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Zu einigen rechtlichen Widersprüchen des aktivierenden Sozialstaats
von Utz Krahmer *
Wenn wir über die Hartz-IV-Gesetze sprechen, nämlich über die Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem neuen Zweiten Buch des Sozialgesetzbuch (SGB II) sowie über die Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) ab 01.01.2005 – bis dahin gelten noch das alte BSHG sowie das SGB III in der jetzigen Fassung-, dann sprechen wir über handwerklich äußerst schlecht gemachte Gesetze, die zum Teil über Nacht von völlig überlasteten Ministerialbeamten im 24stündigen 3-Schicht-Dienst unter ungeheuerem Zeitdruck nach den Vorgaben der politischen Spitzen zurechtgezimmert wurden. So entstehen für uns Juristen, die wir diese Gesetze kommentieren und zum Gegenstand unserer Vorlesungen und Weiterbildungsveranstaltungen für Praktiker machen, umfangreiche Betätigungsfelder, gibt es doch eine große Fülle von Widersprüchen jeweils innerhalb dieser beiden Gesetze als auch in ihrer inhaltlichen Verknüpfung untereinander. Eine Reihe von Publikationen dazu sind schon erschienen, so von Berlit und Rothkegel, beide Richter am Bundesverwaltungsgericht, sowie von Mrozynski von der Fachhochschule in München, und nun will auch ich einige Anmerkungen zu den rechtlichen Widersprüchen und den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Hartz IV-Gesetze beisteuern.
Es ließen sich in beiden Gesetzen eine Fülle von Konfliktlagen — teilweise mit verfassungsrechtlichem Bezug — benennen und diskutieren, insbesondere mit Blick darauf, ob die Vorschriften verfassungskonform interpretiert werden können. Als Konfliktlagen u. a. seien beispielhaft benannt hier nur einige:
Da ist erstens die Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II, die im Falle der Weigerung des Betroffenen seine Zustimmung per Unterschrift zu geben durch Verwaltungsakt ersetzt werden soll (das heißt im Verwaltungsrecht „muss”) und zugleich wird zwingend eine Absenkung bzw. gar der Wegfall der Regelleistungen nach § 31 SGB II vorgenommen. Dies ist ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot, das aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip als Teil des Rechtsstaatsprinzips folgt. Zugleich handelt es sich um eine Verletzung des Würde-Grundrechts des Art.1 GG, gegen das der Staat dann verstößt, wenn er den Menschen „zum bloßen Objekt staatlichen Handelns” macht und „kurzer Hand von Obrigkeits wegen über ihn” verfügt (BVerfGE 30, 1, 40 ff. m. w. Nw.; ähnlich schon: BVerwGE 1,159) Berlit spricht von den Leistungsvereinbarungen als „ Vereinbarungen im Schatten der Macht” (Berlit info also 2003, Heft 5, S. 195, 205) und hebt hervor, dass § 15 in die durch Art. 2 GG garantierte Vertragsfreiheit als Teil der freien Entfaltung der Persönlichkeit in unzulässiger Weise eingreift, weil de facto ein Kontrahierungszwang bewirkt wird. In der Vermischung von hoheitlichem Eingriff und sozialer Dienstleistung sieht Berlit (a.a.O.) einen Formenmissbrauch (Vertragsform trotz Fehlen von Vertragsfreiheit), der dem Rechtsstaatprinzip diametral entgegensteht.
Ein zweites Beispiel für Brüche und verfassungsrechtliche Konfliktlagen in den Hartz-IV-Gesetzen ist § 9 Abs 1 Nr. 1 SGB II, der mit der Definition der „Hilfebedürftigkeit” der Erwerbsfähigen in antagonistischem Gegensatz zu § 31 SGB II steht: Nach § 9 SGB II ist nämlich nur hilfebedürftig, wer sich nicht durch die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit selbst helfen kann. Die im § 31 Abs.1 Satz Nr.1 c SGB II ebenfalls behandelte gleichlautende Konfliktlage könnte also gar nicht auftreten, weil der Hilfesuchende bei Verweigerung einer regulären Arbeit überhaupt nicht als Berechtigter im Sinne von § 7 i.V. m. § 9 SGB II anerkannt und deshalb auch keine Leistungen zum Lebensunterhalt erhalten würde, so dass Kürzungen nach 31 SGB II überhaupt nicht in Betracht kämen. Eine ähnliche Konstellation hat es schon zum alten und noch bestehenden Sozialhilferecht gegeben (s. OVG Hamburg FEVS 49, 44 zu dem Verhältnis von § 2 und § 25 Abs. 1 BSHG – vgl. kritisch Krahmer in LPK-BSHG Vor § 18 Rz 4). Es bedarf deshalb gesetzgeberisch einer Klarstellung, dass § 31 SGB II als speziellere Vorschrift vorgeht (so auch Berlit info also 2003, Heft 5, S. 195, 198).
Verfassungsrechtliche Probleme werfen – drittens - auch die Pauschalierungen der Sozialhilfe sowie der Grundsicherung für Arbeitssuchende auf, weil äußerst zweifelhaft ist, ob die vom BVerwG zu den BSHG-Pauschalen entwickelten Kriterien wie
beachtet werden (s. Rothkegel ZFSH/SGB 2002, Heft 10, S. 585,; ders. ZFSH/SGB 2003 Heft 11, S. 643, 648; ders. ZFSH/SGB 2004, Heft 7; vgl. auch Berlit a.a.O.).
Ein viertes Beispiel ist § 27 SGB II, der mit seiner viel zu diffus gehaltenen Verordnungsermächtigung zu den Orientierungswerten bzw. -kriterien einer näheren Eingrenzung von Pauschalierungen der Unterkunftskosten, der Heizungskosten und der einmaligen Sonderbedarfe für Erstausstattungen von Wohnungen und Kleidung etc. gegen Art. 80 Abs. 1 GG mit seinem Bestimmtheitsgebot verstößt (so auch Berlit a.a.O. S. 202).
Als fünftes Beispiel sei genannt die Beweislastumkehr in § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II für die Darlegung eines wichtigen Grundes, der zur Verweigerung von Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, einer Arbeitsgelegenheit im öffentlichen Interesse gegen Mehraufwandsentschädigung bzw. einer Leistungsvereinbarung berechtigt. Verfassungsrechtlich ist diese Beweislastumkehr nicht zulässig, weil eine Differenzierungsklausel fehlt, die Einzelfälle ausnimmt, in denen die Betroffenen nicht in der Lage sind, dieser Beweislast zu genügen oder die Folgen von deren Nichtbeachtung für ihre Existenzsicherung zu überschauen. Anders als in § 25 Abs. 1 BSHG gibt es im Rahmen der zwingenden Absenkungen nach § 31 SGB II kein Ermessen und damit auch keine fortbestehende Betreuungspflicht von Seiten des Trägers, so dass Fehlentscheidungen des Betroffenen nicht durch ein korrigierendes Gegensteuern des Trägers aufgefangen werden können (die Argumentation von Boeken: VSSR 2003, Heft 1, S. 45, 53 f., greift also nicht). Im § 144 Abs. 1 Satz 2 SGB III hat der Gesetzgeber für Bezieher von Arbeitslosengeld I die Beweislast nur eingeschränkt umgekehrt, weil nur in der Sphäre oder im Verantwortungsbereich des Betroffenen liegende Gründe von ihm dargestellt werden müssen, z.B. gesundheitliche oder familiäre Hindernisse (so Benkel in PK-SGB III § 144 Rz 129; s. auch Begr. zum RegE des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II: BR-Drs.558/03, S. 140). Eine solche differenzierende Formulierung, die auf die Zumutbarkeit der Beweisführung durch den Betroffenen abstellt, fehlt in § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Dies ist ein Verstoß gegen das Sozialstaatsgebot im Sinne von Art. 1 GG i.V.m. Art. 20,28 GG sowie gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG, weil die Verwirklichung des Grundrechts auf ein würdevolles Leben denjenigen verwehrt wird, die nicht in der Lage sind ausreichend ihre berechtigten Gründe darzutun, entsprechende Arbeit- oder Leistungsvereinbarungen zu verweigern, die sie zu Recht als schikanös empfinden.
Ein sechstes Beispiel ist § 31 Abs. 5 SGB II, demzufolge für Jugendliche bzw. junge Erwachsene eine Absenkung der Leistungen nach dem SGB II bis auf die Unterkunftskosten schon dann erfolgt, wenn eine einmalige Verweigerung im Sinne von § 31 Abs. 1 u. Abs. 2 SGB II vorliegt und allenfalls noch Sachleistungen (Kleiderkammer / Möbellager oder Lebensmittelgutscheine) gewährt werden. Diese Vorschriften müssen verfassungskonform dahin gehend interpretiert werden, dass in der Weise nur verfahren werden darf, wenn die Bundesagentur im Sinne von § 3 Abs. 2 SGB II tatsächlich das dort geforderte Engagement an den Tag gelegt hat, die Betroffenen im Rahmen der Eingliederungsmaßnahmen für eine Tätigkeit entsprechend zu qualifizieren (so auch Mrozynski ZFSH /SGB 2004, Heft 4, S. 198, 217). Für die Erfüllung ihrer Pflichten ist übrigens die Arbeitsagentur beweispflichtig.
