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Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Sozialhilfededektiven von Dr. Hammel

Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von „Sozial(hilfe)detektiven“ durch Sozialhilfeträger

Anm. zum Beschl. des VG Frankfurt/Main v. 15.6.1998 (Az.: 14 G 1303/98 [1], bestätigt durch Beschl. des Hess. VGH v. 14.7.1998 (Az. 1 TZ 2534/98)

Manfred Hammel (Dr. Manfred Hammel, Caritasverband für Stuttgart e.V., Strombergstraße 11, 70188 Stuttgart)

(Teil 1)

Gerade in jüngster Zeit nehmen die Meldungen über den Einsatz von im Auftrag der Sozialhilfeträger zu Ermittlungszwecken arbeitenden, besonderen „Außendienstkräften“ zu.

Insbesondere die im Frühjahr 1998 bekannt gewordene Kooperation des Sozialamtes der Stadt Frankfurt (Main) mit einer Detektei rückte dieses Thema in das Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit, doch ist diese Problematik nicht neu.

Stets wenn die Angewiesenheit von Mittellosen auf Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG neue Höchststände erreicht, nehmen die Aktivitäten der Sozialämter – auch forciert durch politischen und von Teilen der Öffentlichkeit ausgeübten Druck – hinsichtlich einer genaueren Überprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse von Antragstellern und Sozialhilfeempfängern zu.

Es gehört zum einen zu einer selbstverständlichen, einem Sozialhilfeträger obliegenden Pflicht, über die sachgerechte Verwendung der für sozialhilferechtlich bedeutsame Zwecke bereitgestellten Mittel mit der gebotenen Sorgfalt zu wachen. – Andererseits darf es aber in keinem Fall so weit gehen, Sozialhilfeempfänger ohne konkreten Anlaß zu stigmatisieren und zu kriminalisieren sowie von seiten des öffentlichen Trägers die Durchführung von Intimbereiche des einzelnen berührenden Kontrollen zu veranlassen: Eine derartige Vorgehensweise steht im Widerspruch zu den tragenden verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Personalität und der Menschenwürde (Art. 1 und 2 GG).

A. Zum Fall

„Sozialhilfeempfänger als Zielgruppe für Detektive“ lautete die Überschrift, mit der in der Stuttgarter Zeitung vom 5. September 1998 (Nr. 205, Seite 2) abgedruckte Artikel überschrieben war, der den hier besprochenen, von den Hessischen Verwaltungsgerichten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren rechtskräftig entschiedenen Fall schildert und kommentiert.
Der Sachverhalt dokumentiert eine bundesweit bislang einzigartige Begebenheit.

Das Sozialamt der Stadt Frankfurt (Main) traf dort auf Grund der Besonderheiten des sich im einzelnen ausgesprochen schwierig darstellenden Hilfefalles eine aufsehenerregende Entscheidung: Nicht (im Hauptberuf oder in Teilzeit beschäftigte) städtische Bedienstete, sondern ein Detektivbüro erhielt von diesem Sozialhilfeträger den Auftrag, dem schwerbehinderten Antragsteller und dessen ursprünglich ebenfalls Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt beziehender Gattin buchstäblich „auf Schritt und Tritt“ – und zwar Tag und Nacht – zu folgen.

Der Sinn und Zweck dieses außergewöhnlichen Engagements jenes Sozialamtes sollte darin bestehen, die von diesem Sozialhilfeempfänger getätigten Angaben, er und seine Ehefrau seien mittellos und sie könnten beide nicht – er krankheits- und behinderungsbedingt und sie bedingt durch die von ihr an ihm ausgeübte Pflege – ihre qualifizierte Arbeitskraft zur Beschaffung ihres notwendigen Lebensunterhalts einsetzen (3 18 I BSHG), einer eingehenden, auch die Privatsphäre der Betreffenden berührenden Überprüfung zu unterziehen.

B. Zu den Voraussetzungen der Durchführung von Hausbesuchen als eine prinzipiell zulässige Maßnahme der Amtsermittlung

Der aus dem Zweiten Abschnitt („Allgemeine Vorschriften über das Verwaltungsverfahren“) des SGB X hervorgehende, die §§ 9 ff. SGB X umfassende Erste Titel („Verfahrensgrundsätze“) normiert in § 20 SGB X („Untersuchungsgrundsatz“) zentral die Verpflichtung eines jedes Sozialhilfeträgers, von sich aus („von Amts wegen“) sämtliche Umstände aufzuklären, die für die jeweilige Entscheidung von Bedeutung sind (§ 20 I 1 SGB X).

Unabhängig vom Vorbringen des Antragstellers unterliegt das Sozialamt der Pflicht, Art und Umfang der von ihm anzustellenden Ermittlungen zu bestimmen (§ 20 I 2 SGB X). Objektivität ist aber auch hier von einem hohen Stellenwert:

Die einzelne Sozialbehörde hat innerhalb des Verwaltungsverfahrens in jedem Stadium zwar sämtliche für den Einzelfall aus ihrer Sicht bedeutsamen Aspekte umfassend zu berücksichtigen, darf aber hierbei die für den einzelnen Antragsteller günstigen Gesichtspunkte nicht unberücksichtigt lassen (§ 20 II SGB X).

