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Veröffentlichung: Zu den Grenzen der Rechtsberatung Bedürftiger

Zu den Grenzen der Rechtsberatung Bedürftiger in sozialen Angelegenheiten durch kirchlichen Träger der freien Wohlfahrtspflege
LG Stuttgart, Urteil vom 21.6.2001, Az.: 5 KfH O 21/01(nicht rechtskräftig)

Sachverhalt (unwesentlich gekürzt und zusammengefasst):
Die Rechtsanwaltskammer Stuttgart als Standesorganisation der örtlichen Anwälte (Klagerin, im folgenden Kl.), eine Anstalt öffentlichen Rechts, klagt gegen den Caritasverband für Stuttgart e.V. (Beklagte zu 1, im folgenden Bekl. zu 1) sowie gegen den bei ihr angestellten Dr. H. (Beklagter zu 2, im folgenden Bekl. zu 2) und beantragt, beiden Bekl. unter Strafdrohung zu untersagen, Dritten Rechtsrat zu erteilen oder erteilen zu lassen, indem etwa für Dritte Eingaben an Gerichte vorformuliert werden, ausgenommen Tätigkeiten im Rahmen von § 305 InsO.
Auf Verlangen der Kl. hatte sich die Bekl. zu 1 bereits am 27.08.1997 durch eine Erklärung gegenüber der Klägerin verpflichtet, jede Art von Prozessvertretung Dritter vor deutschen Gerichten zu unterlassen.

Die Bekl. zu 1 steht als kirchlicher Träger der freien Wohlfahrtspflege in Form eines eingetragenen Vereins unter der Aufsicht des Bischofs der Diözese Rottenburg/ Stuttgart. Die Caritas ist u.a. im sozialen und sozialhilferechtlichen Bereich tätig und leistet dabei den Betroffenen persönliche Hilfe, die auch die Beratung beim Verfassen von Schriftsätzen und Anträgen gegenüber Behörden und Gerichten in Fragen der Sozialhilfe umfasst.
Der Bekl. zu 2 ist seit 1. April 1995 bei der Bekl. zu 1 angestellt. Seine Tätigkeit besteht in der Beratung der Dienste und Einrichtungen der Bekl. 1 wie auch ihrer Klienten in sozialrechtlichen Fragen. Er besitzt als Assessor des Verwaltungsdienstes die Befähigung zu höherem Verwaltungsdienst.

Die Kl. vertritt die Auffassung, die Tätigkeit des Bekl. zu 2 im Auftrag der Bekl. zu 1 sei als geschäftsmäßige Besorgung von Rechtsangelegenheiten anzusehen und verstoße somit gegen das Rechtsberatungsgesetz. Dieses Vorgehen sei gleichzeitig einen Verstoß gegen § 1 UWG; beide Beklagte seien deshalb zur Unterlassung verpflichtet.
Zunächst hatte die Kl. beantragt, beiden Bekl. zu untersagen, Dritten Rechtsrat zu erteilen oder zu erteilen zu lassen (z.B. durch von ihnen vorformulierte Eingaben an Behörden und Gerichte). Aufgrund des Hinweises der Bekl., sie seien von verschiedenen Insolvenzgerichten als „geeignete Stelle„ im Sinne von § 305 InsO anerkannt, hat die Kl. ihren Antrag eingeschränkt und diese Tätigkeit ausgenommen. In der mündlichen Verhandlung hat die Kl. ihren Antrag nochmals teilweise zurückgenommen und erklärt, beanstandet werde nun allein noch die Tätigkeit der Bekl. gegenüber Gerichten, nicht mehr gegenüber Behörden.

Die Bekl. beantragen Klagabweisung und tragen vor: Die Bekl. zu 1 sei trotz ihrer privatrechtlichen Organisation ein kirchlicher Verband; er nehme am körperschaftlichen Status der Diözese gem. Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 III WRV teil. Deshalb könnten beide Bekl. das Privileg des § 3 I RBerG beanspruchen – eine rechtsberatende Tätigkeit sei ihnen sonach gestattet.

