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Kinderplattform wirkt – Jetzt Eckregelsatz angreifen!

Liebe Freundinnen und Freunde!



Der „Kampagnenrat” des Bündnisses gegen Kinderarmut durch Hartz IV hat sich am 7.4. in Frankfurt getroffen, um über die weitere Arbeit zu beraten, nachdem die Bundesregierung einen Teil unserer Forderungen erfüllt hat. Unsere Überlegungen findet ihr in diesem Rundschreiben.

Wenn ihr unseren Überlegungen folgen könnt, könnt ihr das von uns neu entwickelte Flugblatt bestellen. Es könnte dann noch am 1. Mai verteilt werden.

Das Flugblatt gibt es inklusive Versand kostenlos. Bestellbar bei: info@klartext-info.de, oder per Post: Rainer Roth - Berger Str. 195 - 60385 Frankfurt.

Hier könnt Ihr das Flugblatt als PDF-Datei herunterladen [PDF 335KB].

Natürlich darf das Flugblatt auch nach Belieben selber ausgedruckt werden!

Viele Grüße
Martin Behrsing, Frank Eschholz, Rainer Roth, Edgar Schu, Helmut Woda

Zugrunde liegende Überlegungen



Die Bundesregierung ist mit ihrem Beschluss vom Januar 2009, den Regelsatz von Kindern im Alter von 6 bis 13 Jahren ab 1. Juli 2009 auf 70% des Eckregelsatzes zu erhöhen, einer der beiden Forderungen unserer Plattform im Wesentlichen gefolgt. Die Kürzung des Regelsatzes der Kinder zwischen 7 und 13 wurde weitgehend ausgeglichen, obwohl die Bundesregierung kurz vorher noch entschlossen verkündet hatte, dass alle Kinderregelsätze das soziokulturelle Existenzminimum decken. Ab 1. Juli wird der Bedarf von Schulkindern und Säuglingen nicht mehr gleichgesetzt.

Die Rücknahme dieser Kürzung ist zurzeit der bedeutendste praktische Erfolg aller, die gegen die Armut per Gesetz, die gegen Hartz IV kämpfen. Die Kritik an Kinderarmut durch Hartz IV (auch die unsere) bezog sich überwiegend auf Schulkinder unter 14, weil die Gleichsetzung ihres Bedarfs mit Säuglingen noch offensichtlicher Grundbedürfnisse missachtet als die Gleichsetzung des Bedarfs von Jugendlichen mit erwachsenen Haushaltsangehörigen.

Auch die Klagen von Hartz IV-BezieherInnen bei Sozialgerichten bezogen sich auf Schulkinder unter 14. Insbesondere hat das Urteil des LSG Hessen vom 29.10.2008 einen Beitrag zur Wiederanhebung des Regelsatzes geleistet. Die Bundesregierung wollte mit der Wiederanhebung des Regelsatzes auch einer möglichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zuvorkommen, dass die Gleichstellung von Schulkindern unter 14 und Säuglingen verfassungswidrig sei. Der noch anstehende Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - aller Voraussicht nach noch vor der Bundestagswahl - wird unserer Kampagne für höhere Regelsätze, auch des Eckregelsatzes, möglicherweise weiteren Rückenwind geben.

Der Regelsatz von 6-jährigen Kindern wurde ebenfalls auf 70 % erhöht, so dass jetzt für alle Kinder ab dem Schulalter anerkannt wird, dass sie einen höheren Bedarf haben als Vorschulkinder.

Die Entscheidung der Bundesregierung zeigt: Wir hatten mit der Einschätzung Recht, dass es möglich ist, bis zu den Bundestagswahlen einen Erfolg erzielen zu können, wenn wir uns auf die Forderung nach Rücknahme der Kürzung der Kinderregelsätze konzentrieren. Auf der Basis des Drucks aller gegen Kinderarmut kämpfenden Kräfte hat diese Zuspitzung durch die Kinderplattform den Ausschlag dafür gegeben, dass wenigstens ein Kinderregelsatz wieder angehoben wurde.

Die Bundesregierung sah sich ferner auch gezwungen, ab August/September 2009 eine Pauschale für Schulmaterialien in Höhe von 100 € jährlich zu zahlen, nach heftigen Protesten (auch von uns) inzwischen ohne Begrenzung auf die zehnte Klasse. Lange Zeit hatte die Regierung behauptet, der Schulbedarf sei mit dem Regelsatz schon abgedeckt. Dennoch: sowohl die Wiederanhebung des Regelsatzes als auch das Schulbedarfspaket wurde im Rahmen von Konjunkturpaketen verabschiedet, um die Binnennachfrage zu fördern. Grundbedürfnisse von Kindern wurden nur anerkannt, damit höherer Konsum den Umsatz von Unternehmen erhöht.

