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Nothilfe für Hochwasseropfer nach dem BSHG

Die Flut in Deutschlands Südosten hat Schäden in Milliardenhöhe verursacht. Ganze Dörfer sind unbewohnbar, viele Menschen stehen vor dem Nichts, Kleingewerbetreibende vor den Trümmern ihrer Existenz. Private Spenden werden bei weitem nicht ausreichen, um die Schäden zu beheben und den Opfern eine Lebensgrundlage zu beschaffen. Inwiefern kann den Menschen mit Hilfe des Sozialhilferechts geholfen werden?

Wichtig ist zunächst einmal, daß das Sozialhilferecht nicht nur Hilfen für Personen ohne oder mit geringem bzw. nicht ausreichendem Einkommen – sprich: Sozialhilfeempfänger – vorsieht, sondern auch in „besonderen Notlagen” – und dazu gehört die Flut – Hilfen für die Geschädigten vorsieht. Dies betrifft auch Erwerbstätige, Geringverdiener, Bezieher von mittleren Einkommen Freiberufler, Selbständige und Gewerbetreibende. Für die verschiedenen Personengruppen kommen verschiedene Paragraphen des Sozialhilferechts (BSHG) zur Anwendung.

  1. Sozialhilfeempfänger

    1. Örtliche Zuständigkeit

      Wenn sich ein Sozialhilfeempfänger evakuieren muss, so auch in eine andere Stadt als den gewöhnlichen Aufenthalt und er keine Geldmittel mehr zur Verfügung hat, dann muss ihm das dann örtlich zuständige Sozialamt zunächst Geldmittel zur Deckung der Lebensunterhaltskosten zu Verfügung stellen. Ein Verweis unter dem Motto, „wir sind nicht zuständig, wenden sie sich an das zuständige Sozialamt” (auch wenn es überflutet ist), entbehrt einem Rechtsgrund. In einem solchen Fall ist immer das Sozialamt zuständig, welches nicht überflutet ist und in dessen Zuständigkeitsbereich der Hilfesuchende aufhält (§ 97 BSHG).

      Beispiel: Ein Dresdner wurde nach Leipzig evakuiert – das Sozialamt in Leipzig ist zuständig. Ist auch das Sozialamt in der Stadt, in die der Hilfeempfänger evakuiert worden ist, nicht betretbar, so ist das nächstgelegene oder das ausgewiesene Ersatz-Sozialamt zuständig.

    2. Akute Nothilfe

      Wenn sich ein Sozialhilfeempfänger in akuter Not befindet, da er z. B. an sein Guthaben bei einer Bank nicht herankommt, sich die restliche Sozialhilfeleistungen für den Monat noch in der überschwemmten Wohnung befinden usw., so hat das Sozialamt akute Nothilfe zu leisten. Dies kann über Barmittel als auch mit Einkaufsgutscheinen geschehen. Wegen der besonderen Situation und der Verschiedenheit der benötigten Waren sollte man sich diese Gutscheine stückeln lassen.

      Wenn Bedarfe an Bekleidung, Windeln, Kinder und Babysachen auftreten und der Betreffende sich nicht selber helfen kann (keine Zugangsmöglichkeit in die eigene Wohnung, oder alles nass und verdreckt) muss auch dann das Sozialamt Akuthilfe leisten.

    3. Unterbringungskosten bei notwendiger Evakuierung

      Das Sozialamt hat die notwendigen Unterbringungskosten während der Evakuierung und Renovierung zu tragen (§ 3 der VO zu § 22 BSHG), falls
      • eine Selbsthilfe nicht möglich ist (Unterbringung bei Verwandten bzw. Freunden)
      • eine Sammelunterkunft nicht zumutbar ist. Dies ist z. B. der Fall bei
        • Familien mit kleinen Kindern
        • Kranken und Behinderten
        • alten Menschen

          Die Nicht-Zumutbarkeit der Sammelunterkunft muss gegenüber dem Sozialhilfeträger begründet werden. Der Sozialhilfeträger hat in diesem Fall die Verpflichtung, die Unterbringungskosten für z. B.
          • Jugendherberge
          • Hotel oder Pension
          zu tragen.


      Wie lange die Kosten für eine externe Unterbringung vom Sozialamt getragen werden müssen, ist von der Notwendigkeit abhängig und hängt vom jeweiligen Einzelfall ab.

