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Arbeitsgelegenheiten: Grenzen der Freiwilligkeit

URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/thema_des_tages/?cnt=493983 - Fr. 27.08.2004

ANALYSE
Grenzen der Freiwilligkeit

Wer einen Ein-Euro-Job angeboten bekommt, muss ihn annehmen, sagt Minister Clement. Nach Ansicht von Juristen bietet das Gesetz den Betroffenen aber die Handhabe, um sich dagegen zu wehren.
VON THOMAS MARON (BERLIN)

"Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung" - so lautet die beamtendeutsche Bezeichnung der "Ein-Euro-Jobs". Ursprünglich diente das Instrument dazu, Sozialhilfeempfänger, die Schwierigkeiten haben, ihren Alltag zu organisieren, an Arbeit heranzuführen - individuell ausgerichtet, nicht pauschal angeordnet.

Mit der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe (Hartz IV) zum Jahreswechsel sollen diese Beschäftigungsverhältnisse deutlich ausgeweitet werden. Langzeitarbeitslose erhalten für ihren Einsatz zusätzlich zu sämtlichen Leistungen wie Arbeitslosengeld II und Wohngeld ein bis zwei Euro die Stunde. Das Gesetz nennt als Voraussetzung, dass die Arbeit gemeinnützig und zusätzlich sein muss. Das heißt, sie darf nicht reguläre Arbeit verdrängen.

Utz Krahmer, Sozial- und Verwaltungsrechtler an der Fachhochschule Düsseldorf, warnt davor, dass die Städte und Gemeinden angesichts knapper Kassen der Versuchung erliegen könnten, ihre Aufgaben nicht mehr durch Angestellte, Beamte oder private Betriebe erfüllen zu lassen, sondern von den günstigeren Ein-Euro-Jobbern. Das Handwerk hat deshalb schon Alarm geschlagen.

Beispiele, die diese Befürchtung rechtfertigen, gab es in der Vergangenheit genug. So hat die Universität Düsseldorf vor Jahren öffentlich geförderte Beschäftigung genutzt, um in der Mensa Kartoffeln schälen zu lassen - eindeutig ein Fall, bei dem reguläre Beschäftigung verdrängt wurde. Der Versuch, in Berlin Arbeitslose Busse putzen zu lassen, schlug aus dem gleichen Grund fehl. Die Wohlfahrtsverbände haben angekündigt, tausende Stellen auf Ein-Euro-Basis schaffen zu wollen. Auch sie müssen nachweisen, dass gelerntes Pflegepersonal nicht verdrängt wird, was oftmals schwierig sein dürfte.

Die Gemüter hat am meisten erhitzt, dass Langzeitarbeitslose, so jedenfalls legt Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) das Gesetz aus, "Angebote" des Arbeitsvermittlers annehmen müssen, wenn sie nicht Kürzungen der Leistungen in Kauf nehmen wollen. Kritiker sehen darin den Weg zur Zwangsarbeit geebnet. Rechtlich gilt jedoch Clements resolute Position als angreifbar. Utz Krahmer, der mehrere Kommentierungen zur deutschen Sozialgesetzgebung verfasst hat, hält Hartz IV in diesem Punkt für "widersprüchlich konzipiert". Zwar sei die "harte Clement-Linie" an einigen Stellen im Gesetz erkennbar, aber zugleich lege es unter dem Punkt "Leistungsgrundsätze" fest, dass die Ein-Euro-Jobs nur angeordnet werden dürfen, "soweit sie zur Eingliederung in reguläre Arbeit erforderlich sind, und zwar ausdrücklich nach Maßgabe individueller Kriterien".

Das Regelwerk schreibe vor, bei sämtlichen Eingliederungsmaßnahmen die Lebenslage ebenso zu berücksichtigen wie die familiäre Situation. Letztlich müssten, so der Rechtsexperte, alle Maßnahmen dem Ziel dienen, dauerhaft in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren oder zumindest die Chancen dafür deutlich zu erhöhen. Ähnlich argumentierte bisher auch der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise. Fazit des Juristen Krahmer: "Eine pauschale, nicht nach der Einzelfallsituation differenzierende Anordnung wäre rechtswidrig." Die Vermittler der BA stünden in der Pflicht, die "individuelle Eignung" zu begründen - "auf Wunsch des Betroffenen auch schriftlich". Arbeitslose haben deshalb, bei berechtigter Kritik, laut Krahmer durchaus "eine gute Rechtsgrundlage", um vor den Sozialgerichten im Streitfall zu bestehen. Einen beachtlichen Stolperstein hat ihnen der Gesetzgeber dabei allerdings in den Weg gelegt: Sie, und nicht die Arbeitsvermittler, müssen nachweisen, dass die angebotene Arbeit unzumutbar ist.



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Dokument erstellt am 26.08.2004 um 17:48:31 Uhr
Erscheinungsdatum 27.08.2004

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