Die Kl. vertritt weiter die Ansicht, dass die Bekl. zu 1 auch nach Kirchenrecht keine kirchliche Behörde sei; § 3 Nr. 1 RBerG gelte also für sie nicht. § 1 RBerG gehöre zur verfassungsmäßigen Ordnung, an die auch die Bekl. gebunden seien. Es sei legitimes Anliegen der Kl., die Allgemeinheit vor nicht fachkundigem Rechtsrat zu schützen. Es gebe verschiedene Möglichkeiten, dem kirchlichen Anliegen der Bekl. in gesetzeskonformer Weise nachzukommen - etwa die Beratung durch Rechtsanwalte bei Verbraucherorganisationen.
Tätige Rechtshilfe bei der förmlichen Rechtsverfolgung stelle keine persönliche Hilfe im Sinne von § 8 BSHG dar. In dieser Vorschrift sei nur die Aufgabe des Sozialhilfeträgers geregelt. nicht aber, in welcher Weise er diese Aufgaben zu erfüllen habe. § 8 Abs.2 BSHG stehe einer Anwendbarkeit des RBerG nicht entgegen. Die Bekl. handelten auch „geschäftsmäßig„, denn dies setze keine Entgeltlichkeit voraus. Maßgeblich sei vielmehr, dass die Bekl. regelmäßig rechtsberatend tätig würden.
Schließlich könne auch das Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen den Parteien nicht bezweifelt werden. Ein Wettbewerbsverstoß liege vor, denn das Angebot beider Parteien beinhalte die Rechtsberatung. Die fehlende Gewinnerzielungsabsicht der Bekl. sei unerheblich.

Urteil: Das Gericht – die 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stuttgart – hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. 3. 2001 am 21. 6. 2001 folgendes Urteil verkündet:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, es zu unterlassen, für Dritte Rechtsrat durch Formulierung von Eingaben an Gerichte zu erteilen, es sei denn, es handele sich um eine Tätigkeit a) im Rahmen von § 305 InsO
b) im Rahmen einer Angelegenheit, die wegen Eilbedürftigkeit keinen Aufschub duldet
c) zur Erlangung von Prozesskostenhilfe.
2. Den Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 500.000.00 DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.
3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreites tragen die Klägerin 9/10 und die Beklagten als Gesamtschuldner 1/10.
5. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,00 DM und für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung von 3.500,00 DM vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe ( Text folgt dem Original; Ergänzungen zum Verständnis in {symbol 125 \f "Times New Roman Special G1" \s 10 ):
„Soweit über die Klage nach der teilweisen Rücknahme gemäß Schriftsatz vom 19.03.2001 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 29.03.2001 noch zu entscheiden ist, ist sie zulässig, aber nur teilweise begründet.
Nicht mehr zu entscheiden ist, ob die Beklagten im außergerichtlichen Rechtsverkehr – also etwa gegenüber Behörden – für ihre Klienten rechtsberatend tätig werden und für diese auftreten dürfen. Die Zulässigkeit einer solchen Tätigkeit steht nicht mehr in Frage, nachdem die Klägerin ihren dahin gerichteten Klagantrag zurückgenommen hat. Im Streit allein ist noch die Frage, ob es den Beklagten gestattet ist, Rechtsberatung durch Formulierung von Eingaben an Gerichte zu erteilen.

