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Unzureichende Erreichbarkeit des Jobcenter Wuppertal - Stadtverwaltung Wuppertal ebenfalls nicht offen für Kritik

Der Oberbürgermeister und die Stadtverwaltung haben reagiert, dazu nehmen Tacheles Aktive Stellung.

Vor knapp zwei Wochen hatte der Verein Tacheles eine dezidierte Untersuchung zur Erreichbarkeit des Jobcenters veröffentlicht. Tacheles hatte dabei auch den obersten Dienstherren des Jobcenters, den Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal, Herrn Schneidewind informiert und ihn gebeten, dafür Sorge zu tragen,  dass die niederschwellige Erreichbarkeit des Jobcenters gewährleistet wird.

Darauf erhielten wir von Frau Eckermann, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit der Stadtverwaltung, eine Antwort mit dem Tenor, es sei alles in Ordnung, es würden zu dieser Praxis nirgends und keinerlei Beschwerden eingehen.

Eine Kleine Anfrage der Partei Die Linke Wuppertal, die darin unsere wiederholte Problemanzeige zur untragbaren Situation der niederschwelligen Erreichbarkeit des Jobcenters aufgegriffen hatte, beantwortete das Büro des Oberbürgermeisters  lediglich mit der vom Jobcenter Wuppertal bereits veröffentlichten Antwort auf unsere Problemanzeige.

Die nichtssagende, und übrigens auch nicht zutreffende, Antwort an uns sowie das reine Zitieren der Stellungnahme des Jobcenters als Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken, zeigen, dass sich in der Stadtverwaltung niemand wirklich mit dem Problem auseinander setzten möchte.

Dazu haben zwei unserer Tacheles Aktivist*innen, Regine Blazevic und Ralf Rübel, eine persönliche Antwort an den Oberbürgermeister geschrieben, diese und alle dazu gehörenden Unterlagen sind unten stehend zu finden.

 


Zunächst die Stellungnahme Martina Eckermann / Presseamt  bzw. vom OB vom 15.09.2021:

Sehr geehrter Herr Thomé,
Herr Oberbürgermeister Schneidewind hat mich gebeten, Ihnen auf Ihr Schreiben zu antworten.

Die von Ihnen kritisierte Vorsprache mit vorheriger Terminvereinbarung ist in der gesamten Stadtverwaltung geübte Praxis. Sie führt in keinem Bereich zu Beschwerden, sondern hat sich ganz im Gegenteil nicht nur unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes für Beschäftigte und Bürger*innen ausgesprochen bewährt. Daher findet selbstverständlich auch die Umsetzung in den Geschäftsstellen des Jobcenters unsere volle Unterstützung. Termine für die Beratung in den Eingangszonen der Geschäftsstellen des Jobcenters können sowohl telefonisch und per Mail als auch persönlich vor Ort vereinbart werden und sind auch kurzfristig möglich.

Freundliche Grüße & einen schönen Tag,

Martina Eckermann / Presseamt / Medien- und Öffentlichkeitsarbeit

 

Antwort der Stadtverwaltung zur „Kleinen Anfrage“ der Fraktion DIE LINKE zum Thema „Erreichbarkeit des Jobcenters“ vom 16.09.2021.

Download hier: Antwort der Stadtverwaltung vom 16.09.2021

 



III. Stellungnahme von Regine Blazevic an den Oberbürgermeister:

Re: Schreiben von Herrn Oberbürgermeister Schneidewind

Sehr geehrte Frau Eckermann,
sehr geehrter Herr Schneidewind,

ich bin Teil des Beratungsteams des Vereins Tacheles und schreibe Ihnen hier einmal eine ganz direkte und persönliche Antwort auf Ihre unten stehende E-Mail.

Wir im Verein Tacheles nehmen jeweils dienstags und mittwochs Beratungsfälle in eine Liste auf.

Hier lese ich am Dienstag dieser Woche von einem Fall, wo Eheleute bereits im März einen Weiterbewilligungsantrag beim Jobcenter eingeworfen haben, das Jobcenter aber sagt, sie hätten diesen nicht erhalten. Zeugen haben sie keine außerhalb ihrer Bedarfsgemeinschaft, der Ehemann kann für die Ehefrau bezeugen - zählt leider nicht.