Als siebtes Beispiel mag die nach § 31 Abs. 6 SGB II verpflichtend vorgeschriebene Absenkung von Regelleistungen und Sozialgeld für die Dauer von drei Monaten gelten, selbst wenn der Betreffende in Folge der ersten Wirkungen von Kürzungen seine „uneinsichtige” Haltung aufgibt und nunmehr an einer Eingliederungsmaßnahme teilnehmen oder eine reguläre Arbeit aufnehmen will. Dass in diesem Fall vor dem Ablauf von drei Monaten die Leistungen nicht wieder aufgenommen werden können, verstößt gegen das Menschenwürde-Grundrecht i. V. m. dem Sozialstaatsgebot (Art. 1 u. Art. 20., 28 GG) sowie gegen das Übermaßverbot des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als Teil des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20, 28 GG).
Ich will mit einem Fall beginnen: Ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger kommt mit den ihm, seiner Frau und seinen Kindern zur Verfügung gestellten Mitteln der Hilfe zum Lebensunterhalt (Arbeitslosengeld II) nicht klar: Ein einmaliger Bedarf für die dringend anstehende Wohnungsrenovierung, für den Ersatz aufgebrauchter bzw. zerschlissener Kleidung, für die Ausstattung des anstehenden Weihnachtsfestes sowie für den Einkauf von Ersatzmöbeln können nicht finanziert werden, weil einfach kein Geld dafür angespart werden konnte (oder weil die Mutter das Geld verloren oder weil der Vater es versoffen hat). Hat er (mit seiner Familie) Anspruch auf Deckung dieses Bedarfs?
Die Regelleistung in Höhe von 345,- € - und wir bleiben einmal nur bei dieser einen Teilleistung des Arbeitslosengeldes II – umfasst nach § 20 Abs. 1 SGB II diese einmaligen Bedarfe. Praktisch müssen also aus der Differenz in Höhe von 345,-€ und dem jetzigen Regelsatz von 296,- € (d.h. von 49,-€) die gesamten einmaligen Bedarfe abgedeckt werden (Ausnahmen sind: Mietschulden, Energieschulden, Erstausstattung einer Wohnung, Erstausstattung von Bekleidung, dies auch bei Schwangerschaft und Geburt eines Kindes, sowie mehrtägige schulpflichtige Klassenfahrten von Kindern). Alle anderen Bedarfe, die früher als Einmalige Leistungen gesondert gewährt wurden (§ 21 BSHG) sind ab 01.01.2005 für Empfänger von Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende von diesen 49,- € pro Monat zu bezahlen. Ein Ansparvermögen, wie es §12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II für die einmaligen Bedarfe im Rahmen des SGB II schützt (750,- € pro Mitglied der Bedarfsgemeinschaft), werden viele Betroffene nicht anlegen können, weil die rund 50,-€ Aufschlag auf den jetzigen Regelsatz für andere Bedarfe verbraucht sein werden, z.B. für die versäumten Anpassungen der Regelsätze nach dem BSHG in den vergangenen Jahren, oder für die Aufwendungen, die auf Grund der Gesundheitsreform von den Betroffenen selbst getragen werden müssen (s .Spindler Soziale Sicherheit 2004, Heft 4, S. 55) oder weil viele Betroffene ein Ansparen einfach nicht schaffen.
Eine ersatzweise Sonderleistung sieht das SGB II in § 23 nur in absoluten Ausnahmefällen vor, die die Betroffenen nachweisen müssen und dies auch nur dann, wenn Sachleistungen aus Kleiderkammern oder Gebrauchtwarenlagern nicht möglich sind. Selbst in diesen Ausnahmefällen werden aber nicht verlorene Zuschüsse, sondern nur Darlehen vergeben, die nicht etwa erst ab dem Zeitpunkt zurückgefordert werden, ab dem dem Betreffenden wieder Geld in ausreichendem Umfang zur Verfügung steht, sondern sie werden während des weiteren Bezugs von Arbeitslosengeld II in Höhe von bis zu 10 % der künftigen monatlichen Regelleistungen getilgt, indem entsprechende Einbehaltungen erfolgen (§ 23 Abs.1 SGB II). Die Vorschrift ist zwingend, das heißt die Arbeitsagentur muss die Regelleistungen kürzen, nur in der Höhe („bis zu 10 vom Hundert”) hat sie verschiedene Optionen – rechtstechnisch hat sie also Ermessen im Sinne von § 39 SGB I pflichtgemäß auszuüben ( darauf wird im Folgenden noch näher eingegangen, s. unten II).
Treten mehrere Einzelfälle auf, in denen die Betroffenen mit den Regelleistungen einmalige Bedarfe nicht abdecken können, sind auch mehrere Darlehen additiv möglich, die dann auch additiv von den künftigen Regelleistungen einbehalten würden. In der Summe kann es also sein, dass mehr als 10 % der Regelleistungen monatlich abgezogen werden. Man spricht insofern von einer „verschobenen Unterdeckung” der Bedarfe (Rothkegel ZFSH / SGB 2004, Heft 7: „zeitlich gestreckte Bedarfsunterdeckung”). Praktisch können solche Situationen auch dann eintreten, wenn zum Beispiel die Geldbörse verloren geht oder der Vater das ganze Geld verspielt.
Wer meint, die Sozialhilfe nach dem SGB XII werde künftig diesen Bedarf auffangen, irrt leider: Laut § 5 Abs.2 Satz 1 SGB II sind die dem SGB II zugeordneten erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und ihre Angehörigen in der Bedarfsgemeinschaft ausdrücklich vom Erhalt aufstockender Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ausgeschlossen. Ein „Netz unter dem Netz” des Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgeldes für die nicht erwerbsfähigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gibt es nicht (von Mietschulden abgesehen).
Schon der „Anspruch”, nicht erst der Erhalt von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.S. v. §§ 19 ff. SGB II schließt Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches (das sind die §§ 27 bis 40 SGB XII) aus. Nach der Absicht des Gesetzgebers sind also auch diejenigen Personen ausgeschlossen, die nur dem Grunde nach (nicht aber tatsächlich) Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB II erhalten.1 Dies geht aus dem SGB XII als dem anderen Hartz-IV-Gesetz hervor, das in engem zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit dem SGB II ausgearbeitet und verabschiedet wurde: Nach § 21 Satz 1 SGB XII als sozialhilferechtlichem Pendant zu § 5 Abs. 2 SGB II erhalten Erwerbsfähige und ihre Angehörigen, die nach dem SGB II „ dem Grunde nach” leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach den §§ 27 ff. SGB XII. Ausdrücklich wird in der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 21 SGB XII auf § 5 Abs. 2 SGB II Bezug genommen und festgestellt, dass der Ausschluss der sozialhilferechtlichen Hilfe zum Lebensunterhalt nicht voraussetzt, dass jemand „tatsächlich Leistungen” der Arbeitsagentur erhält; vielmehr wird an die bloße Eigenschaft als Erwerbsfähiger bzw. an die Angehörigeneigenschaft angeknüpft.
Das Aufstockungs- bzw. Ersatzverbot der §§ 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II, 21 Satz 1 SGB XII hat zur Konsequenz, dass kein Mangel ausgeglichen wird, der dadurch auftritt, dass der Betreffende entweder gar keine Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 19 ff. SGB II oder aber nur in einem solch geringem Maße erhält, dass sein Bedarf nicht gedeckt ist. Im Ergebnis bleibt der Betreffende mit seiner Familie ohne Unterstützung des Sozialhilfeträgers, die fraglichen Einmaligen Bedarfe bleiben ungedeckt oder sie führen bei ausnahmsweiser Leistung der Bundesanstalt zu erheblich abgesenkten Regelleistungen in der Folgezeit bei gleichzeitiger Verschuldung.
Das Sozialstaatsgebot der Verfassung aus Art. 20, 28 GG ist eine Staatszielbestimmung, die ihre Wirkung allererst als Gestaltungsauftrag für den Gesetzgeber entfaltet, dies aber auch für die Exekutive in der Anwendung und für die Gerichte bei der Auslegung der Gesetze.Um dies besser verstehen zu können, soll im Folgenden kurz auf das Verhältnis von SGB II und allgemeinem Sozialrecht (in seiner Konkretion im Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuchs - SGB I) eingegangen und versucht werden, die Rahmensetzungen für das Einfügen der Grundsicherung für Arbeitssuchende in das SGB näher zu definieren. Dafür muss auch auf den verfassungsrechtlichen Auftrag eingegangen werden, den das SGB insgesamt mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip und dessen Konkretisierung auf einfachgesetzlicher Ebene hat.