1. Gemäß Artikel 1 § 1 des Rechtsberatungsgesetzes (RBerG) darf die geschäftsmäßige Besorgung von Rechtsangelegenheiten einschließlich der Rechtsberatung nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde ausgeübt werden, wobei nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut nicht mehr zwischen haupt- und nebenberuflicher oder entgeltlicher und unentgeltlicher Tätigkeit zu unterscheiden ist. Unerheblich ist auch, ob der Rechtsbesorger oder Rechtsberater/ Jurist ist und ob im Einzelfall die Gefahr mangelnder Sachkunde besteht. Auch der Volljurist unterliegt - soweit er nicht unter die Ausnahmeregelung des § 3 RBerG fällt - der Erlaubnispflicht des § 1 RBerG (Rennen/Caliebe, Kommentar zum RBerG, 3. Auflage, § 1 Rnziff. 16). Die Rechtsberatung ist sonach grundsätzlich Rechtsanwälten vorbehalten. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach entschieden, dass Artikel 1 §1 Satz 1 RBerG mit dem Grundgesetz vereinbar ist (BVerfGG 41, 378 und 97,12).
Diese Bestimmung gehört also zur verfassungsmäßigen Rechtsordnung.

2. Von der Erlaubnispflicht ausgenommen ist gemäß Artikel 1 § 3 Ziffer 1 RBerG die Rechtsberatung und Rechtsbetreuung, die von Körperschaften des öffentlichen Rechts im Rahmen ihrer Zuständigkeit ausgeübt wird.
a) Die Beklagte 1 ist keine Körperschaft des öffentlichen Rechts, sondern ein privatrechtlicher Verein. Trotzdem fällt sie unter die Ausnahmeregelung des § 3 Ziffer 1 RBerG, weil sie an dem öffentlich-rechtlichen Status der sie tragenden Kirche teilnimmt und weil sie der Gesetzgeber in dem gegenüber dem Rechtsberatungsgesetz früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) für die Zulässigkeit persönlicher Hilfe durch die freien Wohlfahrtsverbände beschieden hat (Rennen/Caliebe. § 3 Rnziff. 12).
b) Erlaubnisfreiheit besteht sonach für die Beklagte 1 und damit auch für ihren Mitarbeiter, den Beklagten 2, im Rahmen ihrer Zuständigkeit. Diese umfasst gemäß § 8 I BSHG die persönliche Hilfe und zu dieser gehört nach § 8 I BSHG auch die Beratung in Fragen der Sozialhilfe und sonstigen sozialen Angelegenheiten.
Der Umfang der sonach zulässigen Beratungstätigkeit ist streitig. Nach allgemeiner Auffassung ist der Begriff der "persönlichen Hilfe in sonstigen sozialen Angelegenheiten" weit auszulegen, um den Auftrag der Sozialhilfeträger, insbesondere für Gruppen am Rande der Gesellschaft auch im Bereich der Rechtsberatung ein "letztes Auffangnetz" zu sein, gerecht zu werden. Deshalb muss die persönliche Hilfe auch die Rechtsberatung mit umfassen, wobei es notwendig sein kann und deshalb erlaubt sein muss, bei der Beratung außer auf Fragen des Sozialrechts auch auf Fragen aus anderen Gebieten - etwa des Familien-, Erb- oder Arbeitsrechts - einzugehen, sei es, weil sie den Charakter von Vorfragen haben oder weil die "soziale Angelegenheit" ihrerseits auf sie einwirkt. Es wäre schwierig, die Rechtsberatung auf solche Gebieten von der sonstigen persönlichen Lebensführung zu trennen (Roscher, Lehr- und Praxiskommentar zum BSHG, 5. Auflage, § 8 Rnziff. 25; Knopp/Fichtner, Kommentar zum BSHG, 7. Auflage. Rziff. 33, 34; Osterreicher/Scheiter/Kunz, Kommentar zum BSHG, § 8 Rnziff. 11; Renner/Caliebe, § 3 Rnziff. 11). Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an.