Die Folge: über die Monate keine Leistungen vom Jobcenter, irgendwann wird dann wieder Geld bezahlt, aber für die Monate, in denen der Antrag anscheinend nicht vorlag, gibt es ohne beweissicheren Zugang rückwirkend kein Geld. Chance verpasst, Pech gehabt.

Am Mittwoch lese ich den Fall eines jungen Mannes, der immer wieder Unterlagen beim Jobcenter in den Briefkasten geworfen hat, diese seien aber laut Jobcenter nicht angekommen.

Die Folge: Leistungen wurden versagt. Er sollte einen neuen Antrag stellen. Leistungen für die vergangenen Monate? Bekommt er nicht, Pech gehabt.

Dies sind nur zwei aktuelle Beispiele von Fällen, die wir in dieser Woche hatten, in denen alles anders gekommen wäre, wenn die Menschen die Möglichkeit gehabt hätten, ihre Unterlagen persönlich abzugeben und den Eingang bestätigt zu bekommen.

Wir vom Verein Tacheles haben in den vergangenen Jahren so sehr dafür gekämpft, dass Menschen, die Unterlagen im Jobcenter abgeben, einen Eingangsstempel bekommen. Damit ein beweissicherer Zugang von Unterlagen sichergestellt werden kann. Eigentlich doch eine Sache, die selbstverständlich sein sollte. Vielleicht haben Sie diesen Punkt auch überlesen in unserer Problemanzeige? Bisher wurde da noch von keiner Seite drauf eingegangen.

Denn hier heißt es eben nicht "im Zweifel für den Angeklagten". Nein, das heißt im Fall von Jobcenter gegen Leistungsbeziehende, dass die Leistungsbeziehenden das Nachsehen haben. Wobei  der Begriff „Nachsehen“ die Sache nicht wirklich trifft. Da es sich um existenzsichernde Leistungen handelt, brechen dann auch Existenzen weg.

Kein Geld vom Jobcenter heißt: keine Miete, keine Zahlungen für Energieversorgung. Das heißt, die Menschen verschulden sich und geraten in wirklich große Not. Die Folgen sind vielfältig, aber immer grausam. Wir tun hier alles, was wir können, aber leider können wir da oft auch nicht mehr helfen.

Und in dieser Situation lese ich dann Ihre Antwort auf unsere Problemanzeige.

Dass die Praxis der Terminvereinbarung in allen Bereichen der Stadtverwaltung geübte Praxis sei. Sie führe in keinem Bereich zu Beschwerden.

Doch, das tut diese Praxis. Sie führt zu Beschwerden! Dies konnte man in den letzten Wochen der regionalen Presse entnehmen, hier ging es um die Zugänglichkeit zur Ausländerbehörde.

Und auch wir vom Verein Tacheles haben uns beschwert. Bereits im März hatten wir darauf aufmerksam gemacht, was es für die Leistungsbeziehenden bedeutet, wenn die Jobcenter nicht offen zugänglich sind. Und nun haben wir wiederum bestehende Schwierigkeiten aufgezeigt.

Es ist unser Job, auf Probleme, die Beziehende von Grundsicherungsleistungen haben, hinzuweisen. Diesen üben wir gewissenhaft aus, und ich finde es sehr befremdlich, dass unsere Problemanzeigen anscheinend in keiner Weise ernst genommen werden.

Manchmal scheint es mir, als würde angenommen, wir täten dies nur, um irgendjemanden zu ärgern. Was natürlich lächerlich ist.

Wir nehmen unsere Arbeit ernst und bestehen aus einem Team, das sehr viel Zeit, Energie und Nerven in die Verwirklichung von Rechten bedürftiger Menschen investiert. Die Motivation für die Leistung, die wir bringen, welche übrigens bundesweit als sehr beachtlich angesehen  wird, entsteht natürlich nicht aus dem Bedürfnis heraus, jemanden zu ärgern. Diese Leistung und wir als Personen, als Team, als Verein sollten bitte ernst genommen werden, auch in Wuppertal.

Vielleicht müssen wir auch deutlicher machen, um was es hier geht, nämlich um existenzsichernde Leistungen auf der einen Seite und große Not auf der anderen. Auf diese weisen wir hin.

