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Unruhe ist Bürgerpflicht - kommt zur Demo am 1.11. in Berlin !
Unruhe ist Bürgerpflicht
Alle sollten mitreden, wenn es um einen sinnvollen Entwurf für künftige Generationen geht
Seien Sie dabei!
DEMONSTRATION GEGEN SOZIALKAHLSCHLAG
Berlin Alexanderplatz, 1. November 2003, 13 Uhr
Regina General, Der Freitag, 31.10.2003 - Deutsche sind pflichtbewusst. Immer noch. Sie würden diese Eigenschaft gerne im Beruf ausleben. Nicht zu allen Bedingungen, aber wem ist das überhaupt noch vergönnt? Seit Jahren wird gekürzt, gestrichen, umgeschichtet, verschoben. Ein Gesamtkonzept, das irgendwann einmal irgendwo ankommt und damit eine neue Zukunft in Aussicht stellt, ist nicht erkennbar - außer dem, alle sozialen Leistungen auf
das Überlebensminimum zu begrenzen, ohne die Arbeits-losenzahlen nennenswert zu reduzieren.
Nach Meinung des Bundesbankchefs Welteke gibt es auf diesem Weg genügend Potenziale, wenn er formuliert, noch tue es nicht "so richtig weh".
Die Argumentation, die all das begründen soll, blieb über die Jahre gleich: Arbeit ist in Deutschland zu teuer, Lohnnebenkosten müssten sinken, das "scheue Reh" Kapital, hieß es vor zehn Jahren, springe sonst davon. Über die Grenzen. Und so ziemlich alle waren bereit, zurück zu stecken und auf die Effekte zu warten. Und nun warten wir, Jahr für Jahr, auf den Aufschwung, den kommenden. Nichts wurde aus dem "Trampolin", das Schröder als Wunderwaffe gegen Arbeitslosigkeit vor fünf Jahren präsentierte, geeignet, jeden nach denkbar kürzester Zeit in den Arbeitsprozess zurück zu katapultieren, wenn er nur die
Kürzungen beim Arbeitslosengeld akzeptiere, die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, die Erhöhung der Kosten im Gesundheitssystem. Nun soll der Aufschwung 2004 kommen, aber Arbeitsplätze wird er nicht bringen.
Der unmittelbare Zusammenhang zwischen der Absenkung aller Sozial- und Versicherungsleistungen und dem Entstehen von Arbeitsplätzen scheint eben doch nicht so zu
funktionieren, wie uns Arbeitgeber und Politiker weis machen wollen. Die nächsten Runden im Haushaltsballett sind programmiert. Was über die Gesundheitsreform herein kommt, reiche nicht, die faktische Rentenkürzung falle viel zu moderat aus. Die Bühne dreht sich in immer höherer Geschwindigkeit und schleudert mehr und mehr Arme an den Rand, während die Exportweltmeister genießen und schweigen.
Die Masse der Verlierer bleibt still, spielt das Angstszenario mit und überlässt ausgerechnet in solchen Zeiten die Definition von Gesellschaftsmodellen den
Kapitaleignern. Da die Gewerkschaften in ihren Zielen zu kurz greifen, das Potenzial der aus dem Arbeitsprozess Katapultierten viel zu lange vernachlässigten, laufen ihnen die Mitglieder davon, die Boulevardpresse erklärt sie zu Mitverursachern des Übels, verantwortlich wie die SPD, ihre "Mutter". Wer zu ihnen halte, tue das Gegenteil dessen,
was er eigentlich will. Inzwischen hat die SPD die Kröte Unternehmerinteresse so nachhaltig verschluckt, dass sie sich gar nicht mehr vorstellen kann, Reformen
durchzusetzen, die auf der Neubewertung von gesellschaftlich notwendiger Arbeit bestehen.
Die Grünen feiern Dosenpfand und Benzinsteuer, das muss als Erfolgsbilanz genügen. Und die PDS hatte sich so tief in sich selbst verbuddelt, dass sie froh sein kann, nicht völlig zugeschüttet worden zu sein.
So scheint die Umdefinition des Begriffs Solidarität gelungen: Wer sich widerspruchslos fügt, kommt den akzeptierten Gemeinplätzen am nächsten, er - so die Lesart -, verhält sich solidarisch. Wer an der ursprünglichen Bedeutung festhält, verteidigt Besitzstände
(gemeint sind immer die, die eigentlich nichts haben), erliegt dem unmündig machenden Sozialkitsch des vergangenen Jahrhunderts. Entzieht sich der Moderne. Wer will das, wer
traut sich noch?