    4. Wohnung – Instandsetzungskosten

      Bei Rückkehr in die Wohnung ist es empfehlenswert, zuerst die Wohnungssituation mit Fotos zu dokumentieren.

      Die Instandsetzungskosten der Wohnung sind, sofern sie nicht vom Vermieter oder einer etwaigen Versicherung getragen werden, vom Sozialamt zu bezahlen (§ 21 Abs. 1 a Nr. 4 und 5 BSHG). Dazu gehören z. B.

      • Austrocknungskosten, sofern sie nicht vom Vermieter zu tragen sind wie
        • Mietkosten für technisches Gerät
        • Transportkosten für technisches Gerät
        • Stromkosten (Zählerstand notieren und Stromverbrauch dokumentieren!). Diese Kosten sind in diesem Fall als Instandhaltungskosten der Unterkunft zu werten.
        • Kosten der Renovierung, z. B. Farbe, Tapeten, Fußbodenbelag (je nach Mietvertrag), Werkzeug für die Renovierung, Helferkosten


    5. Dauerhafte Unbewohnbarkeit der Wohnung

      Im Falle der dauerhaften Unbewohnbarkeit der Wohnung hat der Sozialhilfeträger eine neue Wohnung zu bewilligen bzw. dies als Umzugsgrund anzuerkennen. Dabei hat das Amt großzügig zu verfahren, d. h. bisher angemessene Unterkunftskosten sind für Flutopfer erheblich höher zu setzen, da wegen der massiven Verknappung von Wohnraum die Wohnungskosten steigen werden. Zu den zu tragenden Kosten bei einem notwendigen Umzug gehören

      • Kautionen (§ 3 Satz 5 der VO zu § 22 BSHG)
      • Maklergebühren/-provisionen (§ 3 Satz 5 der VO zu § 22 BSHG)
      • Umzugskosten
      • Neurenovierungskosten

      Auch für Nicht-Hochwassergeschädigte sind in den betroffenen Kommunen zukünftig höhere Unterkunftskosten zu genehmigen, da die Verknappung von Wohnraum auch bei ihnen zu höheren Mieten führen wird. Die „Angemessenheit” der Unterkunftskosten wird von den Kommunen festgelegt (§ 3 der VO zu § 22 BSHG).

      Es wäre hier empfehlenswert, dass die entsprechenden Sozialhilfeträger über eine Erhöhung der Unterkunftskosten nachdenken würden.

    6. Hausrat

      Sozialhilfeempfänger haben Anspruch auf einmalige Leistungen, so auch Hausratsgegenstände im nicht kleinen Umfang (§ 21 Abs. 1 a Nr. 4 BSHG). Wenn der Hausrat durch das Hochwasser vernichtet ist, besteht Anspruch auf Ersatz von im Sozialhilferecht notwendigen Hausratsgegenständen.

      Eine Liste von möglichen einmaligen Beihilfen für Gegenstände, die zerstört, unbrauchbar oder nicht mehr vorhanden sind, finden sie im Internet, und zwar hier:

      http://www.tacheles-sozialhilfe.de/beihilfen/abc.asp

      Empfehlenswert ist eine Dokumentation der Schäden mit Hilfe von Photos.

      Bei der Bewilligung von Hausratsgegenständen hat das Sozialamt großzügig zu verfahren hat, d. h. es sollten keine Gebrauchtpreise, sondern Neupreise bewilligt werden, davon auszugehen ist, daß bei der Vielzahl der Geschädigten erheblich mehr beschädigt wurde, als das Sozialamt bereit ist, zu ersetzen. Eine andere Entscheidung erschein aus unserer Sicht ermessensfehlerhaft. Ebenso ist davon auszugehen, das durch die große Gesamtheit der Geschädigten wohl keine gebrauchten Sachen auf dem Markt sind und daher die Neupreise anzurechnen sind. Auch die Ausgabe von Gutscheinen für z. B. Möbelkammern ist hier ermessensfehlerhaft, da durch die große Nachfrage hier wohl keine Angebot herrschen wird und daher die großzügige Bewilligung von Geldleistungen notwendig sein wird.

      Auch die Transportkosten sind vom Sozialamt zu übernehmen, wenn der Betreffende sich nicht durch kostenlose Entleihung von Transportmitteln selber helfen kann. Kfz-Kosten gehören zu den Beschaffungskosten und sind nach § 21 Abs. 1 a Nr. 6 BSHG zu übernehmen.