Auch Jugendliche haben einen Wachstumsbedarf



Die Bundesregierung nimmt die Kürzung bei Schulkindern unter 14 weitgehend zurück. Die Kürzung bei Jugendlichen von 14 bis 17 aber erhält sie aufrecht. An der schwächsten Stelle, der Aberkennung des Wachstumsbedarfs von Kindern ab sieben, lenkt sie ein und nimmt damit unserer Kampagne den Schwung. Der Protest gegen die Kürzungen flaut merklich ab.

Die Regelsätze von 14- bis 17-Jährigen wurden 2005 von 90 auf 80% des Eckregelsatzes gekürzt oder um 35 € mtl. Diese Regelsatzkürzung wird nicht dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt, weil sie kein Gegenstand einer Klage war. Die Kürzung missachtet den Wachstumsbedarf von Jugendlichen. Laut Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung haben Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren einen durchschnittlichen Kalorienbedarf von 2.700 kcal, Erwachsene aber nur von 2.200 kcal. Dieser Aufbaubedarf rechtfertigt einen höheren Regelsatz als den von erwachsenen Haushaltsangehörigen. Das wird von der Bundesregierung nach wie vor abgestritten. Scholz (SPD) und von der Leyen (CDU) erklärten gemeinsam, dass es bei den Kinderregelsätzen vor 2010 keine Veränderung mehr geben solle.

Von der Leyen gab als Begründung an, mit höheren Kinderregelsätzen „würde Armut zementiert, weil der Anreiz fehle, Arbeit aufzunehmen” (tagesspiegel 02.02.2009). Die Bundesregierung lehnt die Anerkennung des Wachstumsbedarfs von Jugendlichen ab, weil das angeblich die Faulheit der Eltern und der Jugendlichen selbst fördere. Während die Arbeitslosigkeit steigt, weil Banken sich verzockt haben und Konzerne Überkapazitäten abbauen müssen, lässt sich die „Familien“ministerin über die Faulheit von Alleinerziehenden und allen anderen Eltern von Kindern aus. Senkungen aller Kinderregelsätze und der Regelsätze insgesamt wären ihr und der Bundesregierung insgesamt am Liebsten.

Solange die Kürzung bei Jugendlichen nicht zurückgenommen wird und solange auch der Wachstumsbedarf von Schulkindern unter 14 nicht ausdrücklich anerkannt wird, ist unsere Plattform noch aktuell, sind Aktivitäten sinnvoll und können noch Unterschriften gesammelt werden, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Lassen wir also nicht locker dabei, dass die Bundesregierung wenigstens grundsätzlich das Selbstverständlichste vom Selbstverständlichen ausdrücklich wieder anerkennt, dass nämlich Kinder die Eigenschaft haben zu wachsen, bis sie erwachsen sind.

Das Bündnis gegen Kinderarmut hat am 14. März 2009 in über 50 Städten und Orten einen Aktionstag durchgeführt. Unsere Hauptforderung war, auch die Streichung des Wachstumsbedarfs von Jugendlichen zurückzunehmen. Die Regelsätze der Jugendlichen müssen wenigstens wieder von 281 € auf 316 € angehoben werden. Unsere Aktivitäten stießen vielfach auf positive Resonanz. Das von uns erstellte Flugblatt kann kostenlos bezogen werden (info@klartext-info.de). Bisher sind auf die Weise 11.000 Flugblätter von uns zur Verfügung gestellt worden.

Die vom Rhein-Main-Bündnis und Klartext e.V. herausgegebene Broschüre „Fördern durch Kürzen” hat eine Auflage von fast 5.000 Ex. erreicht. Sie ist immer noch brauchbar. 50 Ex. sind noch vorhanden.

Das Bündnis gegen Kinderarmut durch Hartz IV hat über 250 Organisationen und Initiativen für die Unterstützung der Plattform gewinnen können und rund 6.000 Unterschriften gesammelt.

Wir haben alle Bundestagsabgeordneten über Mails mit unseren Forderungen konfrontiert und ihre teilweise kuriosen Manöver kommentiert und auf unserer Website dokumentiert. Wir haben alle Stellungnahmen der Bundestagsparteien zur Kinderarmut in Bezug auf unsere Forderungen überprüft, ebenso die des Paritätischen, des DGB usw. Das machte unsere Website sehr effektiv und lebendig.

Keine der im Bundestag vertretenen Parteien hat die Forderung nach einer sofortigen Rücknahme der Kürzung der Kinderregelsätze unterstützt, keine Bundestagspartei auch unsere Forderung danach, die Wiederanhebung des Regelsatzes für unter 14-Jährige auf den 1. März vorzuziehen sowie jetzt Druck zu machen, die Kürzung bei Jugendlichen anzugreifen.