Der niederschwellige Zugang zu existenzsichernden Leistungen und vor allem auch der beweissichere Zugang von Unterlagen muss gewährleistet werden!

In diesem Sinne bitte ich Sie darum, unsere Anzeige von Problemen nochmals durchzulesen und sich die Folgen für die Betroffenen klarzumachen. Diese können nicht mit anderen Situationen im Bereiche der Stadtverwaltung verglichen werden.

Es ist mir auch wichtig, anzumerken, dass der Gesundheitsschutz von Mitarbeitenden und ratsuchenden Menschen selbstverständlich gewährleistet sein muss.

Allerdings gibt es hierfür Konzepte, die auch in anderen Bereichen angewandt werden. Diese sind auch für das tägliche Alltagsgeschäft des Jobcenters anwendbar.

In meinen Augen ist dies alles eine Frage der Prioritäten. Und hier sollte der offene, niederschwelligen Zugangs zu Grundsicherungsleistungen höchste Priorität haben!Mit freundlichen Grüßen

Regine Blazevic

 


Stellungnahme von Ralf Rübel an den Oberbürgermeister:


Re: Schreiben von Herrn Oberbürgermeister Schneidewind

Sehr geehrter Herr OB Schneidewind, ich gehöre zum Beraterteam von Tacheles und Ihre Antwort auf unsere Beschwerde bezüglich der Erreichbarkeit des Jobcenters und auch der Ausländerbehörde hat unser Team einerseits fassungslos gemacht und andererseits wirklich erzürnt!

Fassungslos, weil sich Ihre Antwort wie die Kopie des Antwortschreibens des Jobcenter-Leiters Thomas Lenz liest und erzürnt, weil die schnelle Beantwortung darauf schließen lässt, dass Sie sich nicht die Zeit genommen haben, unsere Beschwerde ernsthaft zu überprüfen.

Schließlich haben wir eine solche Beschwerde bereits schon im März diesen Jahres an das Jobcenter geschickt, weil sich die Fälle der Nichterreichbarkeit der verschiedenen Geschäftsstellen des Jobcenters in unserer Beratung häuften und die lapidare Antwort bekommen, dass alles bestens sei und man beim besten Willen nicht wüsste, was es an der damaligen Praxis des Jobcenters auszusetzen gäbe.

Dieses Mal sind wir die Sache deshalb anders angegangen, haben uns nicht auf die Angaben unserer Ratsuchenden verlassen, sondern Teile unseres Teams losgeschickt um die Angaben unserer Ratssuchenden, aber auch die des Jobcenters vor Ort zu überprüfen.

Dabei wurden alle Jobcenter Wuppertals und auch die Ausländerbehörde zunächst telefonisch kontaktiert, was sich im Übrigen oft langwierig und Nerven aufreibend gestaltete und auch nicht immer wirklich zum Erfolg führte. Rückrufe gab es zu keinem Zeitpunkt!

Später suchte unser Team dann die einzelnen Geschäftsstellen persönlich auf. Dabei ergab sich das von uns beschriebene Bild, dass minutiös protokolliert wurde und das wir Ihnen auch gerne zur Einsicht zur Verfügung stellen.

Bei der Frage nach Hilfe beim Ausfüllen des Erstantrags wurde unser Team in mehreren Geschäftsstellen an diverse Hilfsorganisationen, natürlich auch an Tacheles verwiesen! Sollte solch eine Aussage tatsächlich zum Sicherheitskonzept des Jobcenters gehören?

Es geht bei unserer Beschwerde um Menschen! Es geht um teilweise verzweifelte Menschen, denen die Leistungen versagt werden, weil das Jobcenter bereits vor Monaten eingereichte Unterlagen nicht mehr wiederfindet und die Menschen eben keinen Nachweis erbringen können, weil sie eben keinen Stempel mehr für Ihre Unterlagen im Eingangsbereich bekommen können!

Das hat zur Folge, dass die Existenz dieser Menschen extrem gefährdet ist, weil Sie bereits nach 2 Monaten nicht gezahlter Miete eine fristlose Wohnungskündigung erhalten können oder auch schlicht und einfach sich selbst und Ihre Kinder nicht mehr ernähren können!

