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Rechtswidrige Unterkunfts- und Heizkosten im Jobcenter Wuppertal

Diskurs mit Jobcenterleiter Thomas Lenz

Im Wuppertal Newsletter vom 23.10.2021 hatte der Verein Tacheles auf die rechtswidrige Verwaltungspraxis des Wuppertaler Jobcenters und des Sozialamtes die zu übernehmenden Heizkosten auf "maximale Höchstbeträge" zu begrenzen hingewiesen. Nicht nur, dass eine Begrenzung gegen momentan geltendes Recht verstößt, auch vor dem Hintergrund der dramatisch steigenden Energiepreise und zu erwartenden massiven Nachzahlungen ist diese Praxis nicht akzeptabel. Tacheles forderte die Verwaltung auf, diese Begrenzung zu beenden.
Die Infos im Newsletter gibt es unter Punkt 4 hier:  https://t1p.de/43rl

Dazu hatte Jobcenterleiter Thomas Lenz mit Datum vom 26.10. an Tacheles eine Erwiderung geschrieben und in diesem nachfolgenden Text ausgeführt:  

"Sehr geehrter Herr Thomé,
mit Erstaunen und Verwunderung habe ich Punkt 4 Ihres Newsletters vom 23.10.2021 gelesen. Hierin geben Sie an, dass die Jobcenter Wuppertal AöR „massiv gegen geltendes Recht“ verstoßen würde. Man würde anweisen, dass „höhere Heizkosten als im Allgemeinen vorgesehen, nicht zu erbringen sind“.

Dieser Einschätzung liegt ein fundamentales Missverständnis der in Bezug genommenen Weisung zugrunde. Wie unter Ziffer 3.2.1 deutlich erkennbar ist, richtet sich die Beurteilung der Angemessenheit der Heizkosten lediglich nach der verbrauchten Energiemenge und nicht nach dem aktuellen Energiepreis. Demnach wirken sich erhöhte Energiepreise in aller Regel nicht zum Nachteil der Leistungsberechtigten aus, da bei erhöhten Energiepreisen automatisch ein höherer Preis je Energieeinheit bei den Kosten der Heizung berücksichtigt wird. Anknüpfungspunkt ist für die Jobcenter Wuppertal AöR grundsätzlich die verbrauchte Heizenergie, die in den meisten Fällen über das Heizverhalten steuerbar ist.

Die Begrenzung auf einen Jahresbedarf unter Ziffer 3.2.3.3 der Weisung regelt nur jene Fälle, in denen Heizkosten nicht in regelmäßigen (in der Regel monatlichen) Raten anfallen, sondern die Leistungsberechtigten ihren Heizenergiebedarf eigenverantwortlich durch Bevorratung im Voraus steuern. Auch hier richtet sich die Begrenzung nicht nach der monetären Höhe der Heizkosten, sondern nach der Menge an Heizenergie, die bevorratet werden soll. Es erscheint uns unzulässig, z.B. einen fünf-Jahres-Vorrat an Heizöl auf Kosten der Allgemeinheit anzulegen. Haushaltsüblich und damit angemessen im Sinne des Gesetzes ist es hingegen, den geschätzten Heizenergiebedarf eines Jahres auf einen Schlag zu erwerben und einzulagern.

Im Übrigen handelt es sich bei der Einfügung des Wortes „maximal“ lediglich um eine Klarstellung. Auch aus den Vorversionen des Hinweises ist ersichtlich, dass der Jahresbedarf nach den im Hinweis erläuterten Kriterien die Obergrenze dessen bildet, was als angemessene Heizkosten berücksichtigt werden kann.
Die Auswirkungen des § 67 SGB II sind in einem separaten Verfahrenshinweis geregelt, weshalb eine Anpassung des allgemeinen Hinweises zu § 22 SGB II im Hinblick auf diese Übergangsvorschrift nicht erfolgt ist.“


Tacheles erlaubt sich, die Antwort von Jobcenterleiter Thomas Lenz zusammenzufassen:
Die Tacheles Kritik basiere auf einem fundamentalen Missverständnis, die Begrenzung der Heizkosten auf Maximalbeträge sei lediglich eine Klarstellung und das Jobcenter arbeite wie immer vollständig rechtskonform.