Innerhalb der Partei Die Linke haben wir allerdings sichtbare Unterstützung gefunden. Eine Vielzahl von Gliederungen der Partei hat uns unterstützt, ebenso 18 von 53 Bundestagsabgeordneten.

Der Paritätische hat eine Unterstützung unserer Forderungen ebenso abgelehnt, wie die anderen Wohlfahrtsverbände. GEW und NGG haben die Plattform unterschrieben, der DGB-Bundesvorstand und ver.di haben es jedoch abgelehnt. Allerdings hat auch hier eine Reihe von Untergliederungen der Gewerkschaften die Plattform unterstützt.

Viele, die Hartz IV ablehnen, hielten unsere Forderung nach einer grundsätzlichen Anerkennung des Wachstumsbedarfs von Kindern für zu wenig, d.h. für nicht unterstützenswert. Angesichts dieser massiven Widerstände gegen die Forderung nach Rücknahme der Kürzungen der Kinderregelsätze denken wir, dass wir mit geringen Kräften die für uns maximale Wirkung erzielt haben.

Wir sollten für die Zukunft weiterhin Druck auf die Anerkennung des Wachstumsbedarfs von Jugendlichen machen. Der Schwerpunkt müsste sich unserer Meinung nach aber darauf verlagern, dass, wie es auch schon in der Plattform steht, alle Regelsätze viel zu niedrig sind und „deutlich erhöht werden” müssten. Unsere bisherige Plattform reicht für die neue Situation nicht mehr aus.

Die Bundesregierung verfolgt nach wie vor das Ziel, alle Regelsätze dauerhaft zu senken. Die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise wird sie auch auf Hartz IV-BezieherInnen abwälzen wollen. Die Initiatoren des Bündnisses gegen Kinderarmut durch Hartz IV sind sich einig, dass die Höhe des Eckregelsatzes mindestens 500 Euro betragen muss.

Wir schlagen deshalb vor, dass alle, die diese Forderung unterstützen, eine Kampagne für 500 € Eckregelsatz beginnen. Wir stellen fest, dass die Akzeptanz dieser Forderung sich innerhalb der sozialen Bewegung deutlich erhöht hat. So hat z.B. der Parteivorstand der Linkspartei einstimmig beschlossen, die Forderung nach 500 € ins Wahlprogramm aufzunehmen. Bei anderen Kräften, aber auch bei der Bundestagsfraktion der Linkspartei stößt sie aber (noch) auf Ablehnung.

Wir werden uns bemühen, einen entsprechenden Aufruf zu machen, den wir Euch/Ihnen dann zuschicken werden.

Entscheidend bei der Begründung der 500 € ist die Frage der Ernährung. Dort liegt die Schwachstelle bei der Zusammensetzung der Regelsätze, der neue Aufruf wird sich daher genau darauf konzentrieren.

Die Forderung nach 500 € kann nicht anerkannt und ausreichend begründet werden, wenn man die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) als Maßstab für den Bedarf anerkennt. Die Ausgaben für Nahrungsmittel und nicht-alkoholische Getränke in der EVS 2003 werden von Hartz IV zu 100% anerkannt, können also auf dem Boden von Hartz IV nicht überschritten werden. Auf der Basis der EVS stehen für Ernährung 3,85 € pro Tag zur Verfügung. Mit 3,85 € ist nur Mangelernährung bei möglichst wenig Bewegung möglich. Ausgaben aufgrund tendenziell sinkender Einkommen sind eben kein ausreichender Maßstab für Bedarfe.

500 €, gut begründet, erzeugen auch Druck in Richtung Anerkennung eines gesetzlichen Mindestlohns von mindestens zehn Euro. 500 €, aber auch schon 435 € Eckregelsatz sind mit den bisher geforderten 7,50 € nicht vereinbar. Sie würden zu höheren Lohnzuschüssen mit Hartz IV führen.

Martin Behrsing, Frank Eschholz, Rainer Roth, Edgar Schu, Helmut Woda

22.04.2009

Flugblatt: 3,85 € pro Tag für Essen und Trinken? Reicht Ihnen das?

500 Euro Regelsatz als PDF-Datei herunterladen [PDF 335KB]

Zum Thema 500 € Eckregelsatz:



  • Statt Mangelernährung – Eckregelsatz von mindestens 500 Euro
    Vortrag Rainer Roth beim Sozialforum Dortmund [PDF 182KB]
  • Alle Grundlagen zum Thema EVS und Kinderregelsätze: Rainer Roth, Hartz IV: Sechster Anlauf zur Senkung der Regelsätze für Kinder seit 1990:
    http://www.kinderarmut-durch-hartz4.de/5-2008080588.html


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