rd. 6.000 Haushalte, die im Bezug von Arbeitslosengeld stehen.

2. Eine Gleichverteilung der angestrebten Einsparungen im Leistungsbereich unterstellt, müssten die Haushalte in Dortmund, die bislang ganz oder teilweise von Alhi leben, mit einer jährlichen Transferkürzung zwischen 30 (Modell 3) und 46 Mio. € (Modell 1) rechnen, neue Ansprüche auf Wohngeld schon abgezogen.2 (2Erläuterungen zu den von der Kommissions-Arbeitsgruppe gebildeten Modellen s.u., Anlage) Umgerechnet bedeutet dies eine Minderung des Gesamtvolumens der Unterstützungsleistungen für die betreffenden Haushalte zwischen 21,5 und 33,6 Prozent.
Die Mehrausgaben, die für Mehrleistungen an erwerbsfähige ehemalige Sozialhilfeempfänger (nur im Modell 3) bzw. für neue Leistungsfälle erwartet werden, sind demgegenüber kaum erwähnenswert.

Die Höhe der auf den einzelnen Haushalt bzw. Bezieher bezogenen Kürzung variiert zwischen 0 und 100 Prozent, je nach individuellen Gegebenheiten des Haushalts und der Höhe der ursprünglichen Alhi-Leistung. Komplett aus den Unterstützungsleistungen herausfallen dürften nach grober Schätzung bis zu 3500 Personen, die bisher Alhi bzw. Unterhaltsgeld in Anschluss an Alhi bezogen haben (Modell 1).

3. Die Kürzung der Alg-Bezugsdauer hätte für die betreffenden Haushalte in Dortmund, eine Gleichverteilung der geplanten Einsparung bundesweit unterstellt, ein finanzielles Volumen von 48 bis 58 Mio..

Anders als bei den Aussagen zur Arbeitslosenhilfe handelt es sich bei dieser Größe nicht automatisch um reale Einkommensverluste, sondern - für die Gruppe der betrachteten Haushalte - zunächst „nur“ um die Minderung der maximalen Versicherungsansprüche. Für die Frage, ob diese Minderung im Einzelfall auch zu einem Verlust von Einkommen führt, sind zwei Gesichtspunkte entscheidend: Einmal, ob der-/diejenige Leistungsempfänger das Ende der maximalen Bezugsdauer erreicht (also nicht vorher wieder eine Arbeit findet), und zum anderen, ob ein Anschluss-Anspruch auf die neue Leistung ‚Arbeitslosengeld II‘ gegeben ist. Hat er/sie nicht rechtzeitig wieder eine Anstellung gefunden, ist allemal - ähnlich wie bei der Alhi heuten - von einem deutlichen Einkommensschwund auszugehen, aber dann eben etliche Monate früher als nach den derzeitigen Regelungen.

Da die geplante Maßnahme aber alle künftigen Leistungsfälle beim Alg l (bisheriges Arbeitslosengeld) einschließen soll, kann gleichwohl von einem dauerhaften Einkommensverlust i. H. v. 20-30 Mio. € pro Jahr allein für Dortmund ausgegangen werden.

4. Zusammengenommen werden die beiden Maßnahmen in Dortmund einen Kaufkraftschwund von 50-75 Mio. € im Jahr bewirken, also zwischen 0,5 und 0,85 Prozent der Gesamtkaufkraft der Dortmunder Bevölkerung.
Hierbei ist zu beachten, dass bei Arbeitslosenhaushalten die Sparquote relativ gering ist und sich jede Form der Leistungsreduzierung unmittelbar auf die realisierte Kaufkraft in Form von Umsatz auswirkt.

Würdigung

Ein Kaufkraftschwund von zusammen 50-75 Mio. € pro Jahr ist - zumal in wirtschaftlich eher schwierigen Zeiten - für sich allein schon beklagenswert. Zu bedenken ist:
Sozialleistungen an Arbeitslose sind in hohem Masse ‘konsumorientiert‘ und schwächen daher die Binnennachfrage ganz unmittelbar.



Die Rolle der sozialen Sicherungssysteme in wirtschaftlich benachteiligten Regionen, das sei nur am Rande erwähnt, wird gemeinhin deutlich unterschätzt - sowohl was den Beitrag zur Binnennachfrage, als auch was den sozialen Einschluss der vom Leistungsbezug Abhängigen in die betreffende Stadtgesellschaft, also den Aspekt der gesellschaftliche Teilhabe, angeht.
Mit der Bedarfsdeckung als zentralem Prinzip dürfte es die neue Leistung ohnehin schwer haben, sich den bekannten Vorbehalten gegenüber der Sozialhilfe (samt ihren Empfängern) zu entziehen. Auch wenn sie - ein wenig technisch anmutend, aber an eine Versicherungsleistung erinnernd - „Arbeitslosengeld II“ genannt wird, so ist sie im Kern doch - anders als die bisherige Arbeitslosenhilfe - eine reine Fürsorgeleistung.