 


Tacheles Erwiderung vom 6.11.2021:
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Unsere Erwiderung darauf folgte in einem etwas längeren Schreiben, in dem wir nochmals darlegen, dass unsere Kritik sehr wohl zutreffend ist und die in der Weisung getroffenen Regelungen eindeutig rechtswidrig sind. Auch diese Erwiderung veröffentlichen wir:


Sehr geehrter Herr Lenz,

ich danke für Ihre oben genanntes Schreiben.

Sie haben unsere Kritik an der Begrenzung auf die „maximalen“ Jahreshöchstbeträge für bevorratete Heizkosten als „fundamentales Missverständnis“ bezeichnet. Sie sagen, bei der Einfügung des Wortes „maximal“ handele es sich lediglich um eine Klarstellung.

Losgelöst betrachtet ist die alleinige Bezugnahme auf die Einfügung des Wortes „maximal“ tatsächlich missverständlich und bildet auch nicht den Kern unserer Kritik.

Allerdings muss diese Einfügung im Gesamtzusammenhang der gesamten Dienstanweisung, der zugrundeliegenden Rechtslage und Rechtsprechung betrachtet werden. Und so ist dann unsere Kritik an der Begrenzung der Heizkosten auf Jahreshöchstbeträge wieder zutreffend.

Unsererseits bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Dienstanweisung angesichts des »Gesetzes der Regelungen zum vereinfachten Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie«, sowie an der Zulässigkeit der ermittelten Richtwerte für Heizkosten in Wuppertal.  Diese begründen sich wie folgt:

 

1. Derzeit gilt aufgrund des »Gesetzes der Regelungen zum vereinfachten Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie« nach § 67 Abs. 3 SGB II die sog. „Angemessenheitsfiktion“. Also eine Schutzregel, nach der derzeit alle Unterkunfts- und Heizkosten als angemessen gelten.

Diese Angemessenheitsfiktion gilt für alle Bewilligungsabschnitte, die zwischen März 2020 bis Dez. 2021 begonnen haben bzw. noch beginnen werden (§ 67 Abs. 1 SGB II).

Diese Schutzregeln des Gesetzes zur sozialen Sicherung waren zum Zeitpunkt der Änderung der von uns kritisierten Wuppertaler Richtlinie zu den Unterkunfts- und Heizkosten noch 6 Monate wirksam und durch die Fortwirkungsregelung »für alle Bewilligungszeiträume, die bis Dez. 2021 begonnen haben« entfaltet diese eine Schutzwirkung bis max. November 2022. Also zum Zeitpunkt des Erlasses der Weisung noch 17 Monate.

Diese für die Leistungsberechtigten äußert relevanten Schutzregeln, trotz eindeutiger Rechtslage und Rechtsprechung, in der Weisung zu den Unterkunfts- und Heizkosten geflissentlich unerwähnt zu lassen ist schon ein starkes Stück und eindeutig rechtswidrig.

Wir möchten darauf hinweisen, dass das Landessozialgericht NRW mit rechtskräftigem Beschluss vom 13.09.2021 – Aktz:  L 19 AS 1295/21 B ER festgestellt hat, dass die Schutzregeln des § 67 Abs. 3 SGB II auch auf laufende Fälle, sog. „Bestandsfälle“ anzuwenden sind. Diese Entscheidung ist Ihnen bekannt, weil wir Sie Ihnen übersandt haben. Diese Rechtslage war von Anfang an dem Jobcenter Wuppertal bekannt und hätte von Anfang an in die Dienstanweisung eingearbeitet werden müssen.   

Natürlich stehen gewisse Regelungen in der Dienstanweisung des Jobcenters Wuppertal zu § 67 SGB II, die von uns kritisierte Weisung zu den Unterkunfts- und Heizkosten ist aber die zentrale Weisung aller Mitarbeiter*innen Ihres Jobcenters. Diese wird oft zitiert und auf die dort vorgegeben Maßgaben wird Bezug genommen, wenn es um die Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizkosten in Wuppertal geht.


