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LSG NRW 24.2.04: zur Zuständigkeit bei Optierender Kommune

1. Instanz Sozialgericht Dortmund S 5 AS 1/05 ER 18.01.2005

2. Instanz Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 9 B 1/05 AS ER 24.02.2005 rechtskräftig
3. Instanz
Sachgebiet Grundsicherung für Arbeitssuchende
Entscheidung Die Beschwerden des Beigeladenen zu 1. und der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 18. Januar 2005 werden zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die vorläufige Zahlung von Arbeitslosengeld II (Alg II).

Die 1959 geborene Antragstellerin lebte mit dem 1958 geborenen E. zunächst in ehelicher Lebensgemeinschaft. Sie haben inzwischen geheiratet. E. ist Vater zweier 1988 und 1992 geborener Kinder aus erster Ehe. Diese leben nicht im Haushalt der Antragstellerin. E. zahlt ihnen einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 495,44 Euro. Der Anspruch der Kinder ist nicht tituliert. E. selbst erzielt ein durchschnittliches monatliches Einkommen in Höhe von 1.270,19 Euro.

Die Antragstellerin beantragte am 07.10.2004 die Zahlung von Alg II im Anschluss an vorher bezogene Arbeitslosenhilfe. Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag mit Bescheid vom 02.12.2004 ab. Sie führte zur Begründung aus, die Antragstellerin sei im Hinblick auf das Einkommen des E. nicht hilfebedürftig. Die Antragstellerin erhob gegen diesen Bescheid am 10.12.2004 mit der Begründung Widerspruch, dass E. seinen Kindern gegenüber unterhaltspflichtig sei. Die Unterhaltsansprüche seien der Höhe nach beziffert und von E. monatlich erfüllt worden. Sie seien daher bei der Ermittlung der Bedürftigkeit nicht zu berücksichtigen und vom maßgeblichen Einkommen abzusetzen.

Am 03.01.2005 stellte die Antragstellerin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, weil sie über die notwendigen Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes nicht verfüge. Da E. die Unterhaltsansprüche seiner Kinder befriedige, seien diese von seinem Einkommen abzusetzen.

Die Antragstellerin hat beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr mit Wirkung ab Januar 2005 Arbeitslosengeld II in Höhe von 249,59 Euro zu zahlen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei nicht zuständiger Leistungsträger. Vielmehr richte sich der Anspruch der Antragstellerin gegen die Beigeladene zu 1., die über diesen letztendlich zu befinden habe.

Die Beigeladene zu 1. hat sich gegen die Auffassung der Antragsgegnerin gewandt und dargelegt, dass ausschließlich diese richtige Antragsgegnerin sei. Dies ergebe sich aus § 65 a Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II). Im Übrigen habe sie ihre Prozessvertretung auf die Beigeladene zu 2. übertragen.

Das Sozialgericht hat die Beigeladene zu 1. mit Beschluss vom 13.01.2005 und die Beigeladene zu 2. mit Beschluss vom 18.01.2005 beigeladen.

Es hat sodann den Antrag mit Beschluss vom 18.01.2005 abgelehnt. Das Sozialgericht hat zur Begründung zunächst dargelegt, dass der Beigeladene zu 1. gemäß § 65 a SGB II zuständiger Leistungsträger sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass der Beigeladene zu 1. gemäß § 6 a SGB II seine Option zur Zuständigkeit für die Bewilligung des Alg II ausgeübt habe. In sachlicher Hinsicht habe die Antragstellerin keinen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Es fehle nämlich im Rahmen einer summarischen Prüfung an einem Anordnungsanspruch, da das Absetzen von Unterhaltsansprüchen dritter Personen in § 11 SGB II nicht vorgesehen sei. Die Aufzählung in § 11 Abs. 2 SGB II sei abschließend. Da der Anspruch der Kinder darüber hinaus nicht tituliert oder gepfändet sei, ergebe sich auch unter Berücksichtigung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung keine Möglichkeit, die von E. erfüllten Unterhaltsansprüche einkommensmindernd zu berücksichtigen. Es bestehe kein Anlass, im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens hiervon abzuweichen.

Gegen den am 20.01.2005 zugestellten Beschluss richtet sich die am 31.01.2005 eingelegte Beschwerde des Beigeladenen zu 1. Er ist zu deren Begründung im Wesentlichen der Auffassung, das Sozialgericht habe zu Unrecht seine Zuständigkeit bejaht. Seine Unzuständigkeit ergebe sich aus § 65 a SGB II und § 85 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), wonach die Bundesagentur zuständig (geblieben) sei. Diese Auffassung werde insbesondere auch vom Landkreistag Nordrhein-Westfalen geteilt.

Der Beigeladene zu 1. beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 18.01.2005 insoweit abzuändern.