Aufgeworfen war innerhalb des hier besprochenen Falles insbesondere die Frage nach der Zulässigkeit des Beweismittels, dessen sich das Frankfurter Sozialamt bediente, resp. die Frage nach der Zulässigkeit der Verwertbarkeit der von der beauftragten Detektei über diesen Sozialhilfeempfänger und seine Gattin dokumentierten Erkenntnisse.

§ 21 I 2 SGB X stellt es wiederum in das pflichtgemäß von seiten eines Sozialhilfeträgers wahrzunehmende Ermessen (§ 4 II BSHG i.V.m. den §§ 2 II und 39 I SGB I), über Antragsteller „Auskünfte jeder Art“ einzuholen (§ 21 I 2 Ziff. 1 SGB I) sowie in diesem Zusammenhang auch „den Augenschein“ einzunehmen (§ 21 I 2 Ziff. 4 SBG I):

Ein Sozialhilfeträger entscheidet hier auf der Grundlage seiner vom jeweiligen Hilfefall gewonnenen Überzeugung, ob es den von Antragstellern/Hilfebeziehern getätigten Angaben folgt oder eigene Ermittlungen anstellt, wenn ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des vom einzelnen dem Sozialamt gegenüber Vorgetragenen bestehen.

Zu den nach §§ 20 und 21 SGB X von einem Sozialhilfeträger zulässigerweise einleitbaren Ermittlungsmaßnahmen gehört beispielsweise im besonders begründeten Fall auch der bei einem Antragsteller durchgeführte Hausbesuch zum Zwecke der Feststellung seiner jeweiligen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.

Es besteht hier aber kein das aus Art. 13 I GG resultierende Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Wohnraumes in der Weise einschränkendes Gesetz, das es beispielsweise einem „Ermittlungsdienst“ eines Sozialamtes gestatten würde, ein Betreten der Unterkunft gegen den entschiedenen Willen eines Antragstellers/Sozialhilfe-
Empfängers durchzuführen, was auch als sachgerecht aufzufassen ist. Die (befristete) Abhängigkeit des einzelnen von ihm fortlaufend gewährten Leistungen der öffentlichen Fürsorge darf nicht als Rechtfertigungsgrund zu einer solchermaßen verfügten Einschränkung besonderer, verfassungsmäßig festgeschriebener Freiheitsrechte herangezogen werden.

Die Verhältnisse in Deutschland stellen sich in diesem Sachzusammenhang nicht in der Weise dar, wie dies in den USA der Fall ist. In seinem Urteil vom 12. Januar 1971 (Az.: Wyman v. James, 400 U.S. 309(!971) ) brachte das dortige Oberste Bundesgericht (Supreme Court) zum Ausdruck, auf einzelstaatlicher Ebene bestehende Ausführungsbestimmungen zur Fürsorgegesetzen des Bundes, nach denen Sozialarbeiter des jeweiligen Landes in die Wohnung einer/eines Sozialhilfeempfänger/in von Hilfebedürftigen zu Überprüfungszwecken einzulassen sind, würden nicht im Widerspruch zur US-amerikanischen Verfassung stehen.

Die in diesem Verfahren Berufungsbeklagte, als Hilfsbedürftige alleinerziehende Mutter eines zum Zeitpunkt der Entscheidung knapp vierjährigen Sohnes verwies hingegen auf die Umstrittenheit derartiger „Hausbesuche“, die – wenn sie nicht auf der Grundlage einer richterlichen Entscheidung erfolgen – ihre verfassungsmäßig verbürgten Rechte auf persönliche Freiheit und auf Unverletzlichkeit der Wohnung tangieren würden.

Der Ansicht des Obersten Bundesgerichts nach aber ließen sich derartige „Hausbesuche“, sofern sie nicht von der Fürsorgebehörde gegen den entschiedenen Willen des einzelnen mit Gewalt durchgesetzt werden, in keiner Weise mit den Hausdurchsuchungen vergleichen, die im Rahmen der Verbrechensbekämpfung erfolgen. Die von der Hilfebedürftigen angegriffenen Verwaltungsvorschriften forderten der von seiten dieser Richter geäußerten Überzeugung nach in rechtmäßiger Weise, daß die zuständigen öffentlichen Stellen mit Sozialleistungsbeziehern stets in einem engen Kontakt stehen sollen, was ebenfalls die Ausführung entsprechender Ortstermine als Bedingung für einen (weiteren) Leistungsbezug einschließt.

