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Rückforderungen des Jobcenters – Deutscher Verein fordert Verschärfung

Eine Gegenposition von Frieder Claus

Rückforderungen des Jobcenters sind eine der tückischsten Vorgänge für Hartz-IV-Beziehende und insbesondere für Aufstocker mit schwankenden Einkommen eine Endlosplage. Nun fordert ausgerechnet der Deutsche Verein – früher einmal Flaggschiff der sozialstaatlichen Rechtsverwirklichung - eine drastische Verschärfung. In seinen neuen Empfehlungen zum SGB II (DV 24/20 vom 16. Juni 2021, https://tinyurl.com/37jtjj2j) wird nämlich eine „Saldierung von Nachzahlungen und Erstattungen in § 50 SGB X“ gefordert.

Im Klartext heißt dies, dass nun auch Nachzahlungen aus bislang zu Unrecht vorenthaltenen Leistungen des sozialrechtlichen Existenzminimums mit Rückforderungen / Erstattungsansprüchen aufgerechnet werden. Rechtlich ergeben sich damit folgende gravierende Einschränkungen:

 

  • Weitere Aushöhlung des Existenzminimums. Rückforderungen müssen nicht mehr wie bislang mit 10-30% des Regelbedarfs aufgerechnet werden, sondern können ggf. auf einen Schlag von etwaigen Nachzahlungen des Existenzminimums abgezogen werden.

  • Rückforderungen können damit auch bei Kindern umgesetzt werden, die dafür am wenigsten können. Selbst die Bundesagentur hatte bislang in ihren Weisungen an die Jobcenter geraten, von Aufrechnungen eher abzusehen, wenn Kinder in der Bedarfsgemeinschaft sind.

  • Die aufschiebende Wirkung von Widersprüchen, die im Sonderrecht Hartz IV weitgehend abgeschafft wurde aber bei Rückforderungen noch gilt, wird weiter ausgehöhlt.

 

Insgesamt also eine weitere sozialrechtliche Erosion für SGB-II-Empfänger, gegen die Front gemacht werden sollte, sowohl von Betroffenenorganisationen als auch von parteilicher sozialer Arbeit und Politik.

Rückforderungen von Alg-II-Leistungen gehören zu den umstrittensten Vorgängen im SGB II. Ca. 25% aller Widersprüche entfallen auf diesen Bereich und laut Leitfaden von Harald Thomé sind ein Drittel aller Rückforderungsbescheide fehlerhaft.

Seit der Von-der-Leyen-Reform 2011 können Rückforderungen auch bei nicht schuldhaftem Verhalten mit dem sozialrechtlichen Existenzminimum des Regelbedarfs aufgerechnet werden, was insbesondere viele Aufstocker mit schwankenden Einkommen in dauerhafte Not führt.

In der Beratungspraxis sind die meisten Betroffenen bei den schwer nachvollziehbaren Rückforderungen überfordert und kommen häufig mit bereits rechtskräftigen Rückforderungsbescheiden, weil sie diese nicht verstehen. Per Überprüfungsverfahren kann jedoch in vielen Fällen die aufschiebende Wirkung von Widersprüchen wieder hergestellt werden. Dieser Schutz würde bei einer Saldierung und Aufrechnung mit vorhandenen Nachzahlungen entfallen. Zu Recht bestehende Nachzahlungsansprüche wegen vorenthaltener Leistungen würden dann durch zu Unrecht bestehende Rückforderungsansprüche reduziert oder ganz entfallen, wenn irgendwann eine Nachzahlung kommt.

Die getrennte Behandlung von Nachzahlungen und Rückforderungen ist äußerst sinnvoll und wichtig und muss erhalten bleiben, wenn es schon keinen Pfändungsschutz wie im Zivilrecht gibt. Und, lieber Deutscher Verein: Rückforderungen dürfen bei nicht schuldhaftem Verhalten nicht vom sozialrechtlichen Existenzminimum abgezogen werden, wenn dies ein Grundrecht ist – so, wie das vor 2011 eben war. In diese Richtung sollte es gehen. Dafür sollten wir alle einstehen.

 

Frieder Claus
Unabhängige Hartz-IV-Beratung
im Landkreis Esslingen
friederclaus@web.de

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