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Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II

Hinsichtlich der Ursachen von Sanktionen waren folgende Fragen forschungsleitend

  • Vor welche situationsspezifisch konkreten Anforderungen sahen die sanktionierten Erwerbslosen sich gestellt?
  • Was hinderte sie daran, die Anforderungen zu erfüllen?
  • Welche Chancen konnten sie wahrnahmen, ihr Erleben der konkreten Anforderungen und ihre entgegenstehenden Motive oder anderen Hinderungsgründe gegenüber den Behördenmitarbeiter/-innen mitzuteilen und zu vertreten?


Hinsichtlich der Auswirkungen von Sanktionen wurde erkundet

  • Auf welche Weise die Sanktionierten die Einbußen an Grundsicherungsleistungen bewältigten?
  • Welche Auswirkungen die Bewältigungsweisen auf ihre Lebenslagen hatten?
  • Ob und gegebenenfalls in welcher Weise die Sanktionen die Verhaltensdispositionen der Betroffenen über die Bewältigung der Einkommenseinbuße hinaus beeinflussten?


Der Projektbericht kann über den Buchhandel oder direkt über die Hans-Böckler-Stiftung (Bestellnummer 13242) bezogen werden. Er umfasst nach einem einleitenden Kapitel, das das Thema in die aktuellen politische und wissenschaftliche Diskussion „aktivierender Arbeitsmarktpolitik” einordnet, sowie einem das methodische Vorgehen erläuternden Kapitel insbesondere ausführliche Fallskizzen zu fast allen Interviews, die die nachfolgenden Untersuchungsergebnisse gut nachvollziehbar machen. Diese detailliert dargestellten Ergebnisse fasst Ames auf S. 171 f. in folgendem Fazit knapp zusammen:

„In Verhaltensweisen, die nach § 31 SGB sanktioniert werden, drückt sich nicht mangelnde Bereitschaft aus, durch Erwerbsarbeit die eigene Existenz zu sichern. Um die Ursachen sanktionierten Verhaltens zu erschließen, ist es notwendig, einerseits die jeweils konkreten Anforderungen, die durch das Verhalten nicht erfüllt wurden, andererseits die Motive der Handelnden in ihrer Differenziertheit und ihre Handlungsmöglichkeiten zu analysieren. Eine solche zweiseitige Analyse zeigt, dass die vielfältigen Motive, die behindernden Lebensumstände und/oder die Kompetenzdefizite, die der Erfüllung bestimmter Anforderungen entgegenstehen, sich nicht in Begriffen wie „Inaktivität”, mangelnde Eigenverantwortung oder mangelnde Arbeitsbereitschaft erfassen lassen.

Selbst in den wenigen Fällen, in denen das - in der Regel nicht monokausal erklärbare - sanktionierte Verhalten überwiegend auf das Fehlen einer Motivation, die behördlichen Erwartungen zu erfüllen, zurückzuführen ist, drückt sich darin nicht mangelnde Bereitschaft zur Erwerbsarbeit aus, sondern aus Erfahrung resultierende fehlende Hoffnung, dass die Erfüllung der behördlichen Erwartungen zur Verbesserung der eigenen Arbeitsmarktchancen beitragen könnte.

In der Art der behördlichen Erwartungen, die nicht erfüllt wurden, und in der Bewertung des erwartungswidrigen Verhaltens offenbaren sich vielfältige Formen von Kommunikationsstörungen zwischen Klient/-inn/-en und Behördenmitarbeiter/-inne/-n. In zahlreichen Fällen haben die Behördenmitarbeiter/-inne/-n vermutlich nur eine vage Vorstellung von den konkreten Anforderungen, vor die sich die Klient/-inn/-en durch die ihnen auferlegten Verpflichtungen gestellt sahen. Gleichzeitig haben die Mitarbeiter/-innen zu wenig Zeit, häufig nicht die Qualifikation und insbesondere nicht den Freiraum, um in der Kommunikation mit den Klient/-inn/-en deren Motive, Probleme und Lebensumstände kennenzulernen und zu berücksichtigen. Dazu stehen sie selbst vor viel zu vielen auf andere Zwecke und Ziele gerichteten behördlichen und politischen Anforderungen.

Sanktionen nach § 31 SGB II, die ja immer in einer weiteren Kürzung oder gar im Entzug der ohnehin spärlichen materiellen Existenzsicherung bestehen, haben vielfältige negative Auswirkungen auf die Lebenslage der Betroffenen. Unter anderem verstärken sie häufig sozialen Rückzug und Isolation. Im Zusammenwirken mit weiteren ungünstigen Situationskonstellationen, die bei der Verhängung von Sanktionen regelmäßig nicht berücksichtigt werden, können Sanktionen auch in die Obdachlosigkeit, zu schwerwiegenden psychosomatischen Erkrankungen oder zu strafrechtlich sanktionierten Versuchen führen, alternative Einkommensquellen zu erschließen.

In den meisten untersuchten Fällen bewirkten die Sanktionen nicht, dass sich die Sanktionierten künftig so verhielten, wie es zuvor von ihnen erwartet wurde. In einigen Fällen war eine solche Wirkung schon deshalb nicht möglich, weil die sanktionierten Verhaltensweisen aus einer akzidentiellen Situationskonstellation folgten, die mit großer Wahrscheinlichkeit so nicht mehr eintritt. Überwiegend hatten die Sanktionen deshalb keine verhaltenssteuernde Wirkung, weil das sanktionierte Verhalten aus Motiven und/oder Kompetenzdefiziten folgte, die offenbar stärker waren als die Strafangst der Betroffenen. In einigen Fällen haben die Behördenmitarbeiter/-innen darauf verzichtet, den Sanktionierten erneut eine Verpflichtung aufzuerlegen, die der nicht erfüllten Verpflichtung entsprochen hätte. In anderen Fällen erduldeten die Sanktionierten die Wiederholung von Sanktionen, weil die Überforderung durch bestimmte Verhaltenserwartungen fortbestand.

In einigen Fällen hatten die Sanktionen das Gegenteil einer aktivierenden, nämlich eine lähmende Wirkung auf das Verhalten der Betroffenen. In wenigen Fällen erhöhten die Sanktionen die resignative Anpassungsbereitschaft an behördliche Erwartungen, die jedoch keine Hoffnungen auf verbesserte Arbeitsmarktchancen wecken.”

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