Schon vor Monaten hat mich persönlich die Aufforderung der Stadt Wuppertal so richtig in Rage gebracht, in der es hieß, dass die Verteilung der Masken an Bedürftige, zu der die Stadt verpflichtet war, auf die diversen Hilfsorganisation in der Stadt verteilt werden sollte.

Ausdrücklich war in dem Schreiben vermerkt, dass aber bitte nur einer von allen Organisationen die Masken im Zentrallager der Feuerwehr abholen und an die anderen Organisationen verteilen möge.

Klar, dass solch ein Konzept für die Sicherheit der städtischen Bediensteten sorgt. Denn nur ein Feuerwehrmann stellt die Masken per Sackkarre auf die Rampe und ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation holt sie ab und hat danach mehrere Kontakte zu anderen Organisationen. Diese wiederum haben danach etliche Kontakte zu den Hilfsbedürftigen, die sie sonst nicht gehabt hätten. Ist auch solch ein Verhalten Teil des Sicherheitskonzeptes der Stadt Wuppertal?

Sind die gut bezahlten Bediensteten der Stadt schützenswerter als die ehrenamtlichen Mitarbeiter Wuppertaler Hilfsorganisationen, die ihren Job offensichtlich ernster nehmen als die wirklich Verantwortlichen der Stadt?

Selbstverständlich ist der Gesundheitsschutz aller Mitarbeiter der Stadt und des Jobcenters wichtig, aber dieser Schutz ist in unserer gesamten Gesellschaft wichtig und wohl jeder Geschäftsmann hat inzwischen ein Konzept entwickelt, womit er sich selbst, seine Mitarbeiter und Kunden schützen und gleichzeitig sein Geschäft für Kunden offen halten kann und deshalb bin ich mir sicher, dass das auch ein Jobcenter hinbekommt ohne eine Security zu beauftragen, die ihre verzweifelten Kunden abwimmelt!

Leider hat nicht jeder Jobcenter-Kunde, allein aus finanziellen Gründen, die Möglichkeit zu Mailen, Faxen oder überhaupt nur anzurufen.

Vielleicht versuchen Sie einmal, so ganz inkognito mit Maske bewaffnet, sich im Eingangsbereich eines Wuppertaler Jobcenters Zugang zu verschaffen um einen Antrag abzugeben und sich den Eingang der Unterlagen Beweis sichernd abstempeln zu lassen.

Höchstwahrscheinlich werden Sie danach frustriert feststellen, dass in unserer Stadt doch nicht alles so paradiesisch läuft wie es Ihnen offensichtlich immer berichtet wird!

In diesem Sinne bitte ich Sie hiermit Ihre Aussagen noch einmal zu überprüfen, bevor Sie sich ausschließlich auf die Aussagen Dritter verlassen oder lapidar auf Sicherheitskonzepte anderer Dienststellen der Stadt verweisen und freue mich auf eine Antwort bezüglich Ihrer eigenen Erkenntnisse.

Mit freundlichen Grüßen

Ralf Rübel



Abschließend sagen wir vom Tacheles:

Für uns ist das Thema nicht beendet, denn durch komplette Ignoranz und Verleugnung lassen sich Probleme nicht lösen.

Von Tacheles wird konkret gefordert:

1. Die Schaffung der Möglichkeit einer schriftlichen Eingangsbestätigung für eingereichte Unterlagen.

2. Eine zuverlässige telefonische Erreichbarkeit mit Schaltung von Anrufbeantwortern und der Garantie eines direkten Rückrufes an die Betroffenen.  

3. Geöffnete Eingangszonen, in denen Menschen auch ohne Termine direkt vorsprechen können. Dort muss es möglich sein,  Anträge ausgehändigt zu bekommen, Unterlagen beweissicher abgegeben werden können und akute Probleme anzusprechen.

Wir heben deutlich hervor, dass es hier um die Gewährung von existenzsichernden Leistungen geht. Ein niederschwelliger Zugang dazu muss sichergestellt werden.  

Hintergrund:
- Problemanzeige vom 15. März 2021
- Tacheles Empfehlung vom 15. April 2021
- Tacheles Pressemittelung vom 05. September 2021
- Bericht zur fehlenden Erreichbarkeit des JC vom 5. September 2021



Harald Thomé / Tacheles Online-Redaktion

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