Zwar beklagen alle gemeinsam, dass kommende Generationen auszubaden haben, was jetzt angerichtet wird, aber sie bevorzugen weiter jene Lebensentwürfe, in denen jeder nur für sich selbst Verantwortung übernimmt. Nur nicht nach rechts oder links sehen. Der Nachbar, das unbekannte Wesen, muss sehen, wie er über die Runden kommt. Die "Macher", die sich für die besseren Menschen halten, verachten Loser, zu denen alle zählen, die den Sprung aufs
Erwerbstätigentreppchen nicht (mehr) schaffen. Auch wenn die Gewinner morgen schon dazu gehören könnten. Denn wer Verlierern beispringt, büßt seinen Nymbus ein: "Wir arbeiten
mehr, wir denken weiter...", wie es in der Werbung der Deutschen Bank heißt. Wer den Geruch des Erfolgreichen verliert, bleibt ein Gezeichneter. Und ist ein Dreißigjähriger, der über Rente, Invalidität oder Gesundheitsvorsorge nachdenkt und gar im Freundeskreis
rechnet und referiert, in seinen beruflichen Ambitionen überhaupt noch ernst zu nehmen?
Die Politik hat erreicht, dass die jeweiligen Veränderungen den verschiedenen Bereichen zugeordnet und von allen anderen gesellschaftlichen Gruppen als nicht existentiell
betrachtet werden. Es kommt aber darauf an, sie als Teile eines Ganzen ins Bewusstsein zurück zu holen. Italien hat am Ende der vergangenen Woche bewiesen, dass Ruhe nicht das
beste Rezept ist. Wenn es um die Belange aller geht, sollten alle mitreden. Nicht um eine notwendige Modernisierung auszuhebeln, sondern um sie voran zu bringen, aber so, dass am Ende eine Perspektive steht, die einen sinnvollen Entwurf auch für künftige Generationen
enthält. Und der kann nicht darin bestehen, ihnen alles zu nehmen, was Eltern und Großeltern erkämpft haben. Am Samstag in Berlin, 13 Uhr am Alexanderplatz, können auch wir
Deutsche zeigen, dass wir noch längst nicht von allen guten Geistern verlassen sind.
Unruhe ist Bürgerpflicht.
Alle sollten mitreden, wenn es um einen sinnvollen Entwurf für künftige Generationen geht
Seien Sie dabei!
DEMONSTRATION GEGEN SOZIALKAHLSCHLAG
Berlin Alexanderplatz, 1. November 2003, 13 Uhr
Regina General, Der Freitag, 31.10.2003 - Deutsche sind pflichtbewusst. Immer noch. Sie würden diese Eigenschaft gerne im Beruf ausleben. Nicht zu allen Bedingungen, aber wem ist das überhaupt noch vergönnt? Seit Jahren wird gekürzt, gestrichen, umgeschichtet, verschoben. Ein Gesamtkonzept, das irgendwann einmal irgendwo ankommt und damit eine neue Zukunft in Aussicht stellt, ist nicht erkennbar - außer dem, alle sozialen Leistungen auf
das Überlebensminimum zu begrenzen, ohne die Arbeits-losenzahlen nennenswert zu reduzieren.
Nach Meinung des Bundesbankchefs Welteke gibt es auf diesem Weg genügend Potenziale, wenn er formuliert, noch tue es nicht "so richtig weh".
Die Argumentation, die all das begründen soll, blieb über die Jahre gleich: Arbeit ist in Deutschland zu teuer, Lohnnebenkosten müssten sinken, das "scheue Reh" Kapital, hieß es vor zehn Jahren, springe sonst davon. Über die Grenzen. Und so ziemlich alle waren bereit, zurück zu stecken und auf die Effekte zu warten. Und nun warten wir, Jahr für Jahr, auf den Aufschwung, den kommenden. Nichts wurde aus dem "Trampolin", das Schröder als Wunderwaffe gegen Arbeitslosigkeit vor fünf Jahren präsentierte, geeignet, jeden nach denkbar kürzester Zeit in den Arbeitsprozess zurück zu katapultieren, wenn er nur die
Kürzungen beim Arbeitslosengeld akzeptiere, die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, die Erhöhung der Kosten im Gesundheitssystem. Nun soll der Aufschwung 2004 kommen, aber Arbeitsplätze wird er nicht bringen.
