Aktuelles Archiv

Mannheimer Jobcenter - ein Vorgeschmack auf Arbeitslosengeld (ALG) II?

 



Die Mannheimer Sozialverwaltung setzte die Vorschläge des Sozialamtsleiters Hermann Genz um. Genz war zuvor durch seine viel kritisierten Modellprojekte von „Job Center” und „Bedarfsermittlungsdiensten” in Köln bekannt geworden. Besonders Pikant: Das Mannheimer Modell ist seit kurzem Modellprojekt zum exemplarischen Ausbau des Sonderprogramms Jump Plus, quasi im Vorgriff auf das ALG II. Sollten die Betroffenen hier schon einen bitteren Vorgeschmack auf die Arbeitsmarktreform Hartz IV bekommen haben? Dies würde bedeuten, dass ab Januar 2005 unzählige Leistungsberechtigte aus den ALG II - Bezug gedrängt werden. Dahingehende CDU - Verlautbarungen, das ALG II - Empfänger zum „Laternenputzen” oder zur „Hundekotentsorgung” eingesetzt werden sollen, sind eindeutig.

Diesen Verdacht erhärtetet auch eine Information des Deutschen Gewerkschaft Bundes. Demnach wird über eine bundesweite Ausdehnung des „Kölner Modells” (jetzt „Mannheimer Modells”) für unter 25-jährige nachgedacht.

Was bisher geschah:



Hermann Genz ließ seine Repressalien beschließen, als die Bundespolitiker über die anstehenden Arbeitsmarktreformen berieten. In einer Drucksache der Mannheimer Verwaltung heißt es: „Es sollen Anreize für einen Verbleib in der Sozialhilfe reduziert werden oder gar gänzlich gestrichen werden.” (Drucksache 583/2003 vom 11.11.03)

Insgesamt sollten durch diese drastischen Kürzungen 21,89 Mio. € eingespart werden — auf den Rücken der Einkommensschwachen.

Die Mannheimer Kürzungen, die einen Verbleib in der Sozialhilfe reduzieren sollen, umfassen:

  1. als „Herzstück” das Projekt „Job Center Junges Mannheim” Ziel dieses Projektes ist es, den Zugang junger Menschen in der Sozialhilfe zu verhindern oder ihren Verbleib in der Sozialhilfe zu beenden.
  2. massive Kürzungen von einmaligen Leistungen Hausratsgegenstände und Elektrogroßgeräte werden nur noch als Gebrauchtwaren und mit halbierten Preisen erstattet, die Bekleidungspauschale wird von jährlich 260 auf 240 € gekürzt.
  3. Senkung der angemessenen Unterkunftskosten von max. 6,00 auf 4,60 € pro Quadratmeter, Reduzierung der angemessenen Quadratmeter bei Alleinstehenden von 45 auf 41 Quadratmeter.
  4. Abschaffung von Sonderregelungen wie der Höhe des Erwerbstätigenfreibetrages, keine Anrechnung von Geldern für Haushaltshilfen, Weiterzahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt in Sonderfällen
  5. Einrichtung einer Sonderarbeitsgruppe von besonders erfahrenen Sachbearbeitern zur Senkung der „teuersten Zahlfälle”
  6. Aus- und Aufbau eines Prüf- und Kontrolldienstes (Bedarfsfeststellungsdienst) mit der Maßgabe bis zu 40.000 Hausbesuche im Jahr durchzuführen und eine geschätzte Gesamteinsparung von 3 – 6 Prozent der Sozialhilfekosten zu erwirtschaften (Drucksache 583/2003 vom 11.11.03)


Diese Repressalien und Leistungseinschränkungen gehen auf Hermann Genz zurück. Im Spätsommer 2003 wurde Herr Genz als Sozialamtsleiter der Stadt Mannheim von Köln exportiert. Herr Genz ist in der bundespolitischen Fachöffentlichkeit bekannt für seinen rigiden Kurs gegen einkommensschwache Leistungsberechtigte. Nach zehn Monaten liegen nun die ersten Ergebnisse zum Job Center vor. Dieses Mannheimer Modell offenbart sich zu einen sozialpolitischen Skandal erster Güte.

Die „Bilanz des Sonderprogramms Jump Plus” (Drucksache 343/2004 vom 25.06.2004) offenbart, dass von 1100 jungen Erwachsenen, die durch das Job Center zu Arbeitsgelegenheiten herangezogen wurden, 658 aus der Sozialhilfe herausgedrängt wurden.

Bei einer Zwischenbilanz im April 04 propagierte die Mannheimer „Stabsstelle Sozialhilfe”: „Das Sonderprogramm zeigt Wirkung. Die Zielgruppe für das Programm Jump Plus hat sich halbiert. Ziel ist es, den Zugang junger Menschen in die Sozialhilfe zu verhindern oder ihren Verbleib in der Sozialhilfe zu beenden”, so die in der Vorlage 210/2004 vom 16.04.2004.