Eine Auslegungshilfe bietet insbesondere auch die Übereinkunft, die bei einem Gespräch im BMJ am 24.02.1969 zwischen den hauptbeteiligten Bundesresors, der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände und der angeschlossenen Organisationen erzielt wurde (abgedruckt bei Knopp/Fichtner, § 8 Rnziff. 37). In diesem "Konsenspapier" ist ausdrücklich festgehalten, dass die Beratung in einer sozialen Angelegenheit auch ein Eingehen auf Rechtsfragen aus sonstigen Rechtsgebieten notwendig machen kann.

c) In der genannten Übereinkunft ist jedoch auch klargestellt, dass die Durchsetzung von Ansprüchen im Streitfall, die Vorbereitung eines Prozesses und die Prozessvertretung über die den Wohl- fahrtsverbänden zugewiesene "persönliche Hilfe" hinausgeht. Auch in Literatur (Knopp/Fichtner, § 8 Rnziff. 15; Rennen/Caliebe, § 3 Rnziff. 13) folgt dieser Meinung.

Die Kammer schließt sich dem an. Danach ist neben der eigentlichen Prozessvertretung, die be- reits Gegenstand der von der Beklagten 1 am 27.08.1997 abgegebenen Unterlassungserklärung ist, den Beklagten auch jede weitere Tätigkeit, die zu einer Prozessführung gehört, insbesondere auch die Abfassung von Schriftsätzen und die Formulierung von Eingaben im Rahmen eines ge-richtlichen Verfahrens untersagt.

d) Von diesem Grundsatz sind indessen Ausnahmen geboten:

aa) Die Klägerin selbst nimmt Tätigkeiten der Beklagten im Rahmen des § 305 InsO aus.

bb) Die staatliche Prozesskostenhilfe ist eine Form der Sozialhilfe im Rahmen der Rechtspflege, die nur aus Zweckmäßigkeitsgründen in der ZPO und nicht im BSHG geregelt ist (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Kommentar zur ZPO, 59. Auflage, Übersicht vor § 114 Rnziff. 1, 2). Es erscheint deshalb sinnvoll, die dem Aufgabenbereich der Beklagten nahestehende Tätigkeit zur Erlangung der Prozesskostenhilfe diesen zuzuweisen.
Die Zuständigkeit der Beklagten endet mit Abschluss des PKH-Verfahrens.

cc) Die Beklagten haben in überzeugender Weise dargelegt, dass ein nicht unerheblicher Teil ihrer Klientel nicht im Stande ist, sich an die üblichen Gepflogenheiten zu halten und dass deshalb oft die Gefahr besteht, dass Termine oder Fristen nicht eingehalten oder sonst versäumt werden. Um die Beklagten auch in solchen Fällen in die Lage zu versetzen, die ihnen obliegende "persönliche Hilfe" in effektiver Art und Weise zu leisten, erscheint es angebracht, ihnen in Eilfällen, also insbesondere dann, wenn die Versäumung einer Frist oder eines Termins droht oder wenn es um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes geht, etwa nach § 123 VWGO oder nach § 916 ff. ZPO - ihnen eine Tätigkeit für ihre Klienten zu gestatten, denen allerdings auf das zur Fristwahrung Erforderliche beschränkt sein muss.

3. Soweit die Beklagten hiernach in der Vergangenheit Rechtsberatung durch Hilfestellung bei gerichtli- chen Verfahren ausgeübt haben, steht der Klägerin ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1 UWG zu.

a) Das Tatbestandsmerkmal der "Geschäftsmäßigkeit" nach § 1 I RBerG liegt unzweifelhaft vor, denn dafür ist lediglich eine selbständige, mit Wiederholungsabsicht erfolgende Tätigkeit erforderlich, die auch unentgeltlich vorgenommen werden kann (Rennen/Caliebe, § 1 RBerG Rnziff. 56).
b) Nicht zweifelhaft kann auch sein, dass zwischen den Parteien ein Wettbewerbsverhältnis besteht. Ein solches ist zu unterstellen, wenn zwei Unternehmen denselben Kundenkreis haben. Dies ist im vorliegenden Fall zu bejahen, denn .,Kunden" sowohl der Klägerin wie auch der Beklagten sind Personen, die Rechtsberatung benötigen. Ausreichend ist, dass jedenfalls ein kleiner Teil der Betroffenen Personen, die von {densymbol 125 \f "Times New Roman Special G1" \s 10 Beklagten beraten wird, damit als Kunden der Mitglieder {dersymbol 125 \f "Times New Roman Special G1" \s 10 Klägerin ausscheiden. Nicht erforderlich ist, dass den Mitgliedern der Klägerin tatsächlich Umsätze entgehen und unmaßgeblich ist auch das Motiv der Beklagten - das können durchaus soziale oder kirchliche Gründe sein (Baumbach/ Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 21. Auflage, Einleitung Rnziff. 235).

