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Unzulässige Kürzungen der Unterkunftskosten bei Umzügen in der Covid-Zeit im SGB II/SGBXII und der Möglichkeit jetzt noch rückwirkend Teile der gekürzten Gelder zurückzuerhalten
Das BSG hat mit Urteil vom 14.12.2023 - B 4 AS 4/23 R entschieden, dass die “Angemessenheitsfiktion“ der Unterkunfts- und Heizkosten des § 67 Abs. 3 SGB II im gesamten Zeitraum der Covid-19-Pandemie Anwendung zu finden hat. Das bedeutet, die Angemessenheitsfiktion ist für alle Bewilligungszeiträume, die zwischen 03/2020 bis 12/2023 begonnen haben, anzuwenden. Ferner hat das BSG klargestellt, dass die Angemessenheitsfiktion für alle in dem Zeitraum angemieteten Unterkünfte zu gelten hat. Das heißt also, dass es in diesem Zeitraum keiner Zustimmungserfordernis des Jobcenters nach § 22 Abs. 4 SGB II vor Anmietung der Wohnung bedurfte, weil alle Unterkunftskosten durch die Angemessenheitsfiktion als angemessen galten.
Diese Regelung gilt nur dann nicht, wenn jemand rechtsmissbräuchlich in eine deutlich zu teure Wohnung umgezogen ist, um die eigenen Wohnverhältnisse unter Ausnutzung der Corona-Sonderregelung zu Lasten der Allgemeinheit zu verbessern.
Auch hat das BSG in dem Urteil klargestellt, dass eine Begrenzung der KdU grundsätzlich nur möglich ist, wenn zuvor ein Kostensenkungsverfahren im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 7 SGB II durchgeführt wurde (BSG 14.12.2023 – B 4 AS 4/23 R, Rn 19 mit weiteren Nachweisen). Da aber die Jobcenter bei Umzügen in zu teure Wohnungen während des Zeitraums der Covid-19-Pandemie die Unterkunftskosten von vorneherein auf die angemessenen Kosten begrenzt haben, gab es in der Folge für diese Fälle kein Kostensenkungsverfahren.
Aus diesem Gründen sind alle Kürzungen der Unterkunftskosten bis zur Gegenwart wegen vorgeblicher Unangemessenheit für Wohnungen, die in Bewilligungszeiträumen, die zwischen 03/2020 bis 12/2023 liegen, angemietet wurden, rechtswidrig. Da zunächst die Angemessenheitsfiktion gilt und eine Absenkung der Unterkunftskosten ohne Kostensenkungsverfahren nicht zulässig ist.
Wenn die Unterkunftskosten rechtswidrig gekürzt wurden, haben die davon Betroffenen natürlich Anspruch auf eine entsprechende Korrektur. Diese kann im SGB II aufgrund der Begrenzung von Überprüfungsanträgen (§ 40 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) nur noch ab 01/2024 rückwirkend geltend gemacht werden. Analog ist im SGB XII eine rückwirkende auch nur bis 01/2024 möglich (116a S. 1 Nr. 2 SGB XII).
Ebenfalls rechtswidrig sind Fälle, in denen die tatsächlichen Unterkunftskosten wegen Anwendung der Angemessenheitsfiktion erst sechs Monate übernommen und dann ohne Kostensenkungsverfahren gekürzt wurden.
Die Angemessenheitsfiktion existierte in exakt gleicher Ausgestaltung ebenfalls im SGB XII. Daher hat das BSG-Urteil in gleicher Art auch für SGB XII-Leistungsbeziehende Anwendung zu finden. Der für SGB XII Rechtsprechung zuständige Senat des BSG hat verschiedentlich festgestellt, dass die SGB II-Rechtsprechung bei identischer Rechtslage auch im SGB XII Anwendung zu finden hat (BSG 23.03.2010 – B 8 SO24/08 R; BSG 2.9.2021 – B 8 SO 13/19 R). Unerheblich ist dabei, ob Leistungen nach dem 3. oder 4. Kap. oder Geflüchtete die sog. „Analogleistungen“ nach § 2 AsylbLG erhalten. Denn auch für diese galt über § 141 Abs. 3 SGB XII die Angemessenheitsfiktion im Zeitraum der Covid-19-Pandemie, das SGB II-Urteil hat somit auch Grundsatzwirkung auf das SGB XII.
Betroffene, Beratungsstellen, Anwälte und Anwältinnen sollten hier jetzt tätig werden.
In einer Vielzahl von Fällen wurde von Jobcentern und Sozialämtern geltendes Recht systematisch nicht umgesetzt.
Verschiedene LSG’s, wie z.B. das LSG Niedersachsen-Bremen oder das LSG NRW, hatten im Wahn reaktionärer, behördenkonformer Rechtsauslegung die Nichtanwendung der Angemessenheitsfiktion für Umzugsfälle festgestellt. Sie haben damit in der maßgeblichen Zeit den Boden dafür geschaffen, dass die Jobcenter und Sozialämter das Recht brechen konnten, weil sie diese LSG Entscheidungen im Rücken hatten. Trotz eindeutiger BSG Rechtsprechung kam es seit dem BSG-Urteil nicht zu einer behördeninternen Korrektur, daher muss diese nun erstritten werden. Dafür die nachfolgenden Überprüfungsanträge.
Material dazu:
- Urteil des BSG vom 14.12.2023 - B 4 AS 4/23 R: https://t1p.de/utnye
- Überprüfungsantrag SGB II bei KdU Reduktion KdU nach Umzug / Ü-Antrag 1 rtf Format / pdf
- Überprüfungsantrag SGB II bei KdU Reduktion nach sechs Monaten nach Umzug / Ü-Antrag 2 rtf Format / pdf
- Überprüfungsantrag SGB XII: bei KdU Reduktion KdU nach Umzug / Ü-Antrag 3 rtf Format / pdf
Harald Thome
Tacheles – Online – Redaktion