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Zu Kosten der Haushaltsenergie im SGB II und SGB XII
Zu Kosten der Haushaltsenergie im SGB II und SGB XII
Im Regelsatz (2023) sind abzüglich der Kosten für Wohnen und Wohninstandhaltung nachfolgende Kosten für Haushaltsenergie enthalten:
Regelbedarfsstufe |
Betrag |
RB Stufe 1 (Alleinstehende) |
40,73 EUR |
RB Stufe 2 (volljährige Partner) |
36,63 EUR |
RB Stufe 3 (Volljährige im Haushalt der Eltern) |
32,60 EUR |
RB Stufe 4 (Jugendliche zwischen 14 bis 17 Jahren) |
31,32 EUR |
RB Stufe 5 (Kinder zwischen 6 und 13 Jahren) |
15,43 EUR |
RB Stufe 6 (Kinder zwischen 0 und 5 Jahren) |
8,99 EUR |
(nach Rüdiger Böker, Aufteilung nach EVS-Abteilungen des Regel-Bedarfs 2018–2023, abrufbar unter: https://harald-thome.de/files/pdf/2022/Ruediger-Boeker-Aufteilung-Regel-Bedarf-2018-2019-2020-2021-2022-2023_nach-EVS-Abteilungen.pdf ).
Spätestens seit Beginn des Ukraine-Kriegs sind die Stromkosten noch einmal deutlich gestiegen und trotz Gaspreisbremse lagen die Kosten im Januar 2023 um durchschnittlich 60 Prozent höher als im Vorkrisenjahr 2021 (vgl. https://www.ndr.de/nachrichten/info/Strompreis-aktuell-So-viel-kosten-die-Kilowattstunden,strompreis182.html). Im Gegensatz dazu haben sich die Stromkosten in den SGB II-/SGB XII-Regelsätzen um lediglich 11,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr, also auf 40,73 EUR erhöht. Damit sind die realen Preissteigerungen der Stromkosten nicht einmal im Ansatz ausgeglichen. Eine Vielzahl von SGB II-/SGB XII-Haushalten hat deutlich höhere Stromkosten. Außerdem sind bei dezentraler Warmwasserversorgung die zu übernehmenden Kosten auf Festbeträge gedeckelt, eine Erhöhung der dort vorgesehenen Beträge ist wegen der Erfordernis, nur höhere Kosten zu erhalten, wenn diese durch eine separate Zähleinrichtung beziffert werden, faktisch ausgeschlossen (§ 21 Abs. 7 S. 3 SGB II).
Das BVerfG hat 2014 zu etwaig zu erwartenden Energiesteigerungen festgestellt: „Ergibt sich eine offensichtliche und erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter, muss der Gesetzgeber zeitnah darauf reagieren. So muss die Entwicklung der Preise für Haushaltsstrom berücksichtigt werden […]. Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten“ (BVerfG 23.7.2014 – 1 BvL 10/12; 1 BvL 12/12; 1 BvR 1691/13; Rn. 144).
Das BVerfG führt weiter aus: „Auf die Gefahr einer Unterdeckung kann der Gesetzgeber durch zusätzliche Ansprüche auf Zuschüsse zur Sicherung des existenznotwendigen Bedarfs reagieren. Fehlt es aufgrund der vorliegend zugrunde gelegten Berechnung des Regelbedarfs an einer Deckung der existenzsichernden Bedarfe, haben die Sozialgerichte Regelungen wie § 24 SGB II über gesondert neben dem Regelbedarf zu erbringende einmalige, als Zuschuss gewährte Leistungen verfassungskonform auszulegen“ (BVerfG 23.7.2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12; 1 BvR 1691/13; Rn. 116).
Diese vom BVerfG beschriebene Situation ist jetzt im Jahr 2023 eingetroffen, denn eine Erhöhung der Haushaltsenergie im Regelbedarf von 11,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr, bei einer gleichzeitigen Steigerung der realen Stromkosten, die weit darüber liegt, deckt nicht im Entferntesten die Preisentwicklung ab.
