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LSG NRW: Fristlose Wohnungskündigung löst Anordnungsgrund aus und vorläufige Leistungen bei EU-Bürgern
Lars Johann, Rechtsanwalt aus Wuppertal
Kommentierung der Entscheidung des LSG NRW vom 29.01.2015,
Aktenzeichen L 6 AS 2085/14 BER zu 2 Fragen:
1. Leistungsgewährung nach dem SGB II an arbeitssuchende EU-Ausländer.
2. Geltendmachung von Wohnkosten im gerichtlichen Eilverfahren (SGB II) ohne Räumungsklage.
In dieser insbesondere für EU-Ausländer, aber auch für sonstige Leistungsempfänger nach dem SGB II wichtigen Entscheidung versuche ich die Entscheidung, in der ich den Antragsteller vertreten habe, für Nichtjuristen verständlich wiederzugeben.
Von Rechtsanwalt Lars Johann Wuppertal:
1. Einem EU-Bürger können vorläufig Geldleistungen gem. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III bewilligt werden, wenn die Vereinbarkeit einer Vorschrift, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem EuGH ist.
Im vorliegenden Fall ist der Antragsteller österreichischer Staatsbürger, der im Jahre 2010 nach Deutschland eingereist ist. Da er noch keine 5 Jahre in Deutschland lebt, nicht erwerbstätig ist und ihm auch sonst kein besonderes Freizügigkeitsrecht nach dem Freizügigkeitsgesetz EU zusteht, war die entscheidende Frage, ob ein Bürger der Europäischen Union, der grundsätzlich arbeitssuchend ist, vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffen ist. So hatte es das Jobcenter Wuppertal entschieden und aufgrund dieser Vorschrift die Leistungen abgelehnt.
Das Sozialgericht hatte hier dem Jobcenter Recht gegeben.
Das Landessozialgericht hat nun zugunsten des Leistungsempfängers entschieden. Zum einen hält das Landessozialgericht den generellen Ausschluss für Arbeitssuchende mit dem Europarecht nicht vereinbar, aber auch darauf kam es im vorliegenden Fall nicht an. Entscheidend war vielmehr, dass über diese Frage eine Vorlage beim Europäischen Gerichtshof anhängig ist, der darüber entscheiden muss, ob der Leistungsausschluss nach § 7 SGB II mit Europarecht vereinbar ist.
Solange dies nicht durch den EuGH geklärt ist, dürfen nach Auffassung des Landessozialgerichtes dem Antragsteller nicht die Leistungen generell verweigert werden, sondern der Antragsteller hat einen Anspruch, dass ihm bis zur abschließenden Klärung die Leistungen nach dem SGB II zumindest vorläufig bewilligt werden.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist allerdings, dass diese vorläufige Bewilligung nur dann zu gewähren ist, wenn der ursprüngliche Ablehnungsbescheid nicht bestandskräftig geworden ist. Ist der Ablehnungsbescheid bestandskräftig geworden, besteht für vorläufige Bewilligungen kein Raum mehr.
In der Praxis bedeutet das für Arbeitssuchende EU-Bürger folgendes:
Wird ein Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt und dieser Antrag wird abgelehnt, muss zwingend gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch erhoben werden. Dieser Widerspruch sollte dann gleichzeitig mit dem Antrag auf Gewährung von vorläufigen Leistungen verbunden sein. Bis zur abschließenden Entscheidung des EuGH haben somit nun auch EU-Bürger, die in Deutschland arbeitssuchend sind die Möglichkeit, Leistungen nach dem SGB II zu erhalten.
2. Sind im Eilverfahren Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen, erstrecken sich diese auch auf die Kosten der Unterkunft, wenn die Wohnung als Lebensmittelpunkt konkret gefährdet ist.
Bisher war es so, dass im Eilverfahren Unterkunftskosten erst dann Erfolg versprechend geltend gemacht werden konnten, wenn bereits eine Räumungsklage vorlag. Dies führte in der Vergangenheit dann dazu, dass die Wohnungen regelmäßig durch den Vermieter gekündigt wurden und, falls die Räumungsklage erhoben wurde, der Leistungsempfänger sich dann noch den Kosten der Rechtsverfolgung ausgesetzt sah. Dies führte zu erheblichen Nachteilen, die teilweise auch dann nicht ausgeglichen werden konnten, wenn das Verfahren gegen das Jobcenter erfolgreich verlief.
Vor diesem Hintergrund hat das Landessozialgericht nun seine Rechtsprechung bezüglich der Räumungsklage aufgegeben. Es erkennt nun an, dass bereits zu einem früheren Zeitpunkt in gerichtlichen Eilverfahren Unterkunftskosten geltend gemacht werden können, nämlich dann, wenn die Wohnung als Lebensmittelpunkt konkret gefährdet ist. Dadurch ist, wie das LSG zutreffend feststellt, eine Beeinträchtigung des Grundrechts aus Artikel 13 gegeben. Entsprechend dürfte es nun ausreichen, wenn eine außerordentliche Kündigung wegen Mietrückständen vorliegt, die durch Zahlung der Mietrückstände abgewendet werden kann.
In der Praxis bedeutet dies, dass ein Leistungsempfänger, der keine oder zu geringe Wohnkosten erhält, bereits dann ein Eilverfahren beim Sozialgericht in die Wege leiten kann, wenn ihm wegen Mietrückständen außerordentlich gekündigt worden ist. Insbesondere diese Änderung in der Rechtsprechung ist zu begrüßen, da dies kostenintensive Zivilverfahren verhindert und allen Beteiligten zu einem frühen Zeitpunkt eine gewisse Rechtssicherheit bietet, zumindest dahingehend, dass die Wohnung des Leistungsempfängers nicht konkret gefährdet ist.
Rechtsanwalt Lars Johann http://www.rechtsanwalt-johann.de/
Hier nun das Urteil vom LSG