Am 25. Juni 04 war die nächste schön verpackte Bilanz fällig:

1100 Personenvon 18 – 24 Jahren wurden zum Mannheimer Sonderprogramm Jump Plus herangezogen
275 Personen / 25,0 %sind nicht zum ersten Vorstellungstermin gekommen
101 Personen / 9,1 %haben eine vermittelte Beschäftigung nicht angetreten
176 Personen / 16,0 %haben eine Beschäftigung wieder abgebrochen
552 Personen / 50,1 %wurden mit dem Sonderprogramm aus der Sozialhilfe gedrängt


Kein Wort sagt die Bilanz über die konkrete Heranziehung zum Sonderprogramm Jump Plus. Ob z. B. bei Neuantragstellern zunächst eine Deckung des Lebensunterhaltsbedarfes vorgenommen wurde oder ob gleich ein Arbeitsantritt verlangt wurde, bleibt unklar. Es wird auch nicht ausgeführt, ob und in wie vielen Fällen Sanktionen ausgesprochen wurden. Obwohl hier das noch gültige BSHG eindeutig ist: Wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten oder zumutbare Maßnahmen nachzukommen, dem ist in einer ersten Stufe der Regelsatz um mind. 25 % zu kürzen (§ 25 I BSHG). Es sagt aber auch aus, dass zuvor eine Belehrung zu erfolgen hat.

Die Mannheimer Bilanz sagt nichts darüber aus, ob und inwieweit vor der „Hilfeversagung” die Sozialhilfe gekürzt wurde. Eine solche „Erfolgsbilanz” von 50 % Rausdrängung aus der Sozialhilfe lässt sich nur realisieren, wenn es gleich zur rechtswidrigen Hilfeeinstellung kommt.

Der Widerstand gegen die Pläne des Mannheimer Sozialamtsleiters Hermann Genz waren ohnehin nur gering. Genauso wurde das Job Center propagandistisch durch die Tageszeitung Mannheimer Morgen vom 23.9.03 begleitet: „Eines wird bei Jump Plus nicht geduldet: „Ich will nicht. Wer sich weigert oder nach einem kurzem Gastspiel nicht mehr erscheint, der bekommt sein Geld gestrichen”.

Fazit



Ausweislich der Bilanz der Sozialverwaltung Mannheim, wurden in zehn Monaten 552 Personen die Sozialhilfe komplett verweigert, bzw. der Sozialhilfebezug „verhindert” und „beendet”.

Es ist anzunehmen, das dies in einem Großteil der jeweiligen Fälle rechtswidrig erfolgte. Anders ist die Erfolgsstatistik nicht zu interpretieren.

Die Damen und Herren aus der Stabsstelle Sozialhilfe machen sich keinen Gedanken zu dem „Verbleib” der 552 Personen und der jungen Erwachsenen die trotz Not und Bedürftigkeit aufgrund der rigiden Praxis gar nicht erst Sozialhilfe beantragt haben.

Über den Verbleib der jungen Einkommensschwachen kann man nur spekulieren.

Thesen zum Verbleib:

  • sie werden von den Eltern irgendwie ‚mit durchgezogen’
  • sie schlagen sich mit ‚Schwarzarbeit’ durch
  • sie sind prekär und ohne Sozialversicherung beschäftigt
  • sie leben von Ladendiebstahl und Einbrüchen
  • sie prostituieren sich


Im Fazit bedeutet die Mannheimer Sozialhilfeverweigerungspraxis eine Verelendung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen und erhöhte Suchtproblematiken sowie steigende Kriminalität und Obdachlosigkeit für diesen Personenkreis.

Mannheimer Zustände bald bundesweit?



Erschreckend sind die Parallelen zum ALG II, besonders das Mannheim jetzt sogar zum Modellprojekt ernannt wird. Dieses sieht speziell für die unter 25-jährigen vor, dass diese unverzüglich nach Antragstellung in Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit zu vermitteln sind (§ 3 II SGB II). Wenn diese sich weigern, dann ist ihnen sofort für drei Monate die Regelleistungen zu streichen, allerdings sind ihnen noch ergänzende Sachleistungen und geldwerte Leistungen (Lebensmittelgutscheine) zu erbringen.

Es besteht die Gefahr, das mit den Hartz IV Instrumenten bundesweit hunderttausende Erwerbslose aus den letzten sozialen Sicherungssystemen rausgedrängt werden und das Mannheim dafür ein Modellprojekt ist.

Schlimm ist es, wenn Figuren wie Herr Genz diese bedenkenlose Existenzvernichtung ohne Kritik der Öffentlichkeit betreiben können.

Tacheles Online Redaktion
Harald Thomé

Zurück