Gegen den der Antragstellerin am 20.01.2005 zugestellten Beschluss richtet sich deren am 01.02.2005 eingegangene Beschwerde. Sie trägt zu deren Begründung vor, das Sozialgericht habe zu Unrecht gefordert, dass die Unterhaltsansprüche der Kinder gepfändet oder tituliert sein müssten, um als nicht "bereites" also nicht einsatzfähiges Einkommen bei der Bedürftigkeitsberechnung berücksichtigt werden zu können. E. wäre in Konsequenz dieser Auffassung gezwungen, eine gerichtliche Bestimmung der Unterhaltsansprüche herbeizuführen, obwohl er zur Erfüllung des gesetzlichen Unterhaltsanspruches der Kinder bereit sei und diesem nachkomme.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 18.01.2005 abzuändern und nach dem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerden des Beigeladenen zu 1. und der Antragstellerin zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

Die Beigeladene zu 2. ist der Auffassung, dass die Beschwerde der Antragstellerin keine Erfolgsaussicht habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie des Aktenhefters der Antragsgegnerin Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

Die Beschwerden des Beigeladenen zu 1. und der Antragstellerin, denen das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschlüsse vom 31.01.2005 und 02.02.2005), sind unbegründet.

Die Beschwerde des Beigeladenen zu 1. ist trotz einer fehlenden materiellen Beschwer (vgl. zu Beschwer und materieller Rechtskraft BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 9) zulässig, da er vom Sozialgericht nicht als richtiger Antragsgegner behandelt und aufgeführt ist. Die Entscheidung greift insofern in seine Rechtsposition ein, da deren Auswirkungen entsprechend der Rechtsstellung als unmittelbarer Antragsgegner oder Beigeladener unterschiedlich sein können, insbesondere hinsichtlich des Prozessführungsrechts. Die Stellung des Beigeladenen zu 1. als richtiger Antragsgegner ergibt sich vorliegend nämlich aus einer Funktionsnachfolge ab 01.01.2005 Kraft Gesetzes. Im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Ablehnungsbescheids vom 02.12.2004 ist die bisherige Antragsgegnerin zwar für die Entscheidung über die Leistungen der Grundsicherung zuständig gewesen. Diese Zuständigkeit hat jedoch mit Wirkung ab 01.01.2005 gemäß § 6 a, 6 b SGB II geendet, weil der Beigeladene zu 1. von der Experimentierklausel des § 6 a SGB II Gebrauch gemacht hat und als Optionsträger zugelassen worden ist (vgl. § 6 a Abs. 2 SGB II i.V.m. der Anlage zu § 1 Abs. 1 der Verordnung zur Zulassung von kommunalen Trägern der Grundsicherung für Arbeitssuchende (Kommunalträger-Zulassungsverordnung- KomtrZV) vom 24. September 2004 - BGBl. I S. 2349). Insofern stellt § 1 Abs. 1 Satz 2 KomtrZV klar, dass der zugelassene Träger an die Stelle der für sein Gebiet jeweils zuständigen Agentur für Arbeit tritt. Damit ist er Kraft Gesetzes am 01.01.2005 nach § 6 b Abs. 1 SGB II uneingeschränkt an die Stelle der Bundesagentur - der hiesigen Antragsgegnerin - getreten und hat deren Aufgaben betreffend die Leistungen der Grundsicherung als Leistungsträger des SGB II in eigener Verantwortung übernommen. Er ist nunmehr umfassender und alleiniger Leistungsträger geworden (vgl. Münder, SGB II, 1. Aufl. 2005 § 6 b Rn. 2; so auch Wahrendorf in Gruber/Wahrendorf, SGB XII, München 2005, § 6 b Rdnr. 1, 2 unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Norm).

Dem steht auch nicht § 65 a SGB II als Übergangsvorschrift entgegen. Vielmehr bestätigt die Auslegung dieser Norm im Kontext mit § 6 a dieses Ergebnis. § 65 a bezieht sich nämlich ausschließlich auf die Voraussetzung, dass von der Bundesagentur und den kommunalen Trägern eine Abeitsgemeinschaft zu bilden, diese aber zum 01.01.2005 noch nicht gebildet worden ist (vgl. Münder, a.a.O., § 65 a Rn. 5 ff.). Nur für diesen Fall wird eine Bewilligungsverantwortung geregelt. Ein derartiger Sachverhalt ist hier aber gerade nicht gegeben, da der Beigeladene zu 1. von der Optionsmöglichkeit mit der damit verbundenen umfassenden und verpflichtenden Leistungszuordnung ab 01.01.2005 Gebrauch gemacht hat. § 65 a SGB II trägt daher nicht die von den Beigeladenen daraus abgeleitete Bewilligungsverantwortung. Es verbleibt bei der eindeutigen Zuständigkeitszuweisung nach § 6 b SGB II.