Der Tenor lautete hier zudem, die Zielsetzung dieser Durchführungsbestimmung bestehe insbesondere darin, zu garantieren, daß Sozialleistungen lediglich in der Höhe sowie über die Dauer hin gewährt werden wie dies unbedingt erforderlich ist. Ein entsprechender Besuch, der für einen Sozialleistungsträger eine „Hauptinformationsquelle“ darstellt, ist allerdings genausowenig außerhalb der regulären Arbeitszeit gestattet wie auch eine reines, vom einzelnen Sozialarbeiter durchgeführtes „Herumschnüffeln“.
Der Oberste Bundesgerichtshof der USA strich an dieser Stelle zudem heraus, eine von einer Hilfsbedürftigen praktizierte Verweigerungshaltung in Sachen Gestattung eines Hausbesuchs würde kein Vergehen darstellen, sonder hätte einzig die Einstellung bereits gewährter oder die Nichtbewilligung beantragter Fürsorgeleistungen zur Folge.

Der Bundesstaat, der durch seine Sozialverwaltung handelt, würde hiernach über ein als sachgerecht aufzufassendes Interesse daran verfügen, daß oberste Richtschnur der Leistungsgewährung im Zusammenhang mit den steuerfinanzierten Leistungen der öffentlichen Fürsorge stets der Grundsatz ist und bleibt, demzufolge einzig diejenigen zu begünstigen sind, die dies auch verdienen. Die öffentliche Hand könne hiernach verlangen und erwartet auch zu erfahren, wofür solche Sozialleistungen konkret eine Verwendung erfahren:

An dieser Stelle obliegt dem einzelnen Hilfsbedürftigen eine besondere Mitwirkungspflicht, weshalb der Supreme Court dort auch vom Hausbesuch als dem „Herzstück der Fürsorgeverwaltung“ sprach.

In Deutschland brachte beispielsweise das Verwaltungsgericht Braunschweig in seinen, auf Antrag Göttinger Bürgern hin (zu deren Gunsten), ergangenen Beschlüssen vom 23. April 1985 (Info also 2/1985, S. 53 ff.) und vom 3. Mai 1985 (ZfSH/SGB 1985, S. 470 ff.) diese Thematik betreffen im einzelnen zum Ausdruck (Vgl. zu diesen Verfahren auch bei Stengel sozialmagazin 10/1985, S. 7):

§ Eine Antragstellerin/ein Antragsteller unterliegt nicht der Verpflichtung, durch MitarbeiterInnen des Sozialhilfeträgers ausgeführte Hausbesuche zu dulden, um von vornherein bestehende Zweifel an einem wirklichen Bestehen der von ihr/ihm angegebenen Bedürftigkeitsvoraussetzungen auszuräumen

sowie

§ Die §§ 60 bis 62 SGB I und auch § 65 SGB I sehen die Pflicht eines Sozialleistungsbeziehers zur Duldung eines entsprechenden Hausbesuchs nicht vor. Die Gestattung eines derartigen „Ortstermins“ gehört nicht zu den in den §§ 60 ff. SGB I geregelten Mitwirkungspflichten, weshalb eine in dieser Beziehung geäußerte Weigerung eines Hilfsbedürftigen einen Sozialhilfeträger nicht dazu berechtigt, unter Verweis auf §§ 66 I 1 SGB I einem Hilfeempfänger Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG ganz oder teilweise zu versagen oder zu entziehen (Verwaltungsgericht Braunschweig info also 2/1985, S. 53, (56 und 57) sowie in ZfSH/SGB 1985, S. 470).

Bereits zum damaligen Zeitpunkt wurde herausgestellt, daß zwar aus § 21 I 2 Ziff. 4 SGB X die Ermächtigung eines Sozialhilfeträgers zur Einnahme des Augenscheins nach pflichtgemäßem Ermessen hervorgeht. – Es handelt sich hier um diejenige Norm schlechthin, die einem Sozialamt das Recht zur Vorhaltung eines „Außen“ oder „Ermittlungsdienstes“ zum Zwecke der Vermittlung unmittelbarer Eindrücke über die sich vom Antragsteller/Hilfeempfänger in dessen häuslichem Bereich konkret darstellende Situation gestattet.

Sobald aber im Zusammenhang mit der Betretung des Individualwohnraumes durch Bedienstet eines Sozialamtes die Mitwirkung des darin lebenden Sozialleistungsbeziehers erforderlich ist, bedarf es einer besonderen gesetzlichen Bestimmung, die in diesen Fällen ein derartiges Tun ausdrücklich gebietet.

Da eine entsprechende Norm in diesem Zusammenhang weder aus dem SGB I noch aus dem SGB X oder dem BSHG – wenn auch in Steuersachen aus § 99 AO „Betreten von Grundstücken und Räumen“) – hervorgeht, gelangte damals die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig zu der Überzeugung, daß die Antragsteller die sie betreffenden, dem Sozialamt gegenüber aus den §§ 60 ff. SGB I hervorgehenden Mitwirkungspflichten nicht verletzt hätten, als sie zwar jeweils an ihrer Wohnungstür für den „Ermittlungsdienst“ persönlich ansprechbar waren, im übrigen aber die Durchführung einer Inaugenscheinnahme ihrer Unterkunft ablehnten (Verwaltungsgericht Braunschweig info also 2/1985, S 53, (57) sowie in ZfSH/SGB 1985, S. 470).

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