    7. Hausrat und Versicherung

      Hausratsversicherungen haben üblicherweise keine Elementarschadendeckung. Wer jedoch in der glücklichen Lage ist, eine Haushaltsversicherung der ehemaligen DDR zu besitzen, kann seine Schäden beim Rechtsnachfolger (Allianz) geltend machen. Hier sollte zunächst versucht werden, bis zur endgültigen Klärung der Schadenshöhe eine Abschlagszahlung des Versicherers zu erreichen, um die dringend notwendigen Anschaffungen tätigen zu können. Verweigert der Versicherer die Abschlagszahlung und ist es absehbar, dass die Schadensabwicklung eine längere Zeit in Anspruch nehmen wird, so ist auch hier das Sozialamt zur Hilfe verpflichtet. Hier wird die vorrausichtliche Versicherungsleistung an das Sozialamt abgetreten.

      Außerdem besteht eine Mitteilungspflicht gegenüber dem Sozialamt über das Bestehen der Versicherung bei Ersatzansprüchen.

      Die Versicherungsleistung ist eine zweckbestimmte Leistung, d.h. sie ist daher nicht zweckidentisch mit den Leistungen des BSHG und darf aus diesem Grund zunächst nicht als Einkommen nach § 77 BSHG gewertet werden.

  2. Erwerbstätige

    Flutopferhilfe vom Sozialamt für Nicht-Sozialhilfeempfänger, Hauseigentümer und Erwerbstätige

    Nach § 15 a BSHG können auch in den Fällen, wo kein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe) besteht und wenn es sich um drohenden Wohnungsverlust oder eine vergleichbaren Notlage handelt (hierzu gehört auch die Überflutung der Wohnung), Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden. Hier wird wieder auf die Liste der einmaligen Beihilfen für Gegenstände, die zerstört, unbrauchbar oder nicht mehr vorhanden sind, verwiesen:

    http://www.tacheles-sozialhilfe.de/beihilfen/abc.asp

    Die Möglichkeit der Hilfe durch das Sozialamt besteht unabhängig vom Einkommen und auch teilweise unabhängig vom Vermögen (§ 11 Abs. 3 BSHG).

    Beispiel: Eine Familie mit zwei Kindern, € 2.200 Einkommen und ohne großes Vermögen hat den gesamten Hausrat verloren. Hier ist das Sozialamt nach § 15 a BSHG zur Hilfe beim Ersatz des Hausrates und Renovierungskosten verpflichtet.

    Der Einsatz eigenen Vermögens kann teilweise verlangt werden. Die Zumutbarkeit ist je nach Einzelfall zu prüfen. Das Sozialamt hat eine kulante, positive Ermessentscheidung zu fällen. Geschütztes Vermögen muss auf keinen Fall eingesetzt werden. Die allgemeine Vermögensgrenze findet sich im § 1 der VO zu § 88 BSHG.

    Eine angemessene selbstgenutzte Eigentumswohnung oder eines angemessenes selbstgenutztes Hausgrundstück ist vom Vermögenseinsatz ausgenommen. Es können somit auch Haus- und Wohnungseigentümer die Hilfen des BSHG in Anspruch nehmen. Der Verweis auf den Einsatz eigenen Vermögens würde bei vielen Geschädigten eine besondere Härte darstellen (§ 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG).

  3. Existenzsicherung für Freiberufler, Gewerbetreibende und Selbständige

    Bei diesem Personenkreis greift der § 30 BSHG: „Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage”.

    „Personen, denen eine ausreichende wirtschaftliche Lebensgrundlage fehlt oder bei denen sie gefährdet ist, kann Hilfe gewährt werden. Die Hilfe soll dazu dienen, ihnen den Aufbau oder die Sicherung einer Lebensgrundlage durch eigene Tätigkeit zu ermöglichen. Die Hilfe soll in der Regel nur dann gewährt werden, wenn dem Hilfesuchenden sonst voraussichtlich Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werden müsste. Geldleistungen können als Beihilfe oder Darlehen (unverzinslich, Anm. des Autors) gewährt werden”.