Die Schaffung eines eigenen ( Zweiten) Buchs im Sozialgesetzbuch für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende wird von der Bundesregierung im Entwurf zum SGB II damit begründet, dass ein völlig neues Leistungssystem geschaffen wird, das mit seinen Eingliederungsleistungen speziell für Langzeitarbeitslose über die in SGB III geregelte Arbeitsförderung hinausgeht und außerdem die Sozialhilfe für Erwerbsfähige mit dem vorgenannten Personenkreis zusammenführen will. Anders als die frühere Arbeitslosenhilfe orientieren sich die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 19 ff. SGB II nicht am früheren Verdienst der Betroffenen. Vielmehr sollen sie wie in der Sozialhilfe ausgestaltet, dabei aber ausdrücklich „bedarfsdeckend” sein (BR-Drs. 558/03 S. 112) oder – wie es an anderer Stelle heißt: Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB II sind staatliche Fürsorgeleistungen, die „unter Berücksichtigung des Bedarfsdeckungsgrundsatzes” gewährt werden (a.a.O. S. 105). Ausdrücklich nimmt die Begründung im allgemeinen Teil auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG Bezug, der dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die öffentliche Fürsorge gibt (wenn und soweit dies unter bestimmten Vorraussetzungen erforderlich ist). Der mit der Sozialhilfe identische Charakter der Grundsicherung für Arbeitssuchende wird mit dem folgenden Statement aus der Begründung (a.a.O. S. 114) besonders deutlich: „ Die Grundsicherung für Arbeitssuchende tritt an die Stelle der öffentlichen Fürsorgeleistung Arbeitslosenhilfe und ersetzt teilweise die öffentliche Fürsorgeleistung Sozialhilfe”.
Das Referenzsystem für die Bemessung der Regelleistungen im SGB II ist die Sozialhilfe: So legt es § 20 Abs. 4 Satz 2 SGB II ausdrücklich fest. Dass die Regelsätze in der Sozialhilfe seit Jahren nicht angehoben worden sind, und man mittlerweile von einem Mangel in Höhe von ca. 16% selbst auf dem Niveau der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von 1983 hinweisen muss, dass weiterhin für die Festsetzung der Regelleistungen nach § 20 SGB II sowie für die entsprechenden Regelleistungen im Rahmen des Sozialgeldes nach § 28 SGB II die Welt auf den Kopf gestellt worden ist, in dem in § 20 Abs. 2 SGB II mit 345,- € die Regelleistung bereits Ende des letzten Jahres für den 01.01.2005 festgesetzt wurde, obwohl der Sozialhilferegelsatz jetzt noch erst ermittelt werden muss, dass weiterhin die Regelsatz-Verordnung in ihrer verabschiedeten Fassung zu einer fatalen Unterdeckung der relevanten Bedarfe führt und führen wird - dies alles ist längst kritisiert und kann hier nicht näher behandelt werden (s. im Einzelnen: Aufruf der Wissenschaft , epd sozial 2004 Nr. 11, vom 12. 03. 2004. S. 12; Stellungnahme des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, NDV 2004, Heft 4, S. 109,110; Berlit info also 2003, Heft 5, S. 195, 200, 203; Rothkegel ZFSH/SGB 2004 Heft 7). Was hier allein interessieren muss, ist der Umstand, dass die materiellen Leistungen nach dem SGB II als Fürsorgeleistungen konzipiert sind und auf Grund der Regelungen in den §§ 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II, 21 Satz 1 SGB XII als letzte soziale Sicherung fungieren, unterhalb der es keine Sozialhilfe mit Auffangfunktion für die Erwerbsfähigen und ihre Angehörigen in der Bedarfsgemeinschaft mehr gibt. Das SGB II muss folglich so konzipiert und gesetzgeberisch auch so formuliert sein, dass es den Anforderungen aus dem Sozialstaatsprinzip und seinen Konkretisierungen im Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuchs genügt. Ist das nicht der Fall, gibt es nur die Alternative zwischen der Feststellung eines interpretatorisch nicht lösbaren Verstoßes gegen die Verfassung, oder aber das Gesetz lässt sich verfassungskonform so auslegen, dass es den sozialstaatlichen Anforderungen genügt. Dieser Frage gehen wir im Folgenden auf den Grund:
Von den vier unabänderlichen Grundsatzentscheidungen unserer staatlichen Verfasstheit, nämlich der Entscheidung für die Demokratie, für den Rechtsstaat, für den föderalen Bundessstaat sowie schließlich für den Sozialstaat ist die letztgenannte diejenige mit dem geringsten Wirkungsgrad an unmittelbarer Normativität (s auch Zacher ZFSH / SGB 2003,451,452). Die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, das bislang für die Sozialhilfe zuständig war, hat diesen Umstand durchaus im Blick. Es hat aber gleichwohl rechtliche Folgerungen aus dem Sozialstaatsgebot geschlossen: So sei zwar dem Sozialstaatsgebot „angesichts seiner Weite und Unbestimmtheit (...) regelmäßig kein Gebot (zu) entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren. Zwingend ist lediglich, dass der Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schafft” (BVerfGE 82, 60,80). Aus „Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgrundsatz des Art. 20 Abs . 1 GG” folge die Verpflichtung des Staates, „dem mittellosen Bürger diese Mindestvoraussetzungen erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern” (ebda.; dass. E 40, 121, 133; s. auch Dreier, Grundgesetz, Kommentar, Tübingen 1998, Art. 20,- Sozialstaat – Rz 58; Hesselberger, Das Grundgesetz, Kommentar für die politische Bildung, 10. Aufl., Neuwied u.a. 1996, Art. 20 Rz 1 ff.; s. auch die Nachweise zur Rechtssprechung des BVerfG und des BVerwG bei Krahmer in LPK-SGB in Rz 5 u. 7 f.). Wir finden in unserem Grundgesetz keine sozialen Grundrechte, vielmehr hat der Verfassungsgeber sich darauf beschränkt, mit Blick auf das Soziale das Sozialstaatsgebot als konstitutiv und unabänderlich (s. Art. 79 Abs. 3 GG) zu formulieren. Erst in Verbindung mit den Einzelgrundrechten – insbesondere mit dem Grundrecht auf Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG sowie in Verbindung mit dem Gleichheitssatz nach Art. 3 GG – entfaltet das Sozialstaatsprinzip seine mittelbaren Wirkungen. Alle staatlichen Gewalten müssen die Würde des Menschen achten und schützen, auch die Gesetzgebung (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG). Für den Gleichheitssatz formuliert das ausdrücklich Art. 1 Abs 3 GG, und mit der Bindung an „Gesetz und Recht” ist die Gesetzgebung auch an das Sozialstaatsprinzip gebunden (Art. 20 Abs. 3GG).
Das zentrale Kriterium einer Gesetzgebung, die den Sozialstaat adäquat gestaltet, ist nach der Rechtssprechung - wie bereits beschrieben - die Schaffung von „ Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben” seiner Bürger. Dem Sozialgesetzbuch insgesamt kommt die Aufgabe zu, diesen sozialstaatlichen Auftrag bis hinunter auf die einfach gesetzliche Ebene zu transformieren:
Auf der ersten Ebene sollen laut § 1 Abs.1 Satz 1 SGB I zwei von der Rechtssprechung und Lehre entwickelte Leitvorstellungen des Sozialstaates angestrebt („gestaltet” ) werden und zwar zum einen die Leitvorstellung von sozialer Gerechtigkeit: Dies ist die Zielsetzung des Sozialstaates, unzumutbare Ungleichstellungen des Bürgers dort zu beheben, wo er aus eigener Kraft die Würde nicht erreichen und die Freiheit nicht zu nutzen vermag (Art. 1 u. 2 GG). Geminderte Teilnahme und Entfaltungschancen, z. B. auf Grund sozialer Herkunft , Krankheit, Behinderung, Arbeitslosigkeit etc. sollen unter dem Aspekt des Art. 3 GG solidarisch ausgeglichen werden. Die zweite Leitvorstellung ist die der sozialen Sicherheit, die vom Sozialstaat fordert, wirtschaftlich schwachen Bürgern eine menschenwürdige Existenz zu sichern.
Und auf der zweiten Ebene werden fünf Ausformungen dieser Leitvorstellungen benannt, davon an erster Stelle die Sicherung eines menschenwürdigen Daseins sowie die Schaffung gleicher Vorraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, und an weiterer Stelle, den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen.
Auf einer dritten Ebene, nämlich auf der Ebene der Formulierung „Sozialer Rechte” nach §§ 2 bis 10 SGB I, werden diese schon konkreteren Ausformungen der Leitvorstellungen des Sozialstaates noch einmal konkretisiert, und zwar für unseren Problembereich zum einen im sozialen Recht auf Sozialhilfe nach §§ 9, 28 SGB I, und zum anderen im sozialen Recht auf Bildungs- - und Arbeitsförderung nach §§ 3,19,19a SGB I. Die Sicherung des Lebensunterhalts wird in beiden sozialen Rechten benannt, die Sicherung des Lebens in Würde zusätzlich im Recht auf Sozialhilfe. Was ist nun „würdevoll”?
Laut Definition des Bundesverwaltungsgerichtes zum Begriff der Würde, wie er auch im § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG als Auftrag der Sozialhilfe formuliert ist, lebt würdevoll, wer seinen notwendigen Bedarf über das existenziell Unerlässliche hinaus auch in sozio-kultureller Hinsicht bestreiten kann. Wichtig ist dabei, dass auch nach Auffassung des höchsten Gerichts, maßgebend für dieses sozio-kulturelle Existenzminimum die wechselnden herrschenden Lebensgewohnheiten und Erfahrungen sind. D.h. dass der Punkt, an dem die Sozialhilfeträger mit ihren Leistungen spätestens einsetzen müssen, dann erreicht ist, wenn ein Hilfesuchender in seiner Lebensführung so weit herabsinkt, dass er sich in der Umgebung von Nichthilfeempfängern erkennbar von diesen unterscheidet und insofern an seiner Personenwürde Schaden nimmt. Es muss also bei der Bestimmung des sozio-kulturellen Existenzminimums auf die Lebensgewohnheiten abgestellt werden, die auch von der Bevölkerung „in bescheidenen Verhältnissen” geteilt werden, so dass „soziale Ausgrenzung” aus wirtschaftlichen Gründen vermieden wird ( BVerwG FEVS 18,86; vgl. im einzelnen den Überblick über die Rechtsprechung des BVerfG sowie des BVerwG von Rothkegel ZFSH/SGB 2003, Heft 11, 643, 646, 647; derselbe ZFSH/SGB 2002, Heft 10, S. 585, 588).