2. Ausweislich der jobcentereigenen Richtlinie, die im Juli 2021 aktualisiert wurde (unter 3.2.1., Seite 30), werden die Werte für die Jahreshöchstbeträge für Heizkosten anhand des „Wuppertaler Heizenergietachos“ ermittelt.

Das Gesetz lässt keine Pauschalierung zu, es sind immer die Besonderheit des Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Benennung von Höchstbeträgen stellt eine Art der Pauschalierung dar und ist daher rechtswidrig.  (Eicher/Luik/Harich, Beck Verlag, 5. Aufl. 2021, § 22, Rn 157).  

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG sind bei Unangemessenheit der Heizkosten entweder kommunale Heizspiegel oder der bundesweite Heizspiegel zu berücksichtigen (BSG 20.08.2013-B 14 AS 60/12 R). Die dahingehenden Werte haben mindestens jährlich ermittelt zu werden (§ 22c Abs. 2 SGB II). Das Jobcenter Wuppertal jedoch nimmt Bezug auf den „Wuppertaler Heizenergietacho“.   Dieser ist kein kommunaler Heizspiegel, sondern ein Infoblatt der Energieagentur NRW, mit dem interessierte Bürger erkennen sollen, wie ihre Heizkosten einzuordnen sind.  Dieser ist im Übrigen ziemlich veraltet und kommt aus dem Jahr 2015.

Das Bundessozialgericht bestimmt, dass bei fehlendem oder fehlender Aktualität eines kommunalen Heizkostenspiegels vom bundesweiten Heizkostenspiegel ausgegangen werden soll und die Heizkosten bis zum Höchstwert der jeweiligen Verbrauchsart und Angemessenheitsgröße als angemessen gelten. Dies nennt das BSG eine „Nichtprüfungsgrenze“.

Im Heizkostenspiegel 2021 (https://t1p.de/i2pu) wären das z.B. für eine Wohnung, die mit Gas beheizt wird, in einem Haus bis 250 qm Wohnfläche 234 kWh pro qm. Laut Dienstanweisung des Jobcenters Wuppertal beträgt der Wert aber nur 210 kWh jährlich. Für diese Differenz zu Lasten der Leistungsberechtigten gibt es keine nachvollziehbare Erklärung.

Aus den genannten Gründen verstößt das Jobcenter Wuppertal  mit seiner Weisung in Bezug auf die Höhe der festgesetzten Heizkosten gegen geltendes Recht, insbesondere da eine Begrenzung auf die „maximalen“ Jahreshöchstbeträge für Heizkosten eindeutig rechtswidrig ist, da sie eine Art der Pauschalierung darstellt. Aus diesem Grund ist der Kern unserer Kritik zutreffend.

Wir möchten außerdem auf die Intransparenz der Weisungen des Jobcenters Wuppertals hinweisen. Bei Änderungen ist nicht nachvollziehbar, wo diese vorgenommen wurden. Die BA und auch der größte Teil der kommunalen Jobcenter bundesweit veröffentlichen in ihren Weisungen eine Änderungshistorie. Sei es durch farbliche Markierungen oder durch eine konsolidierte Fassung. Es ist nicht nachzuvollziehen, warum dies nicht auch in Wuppertal so gehandhabt wird."

 


Tacheles bleibt dabei: die von uns kritisierte Verwaltungspraxis ist und bleibt rechtswidrig und bedeutet für die Leistungsbeziehenden, die jetzt mit explodierenden Energiekosten konfrontiert werden, eine Katastrophe.

Das Gesetz unter § 67 SGB II ist eindeutig, derzeit sind zum Schutze aller Leistungsberechtigten Unterkunfts- und Heizkosten in tatsächlicher Höhe zu übernehmen. Diese Regelung wird vom Jobcenter Wuppertal mit der Weisung umgangen.

Die Stadtverwaltung, so das Jobcenter und das Sozialamt sanieren ihre Kassen auf Kosten der Armen.

Harald Thomé
Tacheles Online-Redeaktion

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