4. Damit ist der Klage im angegebenen Umfang stattzugeben, im übrigen ist sie abzuweisen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 269 II, 709 Satz 1 ZPO.

Bei der Kostenentscheidung erscheint maßgeblich, dass sich die rechtsberatende Tätigkeit der Beklagten zu etwa 80 % auf außergerichtlichem Gebiet vollzieht - insoweit hat die Klägerin die Klage zurückgenommen. Auch soweit die Beklagten im Rahmen von gerichtlichen Verfahren rechtsberatend tätig sind, hat die Klage nur teilweise Erfolg.

Bei der Festsetzung des Streitwerts ist vor allem maßgeblich. dass der Rechtsstreit von grundsätzlicher Be deutung ist. Der von der Klägerin vorgeschlagene Streitwert von 5O.OOO,OO DM erscheint hiernach angemessen (§ 3 ZPO).„

Anmerkung:
Gegen das Urteil hat die Rechtsanwaltskammer Berufung eingelegt; die mündliche Verhandlung vor dem 2. Zivilsenat des OLG Stuttgart ist auf den 9. November 2001 anberaumt.
Dass ausgerechnet die persönliche Hilfe der Caritas im sozialen und sozialhilferechtlichen Bereich Gegenstand des
Urteils einer Kammer für Handelssachen wurde, deren Klientel – vielfach Unternehmen – regelmäßig meilenweit vom Gegenstand der Beratung durch kirchliche und freie Wohlfahrtsverbände entfernt ist, beruht auf § 95 Abs. 1 Ziff. 5 GVG (Gerichtsverfassungsgesetz): Die Anwaltskammer stützte ihre Klage u.a. auf Ansprüche aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb.

Durch das Urteil des LG Stuttgart wird die bisherige Praxis des Caritasverbandes für Stuttgart e.V. überwiegend legitimiert. Schon in der mündlichen Verhandlung hatte die Standesvertretung der Stuttgarter Anwälte die Unhaltbarkeit ihrer Rechtsauffassung einräumen müssen, „so weit es um die der Caritas im Rahmen von § 305 Insolvenzordnung ausdrücklich übertragene Tätigkeit der Schuldnerberatung und -vertretung geht, sowie um die außergerichtliche Vertretung im Rahmen eines verwaltungs- oder sozialrechtlichen Vorverfahrens„ (so Presseerklärung des Rechtsanwaltes Heinhold, München, vom 8. 7. 2001, Prozessbevollmächtigter der Caritas). Indem bei Eilfällen (Gefahr der Fristversäumung etwa) das Gericht der Caritas eine Notkompetenz auch zur gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche der von ihr Betreuten einräumt, nimmt das Gericht die tatsächliche Lage der Hilfebedürftigen nicht nur zur Kenntnis, sondern hilft ihnen und ihren Betreuern bei der Durchsetzung ihrer Rechte entscheidend. Das gilt auch für die Ausführungen zur Prozesskostenhilfe. Das Gericht stellt klar, dass die Tätigkeit in diesem Teil des Verfahrens nicht gegen das Rechtsberatungsgesetz verstößt.