In § 1 Satz 1 SGB XII wird das Ziel ausdrücklich normiert, dem Hilfesuchenden ein Leben in Würde – im besagten Sinne der sozialstaatsorientierten höchstrichterlichen Rechtssprechung - zu ermöglichen; hier hat der Gesetzgeber bis hinunter auf die einfachgesetzliche Ebene das Sozialstaatsgebot in Verbindung mit dem Würdegrundrecht durchdekliniert (also bis auf die vierte Ebene – vgl. Schaubild von Krahmer in LPK-SGB I Einf. Rz 9). Im SGB II finden wir eine solche Grundsatzvorschrift nicht. Da es sich aber beim Arbeitslosengeld II und beim Sozialgeld um Fürsorgeleistungen handelt und ersatzweise Inanspruchnahmen von Leistungen der Sozialhilfe ausdrücklich ausgeschlossen werden, gibt es von Verfassungs wegen nur zwei Möglichkeiten: Aus dem SGB II ergibt sich entweder ein bedarfsdeckender würdevoller Lebensunterhalt, gegebenenfalls durch eine entsprechende verfassungskonforme Interpretation seiner einschlägigen Vorschriften, oder aber das SGB II ist insofern verfassungswidrig. Ist eine verfassungskonforme Auslegung möglich, braucht das zweitgenannte Szenario (Verfassungsbeschwerde von Betroffenen oder Richtervorlage beim BVerfG) nicht durchgespielt zu werden.
Wie lässt sich also erreichen, die einschlägigen Normen des SGB II dahingehend auszulegen, dass die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz durch dieses Gesetz selbst gewährleistet wird? Anders formuliert: Wie kann die sozialstaatlich gebotene Aufgabe gelöst werden, trotz (oder wegen) des Nichtvorhandenseins oder des Verlusts eines Arbeitsplatzes oder beim Fehlen der Arbeitsfähigkeit die menschwürdige Existenz im Sinne der Würde-Rechtsprechung der höchsten Gerichte zu sichern. Übrigens: Der Bezug von existenzsichernden Sozialleistungen ist nicht Ursache von Arbeitslosigkeit, sondern davon getrennt zu sehende sozialstaatliche Aufgabe - eben vielmehr Folge von Arbeitslosigkeit (so Deutscher Verein Diskussionsbeitrag NDV 2003, Heft 9, S. 369; vergleiche auch Brühl info also 200, Heft 1, S. 16f.; Mrozynski ZFSH/SGB 2004, Heft 4, S.198, 216,219).
Die Frage stellt sich also, ob es genügend Spielraum bei der Interpretation unbestimmter Gesetzesbegriffe sowie mit Blick auf eingeräumtes Ermessen in § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II als hier in Frage stehender Norm der Grundsicherung für Arbeitssuchende gibt, um zu einer verfassungskonformen, das Sozialstaatsprinzip und das Würdegrundrecht beachtenden, Praxis zu kommen. Die Vorschrift lässt mit der Formulierung, dass die vergebenen Darlehen „in Höhe von bis zu 10 vom Hundert” der Regelleistungen getilgt werden, einen durchaus angemessen Spielraum, um seitens der Arbeitsagentur dafür Sorge tragen zu können, dass mit den verbleibenden Regelleistungen noch ein Leben in Würde ermöglicht wird. Ohnehin kann für die Ermessenhandhabung (§ 39 SGB I) mit Blick auf eine Obergrenze nicht auf eine Orientierung an der einschlägigen Parallelvorschrift im Sozialhilferecht (§ 37 SGB XII) verzichtet werden, die allenfalls nur eine 5%ige Aufrechnung mit künftigen Regelleistungen erlaubt und dabei obendrein das „Ob” einer Aufrechnung ausdrücklich ins pflichtgemäße Ermessen der Sozialhilfeträger stellt. In diesem Sinne müssten die 5 % ohnehin als Höchstbetrag im Sinne einer Gleichbehandlung von Fürsorgeempfängern angesehen werden, weil keine sachlichen Gründe für ein Abweichen der Regelungen voneinander im Sinne des Art. 3 GG ersichtlich sind. Nicht nur über die Festsetzung einer äußert niedrigen Prozentrate kann die Darlehensrückzahlung auch im SGB II so niedrig gehalten werden, dass Verletzungen der Würde der Betroffenen nicht auftreten. Sondern auch mit Blick auf die Dauer von Aufrechnungen – die einschlägigen Vorschriften des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II sowie des § 37 Abs. 2 SGB XII begrenzen diese Dauer leider nicht ausdrücklich – sind verfassungskonforme Handhabungen im Rahmen des Ermessens dahingehend zu tätigen, dass die Berechtigten nicht etwa in die materielle Lage gebracht werden, sich in der Umgebung von Nichthilfeempfängern erkennbar von diesen zu unterscheiden.
Vermittelt über die Einbettung des SGB II in das Gesamt-Sozialgesetzbuch lässt sich die Frage nach der ersatzweisen Gewährung von einmaligen Bedarfen dahingehend beantworten, dass im § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Höhe von Darlehenstilgungen dahingehend zu handhaben ist, immer den sozialstaatlichen Auftrag zur Wahrung des Würde-Grundrechts aus Art. 1 in Verbindung mit Art. 20, 28 GG sicher zu stellen. Darlehenstilgungen vom laufenden Arbeitslosengeld II müssen in Höhe und Dauer so gestaltet sein, dass keine soziale Ausgrenzung geschieht. Wer dieser verfassungskonformen Auslegung nicht folgt, muss § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II sowie § 21 Satz 1 SGB XII mit Blick auf den Ausschluss von erwerbsfähigen Arbeitssuchenden von der Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Regeln des SGB XII für verfassungswidrig erachten. Wenn auch die Verfassung keine sozialen Grundrechte vorsieht, so ist doch das Sozialstaatsprinzip über die Ableitung aus §§ 1, 2 SGB I immer dahingehend zu konkretisieren, dass die sozialen Rechte – in diesem Fall insbesondere das soziale Recht auf ein würdevolles Leben im Sinne von §§ 9, 28 SGB I (soziales Recht auf Sozialhilfe) – auch durch das SGB II realisiert werden müssen, weil es keinen Zugang der Betroffenen zu den Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff. SGB XII gibt (§5 Abs. 2 Satz 1 SGB II). An dieser Stelle zeigt sich, wie wichtig die Beachtung der allgemeinen Vorschriften des Sozialrechts ist, insbesondere der sozialen Rechte, die zwar kein Ersatz für fehlende soziale Grundrechte in unserer Verfassung (sozusagen als „ einfach gesetzliches Surrogat”) sind. Aber sie sind eben (vgl. Krahmer in: LPK-SGB I § 2 Rz 6) nicht mehr und nicht weniger als verbindliche Auslegungs- und Ermessensrichtlinien für die Praxis der Träger und Gerichte. Abschließend ein Statement von Rothkegel (ZFSH/SGB 2004, Heft 7): „An der Auffangfunktion der Sozialhilfe kann die Sozialhilfereform, selbst wenn dies gewollt sein sollte, aus verfassungsrechtlichen Gründen nichts ändern; dem ist gegebenenfalls durch verfassungskonforme Auslegung von Konkurrenzvorschriften, Leistungsausschlüssen und Regelungen zur ‚Deckelung’ von Leistungen Rechnung zu tragen.”
* Weitere Infos zu Utz Krahmer
1) Unter Anspruch versteht man im Sozialrecht das Recht des Bürgers vom Sozialleistungsträger ein Tun oder Unterlassen verlangen zu können(§ 38 SGB I). Soweit es um Leistungen geht, wird dieses Recht aber – anders als im Zivilrecht (s. § 194 BGB) – erst durch einen Verwaltungsakt i. S. v. § 31 SGB I ausgelöst. Für das Entstehen eines Anspruchs i.S.v. § 5 Abs.2 Satz 1 SGB II würde das bedeuten, dass die Arbeitsagentur zumindest teilweise eine Leistung der Hilfe zum Lebensunterhalt i. S. v. §§ 19 ff. SGB II per Verwaltungsakt bewilligt haben müsste, damit überhaupt ein Anspruch gegeben wäre, der dann i. S.v. § Abs. 2 SGB II zu dem Leistungsausschluss bezüglich der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII führen würde. Dies hat der Gesetzgeber aber nicht gewollt, vielmehr sollen erwerbsfähige Hilfebedürftige ausschließlich — wenn überhaupt — Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB II erhalten.