    Dieser Paragraph kommt bei denjenigen zur Geltung, deren (selbständige) Existenz durch das Hochwasser gefährdet ist und die bei Nicht-Weiterführung ihres Geschäftes mangels selbstgezahlter Arbeitslosenversicherung in die Sozialhilfe fallen würden.

    Beispiel: Der Pkw eines selbständigen Taxifahrers wurde durch das Hochwasser massiv beschädigt und die Versicherung ist nicht zum Schadensersatz verpflichtet.

    Oder das gesamte Inventar eines Händlers wurde beschädigt und er erhält keinen Kredit mehr von der Bank.

    Ob die Leistung als Beihilfe oder als Darlehen gewährt wird, ist eine Ermessungsentscheidung des Sozialhilfeträgers, die auf den Einzelfall abgestimmt sein muss. Da es sich meist um eine Wiederaufbauhilfe handeln wird und die Hilfeempfänger in der Regel verschuldet sind, sollten die Hilfen meist als Beihilfen zu zahlen sein. Auch hier ist eine großzügige Auslegung des Rechtes vom Sozialamt zu fordern. Die Entscheidung ist abhängig von der zukünftigen Einkommenssituation.

    Doch meist wird nicht nur das Geschäftsinventar unbrauchbar, sondern auch die Einkommenssituation in der nächsten Zeit kritisch sein, da massive Betriebsunterbrechungen auftreten werden.

    Hier greift § 11 BSHG. Jeder, der über kein ausreichendes Einkommen für seinen Lebensunterhalt verfügt, hat Anspruch auf Sozialhilfe. Dies wird bei vielen Kleingewerbetreibenden der Fall sein, bis die Geschäfte wieder stehen. Anspruch besteht auf Hilfe zum Lebensunterhalt, Unterkunfts- und Mietkosten, Krankenkassenbeiträge und einmalige Beihilfen (u. a. Wohnungsinventar!). Auch hier wird wieder auf die bekannte Liste verwiesen.

    http://www.tacheles-sozialhilfe.de/beihilfen/abc.asp

    Ein Verweis darauf, dass eine Sozialhilfezahlung erst dann möglich wäre, wenn Betrieb und Gewerbe aufgelöst seien und das Gewerbe abgemeldet sei, ist rechtswidrig. Geringverdienende, die ihren Lebensunterhalt nicht durch Betrieb und Gewerbe sicherstellen können, haben nach § 11 BSHG Anspruch auf Sozialhilfe.

    Bei der Einkommensberechnung gilt, dass mit Betrieb/Gewerbe in Zusammenhang stehende Kosten und Steuern als auch der Freibetrag für Erwerbstätigkeit (§ 76 Abs. 2 a Nr. 1 und 2 BSHG) vom Einkommen des Betroffenen abzuziehen sind. Bei der Einkommensberechnung werden daher einige Gewerbetreibende zumindest für absehbare Zeit das „Einkommen Null” erreichen und damit Ansprüche auf Sozialhilfe erwerben.

    Beispiel: Ein Friseurbetrieb ist massiv durch das Hochwasser beschädigt worden. Einnahmen sind in den nächsten Wochen nicht zu erwarten bzw. die erforderlichen Investitionen in die Neuausstattung des Betriebes und die zu zahlenden Löhne der Angestellten werden die Einnahmen weit übersteigen. Daher hat der Gewerbetreibende selbst ein negatives Einkommen und somit Anspruch auf ergänzende Hilfe zu Lebensunterhalt.

  4. Miete

    Hier noch der kurze Hinweis, dass während der Unbewohnbarkeit der Mietwohnung keine Miete gezahlt werden braucht. Hier genügt ein kurzer schriftlicher Hinweis an den Vermieter, daß die Wohnung unbewohnbar ist (gilt z. B. auch, bis Strom und Heizung wieder funktionieren und die Wohnung ausgetrocknet ist) und daher die Miete um 100% gemindert wird.



Zusammenfassung:

Für sehr viele Hochwasseropfer bietet das Sozialhilferecht Möglichkeiten der Hilfe:

  • § 11 BSHG für Sozialhilfeempfänger, Geringverdiener und Gewerbetreibende
  • § 15 a bei Beschädigung der Wohnung und des Hausrates
  • § 30 für Gewerbetreibende zur Existenzsicherung


Tacheles Online-Redaktion, Harald Thomé und Eric Metzen, Wuppertal

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