Die Genugtuung über die Ausführungen zur Erlaubnisfreiheit der Beratung im Rahmen von § 8 BSHG wird allerdings dadurch getrübt, dass das Gericht zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Rechtsberatungsgesetzes lediglich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. 2. 1975 (BVerfGE 41, 378) - die wenig vergleichbaren Beschwerden zweier Rechtsbeistände betreffend – und die vom 29. 12. 1997 (BVerfGE 97, 12) zur Beschwerde einer privatrechtlichen Gesellschaft zur Überwachung von Patentgebühren, verweist. Damit bleibt es weit hinter der rechtskräftigen Entscheidung des LG Dresden, das eine verfassungskonforme Auslegung des Rechtsberatungsgesetzes vornimmt, zurück (vgl. Urt. des LG Dresden vom 28. 11. 2000 in NJ 2001, 150 f. mit Anmerkung Lehmann). Trotz des anderen Sachverhaltes war es für das LG Stuttgart angesichts der kritischen Literatur zum Rechtsbeartungsgesetz (siehe Busse, NDV-RD, 2001, 47 ff; Kleine-Cosack, NJW 2000, 1593; Kramer, KJ 2000, 600; Lehmann, NJ 2000, 337;Rasehorn, DRiZ 2000, 442; Schneider, ZAP 2000, 165; siehe auch EJ 1999, 247 mit Anmerkung Lehmann) durchaus geboten, sich deutlich mit dieser und der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Rechtsberatungsgesetzes und vor allem mit dem Gutachten des Deutschen Vereins (69/97) auseinander zu setzen.
Trotz allem: Das Rechtsberatungsgesetz bleibt negativ im Gespräch. Während mehr als 10 Verfassungsbeschwerden zum Rechtsberatungsgesetz anhängig sind, hält die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ) die Novellierung des Rechtsberatungsgesetzes für erforderlich. Der Bundesausschuss der AsJ forderte die SPD-Bundestagsfraktion und das Bundesministerium der Justiz unter dem 19. 5. 2001 auf, das Gesetz so zu ändern, dass künftig die unentgeltliche Rechtsberatung davon nicht mehr betroffen ist ( Antrag Nr. S 1 a, Antragsbuch des AsJ-Bundesausschusses S. 30 ff).

Dem Caritasverband für Stuttgart e.V. sind alle Einrichtungen, die in gleicher Weise Hilfesuchende durch Beratung unterstützen zu Dank verpflichtet, dass er sich – genau wie der Caritasverband für Augsburg – dem Verlangen der Rechtsanwälte nach Unterlassung der Beratung von Hilfesuchenden entgegengestellt und den Prozess aufgenommen hat. Es hilft nichts, immer wieder wie ein Kaninchen auf die Schlange auf die Drohung mit dem Rechtsberatungsgesetz zu starren und gegenüber den unbilligen Angriffen von Anwälten und Behörden Positionen, auf die ein Anspruch besteht, nicht zu verteidigen. Dann wären die berechtigten Anliegen der Hilfesuchenden schnell verspielt. Wo kein Konsens mit der Gegenseite erreichbar ist, müssen wohlerworbene Rechte wie die beschriebene Beratung auch in der gerichtlichen Auseinandersetzung durchgesetzt werden (zu defensiv z.B. Renn, Rechtsberatung in der sozialen Arbeit, Diak. Werk Hessen-Nassau, IDAS 1/2001). Trotz des weitgehenden Obsiegens (die Kosten des Rechtstreites sind nur mit 1/10 von der Caritas und Dr. H. als Gesamtschuldner zu tragen) kommt den Beklagten das Engagement wegen des Streitwertes von 50.000 DM teuer zu stehen. Alle Wohlfahrtsverbände wären gut beraten, einen gemeinsamen Fond für Musterprozesse zu gründen, um so den Klagen der wohlhabenden Anwaltskammern oder Anwaltsvereinen auch wirtschaftlich Paroli bieten zu können.

Prof. M. Karl-Heinz Lehmann, Ev. Fachhochschule Hannover, Blumhardtstr. 2, 30625 Hannover

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