Wenn wir über die Hartz-IV-Gesetze sprechen, nämlich über die Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem neuen Zweiten Buch des Sozialgesetzbuch (SGB II) sowie über die Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) ab 01.01.2005 – bis dahin gelten noch das alte BSHG sowie das SGB III in der jetzigen Fassung-, dann sprechen wir über handwerklich äußerst schlecht gemachte Gesetze, die zum Teil über Nacht von völlig überlasteten Ministerialbeamten im 24stündigen 3-Schicht-Dienst unter ungeheuerem Zeitdruck nach den Vorgaben der politischen Spitzen zurechtgezimmert wurden. So entstehen für uns Juristen, die wir diese Gesetze kommentieren und zum Gegenstand unserer Vorlesungen und Weiterbildungsveranstaltungen für Praktiker machen, umfangreiche Betätigungsfelder, gibt es doch eine große Fülle von Widersprüchen jeweils innerhalb dieser beiden Gesetze als auch in ihrer inhaltlichen Verknüpfung untereinander. Eine Reihe von Publikationen dazu sind schon erschienen, so von Berlit und Rothkegel, beide Richter am Bundesverwaltungsgericht, sowie von Mrozynski von der Fachhochschule in München, und nun will auch ich einige Anmerkungen zu den rechtlichen Widersprüchen und den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Hartz IV-Gesetze beisteuern.
Es ließen sich in beiden Gesetzen eine Fülle von Konfliktlagen — teilweise mit verfassungsrechtlichem Bezug — benennen und diskutieren, insbesondere mit Blick darauf, ob die Vorschriften verfassungskonform interpretiert werden können. Als Konfliktlagen u. a. seien beispielhaft benannt hier nur einige:
Da ist erstens die Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II, die im Falle der Weigerung des Betroffenen seine Zustimmung per Unterschrift zu geben durch Verwaltungsakt ersetzt werden soll (das heißt im Verwaltungsrecht „muss”) und zugleich wird zwingend eine Absenkung bzw. gar der Wegfall der Regelleistungen nach § 31 SGB II vorgenommen. Dies ist ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot, das aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip als Teil des Rechtsstaatsprinzips folgt. Zugleich handelt es sich um eine Verletzung des Würde-Grundrechts des Art.1 GG, gegen das der Staat dann verstößt, wenn er den Menschen „zum bloßen Objekt staatlichen Handelns” macht und „kurzer Hand von Obrigkeits wegen über ihn” verfügt (BVerfGE 30, 1, 40 ff. m. w. Nw.; ähnlich schon: BVerwGE 1,159) Berlit spricht von den Leistungsvereinbarungen als „ Vereinbarungen im Schatten der Macht” (Berlit info also 2003, Heft 5, S. 195, 205) und hebt hervor, dass § 15 in die durch Art. 2 GG garantierte Vertragsfreiheit als Teil der freien Entfaltung der Persönlichkeit in unzulässiger Weise eingreift, weil de facto ein Kontrahierungszwang bewirkt wird. In der Vermischung von hoheitlichem Eingriff und sozialer Dienstleistung sieht Berlit (a.a.O.) einen Formenmissbrauch (Vertragsform trotz Fehlen von Vertragsfreiheit), der dem Rechtsstaatprinzip diametral entgegensteht.
Ein zweites Beispiel für Brüche und verfassungsrechtliche Konfliktlagen in den Hartz-IV-Gesetzen ist § 9 Abs 1 Nr. 1 SGB II, der mit der Definition der „Hilfebedürftigkeit” der Erwerbsfähigen in antagonistischem Gegensatz zu § 31 SGB II steht: Nach § 9 SGB II ist nämlich nur hilfebedürftig, wer sich nicht durch die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit selbst helfen kann. Die im § 31 Abs.1 Satz Nr.1 c SGB II ebenfalls behandelte gleichlautende Konfliktlage könnte also gar nicht auftreten, weil der Hilfesuchende bei Verweigerung einer regulären Arbeit überhaupt nicht als Berechtigter im Sinne von § 7 i.V. m. § 9 SGB II anerkannt und deshalb auch keine Leistungen zum Lebensunterhalt erhalten würde, so dass Kürzungen nach 31 SGB II überhaupt nicht in Betracht kämen. Eine ähnliche Konstellation hat es schon zum alten und noch bestehenden Sozialhilferecht gegeben (s. OVG Hamburg FEVS 49, 44 zu dem Verhältnis von § 2 und § 25 Abs. 1 BSHG – vgl. kritisch Krahmer in LPK-BSHG Vor § 18 Rz 4). Es bedarf deshalb gesetzgeberisch einer Klarstellung, dass § 31 SGB II als speziellere Vorschrift vorgeht (so auch Berlit info also 2003, Heft 5, S. 195, 198).
Verfassungsrechtliche Probleme werfen – drittens - auch die Pauschalierungen der Sozialhilfe sowie der Grundsicherung für Arbeitssuchende auf, weil äußerst zweifelhaft ist, ob die vom BVerwG zu den BSHG-Pauschalen entwickelten Kriterien wie
- ausreichende Erfahrungswerte für typisierte Bedarfe als Basis der Pauschalierungen,
- vertretbare Schlussfolgerungen aus empirischen Bedarfserhebungen zu bestimmten Bedarfen oder
- Öffnungsklauseln für Einzelfälle abweichenden Bedarfs
beachtet werden (s. Rothkegel ZFSH/SGB 2002, Heft 10, S. 585,; ders. ZFSH/SGB 2003 Heft 11, S. 643, 648; ders. ZFSH/SGB 2004, Heft 7; vgl. auch Berlit a.a.O.).
Ein viertes Beispiel ist § 27 SGB II, der mit seiner viel zu diffus gehaltenen Verordnungsermächtigung zu den Orientierungswerten bzw. -kriterien einer näheren Eingrenzung von Pauschalierungen der Unterkunftskosten, der Heizungskosten und der einmaligen Sonderbedarfe für Erstausstattungen von Wohnungen und Kleidung etc. gegen Art. 80 Abs. 1 GG mit seinem Bestimmtheitsgebot verstößt (so auch Berlit a.a.O. S. 202).
Als fünftes Beispiel sei genannt die Beweislastumkehr in § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II für die Darlegung eines wichtigen Grundes, der zur Verweigerung von Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, einer Arbeitsgelegenheit im öffentlichen Interesse gegen Mehraufwandsentschädigung bzw. einer Leistungsvereinbarung berechtigt. Verfassungsrechtlich ist diese Beweislastumkehr nicht zulässig, weil eine Differenzierungsklausel fehlt, die Einzelfälle ausnimmt, in denen die Betroffenen nicht in der Lage sind, dieser Beweislast zu genügen oder die Folgen von deren Nichtbeachtung für ihre Existenzsicherung zu überschauen. Anders als in § 25 Abs. 1 BSHG gibt es im Rahmen der zwingenden Absenkungen nach § 31 SGB II kein Ermessen und damit auch keine fortbestehende Betreuungspflicht von Seiten des Trägers, so dass Fehlentscheidungen des Betroffenen nicht durch ein korrigierendes Gegensteuern des Trägers aufgefangen werden können (die Argumentation von Boeken: VSSR 2003, Heft 1, S. 45, 53 f., greift also nicht). Im § 144 Abs. 1 Satz 2 SGB III hat der Gesetzgeber für Bezieher von Arbeitslosengeld I die Beweislast nur eingeschränkt umgekehrt, weil nur in der Sphäre oder im Verantwortungsbereich des Betroffenen liegende Gründe von ihm dargestellt werden müssen, z.B. gesundheitliche oder familiäre Hindernisse (so Benkel in PK-SGB III § 144 Rz 129; s. auch Begr. zum RegE des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II: BR-Drs.558/03, S. 140). Eine solche differenzierende Formulierung, die auf die Zumutbarkeit der Beweisführung durch den Betroffenen abstellt, fehlt in § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Dies ist ein Verstoß gegen das Sozialstaatsgebot im Sinne von Art. 1 GG i.V.m. Art. 20,28 GG sowie gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG, weil die Verwirklichung des Grundrechts auf ein würdevolles Leben denjenigen verwehrt wird, die nicht in der Lage sind ausreichend ihre berechtigten Gründe darzutun, entsprechende Arbeit- oder Leistungsvereinbarungen zu verweigern, die sie zu Recht als schikanös empfinden.
Ein sechstes Beispiel ist § 31 Abs. 5 SGB II, demzufolge für Jugendliche bzw. junge Erwachsene eine Absenkung der Leistungen nach dem SGB II bis auf die Unterkunftskosten schon dann erfolgt, wenn eine einmalige Verweigerung im Sinne von § 31 Abs. 1 u. Abs. 2 SGB II vorliegt und allenfalls noch Sachleistungen (Kleiderkammer / Möbellager oder Lebensmittelgutscheine) gewährt werden. Diese Vorschriften müssen verfassungskonform dahin gehend interpretiert werden, dass in der Weise nur verfahren werden darf, wenn die Bundesagentur im Sinne von § 3 Abs. 2 SGB II tatsächlich das dort geforderte Engagement an den Tag gelegt hat, die Betroffenen im Rahmen der Eingliederungsmaßnahmen für eine Tätigkeit entsprechend zu qualifizieren (so auch Mrozynski ZFSH /SGB 2004, Heft 4, S. 198, 217). Für die Erfüllung ihrer Pflichten ist übrigens die Arbeitsagentur beweispflichtig.