Solange der Gesetzgeber hier nicht durch Änderungen der Höhe der Regelleistungen oder Herausnahme der Haushaltsenergie aus den Regelleistungen aktiv wird, muss um eine verfassungskonforme Lösung gestritten werden. Diese kann nur so aussehen, dass die Stromkosten, die sich oberhalb der Beträge bewegen, die dafür im Regelsatz vorgesehen sind, im Rahmen des Härtefallmehrbedarfs als unabweisbare laufende Bedarfe nach § 21 Abs. 6 SGB II bzw. abweichende Regelleistungen nach § 27a Abs. 4 SGB XII zu übernehmen sind. Unstrittig dürfte sein, dass es sich bei den Kosten für Haushaltsenergie um unabweisbare Bedarfe handelt. Nicht umsonst hat der Gesetzgeber das Wohnen ohne Energie als eine der Obdachlosigkeit „vergleichbare Notlage“ gleichgestellt (§ 22 Abs. 8 SGB II, § 36 Abs. 1 SGB XII).
Die Pflicht der Sicherung der Energieversorgung wurde vom BVerfG als unerlässliches Grundrecht für „physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben“ eingestuft (BVerfG 9.2.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09; BVerfG 18.7.2012 – 1 BvL 10/10, Leitsatz). Dieses Grundrecht ergibt sich auch über den UN-Sozialpakt, der für Deutschland verpflichtend ist. Darin verpflichten sich die Vertragsstaaten, „das Recht eines jeden Menschen auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen“ umzusetzen (Artikel 11 Abs. 1 UN-Sozialpakt).
Laut Deutschem Menschenrechtsinstitut bedeutet dies: „Das Recht auf Wohnen beinhaltet mehr als nur ein Dach über dem Kopf zu haben. Der Wohnraum muss laut dem UN-Sozialpakt angemessen sein. Ob er angemessen ist, bemisst sich an sieben Kriterien: gesetzlicher Schutz der Unterkunft (zum Beispiel durch einen Mietvertrag), Verfügbarkeit von Diensten (unter anderem Trinkwasser, Energie zum Kochen, Heizen und Beleuchten) […]. (DIMR: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/themen/wirtschaftliche-soziale-und-kulturelle-rechte/recht-auf-wohnen ).
Die Sicherstellung einer bezahlbaren Stromversorgung ist grundlegende Voraussetzung der Daseinsvorsorge und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist Grundrecht. Da die Beträge für Haushaltsenergie zu gering im Regelsatz berücksichtigt wurden, muss dieses Grundrecht durch verfassungskonforme Auslegung sichergestellt werden.
Einzig mögliche Grundlage ist die Übernahme der gestiegenen Stromkosten im Rahmen des Härtefallmehrbedarfs als unabweisbare laufende Bedarfe nach § 21 Abs. 6 SGB II für die Bürgergeldbeziehenden bzw. im Rahmen der abweichenden Regelleistungen nach § 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII für die SGB XII-Beziehenden.
Bei 1,88 Prozent des Regelsatzes bzw. 7,52 EUR hat das BSG keinen unabweisbaren Bedarf gesehen, dieser Bedarf sei aus dem Regelsatz zu finanzieren (BSG 26.1.2022 – B 4 AS 81/20 R). Ab welcher Höhe Kosten als sog. unabweisbarer Bedarf anzusehen sind, „ist anhand der Umstände des Einzelfalls, vor allem unter Berücksichtigung von Höhe, Dauer und Häufigkeit des Auftretens […] zu bewerten“ (LSG Hamburg 5.8.2021 – L 4 AS 25/20).
Das BSG hat einen Anspruch auf Übernahme monatlicher Aufwendungen für Hygienekosten in Höhe von 20,45 EUR als „unabweisbaren Bedarf“ nach § 73 SG B XII gesehen (BSG 19.8.2010 − B 14 AS 13/10 R; LPK-SGB II § 21 Rn. 44). Das LSG Hamburg hat „keine Zweifel, dass bei einem regelmäßigen monatlichen Aufwand von - mindestens - 20 Euro ein erhebliches Abweichen von dem durchschnittlichen Bedarf besteht“ (LSG Hamburg 5.8.2021 – L 4 AS 25/20, Rn. 58). In einem anderen Fall hat das BSG entscheiden, dass die Unabweisbarkeit bei 27,20 EUR pro Monat erreicht sei (BSG 4.6.2014 – B 14 AS 30/13 R).