Der unmittelbare Zusammenhang zwischen der Absenkung aller Sozial- und Versicherungsleistungen und dem Entstehen von Arbeitsplätzen scheint eben doch nicht so zu
funktionieren, wie uns Arbeitgeber und Politiker weis machen wollen. Die nächsten Runden im Haushaltsballett sind programmiert. Was über die Gesundheitsreform herein kommt, reiche nicht, die faktische Rentenkürzung falle viel zu moderat aus. Die Bühne dreht sich in immer höherer Geschwindigkeit und schleudert mehr und mehr Arme an den Rand, während die Exportweltmeister genießen und schweigen.
Die Masse der Verlierer bleibt still, spielt das Angstszenario mit und überlässt ausgerechnet in solchen Zeiten die Definition von Gesellschaftsmodellen den
Kapitaleignern. Da die Gewerkschaften in ihren Zielen zu kurz greifen, das Potenzial der aus dem Arbeitsprozess Katapultierten viel zu lange vernachlässigten, laufen ihnen die Mitglieder davon, die Boulevardpresse erklärt sie zu Mitverursachern des Übels, verantwortlich wie die SPD, ihre "Mutter". Wer zu ihnen halte, tue das Gegenteil dessen,
was er eigentlich will. Inzwischen hat die SPD die Kröte Unternehmerinteresse so nachhaltig verschluckt, dass sie sich gar nicht mehr vorstellen kann, Reformen
durchzusetzen, die auf der Neubewertung von gesellschaftlich notwendiger Arbeit bestehen.
Die Grünen feiern Dosenpfand und Benzinsteuer, das muss als Erfolgsbilanz genügen. Und die PDS hatte sich so tief in sich selbst verbuddelt, dass sie froh sein kann, nicht völlig zugeschüttet worden zu sein.
So scheint die Umdefinition des Begriffs Solidarität gelungen: Wer sich widerspruchslos fügt, kommt den akzeptierten Gemeinplätzen am nächsten, er - so die Lesart -, verhält sich solidarisch. Wer an der ursprünglichen Bedeutung festhält, verteidigt Besitzstände
(gemeint sind immer die, die eigentlich nichts haben), erliegt dem unmündig machenden Sozialkitsch des vergangenen Jahrhunderts. Entzieht sich der Moderne. Wer will das, wer
traut sich noch?
Zwar beklagen alle gemeinsam, dass kommende Generationen auszubaden haben, was jetzt angerichtet wird, aber sie bevorzugen weiter jene Lebensentwürfe, in denen jeder nur für sich selbst Verantwortung übernimmt. Nur nicht nach rechts oder links sehen. Der Nachbar, das unbekannte Wesen, muss sehen, wie er über die Runden kommt. Die "Macher", die sich für die besseren Menschen halten, verachten Loser, zu denen alle zählen, die den Sprung aufs
Erwerbstätigentreppchen nicht (mehr) schaffen. Auch wenn die Gewinner morgen schon dazu gehören könnten. Denn wer Verlierern beispringt, büßt seinen Nymbus ein: "Wir arbeiten
mehr, wir denken weiter...", wie es in der Werbung der Deutschen Bank heißt. Wer den Geruch des Erfolgreichen verliert, bleibt ein Gezeichneter. Und ist ein Dreißigjähriger, der über Rente, Invalidität oder Gesundheitsvorsorge nachdenkt und gar im Freundeskreis
rechnet und referiert, in seinen beruflichen Ambitionen überhaupt noch ernst zu nehmen?
Die Politik hat erreicht, dass die jeweiligen Veränderungen den verschiedenen Bereichen zugeordnet und von allen anderen gesellschaftlichen Gruppen als nicht existentiell
betrachtet werden. Es kommt aber darauf an, sie als Teile eines Ganzen ins Bewusstsein zurück zu holen. Italien hat am Ende der vergangenen Woche bewiesen, dass Ruhe nicht das
beste Rezept ist. Wenn es um die Belange aller geht, sollten alle mitreden. Nicht um eine notwendige Modernisierung auszuhebeln, sondern um sie voran zu bringen, aber so, dass am Ende eine Perspektive steht, die einen sinnvollen Entwurf auch für künftige Generationen
enthält. Und der kann nicht darin bestehen, ihnen alles zu nehmen, was Eltern und Großeltern erkämpft haben. Am Samstag in Berlin, 13 Uhr am Alexanderplatz, können auch wir
Deutsche zeigen, dass wir noch längst nicht von allen guten Geistern verlassen sind.
Unruhe ist Bürgerpflicht.