Als siebtes Beispiel mag die nach § 31 Abs. 6 SGB II verpflichtend vorgeschriebene Absenkung von Regelleistungen und Sozialgeld für die Dauer von drei Monaten gelten, selbst wenn der Betreffende in Folge der ersten Wirkungen von Kürzungen seine „uneinsichtige” Haltung aufgibt und nunmehr an einer Eingliederungsmaßnahme teilnehmen oder eine reguläre Arbeit aufnehmen will. Dass in diesem Fall vor dem Ablauf von drei Monaten die Leistungen nicht wieder aufgenommen werden können, verstößt gegen das Menschenwürde-Grundrecht i. V. m. dem Sozialstaatsgebot (Art. 1 u. Art. 20., 28 GG) sowie gegen das Übermaßverbot des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als Teil des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20, 28 GG).
I. Einmalige Bedarfe in der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II (achtes Beispiel mit Fallgestaltung)
Ich will mit einem Fall beginnen: Ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger kommt mit den ihm, seiner Frau und seinen Kindern zur Verfügung gestellten Mitteln der Hilfe zum Lebensunterhalt (Arbeitslosengeld II) nicht klar: Ein einmaliger Bedarf für die dringend anstehende Wohnungsrenovierung, für den Ersatz aufgebrauchter bzw. zerschlissener Kleidung, für die Ausstattung des anstehenden Weihnachtsfestes sowie für den Einkauf von Ersatzmöbeln können nicht finanziert werden, weil einfach kein Geld dafür angespart werden konnte (oder weil die Mutter das Geld verloren oder weil der Vater es versoffen hat). Hat er (mit seiner Familie) Anspruch auf Deckung dieses Bedarfs?
Die Regelleistung in Höhe von 345,- € - und wir bleiben einmal nur bei dieser einen Teilleistung des Arbeitslosengeldes II – umfasst nach § 20 Abs. 1 SGB II diese einmaligen Bedarfe. Praktisch müssen also aus der Differenz in Höhe von 345,-€ und dem jetzigen Regelsatz von 296,- € (d.h. von 49,-€) die gesamten einmaligen Bedarfe abgedeckt werden (Ausnahmen sind: Mietschulden, Energieschulden, Erstausstattung einer Wohnung, Erstausstattung von Bekleidung, dies auch bei Schwangerschaft und Geburt eines Kindes, sowie mehrtägige schulpflichtige Klassenfahrten von Kindern). Alle anderen Bedarfe, die früher als Einmalige Leistungen gesondert gewährt wurden (§ 21 BSHG) sind ab 01.01.2005 für Empfänger von Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende von diesen 49,- € pro Monat zu bezahlen. Ein Ansparvermögen, wie es §12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II für die einmaligen Bedarfe im Rahmen des SGB II schützt (750,- € pro Mitglied der Bedarfsgemeinschaft), werden viele Betroffene nicht anlegen können, weil die rund 50,-€ Aufschlag auf den jetzigen Regelsatz für andere Bedarfe verbraucht sein werden, z.B. für die versäumten Anpassungen der Regelsätze nach dem BSHG in den vergangenen Jahren, oder für die Aufwendungen, die auf Grund der Gesundheitsreform von den Betroffenen selbst getragen werden müssen (s .Spindler Soziale Sicherheit 2004, Heft 4, S. 55) oder weil viele Betroffene ein Ansparen einfach nicht schaffen.
Eine ersatzweise Sonderleistung sieht das SGB II in § 23 nur in absoluten Ausnahmefällen vor, die die Betroffenen nachweisen müssen und dies auch nur dann, wenn Sachleistungen aus Kleiderkammern oder Gebrauchtwarenlagern nicht möglich sind. Selbst in diesen Ausnahmefällen werden aber nicht verlorene Zuschüsse, sondern nur Darlehen vergeben, die nicht etwa erst ab dem Zeitpunkt zurückgefordert werden, ab dem dem Betreffenden wieder Geld in ausreichendem Umfang zur Verfügung steht, sondern sie werden während des weiteren Bezugs von Arbeitslosengeld II in Höhe von bis zu 10 % der künftigen monatlichen Regelleistungen getilgt, indem entsprechende Einbehaltungen erfolgen (§ 23 Abs.1 SGB II). Die Vorschrift ist zwingend, das heißt die Arbeitsagentur muss die Regelleistungen kürzen, nur in der Höhe („bis zu 10 vom Hundert”) hat sie verschiedene Optionen – rechtstechnisch hat sie also Ermessen im Sinne von § 39 SGB I pflichtgemäß auszuüben ( darauf wird im Folgenden noch näher eingegangen, s. unten II).
Treten mehrere Einzelfälle auf, in denen die Betroffenen mit den Regelleistungen einmalige Bedarfe nicht abdecken können, sind auch mehrere Darlehen additiv möglich, die dann auch additiv von den künftigen Regelleistungen einbehalten würden. In der Summe kann es also sein, dass mehr als 10 % der Regelleistungen monatlich abgezogen werden. Man spricht insofern von einer „verschobenen Unterdeckung” der Bedarfe (Rothkegel ZFSH / SGB 2004, Heft 7: „zeitlich gestreckte Bedarfsunterdeckung”). Praktisch können solche Situationen auch dann eintreten, wenn zum Beispiel die Geldbörse verloren geht oder der Vater das ganze Geld verspielt.
Wer meint, die Sozialhilfe nach dem SGB XII werde künftig diesen Bedarf auffangen, irrt leider: Laut § 5 Abs.2 Satz 1 SGB II sind die dem SGB II zugeordneten erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und ihre Angehörigen in der Bedarfsgemeinschaft ausdrücklich vom Erhalt aufstockender Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ausgeschlossen. Ein „Netz unter dem Netz” des Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgeldes für die nicht erwerbsfähigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gibt es nicht (von Mietschulden abgesehen).
Schon der „Anspruch”, nicht erst der Erhalt von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.S. v. §§ 19 ff. SGB II schließt Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches (das sind die §§ 27 bis 40 SGB XII) aus. Nach der Absicht des Gesetzgebers sind also auch diejenigen Personen ausgeschlossen, die nur dem Grunde nach (nicht aber tatsächlich) Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB II erhalten.1 Dies geht aus dem SGB XII als dem anderen Hartz-IV-Gesetz hervor, das in engem zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit dem SGB II ausgearbeitet und verabschiedet wurde: Nach § 21 Satz 1 SGB XII als sozialhilferechtlichem Pendant zu § 5 Abs. 2 SGB II erhalten Erwerbsfähige und ihre Angehörigen, die nach dem SGB II „ dem Grunde nach” leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach den §§ 27 ff. SGB XII. Ausdrücklich wird in der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 21 SGB XII auf § 5 Abs. 2 SGB II Bezug genommen und festgestellt, dass der Ausschluss der sozialhilferechtlichen Hilfe zum Lebensunterhalt nicht voraussetzt, dass jemand „tatsächlich Leistungen” der Arbeitsagentur erhält; vielmehr wird an die bloße Eigenschaft als Erwerbsfähiger bzw. an die Angehörigeneigenschaft angeknüpft.
Das Aufstockungs- bzw. Ersatzverbot der §§ 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II, 21 Satz 1 SGB XII hat zur Konsequenz, dass kein Mangel ausgeglichen wird, der dadurch auftritt, dass der Betreffende entweder gar keine Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 19 ff. SGB II oder aber nur in einem solch geringem Maße erhält, dass sein Bedarf nicht gedeckt ist. Im Ergebnis bleibt der Betreffende mit seiner Familie ohne Unterstützung des Sozialhilfeträgers, die fraglichen Einmaligen Bedarfe bleiben ungedeckt oder sie führen bei ausnahmsweiser Leistung der Bundesanstalt zu erheblich abgesenkten Regelleistungen in der Folgezeit bei gleichzeitiger Verschuldung.
II. Zur verfassungsrechtlichen Sicht der Konfliktlage
Das Sozialstaatsgebot der Verfassung aus Art. 20, 28 GG ist eine Staatszielbestimmung, die ihre Wirkung allererst als Gestaltungsauftrag für den Gesetzgeber entfaltet, dies aber auch für die Exekutive in der Anwendung und für die Gerichte bei der Auslegung der Gesetze.Um dies besser verstehen zu können, soll im Folgenden kurz auf das Verhältnis von SGB II und allgemeinem Sozialrecht (in seiner Konkretion im Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuchs - SGB I) eingegangen und versucht werden, die Rahmensetzungen für das Einfügen der Grundsicherung für Arbeitssuchende in das SGB näher zu definieren. Dafür muss auch auf den verfassungsrechtlichen Auftrag eingegangen werden, den das SGB insgesamt mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip und dessen Konkretisierung auf einfachgesetzlicher Ebene hat.