Schließlich ändert sich hieran auch nichts durch die Neuregelung des § 85 Abs. 2 Satz 2 SGG in der Fassung durch das 7. Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 09.12.2004, BGBl. I S. 3302; auch diese Vorschrift fügt sich nämlich nahtlos in die beschriebene Zuständigkeitsverteilung ein und ergänzt diese Interpretation. Denn die Widerspruchszuständigkeit der Bundesagentur wird - wie in der alten Fassung bis 31.12.2004 - ausschließlich in Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 n.F. geregelt. Danach werden aber gerade die Angelegenheiten des SGB II in der Neuregelung aus der Entscheidungsbefugnis der Bundesagentur herausgenommen und dem Verwaltungsträger der Nr. 1 mit Erweiterung um die Angelegenheiten des SGB II übertragen. Der Bundesagentur - vorliegend der Antragsgegnerin - wird insoweit daher kein Aufgabenbereich übertragen, so dass es bei der Zuordnung des § 6 b SGB II verbleibt. Nur in diesem Zusammenhang ist § 85 Abs. 2 Satz 2 SGG zu verstehen, indem der kommunale Träger in Angelegenheiten nach dem SGB II ausnahmsweise abweichend von der Regelung in § 85 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 auch für die Entscheidung über den Widerspruch zuständig ist.

Damit steht aber fest, dass hinsichtlich des Anspruchs der Antragstellerin und der am 07.10.2004 beantragten Leistung ab 01.01.2005 mit dem Wirksamwerden der Optionen durch den Beigeladenen zu 1. eine Funktionsnachfolge Kraft Gesetzes stattgefunden hat, und dieser nunmehr neu an die Stelle der bisherigen Antragsgegnerin getreten ist. Da es sich hierbei um einen Beteiligtenwechsel Kraft Gesetzes gehandelt hat und damit nicht der Fall einer Antrags(Klage)änderung gegeben ist (vgl. BSG SozR 1200 § 48 Nr. 14), ist bereits im erstinstanzlichen Anordnungsverfahren dieser der richtige Antragsgegner gewesen. Das Sozialgericht hat somit eine falsche Beteiligtenzuordnung vorgenommen, die in die Rechtsposition des derzeitigten Beigeladenen zu 1. eingegriffen hat.

Die Beschwerde des Beigeladenen zu 1. ist jedoch unbegründet. Denn er ist in materieller Hinsicht durch die Entscheidung des Sozialgerichts nicht beschwert, weil es den Anordnungsanspruch der Antragstellerin der Sache nach verneint hat, so dass der Beigeladene zu 1. insoweit nicht belastet ist.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist ebenfalls unbegründet.

Der Senat nimmt insoweit zunächst auf die Ausführungen des Sozialgerichts zur einkommensmindernden Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen Dritter gegen ein Mitglied der Bedarfs- und Einstandsgemeinschaft Bezug. Im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage im einstweiligen Anordnungsverfahren spricht nicht mehr dafür als dagegen, von der unter der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes entwickelten und vom Sozialgericht zitierten Rechtsprechung - (ferner BVerwGE 55, 148; Merkler/Zink, BSHG, Stand 37. Lieferung März 2004, § 76 Rn. 111.1) - abzuweichen. Denn die Berücksichtigung dieser Unterhaltsansprüche ist vom Gesetzgeber anlässlich der Schaffung des SGB II (und des SGB XII) im Rahmen der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe trotz Kenntnis der Rechtsprechung zum Sozialhilferecht nicht ausdrücklich in die abschließende Aufzählung der vom anzurechnenden Einkommen abzusetzender Posten aufgenommen worden. Erforderlich bleibt aber die Klärung der Frage, ob und in welchem Umfang Unterhaltsbeiträge unter welchen Voraussetzungen - titulierte/gepfändete Ansprüche, Erfüllung allein des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs durch regelmäßige Zahlung des Verpflichteten - als "Minderung der bereiten Mittel" zur Deckung des Lebensunterhalts auch in Anwendung des SGB II anzusehen sind. Hierbei handelt es sich um eine weitergehend offene und zu klärende Anspruchsvoraussetzung. Überwiegende, für eine Anerkennung sprechende, sich durch Auslegung aufdrängende Gründe gegenüber der bisherigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sind im einstweiligen Anordnungsverfahren als einer vorläufigen Regelung jedenfalls nicht erkennbar. Dies gilt umsomehr, als die Heirat der Antragstellerin mit ihrem bisherigen Lebenspartner zeigt, dass eine Veränderung der als zu berücksichtigenden gewünschten Unterhaltsverpflichtung im Rahmen der gesetzlichen Leistungspflicht nach eigenbestimmten Handeln des Unterhaltspflichtigen veränderbar ist. Denn nunmehr sind die Antragstellerin und die unterhaltsberechtigten Kinder aus erster Ehe gemäß § 1609 BGB gleichrangig unterhaltsberechtigt, so dass die Leistungsfähigkeit des E. unterhaltsrechtlich neu zu beurteilen wäre, was sachgerechter Weise nur im Hauptsacheverfahren geschehen kann. Die Antragstellerin ist daher auf dessen Ausgang zu verweisen.

Kosten sind nicht zu erstatten (§ 193 SGG).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

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