Bitterer noch aber erscheint uns die mit den Maßnahmen verbundene Vertiefung der sozialen Kluft in dieser Stadt. Vermutlich werden nicht alle 25.000 Haushalte tatsächliche Einkommenseinbußen erleben - etwa die Alhi-Empfänger, die bereits jetzt schon im ergänzenden Sozialhilfebezug stehen oder die Alg-Bezieher, denen noch rechtzeitig der Sprung in einen neuen Job gelingt. Ein Teil aber wird um so schwerere Einkommensverluste hinnehmen müssen.

Versicherungsverträge, eigentlich für die Altersvorsorge abgeschlossen, werden - das ist absehbar - vermehrt zur Bestreitung des laufenden Lebensunterhalts herangezogen, Spareinlagen bis auf ein kaum noch erträgliches Maß geplündert. Man muss sich das einfach mal im konkreten Einzelfall vorstellen: Ein Bauarbeiter, der über 30 Jahre auf der Baustelle geplackt, dabei mit zuletzt 2.736 € brutto nicht schlecht verdient hat und nun wegen der schlechten Baukonjunktur mit 52 Jahren arbeitslos wird, darf nach ausgeschöpftem Alg-Anspruch gerade noch 10.800 € legal an Vermögen behalten, alle Altersvorsorgeanlagen inbegriffen!
Zu erwarten ist, dass manches Einfamilienhaus, manche Eigentumswohnung zusätzlich unter den Hammer geraten wird, weil die dezimierte Lohnersatzleistung plötzlich nicht mehr reicht, die Hypothekendarlehen zu bedienen. Da hilft auch die Schonung selbstgenutzten Wohneigentums bei der Vermögensbetrachtung nichts mehr.

Und noch eine Konsequenz ist absehbar: Die verschärfte Anrechnung des Partnereinkommens wird - anders, als es uns die offiziellen Verlautbarungen glauben lassen wollen - verstärkt wieder bisher versicherungspflichtige Erwerbsarbeit in Schwarzarbeit umwandeln.




Anlage
Erläuterungen zu den von der Kommissions-Arbeitsgruppe entwickelten und durchgerechneten Modellen 1-3 3
(Weitere Einzelheiten zu den Modellen 1-3 siehe den Bericht der Kommissions-Arbeitsgruppe vom 17.4.2003, S. 19 f.
Das von den Gewerkschaften zusätzlich ins Spiel gebrachte Modell 4 („aufwandsneutrales Modell“) wurde wegen seiner geringen Aussichten auf Umsetzung in unseren Berechnungen nicht weiter verfolgt. Auch dieses - vergleichsweise humane - Modell würde bundesweit bei den Leistungen für bisherige Alhi-Empfänger noch zu einem Schwund von 0,9 Mrd. € jährlich führen. Rund 200 Tsd. Empfänger (entspricht ca. 418 Tsd. Personen in Haushalten) würden ganz leer ausgehen.)


Modell 1 („Sozialhilfemodell“) sieht vor, dass die Höhe der künftigen Leistung Alg II der heutigen Sozialhilfe entspricht, d.h. HLU-Regelsatz plus Mehrbedarfszuschläge für Alleinerziehende, durchschnittliche Kaltmiete, pauschalisierte Heizkosten und pauschalisierte einmalige Leistungen.

Modell 2 (,‚Stufenmodell“) geht von der gleichen Ausgangsbasis aus, sieht aber einen befristeten besonderen Zuschlag für erwerbsfähige vormalige Alg-Bezieher bzw. - künftig - ‚Alg l‘-Bezieher vor (um den Einkommensverlust etwas abzufedern). Der Zuschlag würde im ersten Jahr (nach Ausschöpfen des Alg-Anspruchs) zwei Drittel, im zweiten Jahr ein Drittel des Differenzbetrages zwischen dem vormaligen Haushaltsnettoeinkommen (während der Zeit des Alg-Bezugs) und der Alg II-Leistung ohne Zuschlag betragen, wobei auch hier Obergrenzen vorgesehen sind. Im dritten Jahr würde der Zuschlag komplett entfallen.

Modell 3 („Zuschlagsmodell“) sieht zunächst für alle erwerbsfähige Arbeitslose, die Anspruch auf die Grundleistung nach Modell 1 haben und sich selbst aktiv um eine berufliche Eingliederung bemühen, einen Extra-Bonus i.H.v. 10% des heutigen Eckregelsatzes der Sozialhilfe vor (29 € monatlich). Bei vormaligen Alg-Beziehern (bzw. ‚Alg l‘-Beziehern) kommen die gestaffelten Zuschläge nach Modell 2 (2/3 bzw. 1/3 des Differenzbetrags) hinzu.

Bearbeiter: Heiko Holtgrave, AKOPLAN Kontakt AKOPLAN: e-mail: akoplandortmund@aol.com
fax 023 1/58 60 359
tel. (selten besetzt) 0231/52 19 80

Die Stellungnahme umfasst noch ein paar Seiten mehr, zu finden unter: http://www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik/doku/1_politik/agenda_2010_akoplan_2003_06_05.pdf

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