Die Schaffung eines eigenen ( Zweiten) Buchs im Sozialgesetzbuch für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende wird von der Bundesregierung im Entwurf zum SGB II damit begründet, dass ein völlig neues Leistungssystem geschaffen wird, das mit seinen Eingliederungsleistungen speziell für Langzeitarbeitslose über die in SGB III geregelte Arbeitsförderung hinausgeht und außerdem die Sozialhilfe für Erwerbsfähige mit dem vorgenannten Personenkreis zusammenführen will. Anders als die frühere Arbeitslosenhilfe orientieren sich die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 19 ff. SGB II nicht am früheren Verdienst der Betroffenen. Vielmehr sollen sie wie in der Sozialhilfe ausgestaltet, dabei aber ausdrücklich „bedarfsdeckend” sein (BR-Drs. 558/03 S. 112) oder – wie es an anderer Stelle heißt: Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB II sind staatliche Fürsorgeleistungen, die „unter Berücksichtigung des Bedarfsdeckungsgrundsatzes” gewährt werden (a.a.O. S. 105). Ausdrücklich nimmt die Begründung im allgemeinen Teil auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG Bezug, der dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die öffentliche Fürsorge gibt (wenn und soweit dies unter bestimmten Vorraussetzungen erforderlich ist). Der mit der Sozialhilfe identische Charakter der Grundsicherung für Arbeitssuchende wird mit dem folgenden Statement aus der Begründung (a.a.O. S. 114) besonders deutlich: „ Die Grundsicherung für Arbeitssuchende tritt an die Stelle der öffentlichen Fürsorgeleistung Arbeitslosenhilfe und ersetzt teilweise die öffentliche Fürsorgeleistung Sozialhilfe”.
Das Referenzsystem für die Bemessung der Regelleistungen im SGB II ist die Sozialhilfe: So legt es § 20 Abs. 4 Satz 2 SGB II ausdrücklich fest. Dass die Regelsätze in der Sozialhilfe seit Jahren nicht angehoben worden sind, und man mittlerweile von einem Mangel in Höhe von ca. 16% selbst auf dem Niveau der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von 1983 hinweisen muss, dass weiterhin für die Festsetzung der Regelleistungen nach § 20 SGB II sowie für die entsprechenden Regelleistungen im Rahmen des Sozialgeldes nach § 28 SGB II die Welt auf den Kopf gestellt worden ist, in dem in § 20 Abs. 2 SGB II mit 345,- € die Regelleistung bereits Ende des letzten Jahres für den 01.01.2005 festgesetzt wurde, obwohl der Sozialhilferegelsatz jetzt noch erst ermittelt werden muss, dass weiterhin die Regelsatz-Verordnung in ihrer verabschiedeten Fassung zu einer fatalen Unterdeckung der relevanten Bedarfe führt und führen wird - dies alles ist längst kritisiert und kann hier nicht näher behandelt werden (s. im Einzelnen: Aufruf der Wissenschaft , epd sozial 2004 Nr. 11, vom 12. 03. 2004. S. 12; Stellungnahme des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, NDV 2004, Heft 4, S. 109,110; Berlit info also 2003, Heft 5, S. 195, 200, 203; Rothkegel ZFSH/SGB 2004 Heft 7). Was hier allein interessieren muss, ist der Umstand, dass die materiellen Leistungen nach dem SGB II als Fürsorgeleistungen konzipiert sind und auf Grund der Regelungen in den §§ 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II, 21 Satz 1 SGB XII als letzte soziale Sicherung fungieren, unterhalb der es keine Sozialhilfe mit Auffangfunktion für die Erwerbsfähigen und ihre Angehörigen in der Bedarfsgemeinschaft mehr gibt. Das SGB II muss folglich so konzipiert und gesetzgeberisch auch so formuliert sein, dass es den Anforderungen aus dem Sozialstaatsprinzip und seinen Konkretisierungen im Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuchs genügt. Ist das nicht der Fall, gibt es nur die Alternative zwischen der Feststellung eines interpretatorisch nicht lösbaren Verstoßes gegen die Verfassung, oder aber das Gesetz lässt sich verfassungskonform so auslegen, dass es den sozialstaatlichen Anforderungen genügt. Dieser Frage gehen wir im Folgenden auf den Grund:
Von den vier unabänderlichen Grundsatzentscheidungen unserer staatlichen Verfasstheit, nämlich der Entscheidung für die Demokratie, für den Rechtsstaat, für den föderalen Bundessstaat sowie schließlich für den Sozialstaat ist die letztgenannte diejenige mit dem geringsten Wirkungsgrad an unmittelbarer Normativität (s auch Zacher ZFSH / SGB 2003,451,452). Die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, das bislang für die Sozialhilfe zuständig war, hat diesen Umstand durchaus im Blick. Es hat aber gleichwohl rechtliche Folgerungen aus dem Sozialstaatsgebot geschlossen: So sei zwar dem Sozialstaatsgebot „angesichts seiner Weite und Unbestimmtheit (...) regelmäßig kein Gebot (zu) entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren. Zwingend ist lediglich, dass der Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schafft” (BVerfGE 82, 60,80). Aus „Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgrundsatz des Art. 20 Abs . 1 GG” folge die Verpflichtung des Staates, „dem mittellosen Bürger diese Mindestvoraussetzungen erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern” (ebda.; dass. E 40, 121, 133; s. auch Dreier, Grundgesetz, Kommentar, Tübingen 1998, Art. 20,- Sozialstaat – Rz 58; Hesselberger, Das Grundgesetz, Kommentar für die politische Bildung, 10. Aufl., Neuwied u.a. 1996, Art. 20 Rz 1 ff.; s. auch die Nachweise zur Rechtssprechung des BVerfG und des BVerwG bei Krahmer in LPK-SGB in Rz 5 u. 7 f.). Wir finden in unserem Grundgesetz keine sozialen Grundrechte, vielmehr hat der Verfassungsgeber sich darauf beschränkt, mit Blick auf das Soziale das Sozialstaatsgebot als konstitutiv und unabänderlich (s. Art. 79 Abs. 3 GG) zu formulieren. Erst in Verbindung mit den Einzelgrundrechten – insbesondere mit dem Grundrecht auf Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG sowie in Verbindung mit dem Gleichheitssatz nach Art. 3 GG – entfaltet das Sozialstaatsprinzip seine mittelbaren Wirkungen. Alle staatlichen Gewalten müssen die Würde des Menschen achten und schützen, auch die Gesetzgebung (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG). Für den Gleichheitssatz formuliert das ausdrücklich Art. 1 Abs 3 GG, und mit der Bindung an „Gesetz und Recht” ist die Gesetzgebung auch an das Sozialstaatsprinzip gebunden (Art. 20 Abs. 3GG).
Das zentrale Kriterium einer Gesetzgebung, die den Sozialstaat adäquat gestaltet, ist nach der Rechtssprechung - wie bereits beschrieben - die Schaffung von „ Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben” seiner Bürger. Dem Sozialgesetzbuch insgesamt kommt die Aufgabe zu, diesen sozialstaatlichen Auftrag bis hinunter auf die einfach gesetzliche Ebene zu transformieren:
Auf der ersten Ebene sollen laut § 1 Abs.1 Satz 1 SGB I zwei von der Rechtssprechung und Lehre entwickelte Leitvorstellungen des Sozialstaates angestrebt („gestaltet” ) werden und zwar zum einen die Leitvorstellung von sozialer Gerechtigkeit: Dies ist die Zielsetzung des Sozialstaates, unzumutbare Ungleichstellungen des Bürgers dort zu beheben, wo er aus eigener Kraft die Würde nicht erreichen und die Freiheit nicht zu nutzen vermag (Art. 1 u. 2 GG). Geminderte Teilnahme und Entfaltungschancen, z. B. auf Grund sozialer Herkunft , Krankheit, Behinderung, Arbeitslosigkeit etc. sollen unter dem Aspekt des Art. 3 GG solidarisch ausgeglichen werden. Die zweite Leitvorstellung ist die der sozialen Sicherheit, die vom Sozialstaat fordert, wirtschaftlich schwachen Bürgern eine menschenwürdige Existenz zu sichern.
Und auf der zweiten Ebene werden fünf Ausformungen dieser Leitvorstellungen benannt, davon an erster Stelle die Sicherung eines menschenwürdigen Daseins sowie die Schaffung gleicher Vorraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, und an weiterer Stelle, den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen.
Auf einer dritten Ebene, nämlich auf der Ebene der Formulierung „Sozialer Rechte” nach §§ 2 bis 10 SGB I, werden diese schon konkreteren Ausformungen der Leitvorstellungen des Sozialstaates noch einmal konkretisiert, und zwar für unseren Problembereich zum einen im sozialen Recht auf Sozialhilfe nach §§ 9, 28 SGB I, und zum anderen im sozialen Recht auf Bildungs- - und Arbeitsförderung nach §§ 3,19,19a SGB I. Die Sicherung des Lebensunterhalts wird in beiden sozialen Rechten benannt, die Sicherung des Lebens in Würde zusätzlich im Recht auf Sozialhilfe. Was ist nun „würdevoll”?
Laut Definition des Bundesverwaltungsgerichtes zum Begriff der Würde, wie er auch im § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG als Auftrag der Sozialhilfe formuliert ist, lebt würdevoll, wer seinen notwendigen Bedarf über das existenziell Unerlässliche hinaus auch in sozio-kultureller Hinsicht bestreiten kann. Wichtig ist dabei, dass auch nach Auffassung des höchsten Gerichts, maßgebend für dieses sozio-kulturelle Existenzminimum die wechselnden herrschenden Lebensgewohnheiten und Erfahrungen sind. D.h. dass der Punkt, an dem die Sozialhilfeträger mit ihren Leistungen spätestens einsetzen müssen, dann erreicht ist, wenn ein Hilfesuchender in seiner Lebensführung so weit herabsinkt, dass er sich in der Umgebung von Nichthilfeempfängern erkennbar von diesen unterscheidet und insofern an seiner Personenwürde Schaden nimmt. Es muss also bei der Bestimmung des sozio-kulturellen Existenzminimums auf die Lebensgewohnheiten abgestellt werden, die auch von der Bevölkerung „in bescheidenen Verhältnissen” geteilt werden, so dass „soziale Ausgrenzung” aus wirtschaftlichen Gründen vermieden wird ( BVerwG FEVS 18,86; vgl. im einzelnen den Überblick über die Rechtsprechung des BVerfG sowie des BVerwG von Rothkegel ZFSH/SGB 2003, Heft 11, 643, 646, 647; derselbe ZFSH/SGB 2002, Heft 10, S. 585, 588).
