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Jobcenter Wuppertal – seit langem nicht mehr up to date
Seit vier Jahren werden hunderttausende Bescheide mit falschen Rechtsfolgenbelehrungen erlassen.
Manchmal lohnt es sich, Leistungsbescheide genauer zu lesen. Auch die allgemeinen, von Textbausteinen und Paragraphen geprägten Bleiwüsten der Behördenpost verwandeln sich zuweilen für sachkundige Lesende in eine spannende Zeitreise durch die Rechtsgeschichte.
So finden sich in sämtlichen Leistungsbescheiden des Jobcenters Wuppertal eine Rechtsfolgenbelehrung, die darüber aufklären soll, was passiert, wenn SGB-II-leistungsberechtigte Personen ihren gesetzlichen Pflichten in Bezug auf die Aktivierung und Eingliederung auf den Arbeitsmarkt nicht nachkommen.
So erklärt das Jobcenter, dass „die Leistungen zunächst für 3 Monate gemindert“ werden und „auch ein völliger Wegfall des Arbeitslosengeldes II möglich“ sei. Ebenso steht dort geschrieben: „Leistungsberechtigte zwischen 15 und 25 Jahren, die eine zumutbare Erwerbstätigkeit oder Eingliederungsmaßnahme ablehnen oder sich nicht ausreichend um einen Arbeitsplatz bemühen, erhalten für die Dauer von drei Monaten keine Geldleistung der Grundsicherung mehr“. (Hervorhebung durch die Redaktion)
All diese Sanktionsandrohungen wurden vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 5. November 2019 (Az. 1 BvL 7/16) für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht stellte zudem klar, dass diese existenzvernichtenden Sanktionen „ab sofort“, also ab dem 5. November 2019 nicht mehr umgesetzt werden dürfen.
Darüber hinaus wurden mit dem Bürgergeldgesetz die Sanktionsregelung zum 01.01.2023 umfassend geändert und an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts angepasst. Der neue § 31a SGB II bestimmt seitdem, dass Leistungsminderungen oberhalb von 30 Prozent des Regelbedarfes nicht mehr zulässig sind. Ebenfalls nicht mehr zulässig sind die besonders harten Sanktionen bei unter-25-jährigen Leistungsberechtigten, auf die weiterhin in der Rechtsfolgenbelehrungen des Jobcenters Bezug genommen wird.
Die seit über vier Jahren geltende Rechtslage wird vom Jobcenter Wuppertal ignoriert, viele hunderttausend Bescheide sind mit der falschen Rechtslage seitdem verschickt worden. Offensichtlich möchte man dort Bürgergeld beziehende Leistungsberechtigte weiterhin unter Androhung des völligen Entzugs von Leistungen zum Lebensunterhalt unter Druck setzen, als hätte es die BVerfG-Entscheidung und die Gesetzesänderung nicht gegeben.
Der Verein Tacheles hat wegen der fehlerhaften Rechtsfolgenbelehrung am 29.11.2023 eine Fachaufsichtsbeschwerde beim Vorstandsvorsitzenden des Jobcenters und dem Fachreferatsleiter eingelegt. Wir hoffen auf eine zeitnahe Reaktion und Korrektur sämtlicher Textvorlagen und sind gespannt, wie das jahrelange Versäumnis begründet bzw. gerechtfertigt werden wird.
Anlagen:
- Musterbescheid mit falscher Rechtsfolgenbelehrung
- Fachaufsichtsbeschwerde