Daher wird autorenseitig folgende Position vertreten: spätestens wenn die laufenden Haushaltsenergiekosten um 20 EUR höher liegen als der dafür im Regelsatz vorgesehene Betrag, entsteht ein unabweisbarer Bedarf iSd § 21 Abs. 6 SGB II bzw. ein Anspruch auf eine abweichende Regelsatzfestsetzung nach § 27a Abs. 4 SGB XII; genau genommen ab Beträgen oberhalb 7,52 EUR (BSG 26.1.2022 – B 4 AS 81/20 R), also ab 7,53 EUR.
Das BMAS positioniert sich dazu gleich in Bezug auf die Sozialhilfe, durch Weisung an die HzL/GSi-Träger, „laufende Abschlagszahlungen sowie Nachzahlungen für Haushaltsstrom grundsätzlich aus dem monatlichen Regelbedarf zu finanzieren“ (Weisung BMAS, Informationsschreiben zum Umgang mit den gestiegenen Energiekosten sowie mit den in diesem Zusammenhang gewährten Sonderzahlungen, Schreiben v. 29.11.2022, S. 6, https://tacheles-sozialhilfe.de/files/Weisungen/Sozi/2022/BMAS-22-11-29-BMAS-Informationsschreiben-zum-Umgang-mit-den-gestiegenen-Heiz-und-Stromkosten.pdf.
Die BA und das BMAS wurden 2022 vom Verein Tacheles mehrfach angeschrieben, um zur Frage der sich erhöhenden Energiekosten eine Rechtsposition zu erhalten, BMAS und BA haben es jedoch vorgezogen, nicht zu reagieren und stattdessen die genannte Weisung zu erlassen. Es macht dein Eindruck, als hätten die obersten Armutsverwalter im BMAS ihre Freude dran, verfassungsrechtliche Maß- und Vorgaben zu ignorieren und maximal restriktiv auszulegen, obwohl die Grundrechte die vollziehende Gewalt binden (Art. 1 Abs. 3 GG).
Fazit:
Es bedarf jetzt Leistungsbeziehende, die Stromkosten, welche mind. um 20 EURO höher sind, als der dafür im Regelsatz vorgesehenen Kosten, die diese bei den Behörden und vor Gericht geltend machen. Die laufenden Kosten sind im SGB II als "Härtefallmehrbedarf" nach § 21 Abs. 6 SGB II geltend zu machen, im SGB XII als „abweichende Regelsatzfestsetzung“ nach § 27a Abs. 4 SGB XII.
Auch können und sollen hohe Stromnachzahlungen geltend gemacht werden, diese sollten natürlich zunächst als einmaliger Bedarf im SGB II nach § 21 Abs. 6 SGB II und im SGB XII nach § 30 Abs.10 SGB XII, in der Variante, dass ein Darlehn wegen der zu geringen Berücksichtigung von Stromkosten im Regelsatz nicht zumutbar ist, geltend gemacht werden. Solche Zuschussanträge werden von den Jobcentern/Sozialämtern abgelehnt werden und es wird ein Darlehn für vom Regelsatz umfassten Bedarf angeboten werden, im SGB II nach § 24 Abs. 1 SGB II im SGB XII nach § 37 Abs. 1 SGB XII. Hier empfiehlt es sich, zunächst ein solches Darlehen anzunehmen und dann dagegen in den Widerspruch und später ins Klageverfahren zu gehen.
Weil sich das BMAS und die BA hier klar positioniert haben, die Regelleistungen seinen Bedarfsdeckend und für Strom gibt es keine abweichenden Bedarfe liegt dann die Klärung bei den Gerichten und diese sind hier gefragt, für eine dringend notwendige Klärung zu sorgen.
Hinweis: hier können Beratungsstellen und Anwälte und Anwältinnen gefunden werden, die in den Anliegen unterstützen: https://www.energie-hilfe.org/de/infos-fuer-betroffene/beratung-finden.html
Harald Thomé / Tacheles - Online-Redaktion