In § 1 Satz 1 SGB XII wird das Ziel ausdrücklich normiert, dem Hilfesuchenden ein Leben in Würde – im besagten Sinne der sozialstaatsorientierten höchstrichterlichen Rechtssprechung - zu ermöglichen; hier hat der Gesetzgeber bis hinunter auf die einfachgesetzliche Ebene das Sozialstaatsgebot in Verbindung mit dem Würdegrundrecht durchdekliniert (also bis auf die vierte Ebene – vgl. Schaubild von Krahmer in LPK-SGB I Einf. Rz 9). Im SGB II finden wir eine solche Grundsatzvorschrift nicht. Da es sich aber beim Arbeitslosengeld II und beim Sozialgeld um Fürsorgeleistungen handelt und ersatzweise Inanspruchnahmen von Leistungen der Sozialhilfe ausdrücklich ausgeschlossen werden, gibt es von Verfassungs wegen nur zwei Möglichkeiten: Aus dem SGB II ergibt sich entweder ein bedarfsdeckender würdevoller Lebensunterhalt, gegebenenfalls durch eine entsprechende verfassungskonforme Interpretation seiner einschlägigen Vorschriften, oder aber das SGB II ist insofern verfassungswidrig. Ist eine verfassungskonforme Auslegung möglich, braucht das zweitgenannte Szenario (Verfassungsbeschwerde von Betroffenen oder Richtervorlage beim BVerfG) nicht durchgespielt zu werden.
Wie lässt sich also erreichen, die einschlägigen Normen des SGB II dahingehend auszulegen, dass die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz durch dieses Gesetz selbst gewährleistet wird? Anders formuliert: Wie kann die sozialstaatlich gebotene Aufgabe gelöst werden, trotz (oder wegen) des Nichtvorhandenseins oder des Verlusts eines Arbeitsplatzes oder beim Fehlen der Arbeitsfähigkeit die menschwürdige Existenz im Sinne der Würde-Rechtsprechung der höchsten Gerichte zu sichern. Übrigens: Der Bezug von existenzsichernden Sozialleistungen ist nicht Ursache von Arbeitslosigkeit, sondern davon getrennt zu sehende sozialstaatliche Aufgabe - eben vielmehr Folge von Arbeitslosigkeit (so Deutscher Verein Diskussionsbeitrag NDV 2003, Heft 9, S. 369; vergleiche auch Brühl info also 200, Heft 1, S. 16f.; Mrozynski ZFSH/SGB 2004, Heft 4, S.198, 216,219).
Die Frage stellt sich also, ob es genügend Spielraum bei der Interpretation unbestimmter Gesetzesbegriffe sowie mit Blick auf eingeräumtes Ermessen in § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II als hier in Frage stehender Norm der Grundsicherung für Arbeitssuchende gibt, um zu einer verfassungskonformen, das Sozialstaatsprinzip und das Würdegrundrecht beachtenden, Praxis zu kommen. Die Vorschrift lässt mit der Formulierung, dass die vergebenen Darlehen „in Höhe von bis zu 10 vom Hundert” der Regelleistungen getilgt werden, einen durchaus angemessen Spielraum, um seitens der Arbeitsagentur dafür Sorge tragen zu können, dass mit den verbleibenden Regelleistungen noch ein Leben in Würde ermöglicht wird. Ohnehin kann für die Ermessenhandhabung (§ 39 SGB I) mit Blick auf eine Obergrenze nicht auf eine Orientierung an der einschlägigen Parallelvorschrift im Sozialhilferecht (§ 37 SGB XII) verzichtet werden, die allenfalls nur eine 5%ige Aufrechnung mit künftigen Regelleistungen erlaubt und dabei obendrein das „Ob” einer Aufrechnung ausdrücklich ins pflichtgemäße Ermessen der Sozialhilfeträger stellt. In diesem Sinne müssten die 5 % ohnehin als Höchstbetrag im Sinne einer Gleichbehandlung von Fürsorgeempfängern angesehen werden, weil keine sachlichen Gründe für ein Abweichen der Regelungen voneinander im Sinne des Art. 3 GG ersichtlich sind. Nicht nur über die Festsetzung einer äußert niedrigen Prozentrate kann die Darlehensrückzahlung auch im SGB II so niedrig gehalten werden, dass Verletzungen der Würde der Betroffenen nicht auftreten. Sondern auch mit Blick auf die Dauer von Aufrechnungen – die einschlägigen Vorschriften des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II sowie des § 37 Abs. 2 SGB XII begrenzen diese Dauer leider nicht ausdrücklich – sind verfassungskonforme Handhabungen im Rahmen des Ermessens dahingehend zu tätigen, dass die Berechtigten nicht etwa in die materielle Lage gebracht werden, sich in der Umgebung von Nichthilfeempfängern erkennbar von diesen zu unterscheiden.
III. Fazit: Würdevolles Leben bei pflichtgemäßer Ermessensausübung auch mit Blick auf einmalige Bedarfe garantiert
Vermittelt über die Einbettung des SGB II in das Gesamt-Sozialgesetzbuch lässt sich die Frage nach der ersatzweisen Gewährung von einmaligen Bedarfen dahingehend beantworten, dass im § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Höhe von Darlehenstilgungen dahingehend zu handhaben ist, immer den sozialstaatlichen Auftrag zur Wahrung des Würde-Grundrechts aus Art. 1 in Verbindung mit Art. 20, 28 GG sicher zu stellen. Darlehenstilgungen vom laufenden Arbeitslosengeld II müssen in Höhe und Dauer so gestaltet sein, dass keine soziale Ausgrenzung geschieht. Wer dieser verfassungskonformen Auslegung nicht folgt, muss § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II sowie § 21 Satz 1 SGB XII mit Blick auf den Ausschluss von erwerbsfähigen Arbeitssuchenden von der Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Regeln des SGB XII für verfassungswidrig erachten. Wenn auch die Verfassung keine sozialen Grundrechte vorsieht, so ist doch das Sozialstaatsprinzip über die Ableitung aus §§ 1, 2 SGB I immer dahingehend zu konkretisieren, dass die sozialen Rechte – in diesem Fall insbesondere das soziale Recht auf ein würdevolles Leben im Sinne von §§ 9, 28 SGB I (soziales Recht auf Sozialhilfe) – auch durch das SGB II realisiert werden müssen, weil es keinen Zugang der Betroffenen zu den Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff. SGB XII gibt (§5 Abs. 2 Satz 1 SGB II). An dieser Stelle zeigt sich, wie wichtig die Beachtung der allgemeinen Vorschriften des Sozialrechts ist, insbesondere der sozialen Rechte, die zwar kein Ersatz für fehlende soziale Grundrechte in unserer Verfassung (sozusagen als „ einfach gesetzliches Surrogat”) sind. Aber sie sind eben (vgl. Krahmer in: LPK-SGB I § 2 Rz 6) nicht mehr und nicht weniger als verbindliche Auslegungs- und Ermessensrichtlinien für die Praxis der Träger und Gerichte. Abschließend ein Statement von Rothkegel (ZFSH/SGB 2004, Heft 7): „An der Auffangfunktion der Sozialhilfe kann die Sozialhilfereform, selbst wenn dies gewollt sein sollte, aus verfassungsrechtlichen Gründen nichts ändern; dem ist gegebenenfalls durch verfassungskonforme Auslegung von Konkurrenzvorschriften, Leistungsausschlüssen und Regelungen zur ‚Deckelung’ von Leistungen Rechnung zu tragen.”
Fussnoten
* Weitere Infos zu Utz Krahmer
1) Unter Anspruch versteht man im Sozialrecht das Recht des Bürgers vom Sozialleistungsträger ein Tun oder Unterlassen verlangen zu können(§ 38 SGB I). Soweit es um Leistungen geht, wird dieses Recht aber – anders als im Zivilrecht (s. § 194 BGB) – erst durch einen Verwaltungsakt i. S. v. § 31 SGB I ausgelöst. Für das Entstehen eines Anspruchs i.S.v. § 5 Abs.2 Satz 1 SGB II würde das bedeuten, dass die Arbeitsagentur zumindest teilweise eine Leistung der Hilfe zum Lebensunterhalt i. S. v. §§ 19 ff. SGB II per Verwaltungsakt bewilligt haben müsste, damit überhaupt ein Anspruch gegeben wäre, der dann i. S.v. § Abs. 2 SGB II zu dem Leistungsausschluss bezüglich der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII führen würde. Dies hat der Gesetzgeber aber nicht gewollt, vielmehr sollen erwerbsfähige Hilfebedürftige ausschließlich — wenn überhaupt — Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB II erhalten.